Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 03.09.2002, Az.: L 9/3 U 405/99

Berufskrankheit; Epicondylitis; Handelsvertreter

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
03.09.2002
Aktenzeichen
L 9/3 U 405/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43576
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 26.07.1999 - AZ: S 4 U 4/98

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Epicondylitis gehört zu den Erkrankungen der Sehnenansätze i.S.d. BK 2101 der Anlage zur BKVO.

2. Das mehrfache Heben und Tragen bzw. Ziehen schwerer Musterkoffer sowie die langwierige Präsentation der Muster mit erhobenem Arm und nach oben gebeugtem Handgelenk durch einen Handelsvertreter können als sich ständig wiederholende einseitige Bewegungen im Wege einer einseitigen mechanischen Beanspruchung im Einzelfall eine Epicondylitis hervorrufen und die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2101 der Anlage zur BKVO erfüllen.

3. Das Unterlassen der Tätigkeit setzt die tatsächliche Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit auf Dauer oder auf nicht absehbare Zeit voraus.

4. Die Merkblätter des BMA zu den BKs enthalten lediglich rechtlich unverbindliche Hinweise an den Arzt für die ärztliche Untersuchung und sind Hilfsmittel zur Ermittlung des Willens des Verordnungsgebers und stellen keine verbindliche, im Range der Verordnung selbst stehende Erläuterung dar und vermögen eine fachkompetente medizinische Begutachtung nicht zu ersetzen; sie können auch nicht als antizipierte Sachverständigengutachten missverstanden oder einem Gutachter als maßgeblich im Sinne eines authentischen Erkenntnisstandes entgegen gehalten werden.

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. Juli 1999 sowie der Bescheid der Berufungsbeklagten vom 28. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 1997 werden geändert.

Die Berufungsbeklagte wird verurteilt, bei dem Berufungskläger eine beidseitige Epicondylitis als Folge einer Berufskrankheit nach der Nr 2101 der Anlage 1 zur BKVO festzustellen und ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 v.H. ab April 1996 zuzuerkennen.

Die Berufungsbeklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Berufungsklägers beider Rechtszüge zu tragen.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Feststellung einer Berufskrankheit nach der Nr 2101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) sowie um die Zuerkennung einer Verletztenrente nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung.

2

Der 1934 geborene Berufungskläger hat den Beruf des Einzelhandelskaufmanns erlernt und war dann seit Januar 1964 als freier Handelsvertreter tätig. Seit 1975 vertrieb er vorrangig Textilien. Dabei war er zunächst derart tätig, dass er in Verbrauchermärkten Textilien vertrat. Im Jahr 1985 veränderte sich seine Tätigkeit. Er übernahm die Vertretung einer Fachhandelskollektion. Hierzu musste er in seinem Gebiet gelegene Fachhandelsgeschäfte aufsuchen und dort die Kollektion präsentieren. Zu diesem Zwecke führte er jeweils vier größere Koffer mit Mustern sowie einen kleineren Koffer und eine Aktentasche im eigenen PKW mit. Diese Materialien mussten vom Berufungskläger jeweils selbst vom PKW zum jeweiligen Kunden verbracht werden. Dort wurden die einzelnen Muster von ihm den für den Einkauf zuständigen Personen präsentiert. Dies geschah derart, dass die an einer bügelartigen Vorrichtung befestigten Muster der verschiedenen Dessins in unterschiedlicher Farbgestaltung hochgehalten und nacheinander präsentiert wurden. Dabei war an jedem Bügel ein Dessin in jeweils unterschiedlichen Farbgebungen befestigt. Bei der Präsentation war es erforderlich, den Bügel mit einer Hand hoch zu halten, um mit der anderen Hand die verschiedenen Farbgebungen umschlagen zu können. Einzelne Präsentationen konnten bis zu 2 – 3 Stunden dauern. Der Berufungskläger besuchte am Tag mehrere Kunden und absolvierte tägliche Arbeitszeiten – inklusive Fahrtzeiten – von weit über acht Stunden. Diese Tätigkeit hat der Berufungskläger mit Wirkung vom April 1996 aufgegeben.

3

Seit Januar 1982 bestand eine freiwillige Versicherung des Berufungsklägers bei der Berufungsbeklagten. Der Berufungskläger war seit April 1996 arbeitsunfähig krank. Er bezieht ab Mai 1997 Rente wegen Berufsunfähigkeit. Ihm ist mit zuletzt bindend gewordenem Bescheid des Versorgungsamtes Hannover vom 4. September 1997 ein schwerbehindertenrechtlicher Grad der Behinderung von 60 zuerkannt worden.

