Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 06.09.2006, Az.: 1 D 1/06
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 06.09.2006
- Aktenzeichen
- 1 D 1/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 44574
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2006:0906.1D1.06.0A
Fundstelle
- DVP 2009, 171
Gründe
I.
Dem Vollstreckungsgläubiger geht es um die Vollstreckung aus dem rechtskräftigen Urteil der Kammer vom 16. November 2005 - 1 A 269/04 -, mit welchem die Vollstreckungsschuldnerin unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L. vom 5. Juli 2004 sowie einer zum 19. März 2004 gefertigten Beurteilung gerichtlich verpflichtet worden war,
"den Kläger zum Stichtag 1. Juni 1997 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu beurteilen."
Hintergrund hierfür war, dass der Vollstreckungsgläubiger bereits mehrmals zum genannten Stichtag beurteilt worden war (am 10. Oktober 1997, am 15. Dezember 1998, am 13. Juli 1999), diese Beurteilungen aber jeweils rechtsfehlerhaft und deshalb aufgehoben worden waren - die zuletzt genannte Beurteilung durch Urteil der Kammer schon vom 20. März 2002 (1 A 60/00) sowie Urteil des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 23. September 2003 (5 LB 173/03).
Die Beurteilung vom 19. März 2004 wurde von der Kammer als rechtswidrig bewertet, weil es "immer noch an einer nachvollziehbaren Begründung für die Bewertung der Einzelmerkmale und folglich auch des Gesamturteils" fehle (S. 8 Abs. 2 d. Urteilsabdrucks). Dieses Fehlen wurde u.a. damit begründet, dass der Erstbeurteiler "eine in allen kritischen sowie den vom Kläger gerügten Punkten schlüssige und nachvollziehbare Erwägung für die von ihm - zum Teil abweichend von den Beurteilungsbeiträgen - vorgenommene Bewertung der Einzelmerkmale nicht vorgelegt" habe und seine Stellungnahme vom 19. Mai 2004 nicht widerspruchsfrei sei (S. 8 unten d. Urteilsabdrucks). Auch der Zweitbeurteiler habe "keine plausible Begründung für die Bewertung der Einzelmerkmale gegeben" (S. 9 oben d. Urteilsabdrucks). Im Rahmen der Neu-Beurteilung sei den Einwänden des Klägers im Hinblick auf den Beurteilungsbeitrag des Polizeihauptkommissars B. nachzugehen und vom Ersten Polizeihauptkommissar a.D. C. ein neuer Beurteilungsbeitrag einzuholen.
Zur Begründung des am 14. Juli 2006 gestellten Vollstreckungsantrages wird u.a. vorgetragen, die gesamte Verfahrensweise lasse den Rückschluss zu, dass die Vollstreckungsschuldnerin nicht gewillt sei, trotz der gerichtlicher Verpflichtungen eine Beurteilung unter gerechter Würdigung der eingeholten Beurteilungsbeiträge vorzunehmen. Dem Vollstreckungsgläubiger werde bislang rund neun Jahre lang eine zutreffende, nachvollziehbare Beurteilung zum maßgeblichen Stichtag 1.6.1997 vorenthalten.
Der Vollstreckungsgläubiger beantragt,
der Vollstreckungsschuldnerin für den Fall, dass sie dem Vollstreckungsgläubiger nicht innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist eine dienstliche Beurteilung zum Stichtag 01.06.1997 eröffnet, die der Rechtsauffassung des Gerichts im rechtskräftigen Urteil vom 16.11.2005 zum Az. 1 A 269/04 entspricht, ein Zwangsgeld bis zu 25.000,00 EUR anzudrohen, dieses nach fruchtlosem Fristablauf festzusetzen und anschließend von Amts wegen zu vollstrecken.
