Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 12.09.2002, Az.: L 16/12 U 22/99

Anspruchsvoraussetzungen Verletztengeld; Kausalität und Beweisanforderungen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
12.09.2002
Aktenzeichen
L 16/12 U 22/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41356
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2002:0912.L16.12U22.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - 10.03.1999 - AZ: S 18 U 58/95

Redaktioneller Leitsatz

1. Entschädigungsleistungen, mithin auch Verletztengeld, sind nur zu gewähren, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem zum Unfall führenden Verhalten besteht und zwischen diesem und dem Unfall sowie den geltend gemachten Gesundheitsstörungen ein Ursachenzusammenhang im Sinne der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung" gegeben ist.

2. Nach dieser Kausalitätslehre sind unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen als Ursache oder Mitursache anzusehen, die nach der Auffassung des praktischen Lebens im Verhältnis zu anderen Bedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu seinem Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.

3. Zu den Beweisanforderungen ist zu beachten, dass der ursächliche Zusammenhang nicht im Sinne eines strengen Nachweises erbracht, sondern nur hinreichend wahrscheinlich sein muss.

4. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Umstände so stark überwiegen, dass die Entscheidung darauf gestützt werden kann und die dagegen sprechenden Umstände billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben müssen.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 10. März 1999 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Zahlung von Verletztengeld.

Der am 15. Juli 1953 geborene Kläger war als selbständiger Versicherungsfachmann im Außendienst tätig. - Am 22. Juni 1994 stellte er sich bei dem Chirurgen und Durchgangsarzt Dr. med. I. vor, der in einem Durchgangsarztbericht vom 23. Juni 1994 der Beklagten mitteilte, der Kläger gebe an, am 20. Juni 1994 habe er beim Hochsteigen einer Leiter eine Sprosse verfehlt und sei gestürzt. Er sei bewusstlos gewesen, habe sich die Stirn, das Kinn, das rechte Handgelenk und die rechte Hüfte verletzt und klage über Kopfschmerzen und ein Schwindelgefühl. Dr. med. I. erhob folgenden Befund: Etwa 5 x 2 cm große Schürfwunde an der Stirn und etwa 2 x 2 cm große Schürfwunde am Kinn, Pupillen beiderseits gleich, reagieren prompt auf L und C, Rötung und Schmerzen im Bereich der rechten Hüfte. Dr. med. I. diagnostizierte einen Zustand nach Schädelprellung mit Verdacht auf Commotio cerebri.

Der Kläger ergänzte den Durchgangsarztbericht dahingehend, er habe Dr. med. I. auch auf starke Schmerzen im Unterkiefer hingewiesen. Er übersandte der Beklagten mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und eine Unfallanzeige vom 4. Juli 1994, in der er angab, er sei von einer Leiter gestürzt, als er Aktenordner heruntergeholt habe; er habe sich den Kopf, das rechte Hand- und Hüftgelenk verletzt und eine Gehirnerschütterung sowie Prellungen erlitten.

Die Beklagte holte von Dr. med. I. Krankheitsberichte vom 5. und 19. Juli 1994 ein. Er teilte mit, die Röntgenaufnahmen des Schädels in zwei Ebenen und des Unterkiefers seitlich hätten keinen Anhalt für eine Fraktur ergeben. Der Kläger klage noch über Kopfschmerzen und ein Schwindelgefühl. Die Behandlung sei am 12. Juli 1994 abgeschlossen worden und Arbeitsunfähigkeit habe vom 21. Juni 1994 bis 18. Juli 1994 bestanden. Nach einem Vermerk über eine telefonische Rückfrage bei Dr. med. I. soll Arbeitsunfähigkeit bis 15. Juli 1994 bescheinigt worden sein. In einem neurologischen Befundbericht vom 1. Juli 1994 stellte der Nervenarzt Dr. med. J. die vorläufige Diagnose: Zustand nach Schädelprellung und Commotio. Der neurologische Befund lautete: Schulter-Nacken-Myogelosen, Kopfschonhaltung.

Am 19. Juli 1994 stellte sich der Kläger bei dem Arzt für Orthopädie und Chirurgie, Durchgangsarzt, Dr. med. K., Karlsruhe, vor, der in seinem Nachschaubericht vom 19. Juli 1994 ausführte, der Kläger klage über plötzlich auftretende Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindelgefühl. Er habe am 18. Juli 1994 die Arbeit wieder aufnehmen wollen und dann über die genannten Beschwerden geklagt. Arbeitsunfähigkeit sei bis 24. Juli 1994 bescheinigt worden. Eine von Dr. med. K. veranlasste Kernspintomographie des Schädels ergab einen altersentsprechenden unauffälligen intracraniellen Befund ohne Hinweis auf eine lokalisierte Hirnschädigung oder Fehlbildung, keine Folgeveränderungen nach einem Hämatom oder Hinweise auf eine abgelaufene Hirnkontusion; erkennbar waren wenige kleine hochparietal gelegene subcorticale Marklagerherdchen, die keinen pathologischen Befund darstellten (Bericht über die Kernspintomographie des Radiologen Dr. med. L. vom 19. Juli 1994).

Unter dem 28. Juli 1994 erstellte Dr. med. I. ebenfalls einen Nachschaubericht, in dem er angab, bei der letzten Untersuchung am 26. Juli 1994 habe der Kläger über persistierende Kopfschmerzen geklagt; es habe sich noch eine Schwellung im Unterkiefer gefunden. Er habe den Kläger bis 29. Juli 1994 arbeitsunfähig geschrieben.

Mit Bescheid vom 4. August 1994 bewilligte die Beklagte dem Kläger Verletztengeld für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 22. Juni 1994 bis 17. Juli 1994. - Dr. med. I. teilte der Beklagten unter dem 18. August 1994 mit, der Kläger sei am 26. Juli 1994 aus der ambulanten Behandlung entlassen worden (er habe sich nicht mehr vorgestellt) und sei ab 1. August 1994 arbeitsfähig.