4

Im Februar 1997 wandte sich der Berufungskläger an die Berufungsbeklagte und machte das Vorliegen einer Berufskrankheit (BK) geltend. Er bezog sich auf Beschwerden seitens beider Arme sowie der Hals- und Lendenwirbelsäule.

5

Die Berufungsbeklagte leitete Ermittlungen zur beruflichen Laufbahn des Berufungsklägers ein und zog sodann Stellungnahmen des Arbeitsmediziners Dr. I. vom 21. April und 26. Juni 1997 bei, aus denen sich ergibt, dass dieser die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK nach der Nr 2108 und 2101 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) für nicht gegeben hielt.

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Daraufhin lehnte die Berufungsbeklagte mit Bescheid vom 28. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 1997 die Feststellung des Vorliegens einer BK sowie die Zuerkennung einer Verletztenrente ab. Hinsichtlich der BK nach der Nr 2101 der Anlage 1 zur BKVO habe keine Tätigkeit vorgelegen, die geeignet gewesen sei, diese BK hervorzurufen. Hinsichtlich der Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO habe sich ergeben, dass der Berufungskläger nicht genügend oft und nicht genügend schwer gehoben habe, um die Voraussetzungen für die Anerkennung einer derartigen BK zu erfüllen.

7

Der Berufungskläger hat am 7. Januar 1998 Klage erhoben.

8

Im Klageverfahren gelangte eine Bescheinigung des den Berufungskläger behandelnden Orthopäden Dr. J. vom 18. November 1997 sowie eine ergänzende arbeitsmedizinische Stellungnahme von Dr. I. (vom 24. Februar 1998) zu den Akten.

9

Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Erstattung des Gutachtens des Chirurgen Dr. K. (vom 19. November 1998) veranlasst. Dr. K. ist im Wesentlichen zu folgenden Ergebnissen gelangt:

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Auf Röntgenbildern, die er von den Unterarmen des Berufungsklägers gefertigt hat, hat er arthrotische Veränderungen sowohl in den Ellenbogengelenken als auch in den Händen diagnostiziert. Er ist daraufhin zu dem Ergebnis gekommen, es liege keine Erkrankung der Sehnenscheiden bzw des Sehnengleitgewebes oder der Sehnen- und Muskelansätze vor. Daher könne auch keine BK nach der Nr 2101 der Anlage 1 zur BKVO vorliegen.

11

Nachdem der Berufungskläger noch einen Bericht des Orthopäden Dr. J. (vom 28. Januar 1999), der auf einen verdickten Beuge- und Sehnenstreckapparat des Berufungsklägers hingewiesen hatte, zu den Akten gereicht hat, hat das SG die Klage mit Urteil vom 26. Juli 1999 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, Dr. K. habe keine Erkrankung des Sehnenapparates der Unterarme des Berufungsklägers feststellen können. Schon deswegen komme hier die Anerkennung einer BK nach der Nr 2101 der Anlage 1 zur BKVO nicht in Betracht. Das vom Berufungskläger nachträglich eingereichte Attest des Orthopäden J. könne an diesem Befund nichts ändern, weil sich aus den vorher eingereichten Befunden dieses Arztes der nunmehr erhobene Befund nicht ergeben habe. Der nun erhobene Befund sei aber nach Beendigung der angeschuldigten Berufstätigkeit erhoben worden. Hinsichtlich der BK nach Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO hat das SG darauf hingewiesen, bei dem Berufungskläger habe keine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule nachgewiesen werden können.

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Der Berufungskläger hat gegen das seinen Bevollmächtigten am 16. September 1999 zugestellte Urteil am 13. Oktober 1999 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er sich auf erneute Stellungnahmen des Orthopäden Dr. J. (vom 26. November 1999 und vom 25. Februar 2000) gestützt hat. Der Berufungskläger ist nach wie vor der Meinung, bei ihm liege eine BK nach der Nr 2101 der Anlage 1 zur BKVO vor. Eine BK nach der Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO mache er nicht mehr geltend. Zur Begründung bezieht er sich auch auf die vom Senat durchgeführte weitere Ermittlung des Sachverhaltes.

