Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 20.09.2006, Az.: 1 A 806/03

Ausnahmetatbestand; Beamter; Dienst; Dienstherr; Dienstunfähigkeit; Erholungsurlaub; Fürsorgepflicht; Geldabfindung; Krankheit; Rechtsanspruch; Resturlaub; Urlaub; Urlaubsanspruch; Urlaubsjahr; Verfall; Verfallsregelung; Versagung; Zurruhesetzung; öffentlicher Dienst

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
20.09.2006
Aktenzeichen
1 A 806/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 53237
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG - 17.06.2009 - AZ: 5 LA 100/07

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von 34 Tagen Resturlaub für das Kalenderjahr 2002.

2

Die 1964 geborene Klägerin, die zu 60 % schwerbehindert ist, ist Niedersächsische Landesbeamtin und beim Finanzamt C. im Betriebsprüfungsdienst tätig.

3

Sie war seit dem 25. Oktober 2001 durchgehend dienstunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 6. Juni 2003 leitete die Beklagte gegenüber der Klägerin das Verfahren auf Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit gemäß § 56 NBG ein und hörte sie zur beabsichtigten Versetzung in den Ruhestand an. Gleichzeitig befreite die Beklagte die Klägerin in dem Schreiben von den Dienstgeschäften und verwies zur Begründung auf deren Dienstunfähigkeit. Am 10. Juli 2003 nahm die Klägerin ihren Dienst wieder auf und zwar zunächst mit vier Stunden täglich, nachdem ihr Hausarzt zuvor eine stufenweise Wiederaufnahme des Dienstes mit ärztlicher Stellungnahme vom 9. Juli 2003 in Verbindung mit seiner ärztlichen Stellungnahme vom 18. Mai 2003 befürwortet hatte. Nachdem auch das Gesundheitsamt des Landkreises D. aufgrund einer Untersuchung am 18. Juli 2005 die grundsätzliche Dienstfähigkeit der Klägerin bejaht und eine stufenweise Eingliederung mit einer täglichen Arbeitszeit von vier Stunden in den ersten vier Wochen befürwortete, stimmte auch der Leiter des Finanzamtes C. förmlich der stufenweise Wiederaufnahme des Dienstes ab 21. Juli 2003 zu. Am 28. August 2003 leistete die Klägerin täglich sechs Stunden, ab 11. September 2003 in vollem Umfange Dienst. Bereits zuvor hatte die Beklagte mit Schreiben vom 5. August 2003 das Verfahren auf Zurruhesetzung der Klägerin bis auf weiteres ausgesetzt.

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Mit Schreiben vom 22. September 2003 beantragte die Klägerin Erholungsurlaub für die Zeit vom 25. September bis 24. Oktober 2003.

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Den beantragten Erholungsurlaub lehnte das Finanzamt C. durch Bescheid vom 23. September 2003 unter Hinweis auf die seiner Auffassung nach noch laufende Eingliederungsphase der Klägerin ab. Eine weitere Unterbrechung des Arbeitsversuchs komme angesichts dessen, dass bereits eine dreiwöchige Unterbrechung gewährt worden sei, nicht in Betracht, da ansonsten der Arbeitsversuch und dessen Ernsthaftigkeit infrage gestellt werde.

6

Gegen die Versagung des Urlaubs legte die Klägerin mit Schreiben vom 29. September 2003 Widerspruch ein und beantragte gleichzeitig, ihr den für das Jahr 2002 noch zustehenden Resturlaub von 34 Tagen in der Zeit vom 30. September bis 17. November 2003 zu gewähren. Die Eingliederungsmaßnahme stehe einer Urlaubsgewährung nicht entgegen. Dies habe zum einen der Amtsarzt des Landkreises D. in seiner Stellungnahme vom 22. Juli 2003 bestätigt. Zum anderen sei die Wiedereingliederungsmaßnahme bereits abgeschlossen. Seit dem 11. September 2003 leiste sie nämlich in vollem Umfange Dienst.

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Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2003 (der Klägerin persönlich zugestellt am 11.11.2003) zurück. Darin wurde im Wesentlichen dargelegt, dass die Klägerin ihren Resturlaub aus 2002 mangels voller Dienstfähigkeit am 30. September 2003 nicht habe antreten können und er ihr dementsprechend nicht habe bewilligt werden können. Ihr Arbeitsversuch, der sich in zwei Stufen habe vollziehen sollen, sei noch nicht abgeschlossen gewesen, da er erst am 21. Juli 2003 begonnen, am 29. Juli 2003 für 15 Tage unterbrochen und erst am 19. August 2003 fortgesetzt worden sei. Während des Arbeitsversuchs sei der Beamte weiterhin als dienstunfähig anzusehen. Erst nach einer erfolgreichen Wiedereingliederung sei von einer vollen Dienstfähigkeit und einer vollen Dienstpflicht mit Urlaubsanspruch auszugehen.