Gegen den Bescheid vom 4. August 1994 legte der Kläger am 26. August 1994 Widerspruch ein und überreichte eine Bescheinigung der Ärztin Dr. med. M. vom 18. August 1994, in der es heißt, er habe eine Commotio cerebri erlitten, deren Folgeerscheinungen noch heute ein komplexes Beschwerdebild zeigten, und er könne daher bis auf weiteres seiner Tätigkeit nicht nachgehen. Ferner übersandte er der Beklagten mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und u.a. einen Arztbrief der Ärztin für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten Dr. med. N. vom 28. September 1994, in dem sie ausführte, anamnestisch gebe der Patient eine beidseitige Hörminderung seit etwa 8 Wochen an, außerdem habe er Schwindelgefühle, vor allem beim Bücken, und leide an Benommenheit. Bei der HNO-Spiegeluntersuchung habe sie unauffällige, reizlose Trommelfelle beobachtet, bei der vorderen Rhinoskopie habe sich eine rechtsseitige Septumdeviation gezeigt, die übrigen Spiegelbefunde seien regelrecht gewesen. Im Tonaudiogramm habe auf beiden Ohren eine mittelgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit mit vorwiegendem Tieftonverlust bestanden. Die Stapediusreflexe hätten sich bei der Impedanzmessung beidseits auslösen lassen. Bei der Fahndung nach Nystagmus sei ein solcher nicht beobachtet worden, weder nach spontan noch nach Provokationsmaßnahmen. Die Labyrinthe seien calorisch seitengleich erregbar gewesen, bei der Prüfung der vestibulospinalen Reflexe habe der Kläger eine Unsicherheit gezeigt. Es handele sich um eine Commotio labyrinthi, wegen der sie zu einer durchblutungsfördernden Behandlung geraten habe.

Die Beklagte holte einen Krankheitsbericht von Dr. med. K. vom 22. August 1994 ein, in dem er u.a. ausführte, bei der nochmaligen Vorstellung des Klägers am 20. Juli 1994 habe sich noch ein deutliches Hämatom am Kinn gezeigt; er habe keine spezielle Therapie durchgeführt und zur Schonung und Beobachtung geraten.

Die Beklagte beauftragte den Arzt für Chirurgie O. mit der Erstattung eines chirurgischen Zusammenhangsgutachtens. Dieser forderte von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. P. ein nervenärztliches Zusatzgutachten vom 10. Oktober 1994 an. Er führte darin aus, es sei anzunehmen, dass es bei dem Sturz von der Leiter zu einem leichten Schädelhirntrauma mit einer leichten Commotio cerebri gekommen sei sowie zu einer Prellung im rechten Flankenbereich. Darüber hinaus hätten objektivierbare Ausfälle bei durchgeführten neurologischen Untersuchungen nicht vorgelegen; auch ein cerebrales Kernspintomogramm sei unauffällig gewesen. Anamnestisch habe es sich nicht um eine typische Commotio labyrinthi gehandelt, da der Kläger in keiner Weise die dafür typischen Angaben im Sinne eines lagerungsabhängigen Drehschwindels gemacht habe, auch seien die Labyrinthorgane bei der calorischen Prüfung unauffällig gewesen. Insgesamt handele es sich um rein subjektive Angaben ohne objektivierbare neurologische Ausfälle. Psychisch wirke der Kläger etwas auffällig, so dass vermutlich eine leichte Persönlichkeitsstörung oder eine neurotische Entwicklung vorliegen. Der Vorfall vom 20. Juni 1994 sei nur eine Gelegenheitsursache in der weiteren Entwicklung gewesen; der Kläger versuche, alle beruflichen und sozialen Schwierigkeiten dem doch relativ leichten Unfall zur Last zu legen. Die tatsächlichen Unfallfolgen bestünden in einem Zustand nach Schädelprellung mit Verdacht auf reversible Hirnschädigung im Sinne einer Commotio cerebri und Prellung der rechten Flankenregion. Die jetzt geklagten Beschwerden wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindelgefühl usw. seien nicht Folgen des Unfalls. Die Ärzte für Chirurgie Dr. med. Q./O. kamen in ihrem Gutachten vom 12. Oktober 1994 zu dem Ergebnis, dass sich auf chirurgischem Fachgebiet keine objektivierbaren Folgen des als relativ leicht einzuschätzenden Unfalls mehr feststellen ließen, die erlittenen Verletzungen vielmehr vollständig abgeklungen seien.

Mit Bescheid vom 6. Dezember 1994 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztengeld über den 17. Juli 1994 mit der Begründung ab, Arbeitsunfähigkeit aufgrund des Unfalls vom 20. Juni 1994 bestehe nicht mehr. Sie stützte sich auf die Gutachten von Dr. med. P. vom 10. Oktober 1994 und Dr. med. Q./O. vom 12. Oktober 1994 und führte aus, die bei dem Kläger nach dem 17. Juli 1994 aufgetretenen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindelgefühl seien nicht mehr Folgen des Unfalls, vielmehr handele es sich um subjektive Beschwerden, die in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis stünden.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid am 19. Dezember 1994 Widerspruch ein, mit dem er geltend machte, er leide noch immer unter den Folgen des Arbeitsunfalls, die weiterhin Arbeitsunfähigkeit bedingten. Er verwies auf Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Ärzte Dr. med. I., Dr. med. R., Dr. med. M. und Dr. med. S. sowie auf den Arztbrief der HNO-Ärztin Dr. med. N. vom 28. September 1994. Ferner überreichte er eine weitere Bescheinigung von Dr. med. M. vom 20. Januar 1995, in der sie sich gegen das Ergebnis der Begutachtung durch Dr. med. P. wandte und die postulierten Diagnosen wie leichte Persönlichkeitsstörung und neurotische Entwicklung als nicht nachvollziehbar bezeichnete. Dr. med. M. führte ferner aus, intermittierend trete eine schmerzhafte starke Schwellung am linken Unterkiefer auf und weiterhin bestehe Arbeitsunfähigkeit auf unabsehbare Zeit. - Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 1995, auf den verwiesen wird, Bl. 145-147 Verwaltungsakte).

Der Kläger hat am 2. März 1995 beim Sozialgericht (SG) Bremen Klage erhoben, mit der er die Zahlung von Verletztengeld über den 17. Juli 1994 hinaus begehrt hat. Er hat ärztliche Bescheinigungen von Dr. med. M. vom 14. März 1995, 10. April 1995, 19. Mai 1995 und 30. August 1995 überreicht, auf die verwiesen wird (Bl. 11, 12, 13 und 18 Prozessakte). Ferner hat er einen Arztbrief der HNO-Ärztin Dr. med. N. vom 18. August 1995 übergeben, in dem sie Dr. med. M. berichtet hat, der Kläger gebe jetzt eine deutliche Hörbesserung unter medikamentöser Therapie an, es bestehe kein Tinnitus mehr, jedoch träten immer noch Schwindelbeschwerden auf. Bei der Prüfung der vestibulospinalen Reflexe habe weiterhin eine Unsicherheit bestanden, ein Spontannystagmus sei unter der Frenzelbrille nicht beobachtet worden, die Labyrinthe seien calorisch fast seitengleich zu erregen gewesen.

