Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 16.09.2009, Az.: L 2 R 235/09
Dauerhaftigkeit einer Tätigkeit bei einer im Voraus begrenzten lediglich vorübergehenden Tätigkeit für einen Auftraggeber
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 16.09.2009
- Aktenzeichen
- L 2 R 235/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 27489
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2009:0916.L2R235.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 11.03.2009 - AZ: S 4 R 160/05
Rechtsgrundlage
- § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch aus dem Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger, ein gelernter Diplom-Designer, im Zeitraum Januar 2001 bis Oktober 2003 Pflichtmitglied der Rentenversicherung nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI war.
Die Ehefrau des Klägers ist Geschäftsfrau und unter anderem Inhaberin der D. (im Folgenden: Grundstücksgesellschaft). Das von beiden gemeinsam veranlagten Eheleuten versteuerte Einkommen belief sich im streitigen Zeitraum auf mehrere Millionen Euro im Jahr.
Der Kläger befasste sich im streitigen Zeitraum zum einen mit einer freiberuflichen Designertätigkeit, bezüglich derer allerdings nicht ersichtlich ist, dass sie wirtschaftliche Erträge erbracht hat. Daneben übernahm er als Berater einzelne Aufträge. Im Einzelnen hat er im streitbetroffenen Zeitraum für die Grundstücksgesellschaft folgende Beratungsprojekte durchgeführt:
Im Zeitraum vom 6. Februar bis 11. Mai 2001 hat er für eine "Beratung bei der Selektion einer Spezial-Software" 34 Arbeitsstunden als Berater aufgewandt; hierfür hat er mit Rechnung vom 10. Mai 2001 6.820,80 DM berechnet.
Im Rahmen einer "Beratung bei der Personalsuche" im Frühjahr 2001 hat er das Anforderungsprofil für die zu besetzende Stelle eines leitenden Angestellten abgeklärt, Vorgespräche mit dem Kandidaten geführt, an zwei Kontaktterminen zwischen diesem und der Grundstücksgesellschaft teilgenommen und bei den Vertragsverhandlungen vermittelt. Dafür hat er mit Rechnung vom 15. Mai 2001 pauschal 39.440 DM in Rechnung gestellt.
Im Rahmen einer "Beratung zur Entwicklung der Firmenstrategie" hat der Kläger 2002 insgesamt 14 "Manntage" gearbeitet; dafür hat er der Grundstücksgesellschaft mit Rechnung vom 23. August 2002 insgesamt 15.590,40 EUR in Rechnung gestellt.
Im Jahr 2003 erforderte eine "Beratung zur Findung und Entwicklung eines neues Geschäftsfeldes" folgende Einsätze des Klägers: Im März 2003 leistete er sechs "Manntage", für die er mit Rechnung vom 7. April 2003 5.800 EUR abrechnete. Für acht im April erbrachte "Manntage" stellte er am 14. Mai 2003 7.733,67 EUR in Rechnung. Für zwei "Manntage" im Mai und sechs im Juni 2003 berechnete er am 7. Juli 2003 7.733,67 EUR. Schließlich wurden für jeweils sechs im Juli und August 2003 abgeleistete "Manntage" mit Rechnungen vom 4. August 2003 und 10. September 2003 jeweils 5.800 EUR angefordert.
Für eine E. berechnete der Kläger ferner am 7. August 2002 für die "Information und Vermittlung sowie Verfügungsstellung von Objektunterlagen" 3.132 EUR.
Außer den vorstehend aufgeführten Projekteinsätzen hat der Kläger keine weiteren entgeltlichen Tätigkeiten für seine Ehefrau oder für die ihr gehörenden Unternehmen erbracht; die oben genannten Rechnungsbeträge sind jeweils beglichen worden.
Seit November 2003 ist der Kläger bei einer GmbH als Geschäftsführer beschäftigt.
Mit Bescheid vom 30. März 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juni 2005 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger aufgrund seiner "selbständigen Tätigkeit F. " im Zeitraum Januar 2001 bis Oktober 2003 versicherungspflichtig gewesen sei, da er überwiegend nur für einen Auftraggeber tätig gewesen sei. Es habe eine faktische Bindung an einen Auftraggeber bestanden. Auf die diesbezüglich zu erbringenden Pflichtbeiträge würden die für den betroffenen Zeitraum bereits in Höhe von 2.219,39 EUR gezahlten freiwilligen Beiträge angerechnet.
Mit der am 27. Juli 2005 erhobenen Klage hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, dass er in keinem Dauerauftragsverhältnis gestanden, sondern lediglich einzelne projektbezogene Aufträge übernommen habe. Er sei weder rechtlich noch tatsächlich in seinem unternehmerischen Spielraum eingeschränkt gewesen.
Mit Urteil vom 11. März 2009, der Beklagten zugestellt am 3. April 2009, hat das Sozialgericht Stade unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass der Kläger in dem streitbetroffenen Zeitraum von Januar 2001 bis Oktober 2003 nicht rentenversicherungspflichtig gewesen sei. Der Kläger sei nicht "arbeitnehmerähnlich" im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI tätig gewesen. Die gesetzlichen Vorgaben erfassten nur unzureichend die besondere Situation von Selbständigen, deren geschäftsmäßiger Schwerpunkt in der eigenständigen Entwicklung von erst mittelfristig zu vermarktenden Produkten liege. Zudem müsse in extremen Ausnahmefällen eine Berücksichtigung der konkreten wirtschaftlichen Verhältnisse und einer daraus abzuleitenden fehlenden sozialen Schutzbedürftigkeit möglich sein. Der Kläger in seiner konkreten Lebenssituation unterfalle eindeutig nicht dem Schutzzweck des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI.