8

Am 11. Dezember 2003 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, ihr stehe der Urlaubsanspruch für das Jahr 2002 zu. Sie habe seit dem 11. September 2003 vollen Dienst geleistet und sei seitdem auch voll dienstfähig. Die Wiedereingliederung sei abgeschlossen gewesen. Eine Verweigerung des Urlaubs wegen Dienstunfähigkeit sei daher nicht gerechtfertigt gewesen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte zu verpflichten, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 23. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2003 34 Tage durchgehenden Resturlaub für das Kalenderjahr 2002 zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

16

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Resturlaub für das Kalenderjahr 2002. Der Bescheid der Beklagten vom 23. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2003 ist mithin im Ergebnis rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

17

Nach § 99 Abs. 1 NBG in Verbindung mit der Niedersächsischen Erholungsurlaubsverordnung (NEUrlVO) steht niedersächsischen Beamtinnen und Beamten alljährlich ein Erholungsurlaub unter Weitergewährung der Bezüge zu. Auf die Erteilung des beantragten Erholungsurlaubs, der nur versagt werden kann, wenn anders die ordnungsgemäße Erledigung der Dienstgeschäfte oder der geordnete Ablauf der Ausbildung nicht gewährleistet ist (§ 2 Abs. 2 NEUrlVO), besteht ein Rechtsanspruch. Der Urlaub soll grundsätzlich im Urlaubsjahr, das ist hier mangels abweichender Regelung das Kalenderjahr (§ 2 Abs. 1 NEUrlVO), abgewickelt werden (§ 8 Abs. 1 Satz 1 NEUrlVO). Resturlaub, der nicht bis zum Ablauf der ersten neun Monate des folgenden Urlaubsjahres angetreten worden ist, verfällt (§ 8 Abs. 1 Satz 2 NEUrlVO).

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Nach diesen Regelungen ist der Urlaubsanspruch der Klägerin für das Kalenderjahr 2002 verfallen. Denn sie hat den ihr für das Kalenderjahr 2002 noch grundsätzlich zustehenden Erholungsurlaub von 34 Tagen nicht bis zum 30. September 2003 angetreten.

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Rechtliche Bedenken gegen diese „Verfallsregelung“, die auch gilt, wenn Urlaubstage wegen Krankheit an sich nachzugewähren sind (so zum vergleichbaren Bundesbeamtengesetz Plog/Wiedow/Lehmhöfer/Bayer, BBG und BeamtVG, Loseblattkommentar, Stand: August 2006, § 89 BBG Rdnr. 13) sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die „Verfallsregelung“ ist insbesondere mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn vereinbar. Denn es ist nicht sachwidrig, wenn der Dienstherr davon ausgeht, dass der Zweck des für ein bestimmtes Jahr vorgesehenen Erholungsurlaubs, nämlich Auffrischung und Erhaltung der Arbeitskraft, nach dieser Frist grundsätzlich nicht mehr erreichbar ist. Aus diesem Grund besteht auch kein Anspruch auf eine Geldabfindung für nicht erteilten Urlaub (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1962 - BVerwG VI C 110.61 -, ZBR 1963, 87). Etwas anderes gilt hier auch nicht deshalb, weil die Klägerin den Urlaub vor Ablauf des Monats September 2003 beantragt hatte. Denn maßgebend ist nach § 8 Abs. 1 Satz 2 NEUrlVO, dass der Resturlaub tatsächlich angetreten worden ist. Ein Anspruch der Klägerin, den Resturlaub aus dem Jahre 2002 jetzt im Jahre 2006 noch erteilt zu bekommen, besteht mithin nicht.

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Einer der Ausnahmentatbestände der niedersächsischen Erholungsurlaubsverordnung, nach denen abweichend von der Grundregel „alter“ Urlaub auch noch zu einem späteren Zeitraum gewährt werden kann, ist hier nicht erfüllt.

21

Nach § 5 Abs. 5 Satz 2 NEUrlVO ist abweichend von der Grundregel des § 8 Abs. 1 Satz 2 NEUrlVO zustehender Erholungsurlaub, der vor dem Beginn eines Urlaubs ohne Bezüge nicht oder nicht vollständig erteilt wurde, nach dem Ende des Urlaubs ohne Bezüge im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr zu erteilen. Die Klägerin war hier aber nicht ohne Bezüge beurlaubt. Eine entsprechende Anwendung der Regelung auf das Zurruhesetzungsverfahren ist im Hinblick auf ihren Ausnahmecharakter rechtlich nicht möglich. Das Verfahren auf Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit ist einem Urlaub ohne Bezüge im Sinne der Erholungsurlaubsverordnung darüber hinaus auch nicht vergleichbar. Denn die Klägerin hat während des Verfahrens Bezüge erhalten. Diese waren offenbar nicht einmal zunächst reduziert.

22

Die Ausnahmeregelung des § 8 Abs. 1 Satz 3 NEUrlVO für Resturlaub im Zusammenhang mit den Beschäftigungsverboten nach der Mutterschutzverordnung ist hier ebenfalls nicht einschlägig.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

24

Gründe, die Berufung gemäß § 124 a i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.