Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.07.2004, Az.: 12 ME 209/04
Asylbewerber; Asylbewerberleistung; Asylbewerberleistungsrecht; Belastungsstörung; Depression; Depressivität; Erkrankung; Kosten; Kostenübernahme; Posttrauma; posttraumatische Belastungsstörung; Psychotherapie; Schmerz; Schmerzzustand; Trauma; Übernahme
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 06.07.2004
- Aktenzeichen
- 12 ME 209/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 51008
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 27.04.2004 - AZ: 4 B 148/04
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs 1 S 1 AsylbLG
- § 6 Abs 1 AsylbLG
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, durch den dieses seinen Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zur Übernahme der Kosten für die Durchführung einer Psychotherapie zu verpflichten, abgelehnt hat, hat keinen Erfolg.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist aus den von dem Antragsteller dargelegten Gründen, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, in der Sache nicht zu beanstanden. Durch den Vortrag, den der Antragsteller im Beschwerdeverfahren in Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung anbringt, hat er weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund im Sinne der §§ 123 Abs. 1, 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf sein Begehren auf Übernahme der Kosten für eine Psychotherapie glaubhaft gemacht.
Ein Anordnungsanspruch für dieses Begehren ergibt sich nach den Darlegungen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren und vor dem Hintergrund der dem Senat vorliegenden Akten weder auf der Grundlage des § 4 AsylblG noch lässt er sich aus der Vorschrift des § 6 AsylblG herleiten. Andere Anspruchsgrundlagen kommen für das Begehren des Antragstellers, der zum Kreis der nach § 1 Abs. 1 AsylblG Leistungsberechtigten gehört, nicht in Betracht.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylblG sind zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren. Die gesetzliche Regelung eröffnet mithin einen Anspruch auf Hilfeleistungen bei akuten Erkrankungen oder bei Schmerzzuständen, schließt hingegen Ansprüche bei chronischen Erkrankungen ohne Schmerzzustände aus (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 4.5.1998 - 7 S 920/98 -, FEVS 49, 33, 34; GK-AsylblG, Loseblattsammlung, Stand: Dezember 2003, § 4, Rn. 18, 27 f; Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG, Loseblattsammlung, Stand: 1.6.2003, Anhang § 120, § 4 AsylblG, Rn. 5).
Im Hinblick auf die Erkrankung des Antragstellers hat der Senat Zweifel am Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, sieht eine solche jedenfalls zum derzeitigen Zeitpunkt als nicht glaubhaft gemacht an. So geht das von dem Antragsteller vorgelegte psychologisch-psychotraumatologische Fachgutachten des Deutschen Instituts für Psychotraumatologie e.V. (DIPT) vom 21. August 2003 gestützt allein auf die Angaben des Antragstellers davon aus, dass dessen Schilderungen über erlebte Folterungen und Misshandlungen in der Türkei im Jahre 1993 der Wahrheit entsprechen, ohne sich mit dem Umstand auseinander zu setzen, dass das Asylverfahren des Antragstellers seinerzeit nicht zum Erfolg geführt hat. Weiterhin weist der Antragsgegner zu Recht darauf hin, dass das Stichwort einer posttraumatischen Belastungsstörung seinen Niederschlag in der aus den dem Senat vorliegenden Akten ersichtlichen Krankengeschichte des Antragstellers erst lange Zeit nach seiner Einreise nach Deutschland findet. Schließlich ist in dem - gegenüber dem Gutachten des DIPT aktuelleren - Bericht des Niedersächsischen Landeskrankenhauses D. vom 14. Januar 2004 von festgestellten Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht die Rede, obwohl den behandelnden Ärzten ausweislich der vorgenommenen Anamnese bekannt war, dass eine solche Störung fachgutachterlich bestätigt worden war. Der Antragsteller war in dem Landeskrankenhaus im Zuge einer Unterbringung nach dem Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke (NPsychKG) in der Zeit vom 28. Oktober bis 26. November 2003 im Hinblick auf eine depressive Symptomatik medikamentös therapiert und nach einer ausreichenden psychischen Stabilisierung bzw. Distanzierung von Suicidalität und nicht gegebenen Anhaltspunkten für eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung entlassen worden.
Eine - auch durch das Gutachten des DIPT festgestellte - Depressivität des Antragstellers erachtet auch der Senat als glaubhaft gemacht. Nicht glaubhaft gemacht ist jedoch, dass diese Erkrankung - wie von § 4 Abs. 1 AsylbLG vorausgesetzt - einen akuten Charakter hat. Vielmehr spricht Überwiegendes dafür, dass insoweit jedenfalls derzeit - nach Überwindung des seinerzeitigen akuten Stadiums im Niedersächsischen Landeskrankenhaus D. - ein chronischer Krankheitsverlauf gegeben ist.