Die Beklagte hat sich auf die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen bezogen und mehrere von dem Kläger eingereichte ärztliche Rechnungen übersandt, deren Begleichung sie abgelehnt hat, da Unfallfolgen nicht mehr vorlägen.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das SG ein Gutachten von dem Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. med. T. vom 8. Juli 1996 eingeholt. In der Zusammenfassung und Beurteilung hat er ausgeführt, als Beschwerden im Kopf-Halsbereich, die der Kläger auf den Unfall zurückführe, gebe er Schwindel mit Erbrechen und Übelkeit, Kopfschmerzen, Pelzigkeitsgefühl und Konzentrationsschwäche an. Er, der Sachverständige, habe eine Hochtonschallempfindungsschwerhörigkeit von 45 dB rechts und 30 dB links bei 6000 Hz im Sinne einer geringgradigen sensorischen Hörstörung sowie eine zentralvestibuläre Funktionsstörung diagnostiziert. Die Schwerhörigkeit bedinge keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), zumal der prozentuale Hörverlust nach dem Sprachaudiogramm sich rechts und links auf 0 v.H. belaufe. Die zentralvestibuläre Funktionsstörung sei aufgrund einer neurootologischen Diagnostik mit polygraphischer, elektronystagmographischer Registrierung der Augenbewegung und Auswertung nach dem Claussen schen Schmetterlingsschema bzw. dem rotatorischen Intensitätsdämpfungstest und der Corporocraniographie objektiviert worden. Sie sowie die Schwerhörigkeit seien wesentlich auf den Unfall vom 20. Juni 1994 zurückzuführen, so dass über den 17. Juli 1994 hinaus eine Arbeitsunfähigkeit bestanden habe. Aufgrund der von dem Kläger angegebenen Beschwerden und der mindestens bis zum 4. April 1995 objektiv nachgewiesenen Symptome der Commotio labyrinthi sei davon auszugehen, dass Arbeitsunfähigkeit bis zu einem Zeitpunkt zwischen dem 5. April 1995 und 16. August 1995 bestanden habe. Die MdE für die jetzt noch bestehenden Verletzungsfolgen sei auf HNO-ärztlichem Fachgebiet mit 30 v.H. einzuschätzen. Zu dem Gutachten von Dr. med. P. vom 10. Oktober 1994 sei zu sagen, die Diagnose einer Commotio labyrinthi lasse sich nicht nur anamnestisch oder durch typische Angaben "im Sinne eines lagerungsabhängigen Drehschwindels" stellen, sondern hierzu sei eine umfassende Untersuchung primär des Hörvermögens und des Gleichgewichts erforderlich.

Die Beklagte hat zu diesem Gutachten ein Gutachten nach Aktenlage von dem Arzt für HNO-Krankheiten, plastische Operationen, Stimm- und Sprachstörungen Dr. med. U. vom 7. März 1997 überreicht. Er ist darin zusammenfassend zu dem Ergebnis gekommen, dass aufgrund der durchgeführten Untersuchungen auf HNO-Fachgebiet eine minimale Hochtonsenke und ein möglicherweise vertebragen oder zentral ausgelöster Schwindel mit deutlicher Kompensation bestünden. Der von Dr. med. N. im Arztbrief vom 28. September 1994 genannte HNO-ärztliche Befund lasse sich mit dem Unfall vom 20. Juni 1994 kaum in Verbindung bringen, sie habe die subjektiven Schilderungen des Klägers als Fakten des Geschehens übernommen. Der Unfall habe nur zu einem passageren Schaden geführt, in der Folge sei es, auch durch ärztliche Ungenauigkeiten in der Formulierung unterstützt, zu einer psychosomatischen Fehlentwicklung gekommen, für die der Unfall nicht verantwortlich gemacht werden könne. Er habe offensichtlich zu einer leichten Kopfverletzung mit Schürfwunden und einer leichten Commotio geführt. Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit hätten bis zum 17. Juli 1994 bestanden. Als unfallunabhängige Erkrankungen liege eine geringe zentrale Gleichgewichtsstörung, möglicherweise auf dem Boden vertebragener Veränderungen, vor. Die von Dr. med. T. durchgeführte Untersuchung auf otoneurologischem Gebiet stütze sich im Wesentlichen auf die allgemeine wissenschaftliche Lehrmeinung, doch gebe es auch Abweichungen. Darüber hinaus empfehle er Untersuchungen, die als supraliminale Untersuchungstechniken bezeichnet würden. So groß der Anteil dieser Untersuchungstechniken auch an der Erforschung des Gleichgewichtssystems sein möge, so wenig könne er absolut in die Begutachtung übernommen werden. Geringgradige Störungen, die gerade durch die supraliminale Untersuchung nachgewiesen würden, seien meist kompensiert und ihre Berücksichtigung würde gegenüber anderen Unfallverletzten eine Bevorzugung erbringen, wenn sie, entsprechend der Empfehlung von Dr. med. T., mit einer so hohen MdE bewertet würden. So entscheidend korrekte und objektive Untersuchungsmethoden für eine Begutachtung auch seien, so könne aus dem Vorliegen minimaler Störungen der Unfallzusammenhang nach vielen Jahren nicht postuliert werden. Entsprechende Zusammenhänge müssten nachweisbar oder doch überwiegend wahrscheinlich sein.

Zu diesem Gutachten hat das SG eine Stellungnahme von Dr. med. T. vom 5. Mai 1997 angefordert. Er ist darin bei seiner Auffassung verblieben und hat angemerkt, eine hundertprozentige Zuordnung zum Unfallereignis könne auch er nicht geben. Aufgrund der bei ihm durchgeführten Untersuchungen und der Befragung des Klägers sowie der Sichtung der Akten gehe er von einem fünfzigprozentigen Zusammenhang zum Unfallereignis aus. Auch bestehe keine Veranlassung, die Einschätzung der MdE zu ändern. - Hierzu hat die Beklagte eine Stellungnahme von Dr. med. U. vom 14. Oktober 1997 überreicht, in der er ebenfalls bei seiner Beurteilung verblieben ist und die von Dr. med. T. erzielten Untersuchungsergebnisse als subjektiv bezeichnet hat.

