Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 15.01.2007, Az.: B 51/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 15.01.2007
- Aktenzeichen
- B 51/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 62160
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2007:0115.B51.06.0A
Amtlicher Leitsatz
Erfolgloser Rechtsschutzantrag eines vor seiner Konkurrentin rangierenden Polizisten wegen Ermittlungsverfahren (Körperverletzung im Amt)
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten in einem Konkurrentenverfahren um die Vergabe einer Planstelle der Besoldungsgruppe A 10 BBesO, die nach Zuweisung an die Antragsgegnerin seit dem November 2006 für eine Beförderung bei der Polizeiinspektion E. genutzt werden kann.
Der im Juli 1969 geborene Antragsteller, der am 1. Oktober 1996 in den Dienst der Polizei trat und am 1. Januar 2001 zum Polizeikommissar ernannt wurde, ist Polizeikommissar und als Sachbearbeiter ESD bei der Polizeiinspektion E. tätig. Seine letzte Regelbeurteilung zum Stichtag 1. September 2005 im Amt der Besoldungsgruppe A 9 BBesO lautete auf "Hervorragend" (Wertungsstufe 5). Die vorangegangene Regelbeurteilung zum Stichtag 1. September 2002 ebenfalls im Amt der Besoldungsgruppe A 9 BBesO lautete auf "Übertrifft erheblich die Anforderungen" (Wertungsstufe 4). Die erste Beurteilung nach der Lebenszeiternennung zum Stichtag 1. September 2001 im Amt der Besoldungsgruppe A 9 BBesO lautete auf "Entspricht voll den Anforderungen" (Wertungsstufe 3).
Die im Juni 1964 geborene Beigeladene, die am 1. Oktober 1985 in den Dienst der Polizei trat, am 1. April 1989 zur Polizeihauptwachtmeisterin und nach einer Aufstiegsausbildung am 13. Mai 2001 zur Kriminalkommissarin ernannt wurde, ist Kriminalkommissarin und als Sachbearbeiterin ZKD bei der Polizeiinspektion E. tätig. Ihre letzte Regelbeurteilung zum Stichtag 1. September 2005 im Amt der Besoldungsgruppe A 9 BBesO lautete auf "Hervorragend" (Wertungsstufe 5). Die vorangegangene Regelbeurteilung zum Stichtag 1. September 2002 ebenfalls im Amt der Besoldungsgruppe A 9 BBesO lautete auf "Übertrifft erheblich die Anforderungen" (Wertungsstufe 4). Die erste Beurteilung nach der Ernennung zur Kriminalkommissarin zum Stichtag 1. September 2001 im Amt der Besoldungsgruppe A 9 BBesO lautete auf "Entspricht voll den Anforderungen" (Wertungsstufe 3).
Am 14. November 2006 erfuhr der Antragsteller, dass die der Polizeiinspektion zugeteilte Planstelle A10 BBesO auf Vorschlag der Inspektion mit der Beigeladenen besetzt werden soll. Auf Nachfrage teilte ihm die Antragsgegnerin mit, dass er auf der Orientierungsliste für Beförderungen zwar an erster Stelle stehe und die Beigeladene an zweiter Stelle. Wegen eines gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wegen Körperverletzung im Amt sei aber für die jetzt zugeteilte Planstelle die Beigeladene vorzuziehen.
Der Antragsteller widersprach seiner Nichtberücksichtigung und hat am 22. November 2006 bei Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat keinen Erfolg.
Das Gericht kann gemäß § 123 Abs. 1 VwGO eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO - Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn die Regelung - insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen - zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO - Regelungsanordnung). Beide Formen der einstweiligen Anordnung setzen voraus, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 123 Rn. 6). Diese Voraussetzungen sind hier nicht insgesamt erfüllt.
1. Ein den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigender Anordnungsgrund, die Dringlichkeit einer Eilentscheidung, ist allerdings gegeben. Denn durch die Übertragung der Planstelle an die Beigeladene und die beabsichtigte Ernennung der Beigeladenen würde der von dem Antragsteller geltend gemachte Anspruch auf fehlerfreie Auswahlentscheidung vereitelt werden. Mit Vollzug der beabsichtigten Übertragung der Planstelle wird zugleich die gerichtliche Überprüfung der schon getroffenen Auswahlentscheidung praktisch hinfällig.
2. Dem Antragsteller steht aber kein Anordnungsanspruch zur Seite. Die von der Antragsgegnerin getroffene Auswahlentscheidung ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Auswahlentscheidung des Dienstherrn unterliegt als Akt wertender Erkenntnis einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle: Die verwaltungsgerichtliche Nachprüfung beschränkt sich darauf, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen bzw. unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachwidrige Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften oder mit höherrangigem Recht vereinbare Richtlinien (Verwaltungsvorschrift) verstoßen hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.8.2001 - 2 A 3.00 -, DVBl 2002, 132; OVG Lüneburg, Beschl. v. 27. 5. 2005 - 5 ME 57/05 - und Beschl. vom 26. 8. 2003 - 5 ME 162/03 -, jeweils m.w.N.).
