Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 16.09.2009, Az.: L 4 KR 216/07
Beurteilung eines hauptsächlich in der Gestaltung und dem Entwurf von Bekleidungsstücken tätigen Schneiders als Künstler i.S.d. § 2 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG)
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 16.09.2009
- Aktenzeichen
- L 4 KR 216/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 26257
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2009:0916.L4KR216.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen - 07.06.2007 - AZ: S 4 KR 177/05
- nachfolgend
- BSG - 10.03.2011 - AZ: B 3 KS 4/10 R
Rechtsgrundlagen
- § 1 KSVG
- § 2 KSVG
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 7. Juni 2007 wird geändert. Es wird festgestellt, dass die Klägerin seit dem 1. Januar 2006 versicherungspflichtig nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz ist. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen zu vier Fünfteln.
Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Feststellung von Versicherungspflicht in der Künstlersozialkasse (KSK).
Die im August 1959 geborene Klägerin absolvierte ein Studium der Erziehungswissenschaft und erlernte den Beruf einer Damenschneiderin. Im Januar 2005 wandte sie sich an die Beklagte und stellte einen Antrag auf Aufnahme in die KSK. In einem von ihr ausgefüllten Fragebogen gab sie an, dass sie seit Juni 2004 in dem Gemeinschaftsatelier "D." in Bremen selbständig tätig sei. Sie habe eine Ich-AG gegründet und dafür einen Existenzgründungszuschuss erhalten. Sie entwerfe Kleidungsstücke und Accessoirs aus verschiedenen Materialien, die anderweitig gefertigt und von ihr vermarktet würden.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 14. März 2005 die Feststellung von Versicherungspflicht in der KSK mit der Begründung ab, dass die Tätigkeit der Klägerin in erster Linie von handwerklichen Aspekten geprägt werde. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung begründeten diese Tätigkeiten keine Versicherungspflicht in der KSK.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 13. April 2005 Widerspruch ein und machte geltend, dass die Beklagte ihre Tätigkeit nicht richtig bewerte. Ihre Arbeit werde durch die Anfertigung von Entwürfen geprägt, nicht von der handwerklichen Näharbeit. Ihre Tätigkeit sei am ehesten mit der eines Bildhauers vergleichbar. Sie habe mit ihren Arbeiten auch an einer Begleitveranstaltung der Kunsthalle Bremen zur Ausstellung "Monet und Camille - Frauenportraits im Impressionismus" teilgenommen.
Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 7. November 2005 zurück. Es sei zwar einzuräumen, dass die Arbeit der Klägerin gestalterische Elemente mit eigenschöpferischem Charakter aufweise. Im Vordergrund stehe aber die handwerkliche Prägung der Arbeit.
Mit ihrer am 9. Dezember 2005 bei dem Sozialgericht (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass sie als Künstlerin zu erachten sei. Sie nehme mit ihren Entwürfen an einschlägigen Märkten und Messen teil. Mit dem Schneiderhandwerk könne ihre Tätigkeit nicht verglichen werden, weil nicht die Anfertigung der Kleidungsstücke, sondern deren Entwurf bei ihrer Arbeit im Vordergrund stehe. In erster Linie sei sie eigenschöpferisch tätig, was sich in der Vielzahl der verwendeten Materialien und der Verschiedenartigkeit der Kleidungsstücke ausdrücke. Die Anfertigung der Entwürfe überlasse sie anderen.
Das SG Bremen hat der Klage durch Urteil vom 7. Juni 2007 stattgegeben, die Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass die Klägerin auf Grund ihrer Betätigung der Versicherungspflicht in der KSK unterliege. Der Kunstbegriff werde imKünstlersozialversicherungsgesetz nicht näher definiert. Die Definitionsansätze in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seien insbesondere in Bezug auf die Tätigkeit von Modedesignern, die ihre Entwürfe, wie die Klägerin, nicht selbst herstellten, nicht frei von Widersprüchen. Es erscheine nicht sachgerecht, danach zu differenzieren, ob die Entwürfe selbst oder fremd vermarktet würden. Bei Industrie- oder Web-Designern gehe das Bundessozialgericht (BSG) von Versicherungspflicht in der KSK aus. Ein Unterschied zur Tätigkeit der Klägerin könne nicht ausgemacht werden. Sie sei daher als Künstlerin zu erachten. Vor diesem Hintergrund komme es auf den vom BSG entwickelten Gesichtspunkt der Anerkennung in Künstlerkreisen nicht an.