Der Kläger hat ergänzend zu den Gutachten einen Bericht des Radiologen Dr. med. V. vom 22. Juli 1997 über eine am 21. und 22. Juli 1997 durchgeführte Magnetresonanztomographie (MRT) der oberen Halswirbelsäule in Rechts- und Linksneigung sowie der Kopfgelenksbänder in Links- und Rechtsrotation überreicht. Dieser hat das Ergebnis dahingehend beurteilt, dass ein Zustand nach deutlicher Traumatisierung mit Verletzung der Kopfgelenksbänder im Rahmen eines Leitersturzes mit Kopfanpralltrauma vorliege. Hierzu hat die Beklagte eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. med. W. vom 5. Januar 1998 überreicht, in der er ausgeführt hat, im Rahmen des ihm bekannten Unfallhergangs seien die von Dr. med. V. in seinem Bericht beschriebenen Verletzungen äußerst ungewöhnlich und unwahrscheinlich.

Das SG hat eine weitere Stellungnahme von Dr. med. T. vom 4. Februar 1998 eingeholt. Er hat darin ausgeführt, der Kläger habe am 20. Juni 1994 ein sogenanntes Kopfanpralltrauma erlitten, bei dem er sich neben einer Schädelprellung mit Schürfwunden im Bereich des linken Unterkiefers und der rechten Stirn sowie multiplen Prellungen, u.a. auch im Bereich der rechten Flanke, eine Commotio cerebri mit mehrminütiger Erinnerungslücke zugezogen habe. Kernspintomographisch seien als Folge einer Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule schwere Schäden im Bereich der Bänder und der Kopfgelenke der Halswirbelsäule nachgewiesen worden. Als direkte Folge des Kontakttraumas bei Halswirbelsäulen-Distorsion II bis III liege bei dem Kläger eine komplexe Störung der Gleichgewichtsverarbeitung vor. Die Schwindelattacken stünden in direktem Kausalzusammenhang mit dem Unfallereignis; sie träten sowohl bei stärkerer Belastung als auch ohne Grund auf, ebenso seien die Kopfschmerzen zu beurteilen, die im Nacken und besonders im Bereich des Hinterkopfes aufträten. Der Kläger habe das Gefühl, im Bereich des rechten Unterkiefers eine Schwellung zu verspüren und bei Druck eine Schmerzhaftigkeit. Aufgrund dieser Unfallfolgen habe Arbeitsunfähigkeit über den 17. Juli 1994 hinaus bestanden.

Zu dieser gutachtlichen Stellungnahme hat die Beklagte nochmals Dr. med. U. befragt, der daraufhin empfohlen hat, ein Gutachten von Prof. Dr. med. X., Universitäts-Hals-Nasen-Ohrenklinik, Münster, einzuholen (Stellungnahme vom 6. Mai 1998).

Das SG ist dieser Anregung gefolgt und hat Prof. Dr. med. X., Direktor der Universitäts-Hals-Nasen-Ohrenklinik, Münster, mit der Erstattung eines Gutachtens nach Aktenlage betraut. Er hat darin ausgeführt, dass keine Verletzungsfolgen mehr auf den Unfall vom 20. Juni 1994 zurückgeführt werden könnten. Zu folgen sei den Gutachten von Dr. med. P. vom 10. Oktober 1994 und Dr. med. Q./O. vom 12. Oktober 1994, die sorgfältig erstattet worden seien. Die von Dr. med. N. aufgeführte Diagnose einer Commotio labyrinthi sei absolut unkritisch gestellt worden, denn sie beziehe sich dabei auf ihre tonaudiometrischen Untersuchungen vom 16. August 1995, die schwer zu interpretieren seien, da Luft- und Knochenleitungskurve nicht exakt ausgezeichnet seien. Es fehlten zusätzliche überschwellige Hörprüfungen. Auch die Untersuchungen vom 11. Oktober 1994 und 5. April 1995 (von Dr. med. T.) seien ebenfalls in dieses Schema eingezeichnet, so dass allein auch der Verlauf der angeblichen Hörstörung nicht zu einer Commotio labyrinthi passe, da das Hören im April 1995 schlechter gewesen sei als im Oktober 1994. Selbst wenn unterstellt werde, dass die Hörkurve vom 11. Oktober 1994 das tatsächliche Hörvermögen widerspiegele, sei nicht anzunehmen, dass nach dem Unfall eine solche massive Hörverschlechterung unbeobachtet geblieben wäre. Sie wäre im Durchgangsarztbericht und auch in dem neurologischen Gutachten von Dr. med. P. erwähnt worden. Auch die Ausführungen von Dr. med. M. beschrieben ein Unfallereignis, das in dieser Form nicht stattgefunden habe. Eine Kopfplatzwunde sei bei dem Unfall nicht aufgetreten, vielmehr seien lediglich oberflächliche Schürfwunden entstanden. Falls tatsächlich eine Commotio cerebri vorgelegen habe, sei diese nach vier Wochen weitgehend abgeklungen gewesen. Bei der Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit sei es nicht zu vertreten, die Ausführungen von Dr. med. P. und Dr. med. Q./O. zu übergehen; es bestehe kein Anhalt, ihre Beurteilungen in Zweifel zu ziehen. Eine MdE sei nicht zu begründen. Eine MdE von 30 oder 40 v.H., die Dr. med. T. empfohlen habe, sei nicht nachzuvollziehen. In den gutachtlichen Ausführungen von Dr. med. T. fehlten Untersuchungen zum Ausschluss eines gutachtenbezogenen Fehlverhaltens, die in Anbetracht der Vorgeschichte notwendig gewesen wären. Unzutreffend sei auch die Beurteilung in dem Magnetresonanztomographie-Bericht von Dr. med. V. vom 22. Juli 1997. Eine Traumatisierung der Kopfgelenksebene und eine Rotationsbeschleunigungsverletzung hätten nicht vorgelegen. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass Verletzungsfolgen nicht mehr bestünden. Einigen Gutachtern und Sachverständigen sei es gelungen, den ursprünglichen Sachverhalt zu ignorieren. Der Wandel von einer posttraumatischen Commotio bis hin zu einer schweren Halswirbelsäulenverletzung mit Bänderrissen im Laufe von drei Jahren sei für ihn als Kliniker nicht nachzuvollziehen. Es müssten auch die Fragen nach Rentenneurose und Aggravation aufgeworfen werden.

