Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.07.2004, Az.: 4 ME 396/03

Antragsfrist; Anwaltsbeiordnung; Bedürftigkeit; Beschwerdefrist; Einkommen; Prozesskostenhilfe; Prozesskostenhilfeantrag; Prozesskostenhilfebewilligung; Prozesskostenhilfeunterlagen; Prozesskostenhilfeverweigerung; Prozesskostenhilfevordruck; Rechtsanwaltsbeiordnung; Rechtsmittel; Rechtsmitteldurchführung; Rechtsmittelfrist; Rechtsmittelfristablauf; Rechtsmittelfristablauf; Rechtsmittelinstanz; Rechtsweg; Rechtszug; Unterlagen; Vermögen; Wiedereinsetzung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
22.07.2004
Aktenzeichen
4 ME 396/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50938
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 03.09.2003 - AZ: 9 B 3338/03

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts (für eine beabsichtigte Beschwerde) ist innerhalb der Antragsfrist des § 146 Abs. 5 VwGO zu stellen.

2. Einer Partei, die vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zur Durchführung des Rechtsmittels Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist nach Ablehnung ihres Prozesskostenhilfegesuchs hinsichtlich der versäumten Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, sich also für arm halten und davon ausgehen durfte, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe dargetan zu haben. Das setzt jedoch voraus, dass die Partei bereits innerhalb der Rechtsmittelfrist einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit allen dazugehörigen Unterlagen eingereicht hat, wozu insbesondere die Abgabe einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 117 Abs. 2 ZPO gehört, denn Prozesskostenhilfe kann nur bewilligt werden, wenn die Einkommensverhältnisse bekannt sind [mit ausführl. Nachw. aus der Rspr.].

3. Da die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für jeden Rechtszug gesondert erfolgt, muss sich die Prozesskostenhilfe beantragende Partei auch in der Rechtsmittelinstanz grundsätzlich des vorgeschriebenen Vordrucks bedienen und diesen vollständig ausgefüllt bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist vorlegen.

Gründe

1

I. Die Antragsteller haben bei dem Verwaltungsgericht I. den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt beantragt. Das Verwaltungsgericht I. - Einzelrichterin der 9. Kammer - hat diesen Antrag mit Beschluss vom 3. September 2003 abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Sozialhilfe erhalte nur derjenige, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus seinem Einkommen und Vermögen beschaffen könne. Die Antragsteller hätten über ein erhebliches Vermögen verfügt. So ergebe sich aus den vorgelegten Kontoauszügen, dass am 30. Juli 2003 ein Vermögen in Höhe von 6.335,51 EUR vorhanden gewesen sei. Auch nach Abzug des Vermögensfreibetrages verbleibe für die Antragsteller ein Vermögen, welches ausreichend sei, um ihren Sozialhilfebedarf zu decken.

2

Gegen diesen Beschluss wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde. Sie begehren zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren.

3

II. Die Beschwerde der Antragsteller ist als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht gemäß § 147 Abs. 1 VwGO innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses des Verwaltungsgerichts I. eingelegt worden ist. Der angeführte Beschluss des Verwaltungsgerichts I. ist mit nicht zu beanstandender Rechtsmittelbelehrung den Antragstellern am 8. September 2003 zugestellt worden. Dementsprechend endete die Frist zur Einlegung der Beschwerde gemäß § 147 Abs. 1 VwGO am 22. September 2003 und die nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO zu wahrende Frist zur Begründung der Beschwerde am 8. Oktober 2003. Die Fristen sind durch die am 9. Oktober 2003 beim Oberverwaltungsgericht eingelegte Beschwerde nebst Begründung nicht eingehalten.

4

Den Antragstellern kann auch nicht nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil sie nicht ohne ihr Verschulden verhindert waren, die Rechtsmittelfrist einzuhalten. Zwar ist einer Partei, die vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zur Durchführung des Rechtsmittels Prozesskostenhilfe beantragt hat, nach Ablehnung ihres Prozesskostenhilfegesuches wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen mussten, sich also für arm halten und davon ausgehen durfte, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Prozesskostenhilfe dargetan zu haben. Dies setzt jedoch voraus, dass die Antragsteller bereits innerhalb der Rechtsmittelfrist einen den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden vollständigen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit allen dazugehörigen Unterlagen eingereicht haben, wozu insbesondere die Abgabe einer Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 117 Abs. 2 ZPO gehört, denn Prozesskostenhilfe kann nur bewilligt werden, wenn die Einkommens- und Vermögensverhältnisse bekannt sind (BVerwG, Beschluss vom 15. Oktober 1997 - 11 PKH 11-18.97 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 1997 - 6 B 107.96 -, BVerwG-DAT; BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 1990 - 3 B 8.90 -, juris; BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 1989 - 3 B 42.89 -, juris; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 1997 - VI ZB 48/97 -, NJW 1998, 1230; BGH, Beschluss vom 27. November 1996 - XII ZB 84/96 -, NJW 1997, 1078 [BGH 27.11.1996 - XII ZB 94/96]; BGH, Beschluss vom 4. Mai 1994 - XII ZB 21/94 -, NJW 1994, 2097; BGH, Beschluss vom 13. Januar 1993 - XII ZA 21/92 -, NJW-RR 1993, 451; Nds. OVG, Beschluss vom 6. April 2004 - 12 LA 127/04 -, V.n.b.; OVG Hamburg, Beschluss vom 6. Oktober 1999 - 4 Bf 46/99 -, NVwZ-RR 2000, 548; Olbertz, in: Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.), VwGO-Kommentar, Stand: September 2003, § 166 Rdnr. 12 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, § 60 Rdnr. 15). Ansonsten würde die Möglichkeit eröffnet, die Rechtsmittelfrist zu umgehen.