13

Der Berufungskläger beantragt,

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1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. Juli 1999 sowie den Bescheid der Berufungsbeklagten vom 28. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 1997 abzuändern,

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2. die Berufungsbeklagte zu verurteilen, bei ihm das Vorliegen einer Berufskrankheit nach der Nr 2101 der Anlage 1 zur BKVO festzustellen,

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3. die Berufungsbeklagte zu verurteilen, ihm ab April 1996 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 v.H. zuzuerkennen.

17

Die Berufungsbeklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

19

Zur Begründung bezieht sie sich auf ihre angefochtenen Bescheide sowie auf das erstinstanzliche Urteil. Sie ist nach wie vor – unter Bezugnahme auf das Merkblatt zu der hier umstrittenen Berufskrankheit - der Auffassung, bei dem Berufungskläger lägen die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Zuerkennung einer BK nach der Nr 2101 der Anlage 1 zur BKVO nicht vor. Insbesondere habe der Berufungskläger nicht in genügendem Umfang repetitive Bewegungen im Ablauf seines beruflichen Alltags ausgeübt. Hinzu komme, dass der Berufungskläger seine Tätigkeit nicht im Sinne des Berufskrankheitenrechtes aufgegeben habe, sondern weiterhin als Handelsvertreter tätig sei.

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Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes ein Vorerkrankungsverzeichnis der Barmer Ersatzkasse Hannover beigezogen sowie ein Gutachten der Prof. Dr. L., Chefärztin der Abteilung Hand – und Plastische Chirurgie der Unfallklinik des Friederikenstiftes Hannover (vom 10. Juli 2000) veranlasst. Prof. Dr. L. hat weiter unter dem 12. März 2001 ein ergänzendes Gutachten zur Beantwortung ihr vom Senat gestellter Fragen erstattet. Sodann hat der Senat den Berufungskläger im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter persönlich gehört und auch den Handchirurgen Dr. M. ergänzend zu dem Gutachten von Prof. Dr. L. gehört (Termin vom 30. April 2002).

21

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Berufungsbeklagten (Az.: N. ) und des Versorgungsamtes Hannover (AZ O. ) Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist im noch streitgegenständlichen Umfang auch begründet.

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Das SG hat es zu Unrecht abgelehnt, die angefochtenen Bescheide zu ändern und die Berufungsbeklagte zu verurteilen. Der Bescheid der Berufungsbeklagten vom 28. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 1997 ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Berufungskläger in seinen Rechten. Dieser hat Anspruch auf Anerkennung einer BK nach der Nr. 2101 der Anlage 1 zur BKVO und Zuerkennung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 v.H.. Soweit die angefochtenen Bescheide und das erstinstanzliche Urteil die Zuerkennung einer BK nach der Nr 2108 der Anlage 1 zur BKVO ablehnen, sind sie durch die Beschränkung der Berufung nicht mehr umstritten und damit rechtskräftig geworden.

24

Der vom Berufungskläger verfolgte Anspruch richtet sich noch nach den bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) und der BKVO, da die geltend gemachte BK vor dem Inkrafttreten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 eingetreten ist (§ 212 SGB VII). Im Falle der BK 2101 tritt der Versicherungsfall ein, wenn alle versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vollständig vorliegen. Dies war – wie noch auszuführen sein wird – bei dem Berufungskläger ab April 1996 der Fall.

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Nach § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalls nach Maßgabe der folgenden Vorschriften Leistungen, insbesondere bei Vorliegen einer MdE um wenigstens 20 v.H. Verletztenrente in der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe (§ 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Als Arbeitsunfall gilt gem. § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO auch eine BK. Bk`en sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 – 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Der Berufungskläger ist in Anwendung von § 545 RVO bei der Berufungsbeklagten freiwillig versichert.

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Eine solche Bezeichnung nimmt die BKVO mit den sogenannten Listenkrankheiten vor. Nach Nr. 2101 der Anlage 1 zur BKVO sind als BK Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, geschützt. Für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als BK nach Nr. 2101 der Anlage 1 zur BKVO müssen folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein:

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Bei dem Versicherten muss eine der erwähnten Krankheiten vorliegen, die durch berufsbedingte Tätigkeit entstanden ist. Die Erkrankung muss den Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben und als Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe dieser Tätigkeiten tatsächlich erfolgt sein. Für das Vorliegen des Tatbestands der BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i.S.d. ”Vollbeweises”, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht, der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – ausreicht (vgl. insoweit zuletzt etwa Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 22. August 2000, Az.: B 2 U 34/99 R in SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2).