Der Kläger hat ein von ihm selbst in Auftrag gegebenes neuropsychologisches Gutachten von Prof. Dr. Y./Priv.-Doz. Dr. Z./Dr. AB. (Zentrum Nervenheilkunde, Institut für Medizinische Psychologie, Klinikum der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel) vom 14. Dezember 1998 überreicht. Sie sind darin zu der Beurteilung gekommen, dass aufgrund ihrer Untersuchungen sich eine sehr isoliert stehende Verlangsamung in der Reaktionszeit feststellen lasse. Reaktionszeitverlangsamungen dieses Ausmaßes könnten insbesondere dann auftreten, wenn affektive Beeinträchtigungen einen erheblichen Teil der psychomotorischen Reaktionsfähigkeit modulierten. Dies sei häufig dann der Fall, wenn beispielsweise durch einen depressiven Zustand eine allgemeine Hemmung der motorischen Reaktionen erfolge. Der Extremfall wäre der depressive Stupor, der gekennzeichnet sei durch eine massive motorische Verlangsamung und Unbeweglichkeit. Der Kläger stelle sich selbst jedoch als nur sehr geringgradig depressiv dar. Nach dem Unfall sei er aber in der Ausübung seines Berufs und im Durchführen liebgewonnener Tätigkeiten eingeschränkt worden. Auch die Tätigkeit in der Versicherungsbranche habe er innerhalb von zwei bis drei Jahren aufgegeben. Damit zeige sich ein Verlust von Genuss und Sicherheit vermittelnden Verhaltensweisen, der den Aufbau einer manifesten Depression bewirken könne. Möglicherweise sei dies bisher auf einer sehr somatischen Seite geschehen, so dass Stimmungseffekte nur wenig zum Tragen kämen. Unter Berücksichtigung der Beschwerden des Klägers müsse von einer Anpassungsstörung ausgegangen werden, die charakterisiert sei als Zustand von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung nach einem belastenden Ereignis, das im allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindere. Die Anzeichen umfassten eine depressive Stimmung, Angst oder Sorge mit der beschriebenen Symptomatik. Außerdem sei die Anpassungsstörung charakterisiert im Sinne einer gemischten Störung von Gefühlen und Sozialverhalten. Für eine Rentenneurose oder eine Aggravation fänden sich keine Hinweise. Sämtliche von dem Kläger geschilderten Beschwerden wie Probleme in der konzentrativen Belastung, psychomotorische Reaktionsverlangsamung, unsystematischer Schwindel und Ermüdbarkeit, die unter Belastung besonders aufträten, ließen sich zwanglos als körperlicher Ausdruck einer depressiven Verstimmung und einer Angststörung beschreiben. Eine MdE könne aus neuropsychologischer Sicht nicht abgeleitet werden.

Mit Urteil vom 10. März 1999 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich zur Begründung dafür, dass über den 17. Juli 1994 hinaus eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht vorgelegen habe, vor allem auf die Gutachten von Dr. med. P. vom 10. Oktober 1994 und Dr. med. Q./O. vom 12. Oktober 1994 gestützt und die Ausführungen von Dr. med. T. in seinem Gutachten vom 8. Juli 1996 und den nachgehenden Stellungnahmen nicht für überzeugend gehalten und ausgeführt, eine überzeugende Zuordnung zum Unfallereignis habe selbst er nicht zu geben vermocht. Den Ausführungen von Dr. med. T. sei das Gutachten von Prof. Dr. med. X. vom 20. Juli 1998 entgegenzusetzen, der die Ausführungen von Dr. med. T. als unwissenschaftlich bezeichnet habe. Auch sei es nicht nachvollziehbar, wie Dr. med. V. in seinem Bericht vom 21. Juli 1997 zu schwerwiegenden Unfallverletzungen (Traumatisierung der Kopfgelenksebene mit Verletzung der Kopfgelenksbänder) gekommen sei. Das von dem Kläger veranlasste Gutachten von Prof. Dr. Y./Priv.-Doz. Dr. Z./Dr. AB. vom 14. Dezember 1998 stütze den von ihm geltend gemachten Anspruch nicht, denn sie hätten aus neuropsychologischer Sicht eine MdE nicht abgeleitet. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf das Urteil (Bl. 263-272 Prozessakte) Bezug genommen.