Gegen dieses ihr am 29. Juni 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 10. Juli 2007 Berufung eingelegt. Sie macht geltend, dass das SG die höchstrichterliche Rechtsprechung unrichtig auslege. Das BSG habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass handwerklich geprägte Tätigkeiten nicht der Versicherungspflicht in der KSK unterlägen. Dies gelte auch für Tätigkeiten, die als Kunsthandwerk bezeichnet würden. Nur wenn ein Endprodukt hergestellt werde, aus dem kein eigener Gewinn oder eigene Wertschätzung geschöpft werde, könne die Anfertigung als Kunst betrachtet werden. Die Klägerin vermarkte nach ihrem eigenen Vorbringen aber ihre Entwürfe selbst.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 7. Juni 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für rechtmäßig. Sie weist darauf hin, dass sie seit 2006 nicht mehr im Gemeinschaftsatelier "D. " tätig sei. Sie gehöre nun dem Verband Deutscher Mode- und Textildesigner (VDMD) an und habe den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf Gestaltung und Entwurf von Bekleidungsstücken unter dem Label "E. " verlegt. Sie nehme an wichtigen Verkaufsausstellungen teil, die eine vorherige Auswahl durch eine Jury voraussetzten. Kunden aus dem Einzelhandel gäben auf den Ausstellungen ihre Bestellungen für die gezeigten Entwürfe ab, die anschließend in der bestellten Zahl gefertigt würden. Sie habe ferner reine Entwurfsarbeiten für Firmen und Theater ausgeführt. Ihrer Auffassung nach müsse ihre Arbeit der Kunstsparte Design und damit der bildenden Kunst zugeordnet werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 und § 144 Abs. 1 Ziffer 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgelegt eingelegt worden, mithin zulässig.
Sie ist im Wesentlichen unbegründet. Das SG hat die Klägerin zu Recht als nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) versicherungspflichtige Künstlerin angesehen. Allerdings vermag der erkennende Senat das Vorliegen der Künstlereigenschaft der Klägerin erst ab dem 1. Januar 2006 anzunehmen. Das Urteil des SG war daher entsprechend zu ändern.
Nach § 1 KSVG werden selbständige Künstler und Publizisten in der allgemeinen Rentenversicherung, in der gesetzlichen Krankenversicherung und in der sozialen Pflegeversicherung versichert, wenn sie
- 1.
die künstlerische oder publizistische Tätigkeit erwerbsmäßig und nicht nur vorübergehend ausüben und
- 2.
im Zusammenhang mit der künstlerischen oder publizistischen Tätigkeit nicht mehr als einen Arbeitnehmer beschäftigen, es sei denn, die Beschäftigung erfolgt zur Berufsausbildung oder ist geringfügig im Sinne des § 8 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch.
Künstler im Sinne des KSVG ist nach § 2 des Gesetzes, wer Musik, darstellende oder bildende Kunst schafft, ausübt oder lehrt.
Das KSVG nimmt damit eine an der Typologie der Ausübungsformen orientierte Einteilung in Kunstgattungen vor, die zur Differenzierung bei der Abgabenerhebung dient (§§ 1 und 2 der KSVGDV). Der Kunstbegriff wird aber materiell nicht definiert. Dieser ist vielmehr als dem Regelungszweck des KSVG unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung zu erschließen (vgl Urteile des BSG vom 20. März 1997 - 3 RK 15/96 R = SGb 1998, 133 f; vom 24. Juni 1998 - B 3 KR 13/97 R = SozR 3-5425 § 2 Nr. 8 = BSGE 82, 164 f). Der dem KSVG zugrunde liegende Kunstbegriff verlangt eine eigenschöpferische Leistung, die allerdings kein besonderes hohes Niveau haben muss (BSG a.a.O.).
