Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 11.09.2002, Az.: L 4 KR 138/02 ER
Voraussetzungen für das Bestehen einer Versicherungspflicht in der Sozialversicherung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 11.09.2002
- Aktenzeichen
- L 4 KR 138/02 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 33067
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2002:0911.L4KR138.02ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 15.07.2002 - AZ: S 63 KR 117/02 ER
Rechtsgrundlage
- § 99 Abs. 1 SGG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Voraussetzung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG ist in Anwendung des Grundgedankens des § 80 VwGO, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat.
- 2.
Die Änderung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (§ 86b Abs. 1 Nr. 2 Alternative 1 SGG) in den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage (§ 86b Abs. 1 Nr. 2 Alternative 2 SGG) ist zulässig und sachdienlich, wenn der Widerspruch inzwischen erlassen und Anfechtungsklage erhoben ist.
In dem Rechtsstreit
...
hat der 4. Senat des Landessozialgerichtes Niedersachsen-Bremen
am 12. September 2002
in Celle
durch
die Richterin Schimmelpfeng-Schütte - Vorsitzende-,
den Richter Wolff und
den Richter Schreck
beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 15. Juli 2002 wird aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vor dem Sozialgericht Oldenburg - Az.: S 62 KR 194/02 - gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 21. März 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2002 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Bescheides, mit dem die Antragsgegnerin festgestellt hat, dass keine Versicherungspflicht in der Sozialversicherung besteht.
Die Antragstellerin ist seit 1. Oktober 2001 im Service bzw. in der Küche des Betriebes "C." tätig. Sie ist Alleineigentümerin des Betriebsgrundstücks und des Gebäudes. Nach ihren Angaben ist ihr Ehemann der alleinige Unternehmer der Gaststätte. Sie ist - so ihr Vortrag - weder Mitunternehmerin noch Miteigentümerin des Inventars.
Mit Bescheid vom 6. November 2001 stellte die Antragsgegnerin die Versicherungspflicht der Antragstellerin in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung ab 1. Oktober 2001 fest. Die Bundesanstalt für Arbeit, Arbeitsamt Oldenburg, teilte der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 20. Februar 2002 mit, dass nach ihrer Auffassung keine Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliege. Daraufhin hob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 21. März 2002 ihren Bescheid vom 16. (richtig wäre: 6.) November 2001 auf. Sie stellte fest, dass ab 1. Oktober 2001 keine Sozialversicherungspflicht vorliege. Die Antragstellerin legte am 3. April 2002 Widerspruch ein.
Die Antragstellerin hat am 14. Mai 2002 beim Sozialgericht Oldenburg (SG) die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 21. März 2002 beantragt. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 15. Juli 2002 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin am 15. August 2002 Beschwerde eingelegt. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Am 14. August 2002 hat die Beschwerdegegnerin den Widerspruch der Antragstellerin zurückgewiesen. Die Antragstellerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 20. August 2002 Klage vor dem SG erhoben - Az.: S 62 KR 194/02.
II.
Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist auch begründet.
Die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind gegeben. Danach kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Voraussetzung ist in Anwendung des Grundgedankens des § 80 Verwaltungsgerichtsordnung, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen oder die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat (vgl. hierzu Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 86a Rn. 27 mwN).
Zwar hat die Antragstellerin zunächst die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 21. März 2002 beantragt. Dieser Antrag ist gegenstandslos geworden, weil der Widerspruchsbescheid inzwischen erlassen worden ist und eine aufschiebende Wirkung des Widerspruchs damit keine Wirkung mehr entfalten kann. Mit Schriftsatz vom 9. September 2002 hat der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin jedoch mitgeteilt, dass er inzwischen Anfechtungsklage erhoben hat. In dieser Mitteilung sieht der Senat im wohlverstandenen Interesse der Antragstellerin den Antrag, nunmehr die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage anzuordnen.
Diese Antragsänderung ist zulässig und sachdienlich (vgl. § 99 Abs. 1 SGG). Sie entspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes innerhalb einer angemessenen Frist (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz). Denn andernfalls wäre die Antragstellerin gezwungen, ein zweites einstweiliges Rechtsschutzverfahren zu betreiben. Sie müsste erneut die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragen, und zwar nunmehr die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diesen Antrag vergeht weitere Zeit, in der die Antragstellerin im Ungewissen ist, ob sie (vorläufigen) Versicherungsschutz in der Sozialversicherung hat oder sich privat versichern muss. Das widerspricht dem Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes, mit dem schnell und zügig eine vorläufige Rechtsklarheit und Rechtssicherheit geschaffen werden soll. Demgegenüber kommt dem Umstand, dass der Antragsgegnerin bei der Änderung des Antrages der Antragstellerin eine Instanz verloren geht, keine entscheidende Bedeutung zu. Das zeigt der Grundgedanke der Regelung in § 96 Abs. 1 SGG.
Im vorliegenden Fall bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 21. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2002. Mit Bescheid vom 6. November 2001 hat die Antragsgegnerin die Versicherungspflicht der Antragstellerin bejaht. Sie hat den Bescheid auf die von der Antragstellerin und ihrem Ehemann gemachten Angaben und auf den Arbeitsvertrag gestützt. Auf der Grundlage derselben Unterlagen hat die Antragsgegnerin dann mit Bescheid vom 21. März 2002 die Versicherungspflicht verneint. Schon das belegt, dass die Frage der Versicherungsfreiheit der Antragstellerin durchaus zweifelhaft ist und ohne weitere Aufklärung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht eindeutig entschieden werden kann.
Aus diesem Grunde hat der Senat die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage angeordnet.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Gerichtskosten sind nicht entstanden (§ 183 Satz 1 SGG)
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Wolff
Schreck