Die Vollstreckungsschuldnerin tritt dem Antrag unter Hinweis darauf entgegen, dass die Einholung eines weiteren Beurteilungsbeitrages des Ersten Polizeihauptkommissars a. D. C. versucht worden sei, dieser sich aber nicht in der Lage sehe, "eine substanzielle und fundierte Aussage zu treffen". Im Übrigen liege eine abgeschlossene und bekannt gegebene Beurteilung "noch gar nicht vor", wofür die maßgebenden Gründe dem Vollstreckungsgläubiger bekannt seien, so dass der Antrag keinen Erfolg haben könne. Sie beantragt,
den Vollstreckungsantrag abzulehnen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und Beiakten der Verfahren 1 A 60/00 und 1 A 269/04 Bezug genommen.
II.
Die Entscheidung ergeht analog § 172 VwGO.
Hiernach kann das Gericht des ersten Rechtszuges auf Antrag unter Fristsetzung gegen die Behörde ein Zwangsgeld bis zu zehntausend Euro androhen, wenn die Behörde im Falle des § 113 Abs. 5 VwGO der ihr in einem Urteil auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt.
1. Wenngleich es hier nicht um die Verpflichtung der Vollstreckungsschuldnerin geht, einen Verwaltungsakt zu erlassen (oder aber eine Neubescheidung vorzunehmen, vgl. hierzu BVerwG, NVwZ-RR 2002, S. 314), so wie das in § 113 Abs. 5 VwGO gesetzlich vorausgesetzt ist, sondern die Vollstreckungsschuldnerin den Vollstreckungsgläubiger (faktisch) neu zu beurteilen hat, so ist doch analog § 172 VwGO (in Verbindung mit § 167 Abs. 1 VwGO, § 888 ZPO) zu verfahren (a.A. VGH Mannheim, Beschl. v. 25.06.2003 - 4 S 118/03 -, NVwZ-RR 2004, 459).
Erst dann, wenn sich Androhung und Festsetzung des in § 172 VwGO genannten Zwangsgeldes als ungeeignet erweisen sollte, können von den Verwaltungsgerichten einschneidendere Zwangsmittel aus der ZPO angewandt werden. Vgl. dazu BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats) v. 9.8.1999 (NVwZ 1999, 1330):
"Ist etwa aufgrund vorangegangener Erfahrungen, aufgrund eindeutiger Bekundungen oder aufgrund mehrfacher erfolgloser Zwangsgeldandrohungen klar erkennbar, daß die Behörde unter dem Druck des Zwangsgeldes nicht einlenkt, dann gebietet es das Gebot effektiven Rechtsschutzes, von der nach § 167 VwGO möglichen "entsprechenden" Anwendung zivilprozessualer Vorschriften Gebrauch zu machen und einschneidendere Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, um die Behörde zu rechtmäßigem Handeln anzuhalten (vgl. Bettermann, DVBl 1969, 120 [121]; Maunz, BayVBl 1971, 399 [400]). Welche der in den §§ 885-896 ZPO geregelten, einschneidenderen Zwangsmitteln (Ersetzung der behördlichen Zustimmung zur Saalvermietung, Besitzeinweisung durch den Gerichtsvollzieher etc.) in welcher Reihenfolge und in welcher Form bei der Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Eilentscheidungen erforderlichenfalls zum Einsatz kommen, obliegt vorrangig der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung und bedarf in diesem Zusammenhang keiner Vertiefung."
2. Die Voraussetzungen des entsprechend anwendbaren § 172 VwGO liegen hier vor.
2.1 Zunächst sind die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen - Antrag, Titel, Klausel und Zustellung - gegeben. Der Vollstreckungsgläubiger hat die Vollstreckung am 14. Juli 2006 beantragt und auf einen rechtskräftigen gerichtlichen Titel - das Urteil der Kammer vom 16.11.2005 (1 A 269/04) - Bezug genommen (§ 168 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Vollstreckungsklausel wurde am 22. Juni 2006 erteilt; die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils befindet sich bei den Gerichtsakten. Der Titel wurde den Prozessbevollmächtigten des Gläubigers am 7. Dezember 2005 und der Vollstreckungsschuldnerin am 8. Dezember 2005 zugestellt.
