Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 22.03.2019, Az.: 8 A 123/18

Arbeitsmarkt; Obdach; Sozialhilfe; Sozialwohnungen

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
22.03.2019
Aktenzeichen
8 A 123/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69660
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

In Bulgarien anerkannten Schutzsuchenden droht auch weiterhin aufgrund der grundlegenden Defizite in den dortigen Aufnahmebedingungen bei einer Abschiebung nach dorthin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK.

Tatbestand:

Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger, reiste am 17. Dezember 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 10. Februar 2015 Asyl. Zuvor wurde dem Kläger bereits in Bulgarien internationaler Schutz gewährt.

Mit Bescheid vom 6. März 2015 lehnte die Beklagte den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab und drohte seine Abschiebung nach Bulgarien an. Mit Urteil vom 10. Februar 2016 (Az. 6 A 82/15) hob das Gericht die Abschiebungsandrohung auf, weil eine Abschiebungsanordnung hätte erlassen werden müssen. Mit Bescheid vom 10. Januar 2017 stellte die Beklagte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen und drohte die Abschiebung des Klägers nach Bulgarien an. Das Gericht hob den Bescheid insoweit mit Urteil vom 13. April 2017 (8 A 17/17) auf, weil hinsichtlich Bulgarien die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorlägen.

Am 24. April 2018 erließ die Beklagte einen weiteren Bescheid, mit dem sie feststellte, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 1) und den Antragsteller aufforderte, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. im Falle einer Klageerhebung nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und drohte ihm anderenfalls seine Abschiebung nach Bulgarien an (Ziff. 2 Sätze 1 und 2). Weiter tenorierte sie, dass der Antragsteller nicht nach Syrien abgeschoben werden dürfe (Ziff. 2 Satz 4). Unter Ziff. 3 des Bescheides befristete sie das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass Schutzberechtigte Zugang zum bulgarischen Arbeitsmarkt hätten und auch immer häufiger eine Beschäftigung finden würden. Zudem würde ihnen Sozialhilfe gewährt und ihre Unterbringung sei mit der Integrationsverordnung Sache der Kommunen geworden. Bis zum 1. März 2018 seien allerdings keine Integrationsvereinbarungen abgeschlossen worden. Konkrete Informationen über eine Obdachlosigkeit von anerkannten Schutzberechtigten lägen nicht vor.

Hiergegen hat der Kläger am 2. Mai 2018 Klage erhoben. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass anerkannte Schutzberechtigte in Bulgarien menschen- und europarechtswidrigen Verhältnissen ausgesetzt seien.

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 24. April 2018 aufzuheben und auch festzustellen, dass zugunsten des Klägers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Die Beteiligten haben mit ihren Erklärungen vom 27. Juni 2017 (allgemeinen Prozesserklärung der Beklagten), 9. Mai 2018, 16. August 2018 und 20. März 2019 auf die Übersendung einer Erkenntnismittelliste und auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die im Einverständnis der Beteiligten gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist weitestgehend zulässig und begründet. Lediglich soweit der Kläger beantragt, den Bescheid auch insoweit aufzuheben, als dort festgestellt wird, dass er nicht nach Syrien abgeschoben werden kann (Ziff. 2 Satz 4), ist die Klage unzulässig. Die Aufhebung dieses Ausspruchs würde dem Kläger keinen rechtlichen Vorteil bringen.

Der vom Kläger angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 24. April 2018 ist rechtswidrig und verletzt ihn dadurch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Denn der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Bulgariens (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Aufgrund des Anspruchs des Klägers ist die Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist sowie die Bestimmung der Dauer des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes rechtswidrig und aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Dem Kläger droht aufgrund der aktuellen grundlegenden Defizite im Hinblick auf die Aufnahmebedingungen in Bulgarien bei einer Abschiebung nach dorthin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK (vgl. auch OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 24.05.2018 - 4 LB 17/17 -, juris Rn. 57 ff.; OVG Saarland, Urt. v. 19.04.2018 - 2 A 737/17 -, juris Rn. 18 ff.; vgl. für eine Mutter mit zwei Kleinkindern: Thüringer OVG, Urt. v. 21.12.2018 - 3 KO 337/17 -, juris; VG Magdeburg, Urt. v. 06.02.2019 - 8 A 42/19 -, juris Rn. 20 ff.; offengelassen: OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 15.11.2018 - OVG 3 S 87.18 -, juris; a.A. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 22.08.2018 - 3 L 50/17 -, juris Rn. 14 ff.; VG Düsseldorf, Beschl. v. 18.02.2019 - 22 L 340/19.A -, juris Rn. 16 ff.). Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat hierzu in seinem Urteil vom 29. Januar 2018 (Az. 10 LB 82/17; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 13.08.2018 - 1 B 24.18 -, juris) ausgeführt:

„aa) Anerkannten Schutzberechtigten droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Obdachlosigkeit, weil sie in der Regel faktisch keinen Zugang zu Wohnraum haben.