28

Insoweit hat der Senat zunächst festgestellt, dass bei dem Berufungskläger eine Erkrankung i.S.d. BK 2101 vorliegt. Dies ergibt sich für den Senat zunächst in überzeugender Weise aus dem handchirurgischen Gutachten von Prof. Dr. L. i.V.m. deren ergänzender Stellungnahme vom 12. März 2001 und den Erläuterungen des Handchirurgen Dr. M. im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter am 30. April 2002. Aus diesen Äußerungen entnimmt der Senat, dass Dr. M. anlässlich der Begutachtung des Berufungsklägers zweifelsfrei das Vorliegen einer Epicondylitis rechts mehr als links diagnostiziert hat. Die Epicondylitis zählt zu den Diagnosen, die von der BK 2101 umfasst werden (vgl. hierzu das einschlägige Merkblatt zu der ursprünglich BK 43 genannten Berufskrankheit – abgedruckt in Mehrtens/Perlebach, Kommentar zur BKVO, Stand April 2002 unter M 2101 – dort II. Nr. 2). Diese Diagnose von Prof. Dr. L. und Dr. M. wird gestützt von dem den Berufungskläger behandelnden Orthopäden Dr. J. sowie von den den Berufungskläger während seiner Reha-Kur in Bad Sassendorf behandelnden Ärzten Dr. P. und Q. (vgl. Entlassungsbericht vom 23. Mai 1997 und die dort genannte Diagnose Epicondylopathie). Insoweit konnte sich der Senat nicht die Überzeugung bilden, dass die Auffassung des erstinstanzlich gehörten Gutachters, des Chirurgen Dr. K. zutrifft, bei dem Berufungskläger liege in den Ellenbogengelenken eine Arthrose vor und diese sei für die Schmerzen des Berufungsklägers dort verantwortlich. Bei Durchsicht aller medizinischen Unterlagen, die zu den dem Senat zur Verfügung stehenden Vorgängen gelangt sind, findet sich keine einzige andere ärztliche Einschätzung dahingehend, dass in den Ellenbogengelenken des Berufungsklägers arthrotische Veränderungen vorliegen. Arthrotische Veränderungen werden bei dem Berufungskläger lediglich in den Handgelenken durchgehend diagnostiziert. Wie Dr. M. dem Berichterstatter im Erörterungstermin am 30. April 2002 nochmals eindrücklich dargelegt hat, lassen sich auf den vorliegenden Röntgenbildern keine Anzeichen für arthrotische Veränderungen im Ellenbogengelenk feststellen. Dr. M. hat auch anlässlich dieses Termins nochmals eindrücklich erläutert, wie er als erfahrener Handchirurg eine derartige Erkrankung diagnostiziert, ohne dass diese Diagnose vom zu Untersuchenden beeinflusst werden kann. Angesichts all dessen bestehen auch für den Senat keine Zweifel am Vorliegen der Erkrankung.

29

Der Senat hat darüber hinausgehend festgestellt, dass die Tätigkeit des Berufungsklägers die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die BK 2101 erfüllt hat.

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Dem kann die Berufungsbeklagte zunächst nicht entgegen halten, dem stünde schon das Merkblatt zur BK 2101 entgegen. Dieses Argument kann schon deswegen nicht durchgreifen, weil einem Merkblatt zu einer BK eine solche Wirkung nicht zukommen kann. Die Merkblätter zu den Berufskrankheiten werden vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat, Sektion ”Berufskrankheiten” beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung erarbeitet und veröffentlicht. Sie enthalten rechtlich unverbindliche Hinweise an den Arzt für die ärztliche Untersuchung und sind Hilfsmittel zur Ermittlung des Willens des Verordnungsgebers und stellen keine verbindliche, im Range der Verordnung selbst stehende Erläuterung dar (vergl. Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl. 1998 Anm. 1.7.3.6.; Mehrtens, Perlebach, E § 9 Anm. 26.5.). Die Begriffswahl ”Merkblätter” soll bereits deutlich machen, dass es ihre Aufgabe ist, in erster Linie den Arzt bei der Beurteilung einer Erkrankung und bei der Prüfung seiner Anzeigepflicht im Sinne einer Grundinformation zu beraten. Eine fachkompetente medizinische Begutachtung vermögen sie nicht zu ersetzen. Sie können daher auch nicht als antizipierte Sachverständigengutachten missverstanden oder einem Gutachter als maßgeblich im Sinne eines authentischen Erkenntnisstandes entgegen gehalten werden. Dem steht schon die mangelnde Aktualität vieler Merkblätter entgegen (Koch in: Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd. 2 – Unfallversicherungsrecht, München 1996, § 39 Rdnrn. 3 und 2; dem folgend BSG, Beschluss vom 11. August 1998, Az.: B 2 U 261/97 B; Urt. v. 22. August 2000 a.a.O.).