Nicht glaubhaft gemacht ist weiterhin ein durch die von dem Antragsteller gewünschte Psychotherapie zu behandelnder Schmerzzustand im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. Zwar wird in der Rechtsprechung (4. Senat des erk. Gerichts, Beschl. v. 22.9.1999 - 4 M 3551/99 - und VG Braunschweig, Beschl. v. 13.4.2000 - 13 B 67/00-, jeweils abgedruckt in GK-AsylbLG, a.a.O., 7 zu § 4 Abs. 1) im Hinblick auf die genannte Vorschrift darauf hingewiesen, dass depressive Leidenszustände ebenso quälend und beeinträchtigend sein könnten wie erhebliche körperliche Schmerzen. Jedoch ist das Gutachten des DIPT vom 21. August 2003 insoweit - d.h. im Hinblick auf die festgestellte depressive Symptomatik und abgesehen von der Problematik einer posttraumatischen Belastungsstörung - nicht ergiebig. Was den durch das Gutachten weiterhin konstatierten Verdacht auf ein organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma und die berichteten Schmerzen in Kopf, Rücken und Beinen anbelangt, ist nicht klar ersichtlich, dass insoweit eine Linderung (nur) durch die in Rede stehende Psychotherapie herbeigeführt werden könnte.
In engem Zusammenhang hiermit ist hervorzuheben, dass auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG eine Behandlung bzw. sonstige Leistung nur dann beansprucht werden kann, wenn diese zur Erfüllung der in der Vorschrift genannten Zwecke erforderlich ist. Insoweit ist jedenfalls in dem hier zur Entscheidung stehenden Verfahren des vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nicht glaubhaft gemacht, dass - sieht man von der nach den bisherigen Ausführungen nicht in die Beurteilung einzubeziehenden Problematik einer posttraumatischen Belastungsstörung ab - zur Linderung der Beschwerden des Antragstellers die in Rede stehende Psychotherapie erforderlich ist und ein - jedenfalls vorläufiger - Erfolg nicht auch durch eine lediglich medikamentöse Behandlung erreicht werden könnte. Eine solche ist jedenfalls nach dem Bericht des Niedersächsischen Landeskrankenhauses D. vom 14. Januar 2004 während der dortigen Behandlung des Antragstellers im Herbst des Jahres 2003 als ausreichend angesehen worden.
Der Antragsteller hat zur Überzeugung des Senats auch nicht glaubhaft gemacht, dass sich für ihn ein Anordnungsanspruch aus § 6 Abs. 1 AsylbLG ergeben könnte. Nach dieser Vorschrift können den nach § 1 Abs. 1 AsylbLG Berechtigten sonstige Leistungen u. a. dann gewährt werden, wenn diese im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder der Gesundheit unerlässlich sind. Zwar kann ein auf diese Vorschrift gestützter, nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht bestehender Anspruch auf Übernahme der Kosten einer psychotherapeutischen Behandlung nicht von vornherein ausgeschlossen werden (vgl. im konkreten Fall offenlassend: 4. Senat des erk. Gerichts, Beschl. v. 22.9.1999, a.a.O.). Dies kann jedoch, da sich eine derartige Maßnahme in der Regel über einen längeren Zeitraum erstreckt, mit nicht unerheblichen Kosten verbunden und häufig auch der dem Asylbewerberleistungsgesetz prinzipiell fremden Eingliederungshilfe zuzurechnen ist, nur ausnahmsweise geschehen. Erforderlich hierfür ist u.a. zumindest auch, dass fachärztlich attestiert wird, dass gleichwertige, kostengünstigere Behandlungsmaßnahmen nicht zur Verfügung stehen (GK-AsylbLG, § 6, Rn. 166). Dies lässt sich den Darlegungen des Antragstellers und den dem Senat vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und Gutachten nicht entnehmen.
Schließlich hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats daraus, dass das die Erforderlichkeit einer Psychotherapie bejahende Gutachten des DIPT vom 21. August 2003 nunmehr schon fast ein Jahr alt ist und der Antragsteller sich nach Erstattung des Gutachtens für einen beachtlichen Zeitraum unter fachkundiger Betreuung im Niedersächsischen Landeskrankenhaus D. befunden hat und dort therapiert worden ist, ohne dass in dem Bericht des Landeskrankenhauses vom 14. Januar 2004 die zukünftige Durchführung einer Psychotherapie erwähnt, geschweige denn für erforderlich erachtet worden wäre.