Die Entscheidung des Dienstherrn über die Übertragung eines öffentlichen Amtes und die Beförderungsauswahl hat sich an dem Leistungsgrundsatz (Art. 33 Abs. 2 GG, § 7 BRRG und § 8 Abs. 1 NBG) zu orientieren, der besagt, dass die Auswahl unter den Bewerbern nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen ist. Bei der Beurteilung der Frage, welcher der Bewerber am besten geeignet und befähigt sowie am leistungsstärksten ist, hat der Dienstherr in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Dies sind regelmäßig die aktuellsten Beurteilungen. Haben die Bewerber dabei als Gesamturteil auf der jeweiligen Notenskala unterschiedliche Notenstufen erreicht, ist grundsätzlich der Bewerber mit der besseren Gesamtnote auszuwählen. Sind die Bewerber mit der gleichen Gesamtnote beurteilt, ist für die Auswahlentscheidung zunächst auf weitere unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen. Diese können sich aus sogenannten Binnendifferenzierungen innerhalb der Notenstufe und/oder aus der Bewertung der einzelnen Beurteilungsmerkmale oder aus älteren dienstlichen Beurteilungen ergeben, deren zusätzliche Berücksichtigung geboten ist, wenn eine Stichentscheidung unter zwei oder mehr aktuell im Wesentlichen gleich beurteilten Bewerbern zu treffen ist. Als weitere leistungsbezogene Kriterien können auch die bei einem strukturierten, nach festgelegten Kriterien bewerteten Auswahlgespräch gewonnenen Erkenntnisse berücksichtigt werden und ausschlaggebend sein. Erst wenn alle diese unmittelbar leistungsbezogenen Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind und die Bewerber immer noch im Wesentlichen gleich einzustufen sind, sind sogenannte Hilfskriterien heranzuziehen (vgl. hierzu im Einzelnen BVerwG, Urt. v. 21.8.2003 - 2 C 14.02 -, ZBR 2004, 101; Urt. v. 27.2.2003 - 2 C 16.02 -, NVwZ 2003, 1397; OVG Lüneburg, Beschl. v. 13. 4. 2005 - 5 ME 29/05 -, Beschl. v. 23.7.2004 - 5 ME 39/04 -; Beschl. v. 26.8.2003 - 5 ME 162/03 -, NVwZ-RR 2004, 197, jeweils m.w.N.).
Die hier angefochtene Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin genügt den vorstehend dargelegten Anforderungen.
Der Antragsteller und die Beigeladene haben in ihren letzten Regelbeurteilungen zum Stichtag 1. September 2005, die für die Beförderungsentscheidung im November 2006 noch hinreichend aktuell waren, die gleiche Gesamtnote, nämlich die Wertungsstufe 5 erhalten. In der vorausgegangenen Regelburteilung zum Stichtag 1. September 2002 hatten sie ebenfalls die gleiche Gesamtnote, nämlich die Wertungsstufe 4 erhalten. Dies gilt auch für die Beurteilungen nach Lebenszeiternennung bzw. Beförderung zum Stichtag 1. September 2001 (Wertungsstufe 3). Wenn angesichts dieser Übereinstimmungen in den Gesamturteilen die Antragsgegnerin auf vier geringe Unterschiede bei den 11 Leistungs- und Befähigungsmerkmalen in der Regelburteilung zum Stichtag 1. September 2005, die dazu geführt haben, dass der Antragsteller auf der aktuellen Orientierungsliste für Beförderungen einen Platz vor der Beigeladenen steht, nicht abstellt, sondern der Beigeladenen im Hinblick auf das gegen den Antragsteller im September/Oktober 2006 eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt den Vorzug gibt, ist dies von Gerichts wegen nicht zu beanstanden.
Der Antragsteller ist zwar bei der letzten Regelbeurteilung in vier von 11 Leistungs- und Befähigungsmerkmalen um eine halbe Stufe besser beurteilt worden als die Beigeladene. Dem steht aber gegenüber, dass gegen ihn ganz aktuell ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet worden, aber noch nicht abgeschlossen ist. Wenn die Antragsgegnerin dieses Verfahren und den zugrunde liegenden Vorfall dahingehend wertet, dass das derzeit gegen eine Eignung des Antragstellers für die Beförderungsstelle, zumindest gegen seine bessere Eignung als die Beigeladene spricht, ist das im Hinblick auf den Leistungsgrundsatz nicht zu beanstanden. Der Antragsteller hat eingeräumt, einem auf dem rechten Rücksitz eines Streifenwagens sitzenden Festgenommenen, dessen Hände auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt waren, einen gezielten Faustschlag in das Gesicht versetzt zu haben, weil dieser im Wagen "randaliert habe" und durch Schlagen mit seinem Ellenbogen die Zerstörung der Verglasung der hinteren rechten Scheibe gedroht habe. Der Festgenommene hat dazu angegeben, dass der Antragsteller ihm nach dem Schlag noch mit der Hand den Kehlkopf gequetscht habe - mit der Folge, dass er die nächsten Tage kaum habe sprechen können und Schmerzen gehabt habe. Ein Arzt hat aufgrund einer am selben Tag vorgenommenen Untersuchung einen Zustand nach Würgetrauma und eine Prellung der linken Wange diagnostiziert. Es liegt innerhalb des der Antragsgegnerin eingeräumten Auswahlermessens, wenn sie davon ausgeht, "dass es sich hier objektiv nicht um eine der Vorwürfe handelt, wie sie Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten in der täglichen Dienstausübung häufig - und häufig im Nachhinein auch grundlos - gemacht werden", sondern um einen Sachverhalt, der die Beigeladene im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung und auch der gerichtlichen Entscheidung als durchaus besser geeignet erscheinen lässt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und Abs. 5 Sätze 2 und 1 GKG (Hälfte des 6,5-fachen Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 10 zuzüglich allgemeiner Stellenzulage).