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Dies berücksichtigend hat Prof. Dr. L. insbesondere in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 12. März 2001 (Bl. 205 ff der Gerichtsakte) und Dr. M. anlässlich seiner Anhörung vor dem Berichterstatter am 30. April 2002 für den Senat überzeugend herausgearbeitet, warum die spezielle Tätigkeit des Berufungsklägers geeignet war, die nunmehr vorliegende Epicondylitis hervorzurufen. Das mehrfache Heben und Tragen bzw. Ziehen der schweren Musterkoffer des Berufungsklägers, wie es anlässlich der Erörterung vor dem Berichterstatter auch vom Berufungskläger demonstriert worden ist, hat durch die Zugbelastung der Sehnen im Unterarm zu einer Reizung der Ansatzstelle am Knochen geführt. Diese sowieso schon gesetzte Reizung ist dann durch die langwierige Präsentation der Muster mit erhobenem Arm und nach oben gebeugtem Handgelenk weiter verstärkt worden. Dr. M. hat dies – für den Senat überzeugend – plastisch als die ”Sahnehaube auf dem Geschehen” bezeichnet. Prof. Dr. L. und Dr. M. haben sich insoweit auch eingehend mit den Einwänden der Berufungsbeklagten auseinander gesetzt. So hat Prof. Dr. L. zunächst den Einwand entkräftet, wenn die Tätigkeit des Berufungsklägers für das Entstehen der Epicondylitis verantwortlich gewesen sei, so müsse dies doch nach Aufgabe der Tätigkeit zu einem Zurückgehen der Beschwerden geführt haben. Insoweit hat Prof. Dr. L. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 12. März 2001 aus medizinischer Sicht unwidersprochen darauf hingewiesen, eine chronisch gewordene Epicondylitis bestehe auch nach Aufgabe der verursachenden Tätigkeit fort.

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Auch der Einwand der Berufungsbeklagten, die Tätigkeit des Berufungsklägers weise nicht die für die Anerkennung einer BK 2101 geforderte repetitive Gestaltung auf, vermag die Überzeugungskraft der eingeholten gutachtlichen Stellungnahmen nicht zu erschüttern. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass dies schon nach dem eigenen Vortrag der Berufungsbeklagten nicht zutreffen kann. Diese hat nämlich in ihren Schriftsätzen vom 3. März 1998 und vom 17. Januar 2000 selbst darauf hingewiesen, derartige Erkrankungen könnten durch einseitige, langdauernde mechanische Beanspruchung und ungewohnte Arbeiten aller Art bei fehlender oder gestörter Anpassung entstehen. Bei dieser Charakterisierung der geforderten Tätigkeit ist ohne Weiteres auch die spezielle Tätigkeit des Berufungsklägers – wie sie oben dargestellt wurde – mit erfasst. Prof. Dr. L. und Dr. M. haben insoweit auch nicht den Boden der medizinischen Lehrmeinung, wie er etwa bei Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl., S. 564 f und S. 1139 f wiedergegeben ist, verlassen. Dort ist nämlich ausdrücklich die Rede davon, die Erkrankung könne insbesondere auch durch statische Haltearbeit hervorgerufen werden (vgl auch Mehrtens/Perlebach, Kommentar zur BKVO, Erläuterungen zu M2101 und Barrot in ErgoMed 1999,26). Insoweit kommt es wesentlich auf die hohe Auslenkung des Handgelenks , d.h. eine unphysiologische, stark von der Ruhestellung abweichende Haltung an (Barrot aaO S. 28). Die Gutachter haben auch differentialdiagnostisch andere Ursachen für die Erkrankung des Berufungsklägers ausgeschlossen. So sind beispielsweise keinerlei Anzeichen für rheumatische, toxische, fokaltoxische und spezifisch oder unspezifisch infektiöse Grundlagen sowie überwiegend auch konstitutionelle und dispositionelle Faktoren für die Entstehung der Erkrankung gefunden worden (vgl. hierzu nochmals das bereits zitierte Merkblatt zur BK 2101 unter III a.a.O.).