Der Kläger hat gegen dieses ihm am 31. März 1999 zugestellte Urteil schriftlich am 15. April 1999 beim Landessozialgericht (LSG) Bremen Berufung eingelegt. Er macht geltend, die vom SG genannten Gründe für die Abweisung der Klage könnten keinen Bestand haben. Etwa zur gleichen Zeit wie die von der Beklagten veranlassten Gutachten von Dr. med. P. vom 10. Oktober 1994 und Dr. med. Q./O. vom 12. Oktober 1994 habe der Facharzt für innere Krankheiten Dr. med. S. ein Gutachten vom 4. November 1994 für die Gothaer Krankenversicherung AG erstattet, in dem er folgende Diagnosen gestellt habe: Zustand nach Unfall mit Commotio cerebri und Commotio labyrinthi, Beckenprellung mit chronisch rezidivierendem Lumbalsyndrom, Kinnprellung mit chronisch rezidivierender Schwellung und Schmerzzuständen. Ferner habe er in dem Gutachten auch festgestellt, dass seit dem Unfall bis zum Untersuchungsdatum (20.10.1994) Arbeitsunfähigkeit wegen der Unfallfolgen vorliege. Der Kläger hat dieses Gutachten ("Ärztliches Attest") zur Akte gereicht und trägt weiter vor, das SG sei zu Unrecht auch den gutachtlichen Ausführungen von Dr. med. T. nicht gefolgt. Das Gutachten von Prof. Dr. med. X. vom 20. Juli 1998 lasse darauf schließen, dass ein Richtungsstreit unter den vom SG gehörten Gutachten bestehe. Das Gutachten von Prof. Dr. Y./Priv.-Doz. Dr. Z./Dr. AB. vom 14. Dezember 1998, das er überreicht habe, habe den Zweck gehabt, eine Rentenneurose und den Verdacht eines Medikamentenmissbrauchs zu widerlegen. Dies sei auch geschehen. Fehlerhaft sei vor allem das Gutachten von Dr. med. P. vom 10. Oktober 1994, das nicht sachgerecht und nur spekulativ die Unfallfolgen bewertet habe. Das Gutachten von Dr. med. Q./O. vom 12. Oktober 1994 habe sich zwar um objektivierbare Befunde bemüht, jedoch hätten sie nicht begründet, warum sie dem Gutachten von Dr. med. P. gefolgt seien. Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 10. März 1999 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 6. De- zember 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 1995 zu verurteilen, dem Kläger über den 17. Juli 1994 hinaus Verletztengeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht geltend, das Gutachten von Dr. med. S. könne nicht als geeignetes Argument für eine andere Beurteilung des Sachverhalts angesehen werden. Ein Facharzt für innere Krankheiten könne im Rahmen der hier streitigen medizinischen Zusammenhänge auf chirurgisch/orthopädischem Fachgebiet nicht als geeignet angesehen werden, eine verwertbare gutachtliche Aussage zu treffen. Der Auffassung, der Sachverhalt sei in medizinischer Hinsicht noch nicht ausreichend geklärt, könne nur ausdrücklich widersprochen werden. Der Kläger sei im Rahmen des Feststellungsverfahrens und des sozialgerichtlichen Verfahrens mehrfach und ausführlich begutachtet worden.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat das Gericht ein weiteres Gutachten von Dr. med. T. vom 6. Oktober 2001 (mit einem audioneurootologischen Bericht des Arztes für Otorhinolaryngologie, Hals- und Gesichtschirurgie Dr. med. BB. vom 17. Januar 2001 und einem Arztbrief des Facharztes für Neurochirurgie Dr. med. CB. vom 9. Juli 2001) eingeholt. Dr. med. T. hat zusammenfassend ausgeführt, das von dem Kläger erlittene Trauma sei als Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule vom Schweregrad II - III und als leichte Schädelhirnverletzung (auch als Schädelhirntrauma I, Commotio cerebri) zu definieren. Die "Commotio" der Innenohren sei ausgeheilt. Die Gleichgewichtsstörungen mit Übelkeit und Erbrechen bestünden weiter und hätten sich verschlechtert. Normale Untersuchungsverfahren zeigten keine pathologischen Befunde, denn sie würden an der Halswirbelsäule in sogenannter Neutralstellung vorgenommen. Zur Objektivierung von Fehlstellungen im craniocervicalen Übergang sowie zwischen den Wirbeln C1 und C2 aufgrund vorliegender Bänder-/-Gelenkkapselüberdehnung sei eine Untersuchung in einem offenen MRT-Gerät mit vorher exakt vorzunehmender, manuell einzustellender Rechts- und Linksneigung bzw. Rechts- und Linksrotation der oberen Halswirbelsäulen-Anteile Voraussetzung. Das Versäumnis der verspäteten Diagnostik sei nicht dem Kläger anzulasten, sondern ausschließlich den von der Beklagten beauftragten Ärzten Dr. med. P. und O ... Die Methoden von Dr. med. V. hätten eine hohe Aussagekraft und seien Bestandteil der posttraumatischen Diagnostik. Als Verletzungsfolgen, die ursächlich auf den Unfall vom 20. Juni 1994 zurückzuführen seien, lägen noch vor: Eine die gesamte Gleichgewichtsregulation betreffende schwere Funktionsstörung bei schwerem cervicoencephalem Beschwerdekomplex mit posttraumatischen neurootologischen Funktionsstörungen, ausgeprägtem Vertigosyndrom mit erheblichen vegetativen Begleiterscheinungen, Brechneigung, neurootologisch objektivierbaren Funktionsstörungen mehrerer Gleichgewichtssysteme, zentralvisuooculomotorischer, cervicoprotrioceptiver sowie visuovestibulärer Integrationsstörung; wechselnd auftretender heftiger Tinnitus, Cervicocephalgien, Hirnleistungsstörungen, im bildgebenden Verfahren neurochirurgisch und manualmedizinisch gesicherte Verletzung der cervicalen ligamentären Strukturen, der zentralen neuroanatomischen Strukturen im Bereich der oberen Halswirbelsäule und Kopfgelenke. Auch über den 17. Juli 1994 hinaus habe Arbeitsunfähigkeit bestanden. Aufgrund der objektivierten Befunde sei der Kläger aus HNO-ärztlicher Sicht unter besonderer Berücksichtigung der neurootologischen Defizite als weiterhin voll arbeitsunfähig einzustufen. Wegen der erheblichen Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit, seiner Schwindelattacken und seiner Nauseaprobleme mit Erbrechen sei die Prognose auch für die Zukunft als ungünstig einzustufen, zumal anamnestisch Störungen mit Schmerzen im Verlauf des schon über 4 Jahre anhaltenden Krankheitsverlaufes bestünden, der aufgrund der neurootometrisch nachgewiesenen Untersuchungen, aber auch der Verlaufskontrolle keine ausreichende Kompensation entlang der zentralvisuooculomotorischen und vestibulären Strukturen erkennen lasse. Die Arbeitsunfähigkeit bestehe bis auf weiteres.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten (Az. 02 03 94 939 633) beigezogen. Diese Akte und die Prozessakte (Az. L 2 U 22/99, S 18 U 58/95) sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG). Sie ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztengeld über den 17. Juli 1994 hinaus.

Im vorliegenden Fall ist die Reichsversicherungsordnung (RVO) und nicht das am 1. Januar 1997 in Kraft getretene Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) anzuwenden, denn der Versicherungsfall ist vor dem 1. Januar 1997 eingetreten und die von dem Kläger begehrte Leistung (weiteres Verletztengeld) wäre - wenn die Voraussetzungen hierfür vorlägen - vor diesem Zeitpunkt festzusetzen gewesen, d.h. der Anspruch darauf wäre vor dem 1. Januar 1997 entstanden (§§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII, § 40 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -, SGB I).

Nach § 560 Abs. 1 Satz 1 RVO erhält der Verletzte Verletztengeld, solange er infolge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung ist und keinen Anspruch auf Übergangsgeld nach den §§ 568, 568a Abs. 2 oder 3 RVO (berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation) hat. Das Verletztengeld fällt mit dem Tage weg, für den erstmalig Verletztenrente gewährt wird (§ 562 Abs. 1 RVO).

