Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 04.01.2007, Az.: 10 E 1/06

Amtshilfe; Disziplinarverfahren; Einstellung; Ersuchen; Gebührenkalkulation; Kostengrundentscheidung; Zeugenvernehmung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
04.01.2007
Aktenzeichen
10 E 1/06
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2007, 71808
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Das Ersuchen der Disziplinarbehörde an das Verwaltungsgericht nach § 26 Abs. 2 NDiszG um Vernehmung eines Zeugen stellt kein "gerichtliches Disziplinarverfahren" i. S. v. § 69 Abs. 1 NDiszG, sondern einen Fall von Amtshilfe dar, sodass es im gerichtlichen Verfahren keiner Kostengrundentscheidung bedarf.

Gründe

I.

1

Mit schriftlichem Ersuchen vom 14. September 2006 beantragte die vom Antragsteller mit gegen den Antragsgegner eingeleiteten disziplinaren Ermittlungen beauftragte Beamtin der Landesschulbehörde, den Beteiligten als Zeugen gemäß § 26 Abs. 2 NDiszG zu vernehmen. Dieser sowie der Antragsgegner nahmen im Folgenden über ihre jeweiligen Prozessbevollmächtigten Stellung zu der Frage, ob dem Beteiligten ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. In der Folgezeit wurde das Disziplinarverfahren gegen den Antragsgegner eingestellt. Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2007 wurde das Vernehmungsersuchen zurückgenommen.

2

In dem daraufhin ergangenen Einstellungsbeschluss des Verwaltungsgerichts vom 4. Januar 2006 wurde in Satz 2 die im Tenor genannte Kostenregelung getroffen. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit einer Gegenvorstellung.

II.

3

Diese Gegenvorstellung hat Erfolg.

4

Die im Tenor des Einstellungsbeschlusses vom 4. Januar 2007 getroffene Kostengrundentscheidung ist antragsgemäß aufzuheben. Einer Kostengrundentscheidung im Einstellungsbeschluss bedarf es nicht.

5

Bei dem Ersuchen der Disziplinarbehörde nach § 26 Abs. 2 NDiszG an das Verwaltungsgericht mit der Bitte um Vernehmung von Zeugen handelt es sich nicht um ein „gerichtliches Disziplinarverfahren“ i. S. d. § 69 Abs. 1 NDiszG, für das die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung über die Kosten entsprechend gelten, sondern um einen - spezialgesetzlich geregelten - Fall der Amtshilfe. § 26 NDiszG ist dem Grundmodell des § 65 VwVfG der Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen in einem förmlichen Verwaltungsverfahren nachgebildet (vgl. hierzu Gansen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Kommentar, Stand: November 2006, § 25 Rdnr. 27). Das Verwaltungsgericht wird insoweit nicht als Rechtsprechungsorgan, sondern im Wege der - gesetzlich besonders geregelten - Amtshilfe tätig. Dies ergibt sich bereits ausdrücklich aus der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des niedersächsischen Disziplinarrechts (vgl. LT-Drs. 15/2260 S. 9). Dafür sprechen des Weiteren aber auch der Wortlaut der Vorschrift, in dem von einem „Ersuchen“ und nicht von einem „Antrag“ die Rede ist, sowie die systematische Stellung der Vorschrift des § 26 NDiszG im Dritten Teil des NDiszG, in dem (ausschließlich) das „behördliche Disziplinarverfahren“ geregelt ist.