33

Worauf die Berufungsbeklagte ihren Einwand stützt, die Ausführungen von Dr. M. seien nach ihrem Eindruck subjektiv geprägt gewesen, ist für den Senat nicht erkennbar. Die Berufungsbeklagte hat dies in keiner Weise begründet und auch die ihr grundsätzlich zur Verfügung stehende Möglichkeit nicht genutzt, durch Vorlage weiterer, medizinischer Stellungnahmen zu versuchen, die von Dr. M. und Prof. Dr. L. geäußerten Auffassungen zu erschüttern. Auch die von der Berufungsbeklagten aus der Durchsicht der Akte des Versorgungsamtes gezogenen Schlüsse vermögen nicht zu überzeugen. Unbestritten liegen zwar bei dem Berufungskläger auch Beschwerden seitens der Halswirbelsäule vor, wie sich aus den von der Berufungsbeklagten zitierten Befundberichten des Orthopäden Dr. R. aus den Jahren 1990 und 1993 ergibt. Unabhängig von eventuellen Beschwerden im Zusammenhang mit einer Halswirbelsäulenerkrankung ist jedoch unzweifelhaft das Vorliegen einer Epicondylitis nachgewiesen. Aus dem gesamten, medizinischen Akteninhalt dieses Vorgangs lässt sich aber gerade kein Beleg für die Annahme Dr. S. entnehmen, an den Ellenbogengelenken des Berufungsklägers fänden sich arthrotische Veränderungen und diese seien für die diesbezüglichen Beschwerden des Berufungsklägers verantwortlich.

34

Der Berufungskläger ist durch die bei ihm vorliegende Erkrankung auch zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen worden, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit i.S.d. BK 2101 ursächlich waren oder sein können. Gefährdende Tätigkeiten in diesem Sinne sind solche bisher ausgeübten Tätigkeiten, die rechtlich wesentlich für das Entstehen, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Der Umfang der zu unterlassenden Tätigkeiten und ihre Bedeutung innerhalb aller Arbeitsplatzanforderungen ist ohne Bedeutung. Der Wechsel des Arbeitsplatzes reicht, auch wenn der zu unterlassende Anteil den bisherigen nicht wesentlich geprägt hat. Das Unterlassen setzt die tatsächliche Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit auf Dauer oder auf nicht absehbare Zeit voraus. Die Krankheit muss dazu gezwungen haben, d.h. es muss eine objektive Aufgabenotwendigkeit bestanden haben (Ricke in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 9 SGB VII Rdnr. 14 ff; Koch a.a.O., § 35 Rdnr. 44; BSG Urt. v. 15. Dezember 1981, Az.: 2 RU 65/80 in BSGE 53, 17 ff). Diese Anforderungen sind hier erfüllt. Der Berufungskläger hat seine Tätigkeit als Handelsvertreter insoweit aufgegeben, als sie ihm körperliche Tätigkeiten abverlangte, die zur weiteren Reizung der Ansatzstellen der Sehnen in seinen Unterarmen geführt haben. Dies war insbesondere die Vertretung der Fachhandelskollektion im Textilbereich. Die nunmehrige Tätigkeit des Berufungsklägers auf dem Gebiet des Weinhandels kann dem nicht entgegen gehalten werden. Wie der Berufungskläger mehrfach und für den Senat überzeugend dargetan hat, ist diese Tätigkeit nicht mit schwerem Heben und Tragen verbunden. Der Berufungskläger wird insoweit nämlich nur ”verwaltend” tätig, indem er Kunden anspricht und ihnen ggf. Proben zusenden lässt. Er hat damit i.S.d. vorgenannten Voraussetzungen die belastende Tätigkeit aufgegeben.

35

Der Zeitpunkt der Aufgabe der Tätigkeit und damit der Eintritt des Versicherungsfalles und daraus folgend des Anspruchs auf Verletztenrente ist nach objektiven Maßstäben zu bestimmen. Hier ist in der Regel auf den Beginn der letzten Arbeitsunfähigkeitszeit abzustellen (Ricke aaO, Rdnr 18; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 Rdnr 6f). Dies war bei dem Berufungskläger unstrittig im April 1996 der Fall.

36

Dem Berufungskläger kommt wegen der als Folge der Erkrankung nach der BK 2101 aufgetretenen beiderseitigen Epicondylitis, wie sich für den Senat überzeugend aus dem Gutachten von Prof. Dr. L. - und sowohl vom Berufungskläger als auch von der Berufungsbeklagten unwidersprochen - ergibt, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 v.H. zu. Insoweit hat er Anspruch auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente.

37

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der Anwendung von §§ 183, 193 SGG.

38

Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.