Mit ihrer am 29. April 2009 eingelegten Berufung weist die Beklagte darauf hin, dass die freiberufliche Tätigkeit des Klägers als Designer ohne wirtschaftliche Bedeutung gewesen sei. Der Tatbestand des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI fordere auch keine "Arbeitnehmerähnlichkeit" der selbständigen Tätigkeit. Mit Rücksicht auf die Notwendigkeit von Typisierungen könne es auf eine individuelle soziale Schutzbedürftigkeit nicht ankommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 11. März 2009 aufzuheben und die Versicherungspflicht des Klägers für die Zeit vom 1. Januar 2001 bis 31. Oktober 2003 gemäß § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI festzustellen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung, über die der Senat mit dem von beiden Beteiligten im Erörterungstermin erklärten Einverständnis durch seinen Vorsitzenden als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zutreffend, wenngleich hinsichtlich der Begründung weniger überzeugend, festgestellt, dass der Kläger im streitbetroffenen Zeitraum vom 1. Januar 2001 bis Oktober 2003 nicht rentenversicherungspflichtig war.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des allein in Betracht zu ziehenden Pflichtversicherungstatbestandes nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI lagen nicht vor. Nach dieser Norm sind selbständig tätige Personen, die (a) im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und (b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind, pflichtversichert in der gesetzlichen Rentenversicherung; bei Gesellschaftern gelten als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft.
Im streitbetroffenen Zeitraum war der Kläger in zweifacher Hinsicht freiberuflich tätig: Zum einen befasste er sich als selbständiger Diplom-Designer mit dem Entwurf von Gebrauchsgegenständen etwa in Form eines sog. Objektträgers, also einer Art Zeitungsständer. Dieser Teil seiner freiberuflichen Tätigkeit war nach Aktenlage nicht mit wirtschaftlichen Erträgen verbunden; es bestehen schon Zweifel, ob sie überhaupt ernsthaft auf eine Gewinnerzielung ausgerichtet war und den Rahmen einer Liebhaberei verlassen hat. Jedenfalls gab es für diese Entwurfstätigkeit ohnehin keinen konkreten Auftraggeber; der Kläger war in diesem Zusammenhang aufgrund eigener Initiative tätig.
Daneben hat der Kläger im Rahmen einer der Wirtschaftsberatung zuzuordnenden selbständigen Tätigkeit im streitbetroffenen Zeitraum die im Tatbestand im Einzelnen aufgelisteten Beratungsprojekte übernommen, die er - mit, wie dargelegt, einer Ausnahme - für die seiner Ehefrau gehörenden Grundstücksgesellschaft durchgeführt hat. Auch wenn diese freiberufliche Tätigkeit aufgrund ihrer spezifischen Zielsetzung und ihrer ganz anders gelagerten wirtschaftlichen Ausrichtung als eigenständige selbständige Tätigkeit einer gesonderten Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI zugänglich ist, so fehlen doch diese auch bezogen allein auf die wirtschaftsberatende Tätigkeit.
Nach dem klaren Wortlaut des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI werden von dieser Norm nicht alle selbständigen Tätigkeiten mit (im Wesentlichen) nur einem Auftraggeber erfasst, sondern vielmehr nur solche, die auch "auf Dauer" nur für diesen einen Auftraggeber durchgeführt werden. Von der erforderlichen Dauerhaftigkeit der Tätigkeit für nur einen Auftraggeber ist dann auszugehen, wenn die Tätigkeit im Rahmen eines Dauerauftragsverhältnisses oder eines regelmäßig wiederkehrenden Auftragsverhältnisses erfolgt. Bei einer im Voraus begrenzten lediglich vorübergehenden Tätigkeit für einen Auftraggeber ist grundsätzlich keine Dauerhaftigkeit dieser Tätigkeit anzunehmen; dies gilt namentlich bei projektbezogenen Tätigkeiten (vgl. Gemeinsames Rundschreiben der Spitzenorganisation der Sozialversicherung zum Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999, NZA 2000, 190, und Fichte in Hauck/Noftz, § 2 SGB VI, Rn. 83).
Im vorliegenden Fall hat der Kläger für die Grundstücksgesellschaft in dem streitbetroffenen 34 Kalendermonate umfassenden Zeitraum lediglich vier einzelne Beratungsprojekte durchgeführt. Zwischen diesen lagen zum Teil mehrmonatige Pausen, während derer er für die Auftraggeberin überhaupt nicht tätig war. Insgesamt hat sich sein Einsatz für die Grundstücksgesellschaft in diesen 34 Monaten nur auf geschätzt etwa 55 Arbeitstage belaufen und damit nicht einmal 10% der üblichen Arbeitszeit erreicht. Damit hat es sich lediglich um projektbezogene Tätigkeiten gehandelt, der Einsatz des Klägers für die Auftraggeberin hat in keiner Weise die für die Annahme einer "auf Dauer" ausgerichteten Tätigkeit erforderliche Stetigkeit erreicht.
Die Beklagte hat- ungeachtet vorausgegangenen richterlichen Hinweises - sich im Berufungsverfahren nicht einmal in der Lage gesehen, nachvollziehbar aufzuzeigen, aus welchen Erwägungen heraus sie das Tatbestandsmerkmal der Dauerhaftigkeit als gegeben ansehen will.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.-