6

Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass nach § 26 Abs. 2 Satz 3 NDiszG der Vorsitzende der Kammer für Disziplinarsachen vorab über die Rechtmäßigkeit der Weigerung eines Zeugen zur Aussage durch (nach § 26 Abs. 2 Satz 4 NDiszG unanfechtbaren) Beschluss entscheidet und er nach § 26 Abs. 3 NDiszG im Fall der unberechtigten Weigerung Ordnungsgeld und -haft festsetzt. Hierdurch wird die Zeugenvernehmung durch das Gericht nicht zu einem „gerichtlichen Verfahren“ nach § 69 NDiszG, sondern bleibt ein Fall der Amtshilfe (vgl. zum vergleichbaren § 25 BDG Gansen, a. a. O., § 25 Rdnr. 5). Wenn ein Zeuge nach Ansicht der Disziplinarbehörde grundlos die Aussage verweigert, unterfällt es dem Ermessen des Dienstherrn, ob er das zuständige Verwaltungsgericht um eine gerichtliche Vernehmung ersucht oder ob er sich auf andere Weise um eine Erlangung der entsprechenden Informationen bemüht; maßgebliches Entscheidungskriterium ist dabei das Aufklärungsgebot des § 22 NDiszG (vgl. zum vergleichbaren § 25 BDG Gansen, a. a. O. § 25 Rdnr. 4). Deutlich wird dies auch daran, dass das Verwaltungsgericht in der Entscheidung über ein formell ordnungsgemäß gestelltes Ersuchen der Disziplinarbehörde lediglich die Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Aussage nach Maßgabe der §§ 52 bis 55 oder 76 StPO zu prüfen hat. Nicht zu hinterfragen hat es hingegen, ob die Beweisaufnahme aus seiner Sicht sachdienlich ist oder nicht. Es kann mithin nicht in richterlicher Unabhängigkeit über den „Antrag“ der Disziplinarbehörde entscheiden. Das Verwaltungsgericht wird vielmehr als „verlängerter Arm“ der Disziplinarbehörde tätig und ist an dessen Einschätzung gebunden, ob und inwieweit und zu welchen Fragen im Einzelnen Beweis erhoben werden soll. Bei der dem Verwaltungsgericht vorbehaltenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aussageverweigerung handelt es sich daher lediglich um einen vom Gesetz vorgeschriebenen „Zwischenschritt“ zur eigentlich ersuchten Zeugenvernehmung, der dem Umstand geschuldet ist, dass die Disziplinarbehörde gegen einen die Aussage verweigernden Zeugen aus rechtsstaatlichen Grundsätzen heraus nicht im Wege des Verwaltungszwanges selbst vorgehen können soll.

7

Eine planwidrige Regelungslücke im Hinblick auf die im Rahmen der ersuchten Vernehmung von Zeugen durch das Verwaltungsgericht entstehenden Kosten ist hierdurch nicht gegeben. Gerichtskosten in Form von Gebühren fallen dem Wesen der Amtshilfe entsprechend nicht an. Dies ergibt sich über § 4 NDiszG aus §§ 1 Abs. 1 Satz 1 NVwVfG, 8 Abs. 1 Satz 1 VwVfG und entsprach bereits der alten Rechtslage unter Geltung der Niedersächsischen Disziplinarordnung (s. hierzu Bieler/Lukat, NDO, Kommentar, Stand: September 2001, § 20 Rdnr. 15). Lediglich - hier nicht entstandene - Auslagen sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 VwVfG in bestimmten Fällen zu erstatten. Die Kosten des Beamten, gegen den ein behördliches Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist, stellen Kosten des behördlichen Disziplinarverfahrens dar. Die Verteilung dieser Kosten richtet sich daher nach § 37 NDiszG und im Fall der Einstellung des Disziplinarverfahrens - wie hier - nach § 37 Abs. 2 Satz 1 und 2 NDiszG. Die Erstattung der Kosten eines Zeugen, der in dem behördlichen Disziplinarverfahren im Wege der Amtshilfe durch das Verwaltungsgericht vernommen wird oder werden soll, bestimmt sich nach § 7 JVEG, das im behördlichen Disziplinarverfahren gemäß §§ 4 NDiszG, 4 NVwVfG, 26 Abs. 3 Satz 2 VwVfG entsprechend anwendbar ist.

8

Dieser Beschluss ist unanfechtbar. Gegen diesen Änderungsbeschluss - wie auch gegen den Einstellungsbeschluss vom 4. Januar 2007 - ist die Beschwerde nach § 62 Abs. 1 NDiszG nicht zulässig. Hiernach steht den Beteiligten gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz oder in der Verwaltungsgerichtsordnung etwas anderes bestimmt ist. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ein Ersuchen einer Behörde um eine Zeugenvernehmung im Wege der Amtshilfe zurückgenommen wird, gelten die Vorschriften der §§ 92 Abs. 3 Satz 2, 158 Abs. 2 VwGO über § 4 NDiszG zumindest entsprechend. Im Übrigen ist der nach § 26 Abs. 2 Satz 3 NDiszG zu fassende Beschluss des Vorsitzenden gemäß § 26 Abs. 2 Satz 4 NDiszG unanfechtbar, sodass der Einstellungsbeschluss nach Rücknahme des Ersuchens in einem Erst-Recht-Schluss ebenfalls unanfechtbar ist.