Entschädigungsleistungen, mithin auch Verletztengeld, sind nur zu gewähren, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem zum Unfall führenden Verhalten besteht und zwischen diesem und dem Unfall sowie den geltend gemachten Gesundheitsstörungen ein Ursachenzusammenhang im Sinne der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätstheorie der "wesentlichen Bedingung" gegeben ist. Nach dieser Kausalitätslehre sind unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes nur die Bedingungen als Ursache oder Mitursache anzusehen, die nach der Auffassung des praktischen Lebens im Verhältnis zu anderen Bedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu seinem Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 27.11.1980, Az. 8a RU 12/79, in SozR 2200 § 548 Nr. 51). Zu den Beweisanforderungen ist zu beachten, dass der ursächliche Zusammenhang nicht im Sinne eines strengen Nachweises erbracht, sondern nur hinreichend wahrscheinlich sein muss. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Umstände so stark überwiegen, dass die Entscheidung darauf gestützt werden kann, und die dagegen sprechenden Umstände billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben müssen (BSGE 22, S. 203, 209, BSGE 43, S. 110, 113 [BSG 20.01.1977 - 8 RU 52/76]).

Bei der Beurteilung des medizinischen Sachverhalts folgt das Gericht - ebenso wie das SG - den Gutachten der Chirurgen O./Dr. med. Q. vom 12. Oktober 1994, des Nervenarztes Dr. med. P. vom 10. Oktober 1994 und den Ausführungen des Prof. Dr. med. X. in seinem nach Aktenlage erstatteten Gutachten vom 20. Juli 1998. Demgegenüber vermögen die Darlegungen des Dr. med. T. in seinem nach § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 8. Juli 1996, in seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 5. Mai 1997 und 4. Februar 1998 sowie in dem wiederum nach § 109 SGG eingeholten Gutachten vom 6. Oktober 2001 nicht zu überzeugen.

Wie die Chirurgen O./Dr. med. Q. in ihrem Gutachten überzeugend ausgeführt haben, zog sich der Kläger am 20. Juni 1994 bei einem Sturz von der Leiter eine Schädelprellung mit Schürfwunden im Bereich des linken Unterkiefers und der rechten Stirn zu. Hierbei kann es zu einem leichten Schädelhirntrauma gekommen sein, darüber hinaus erlitt der Kläger multiple Prellungen, u.a. auch im Bereich der rechten Flanke. Frakturen konnten bei allen Untersuchungen einschließlich der radiologischen Untersuchungen mit Kernspintomogramm des Kopfes nicht festgestellt werden. Dies war aufgrund des als relativ leicht einzuschätzenden Unfalls (der Kläger gab bei der Untersuchung gegenüber den Gutachtern an, er habe auf einer 2,20 m hohen Leiter gestanden, um Akten aus einem Regal zu nehmen, beim Heruntergehen habe er eine Sprosse verfehlt, sei mit dem Kinn auf die obere Trittfläche aufgeschlagen und kurzzeitig bewusstlos gewesen) auch nicht zu erwarten. Er war nach dem Unfall noch in der Lage, nach Hause zu fahren, und stellte sich erst zwei Tage danach bei dem Durchgangsarzt Dr. med. I. vor. Dieser beschrieb in seinem Durchgangsarztbericht vom 23. Juni 1994 eine 5 x 2 cm große Schürfwunde an der Stirn und eine etwa 2 x 2 cm große Schürfwunde am Kinn und stellte die Diagnose: Zustand nach Schädelprellung mit Verdacht auf Commotio cerebri. In der Folgezeit klagte der Kläger insbesondere über Kopfschmerzen, Übelkeit und ein Schwindelgefühl sowie über eine Schwellung im Unterkiefer. Hierüber erstellten der Durchgangsarzt Dr. med. K. und Dr. med. I. Berichte; letzterer teilte unter dem 18. August 1994 der Beklagten mit, der Kläger sei am 26. Juli 1994 aus der ambulanten Behandlung entlassen worden und ab 1. August 1994 arbeitsfähig. Bei der Untersuchung anlässlich der Begutachtung durch Dr. med. Q./O. waren auf chirurgischem Fachgebiet Unfallfolgen nicht mehr objektivierbar. Nach dem nervenärztlichen Gutachten des Dr. med. P. vom 10. Oktober 1994 erlitt der Kläger bei dem Unfall eine leichte Commotio cerebri; objektivierbare Ausfälle lagen bei seiner Untersuchung auf neurologischem Gebiet nicht vor. Ein cerebrales Kernspintomogramm (Bericht von Dr. med. L. vom 19. Juli 1994) hatte ein unauffälliges Ergebnis.

Angesichts dieser gutachtlichen Beurteilungen, die nicht zuletzt deshalb überzeugen, weil der Unfall als eher leicht einzustufen ist, überzeugen insbesondere die Ausführungen von Dr. med. T. nicht. Nach Überreichung des Berichtes des Radiologen Dr. med. V. vom 22. Juli 1997 durch den Kläger ist Dr. med. T. erstmals in seiner Stellungnahme vom 4. Februar 1998 - 3 1/2 Jahre nach dem Unfall - zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger sich bei dem Unfall eine Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule zugezogen habe, die ausweislich des Berichtes von Dr. med. V. vom 22. Juli 1997 "schwere Schäden im Bereich der Bänder und der Kopfgelenke der Halswirbelsäule" verursacht habe. Die gleiche Beurteilung hat er in seinem im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten vom 6. Oktober 2001 wiederholt und sie im Einzelnen unter Anforderung der Untersuchungsberichte von Dr. med. BB. vom 17. Januar 2001 und Dr. med. CB. vom 9. Juli 2001 weiter begründet. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Dr. med. T. als HNO-Arzt (Neurootologie) fachlich nicht berufen ist, eine Gesundheitsstörung, die auf chirurgischem/orthopädischem Fachgebiet liegt, zu beurteilen. Die Chirurgen (Dr. med. I., Dr. med. K.), die sich unmittelbar nach dem Unfall mit den Verletzungen des Klägers befasst haben, haben eine Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule niemals erwähnt. Der Kläger hat den Durchgangsarztbericht von Dr. med. I. vom 23. Juni 1994 lediglich dahingehend ergänzt, er habe dem Arzt auch berichtet, dass er starke Schmerzen im Unterkiefer verspüre. In der Unfallanzeige vom 4. Juli 1994 hat er die verletzten Körperteile wie folgt benannt: Kopf, rechtes Hand- und Hüftgelenk. Der Nervenarzt Dr. med. J. hat in seinem neurologischen Befundbericht vom 1. Juli 1994 die vorläufigen Diagnosen genannt: Zustand nach Schädelprellung und Commotio; zu dem neurologischen Befund im Bereich des Schädels, der Wirbelsäule und der Extremitäten heißt es lediglich "Schulter-Nacken-Myogelosen, Kopfschonhaltung". Aufgrund der relativ geringfügigen Erstbefunde ist es somit nicht erklärlich, dass Dr. med. T. im Nachhinein von einer "Beschleunigungsverletzung der Halswirbelsäule vom Schweregrad II - III" spricht.