Die Betätigung der Klägerin besteht in der Herstellung von Entwürfen von Bekleidungsstücken und Accessoirs. Damit ist die Betätigung der Klägerin dem Bereich der bildenden Kunst zuzuordnen, denn nach § 2 Abs. 2 Nr. 9 der Verordnung zur Durchführung desKünstlersozialversicherungsgesetzes vom 23. Mai 1984 (BGBl. I 709) gehören zur "bildenden Kunst" unter anderem die selbständigen Tätigkeiten als Grafik-, Mode-, Textil-, Industrie-Designer und Layouter.
Die Klägerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat erläutert, dass sie seit ihrem Ausscheiden aus dem Gemeinschaftsatelier "D. " zum Ende des Jahres 2005 an der Herstellung von Bekleidungsstücken und Accessoirs nicht mehr mitwirkt. Sie lässt ihre Entwürfe seitdem von freien Mitarbeitern oder Praktikanten herstellen.
Seitdem sie sich mit dem Label "E. " selbständig gemacht hat, hat sie zum Beispiel an dem Entwurf einer Wickelweste aus gewalktem Wollstoff an einer Schneiderpuppe wochenlang gearbeitet, während die Herstellung einer entsprechenden Weste innerhalb eines Zeitraumes von ca. einer halben Stunde erfolgen kann. Aus dieser beispielhaften Tätigkeitsbeschreibung folgt, dass ganz im Vordergrund der Tätigkeit der Klägerin die eigenschöpferische Entwicklung von Entwürfen steht, während die rein handwerkliche Anfertigung der Bekleidungsstücke oder Accessoirs über das Entwurfsstück hinaus nicht mehr von ihr selbst vorgenommen wird. Vereinzelt hat sie auch Entwürfe für Theaterkostüme gefertigt oder an Begleitveranstaltungen für Kunstausstellungen mitgewirkt. Damit gibt die künstlerische Tätigkeit der Beschäftigung der Klägerin das maßgebliche Gepräge und nicht die handwerkliche Tätigkeit einer Schneiderin.
Dieser Einschätzung des Senates steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Entwürfe selbst vermarktet, denn dieser Teil ihrer Tätigkeit ist nicht so ausgeprägt, dass er den künstlerischen Anteil der Arbeit überwiegt. Nach ihrer glaubhaften Schilderung nimmt sie etwa an 2 bis 7 Tagen im Monat an Messen oder Ausstellungen teil, die zuvor eine Auswahl durch eine Jury voraussetzen. Sie verkauft dort Einzelstücke oder Kleinserien ihrer Entwürfe.
Bei dieser Sachlage folgt der Senat der Einschätzung des Sozialgerichts, wonach die Tätigkeit der Klägerin als künstlerische Tätigkeit aufzufassen ist und sie damit auch der Versicherungspflicht in der Künstlersozialkasse unterliegt. Allerdings vermag der Senat diese Einschätzung erst für die Zeit ab dem 1. Januar 2006, also für ihre eigenständige Betätigung unter dem Label "E. ", anzunehmen. Denn während ihrer Tätigkeit im Gemeinschaftsatelier "D. " hat sie nach ihrem eigenen Vorbringen noch selbst handwerklich gearbeitet und ihre Entwürfe auch selbst hergestellt bzw. die Entwürfe anderer Kolleginnen gefertigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.
Rechtsmittelbelehrung und Erläuterung zur Prozesskostenhilfe
I. Rechtsmittelbelehrung
Dieses Urteil kann nicht mit der Revision angefochten werden, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Landessozialgericht nicht zugelassen worden ist.
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Revision nur zu, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden.
Als Verfahrensmangel kann eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht und eine Verletzung des § 103 SGG nur gerügt werden, soweit das Landessozialgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
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