5

Da die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für jeden Rechtszug besonders erfolgt (§ 119 Satz 1 ZPO), muss sich der um Prozesskostenhilfe nachsuchende Beteiligte auch in der Rechtsmittelinstanz grundsätzlich des durch die Verordnung vom 24. November 1980 (BGBl. I S. 2163) eingeführten Vordrucks bedienen und diesen vollständig ausgefüllt bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist vorlegen. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Bis zum Ablauf des 22. September 2003 haben die Antragsteller eine Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO nicht in ordnungsgemäßer Weise eingereicht.

6

Im Hinblick hierauf ist zunächst festzustellen, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht für sämtliche Antragsteller abgegeben worden ist. Weiterhin sind die Angaben über verfügbares Vermögen nicht vollständig. So wird lediglich das Konto bei der Sparkasse I. Nr. 2110637499 ohne nähere Angaben über die Höhe eines Guthabens sowie das Konto bei der Sparkasse J. mit einem Guthaben in Höhe von 400,-- EUR angegeben. In der Klagebegründung in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht I. unter dem Aktenzeichen 9 A 6555/03 räumen die Antragsteller unter dem 16. Februar 2004 ein, dass sie über folgende Konten verfügen:

7

Girokonto Sparkasse I. Konto-Nr. … mit einem Guthaben in Höhe von 1.001,79 € (vom 12.2.2004)

8

Sparbuch Sparkasse I. Konto-Nr. ... mit einem Guthaben in Höhe von 1.884,38 €

9

Sparbuch Sparkasse I. Konto-Nr. ... mit einem Guthaben in Höhe von 465,74 €.

10

Daneben ist weiter davon auszugehen, dass (jedenfalls im September 2003) ein Kautionsrückzahlungsanspruch in Höhe von 3.000,-- EUR gegen Herrn K. bestanden hat. Ob daneben noch eine Lebensversicherung bestand (hierauf deutet eine Überweisung am 6. Mai 2003 in Höhe von 647,63 EUR zugunsten der Volksfürsorge - Deutsche Lebensversicherung AG - hin) kann dahinstehen. Ferner ist festzustellen, dass die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ohne Angabe eines Datums lediglich vom Antragsteller zu 1), nicht jedoch von der Antragstellerin zu 2) unterzeichnet worden ist. Ferner haben die Antragsteller ihre ohnehin unvollständigen Angaben nicht ausreichend belegt. Dem Antragsformular war lediglich eine Verdienstbescheinigung für den Monat August 2003 beigefügt. Weitere Unterlagen - insbesondere zu den Vermögensangaben - fehlten.

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Die im November 2003 nachgereichte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller ist ebenfalls unvollständig (Angaben über Bausparkonten fehlen und die Erklärung über Bank- und Girokonten ist offensichtlich falsch) und zudem nicht innerhalb der angeführten Rechtsmittelfrist vorgelegt worden.

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Da innerhalb der Beschwerdefrist kein den gesetzlichen Erfordernissen (§§ 166 VwGO, 117 ZPO) entsprechender Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei Gericht eingegangen ist, hätte den Antragstellern wegen der Versäumung der Beschwerdefrist nur dann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden können, wenn sie unverschuldet durch besondere Umstände daran gehindert gewesen wären, ein ordnungsgemäßes Prozesskostenhilfegesuch rechtzeitig einzureichen. Dafür gibt es aber keine Anhaltspunkte. Es war den Antragstellern auch bekannt, dass mit dem Antrag auf Prozesskostenhilfe eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisses einzureichen ist. Dass es den Antragstellern ohne Verschulden nicht möglich gewesen sein soll, zutreffende und vollständige Angaben zu machen, ist nicht ersichtlich. Diesbezüglich greift der Einwand, es handele sich bei den Antragstellern um „rechtliche Laien“, nicht durch.

13

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts I. - Einzelrichter der 9. Kammer - vom 3. September 2003 ist abzulehnen, weil die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg fehlt (§§ 166 VwGO, 114 ZPO). Wie dargelegt ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich daneben, dass die Antragsteller keine den Anforderungen des § 117 ZPO genügende Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben haben.