2.2 Darüber hinaus setzt die Vollstreckung voraus, dass die Behörde der ihr im Titel auferlegten Verpflichtung innerhalb einer angemessenen Erfüllungsfrist (vgl. VG Weimar, Beschl. v. 1.7.1999, VIZ 2002, S. 105) nicht nachgekommen ist (grundlose Säumnis). Dabei ist § 172 VwGO auch dann schon anwendbar, wenn die Behörde die ihr gerichtlich auferlegte Pflicht nur unvollkommen erfüllt hat (Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 14. Auflage, § 172 Rdn. 6). Die Androhung eines Zwangsgeldes ist danach gerechtfertigt, wenn es der Behörde als Vollstreckungsschuldnerin billigerweise zugemutet werden konnte, die auferlegte Verpflichtung in der Zeit seit Zustellung des Titels zu erfüllen (VG Hannover, Beschl. v. 19.3.2004 - 6 D 930/04 -). Auch diese Voraussetzung liegt hier vor.
Denn es wäre der Schuldnerin der Vollstreckung hier möglich und auch zumutbar gewesen, der im Urteil vom 16. November 2005 auferlegten Verpflichtung als einer sachkundigen Behörde zeitnah nachzukommen - zumal bereits in dem durch das Nds. Oberverwaltungsgericht bestätigten Urteil der Kammer vom 20. März 2002 (1 A 60/00) ausgeführt worden war, dass es an einer Plausibilität des Gesamturteils mit der Wertungsstufe 3 fehle. Daneben war schon im Urteil des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 23. September 2003 (5 LB 173/03) hervorgehoben worden, dass die Beurteilungsbeiträge jener Vorgesetzten, die die Leistung und Befähigung des Vollstreckungsgläubigers kennen, deutlich besser ausgefallen seien als die des Erstbeurteilers, der Zweitbeurteiler sich jedoch ohne jede Erklärung der nicht nachvollziehbaren Beurteilung des Erstbeurteilers angeschlossen habe und daher bei einer Neubeurteilung die Einzelmerkmale neu zu bewerten seien und sodann auch das Gesamturteil neu festzulegen sei.
Bei dieser Lage der Dinge ist der Vollstreckungsantrag unter dem Gesichtspunkt grundloser Säumnis ohne weiteres berechtigt (vgl. die vom Bundesverwaltungsgericht für die Pflichterfüllung bei Neubescheidung angesetzte 3-Monatsfrist, BVerwG, NVwZ-RR 2002, S. 314).
3. Der Verpflichtung aus dem Urteil vom 16. November 2005 ist die Vollstreckungsschuldnerin jedoch bislang nicht nachgekommen, wie ihre Stellungnahme vom 7. August 2006 deutlich aufzeigt.
Der Vollstreckungsgläubiger ist seit Zustellung des rechtskräftigen Urteils der Kammer vom 16. November 2005 von der Vollstreckungsschuldnerin nicht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts - im Widerspruch zum gen. Urteil - neu beurteilt worden. Diese Säumnis hat hier deshalb besonderes Gewicht, weil schon durch die vorangehenden Urteile der Kammer und des Nds. Oberverwaltungsgerichts (aus den Jahren 2002 und 2003) klar geworden war, welche Pflichten die Vollstreckungsschuldnerin dem Grunde nach zu erfüllen und wie sie dabei vorzugehen hatte. Daher war sie durch das Urteil der Kammer vom 16. November 2005 in besonderer Weise aufgefordert, nunmehr eine neue Beurteilung vorzunehmen und die Rechtsauffassung der Gerichte dabei gebührend zu beachten.
4. Nachdem der Vollstreckungsschuldnerin im Juli 2006 Gelegenheit gegeben worden war, zum Vollstreckungsantrag Stellung zu nehmen, ist der Vollstreckungsschuldnerin bei Androhung eines entsprechend bemessenen Zwangsgeldes nunmehr aufzugeben, ihrer Verpflichtung aus dem Urteil der Kammer nunmehr bis zum 20. Oktober 2006 nachzukommen.
Die Höhe des Zwangsgeldes ist ebenso angemessen wie die von der Kammer festgesetzte Frist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.