Zu den Ausführungen von Dr. med. T. hat Prof. Dr. med. X. in seinem Gutachten vom 20. Juli 1998 ausführlich Stellung genommen und sie - ebenso wie Dr. med. U. in seinen von der Beklagten überreichten Stellungnahmen - als nicht nachvollziehbar bezeichnet. Er hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es im vorliegenden Fall einigen Medizinern gelungen sei, den ursprünglichen Sachverhalt zu ignorieren, und dass der Wandel von einer posttraumatischen Commotio bis hin zu einer schweren Halswirbelsäulenverletzung mit Bänderrissen im Laufe von 5 Jahren für ihn als Kliniker nicht nachvollziehbar sei. Zu dem Bericht von Dr. med. V. vom 22. Juli 1997 hat er ausgeführt, dieser unterstelle bei dem Kläger den Zustand nach Traumatisierung der Kopfgelenksebene im Rahmen eines Leitersturzes, stelle eine Rotationsbeschleunigungsverletzung fest und spreche sogar von einer Teilruptur des Ligamentum alare.

Prof. Dr. med. X. hat diese Feststellungen von Dr. med. V. dahingehend kommentiert, dass es ihm unverständlich bleibe, wie der Kläger mit solchen Verletzungen überhaupt lange (3 Jahre nach dem Unfall) relativ problemlos habe leben können. Ob die von Dr. med. V. in seinem Bericht genannten Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule letztlich tatsächlich vorliegen, kann dahinstehen, denn jedenfalls können sie nicht mit Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf das Unfallereignis bezogen werden. Aus welchem Grund Dr. med. V. zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, geht aus dem Bericht nicht hervor und ist unverständlich, zumal er den Akteninhalt bei der Abfassung seines Berichtes nicht kannte. Hinzuweisen ist auf die Stellungnahme von Dr. med. W. vom 5. Januar 1998, der im Gegensatz zu Dr. med. V. den Akteninhalt gekannt hat, wonach im Rahmen des ihm bekannten Unfallherganges die von Dr. med. V. in seinem Bericht vom 21. Juli 1997 beschriebenen Verletzungen äußerst ungewöhnlich und unwahrscheinlich seien. Daher ist die Schlussfolgerung von Dr. med. T. in seinem Gutachten vom 6. Oktober 2001 (S. 77): "Da die Beschwerden des Klägers nach Aktenlage vor dem Unfall nicht bestanden, sich aber unmittelbar nach dem Unfall manifestierten und überzeugende Argumente für eine höhere Wahrscheinlichkeit einer konkurrierenden Kausalität fehlen, ist unter Berücksichtigung aller zur Verfügung stehenden Informationen und fachübergreifender Diagnostik zweifellos und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Unfall eine funktionelle Kopfgelenksstörung, deren Existenz klinisch und radiologisch belegt ist, ausgelöst hat und der Auslöser der schweren posttraumatischen cervicoenzephalen Symptomatik ist", nicht überzeugend.

Prof. Dr. med. X. hat in seinem Aktengutachten ferner die insbesondere von Dr. med. N. gestellte Diagnose "Commotio labyrinthi" angezweifelt und die Untersuchungen hierzu als nicht aussagefähig bezeichnet; außerdem hat er ausgeführt, der Kläger hätte eine massive Hörverschlechterung nach dem Unfall, wenn sie vorgelegen hätte, gegenüber dem Durchgangsarzt angegeben. Prof. Dr. med. X. ist auch auf die Tonaudiogramme, die in dem Gutachten von Dr. med. T. vom 5. Mai 1997 enthalten sind, eingegangen und hat angemerkt, das Hörvermögen sei im April 1995 schlechter gewesen als im Oktober 1994, was zu einer Commotio labyrinthi nicht passe. Er hat sich ferner zu den Ausführungen der Praktischen Ärztin M. im Attest vom 11. Oktober 1994 geäußert und darauf hingewiesen, dass sie ein Unfallereignis beschreibe, das in dieser Form nicht stattgefunden habe, und lediglich die Angaben des Klägers über erlittene Verletzungen übernommen habe, ohne den eigentlichen Anfangsbefund zu kennen.

Nach allem sind die gutachtlichen Ausführungen von Dr. med. T. nicht überzeugend. Die Einholung eines weiteren Gutachtens ist nicht erforderlich, denn der Sachverhalt ist spätestens nach Vorliegen des Gutachtens von Prof. Dr. med. X. vom 20. Juli 1998 als aufgeklärt anzusehen.

Das von dem Kläger überreichte nervenärztliche Gutachten von Prof. Dr. med. Y./Priv.-Doz. Dr. med. Z./Dipl.-Psychologe Dr. AB. vom 14. Dezember 1998 kommt zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger eine Anpassungsstörung vorliege und sämtliche von ihm geschilderten Beschwerden wie Probleme in der konzentrativen Belastung, psychomotorische Reaktionsverlangsamung, unsystematischer Schwindel und Ermüdbarkeit, die unter Belastung besonders aufträten, sich zwanglos als körperlicher Ausdruck einer depressiven Verstimmung und einer Angststörung beschreiben ließen. Der Kläger sei deshalb zwar behandlungsbedürftig, jedoch lasse sich eine MdE aus neuropsychologischer Sicht nicht ableiten. Eine wesentliche Bedeutung für die Beurteilung der Folgen des Unfalls vom 20. Juni 1994 kommt somit diesem Gutachten nicht zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und der Senat weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.