Anerkannte Flüchtlinge haben nach Art. 32 Abs. 3 des Asyl- und Flüchtlingsgesetzes (LAR) der Republik Bulgarien sechs Monate lang Anspruch auf staatliche finanzielle Unterstützung für eine Unterkunft (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht vom 18. Juli 2017, im Folgenden: AA 18.07.2017, S. 8). Dieser Anspruch wird aber in der Praxis nicht umgesetzt (aida, Country Report: Bulgaria, 31.12.2016, S. 68). Stattdessen hat sich etabliert, dass die anerkannten Schutzberechtigten auf Antrag und abhängig von der Belegungsrate für bis zu sechs Monaten, in besonderen Einzelfällen auch länger in den Flüchtlingsunterkünften bleiben dürfen, denen sie zur Durchführung des Asylverfahrens zugewiesen wurden. Diese Praxis wird aber nicht auf anerkannte Schutzberechtigte und Dublin-Rückkehrer angewandt, die aus welchen Gründen auch immer zwischenzeitlich diese Unterkünfte verlassen haben. Deshalb besteht gerade für diese die Gefahr, in Bulgarien obdachlos zu werden (Expertise der Rechtsanwältin Valeria Ilareva, PhD, vom 07.04.2017, im Folgenden: Ilareva 07.04.2017, S. 8 f.; AA 18.07.2017, S. 8). Aus diesen Gründen vermag sich der Senat auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnislage nicht der gegenteiligen Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt anzuschließen, wonach anerkannte Schutzberechtigte entweder in Asylunterkünften untergebracht würden oder doch zumindest an einer Kurzzeitunterbringung durch die Flüchtlingsbehörde partizipieren könnten (Beschluss vom 31.08.2016 – 3 L 94/16 –, juris Rn. 12).

Der Vertreter der Beklagten hat dieser Einschätzung des Senats in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf eine von ihm behauptete „Auskunft der Agentur für soziale Unterstützung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 27.09.2016“ widersprochen, wonach es für Bedürftige die Möglichkeit geben soll, in zwei kommunalen „Krisenzentren“ in Sofia während der Wintermonate bis zu 170 Personen unterzubringen. Ferner stünde für bis zu 607 Personen eine kostenlose Unterkunft in einem von landesweit zwölf „Zentren für temporäre Unterbringung“ zur Verfügung, allerdings nur für maximal drei Monate. Diese Auskunft hat der Senat indes nicht überprüfen können. Die angegebene Internetseite mit weiteren Informationen (http://www.asp.government.bg/ASP_Client/ClientServlet?cmd=add_content&lng=1&sectid=24&s1=23&selid=23) ist nämlich nicht (mehr) aufrufbar (so auch bereits VG Göttingen, Urteil vom 11.12.2017 – 3 A 186/17 –, juris Rn. 44). Abgesehen davon, dass es zweifelhaft erscheint, ob die behaupteten „kommunalen Krisenzentren“ bzw. „Zentren für temporäre Unterbringung“ auch rückübererstellten anerkannten Schutzberechtigten und nicht lediglich bulgarischen Obdachlosen offenstehen und ob sie in der Lage wären, eine größere Zahl von rücküberstellten Schutzberechtigten aufzunehmen, sind die von der Beklagten zum Beleg der behaupteten Unterkunftsmöglichkeiten genannten Erkenntnismittel aber jedenfalls veraltet bzw. überholt. Sie stammen nämlich aus den Jahren 2001 (National Legislative Bodies/National Authorities, 2001, Bulgaria: Regulations for Implementation of the Law for Social support - diese Quelle ist von der Beklagten zusätzlich angeführt worden) und 2016 (siehe oben). Dem Senat liegen mit den zitierten Auskünften, insbesondere des Auswärtigen Amtes vom 18. Juli 2017 und der Rechtsanwältin Dr. Ilareva vom 7. April 2017 jüngere Erkenntnismittel vor, die keinen Hinweis auf die von der Beklagten angeführten Unterbringungsmöglichkeiten enthalten. Danach können rücküberstellte anerkannte Schutzberechtigte die zur Verfügung stehenden Unterkünfte, z. B. in den Aufnahmezentren der staatlichen Flüchtlingsagentur, gerade nicht in Anspruch nehmen und sind deshalb von Obdachlosigkeit bedroht (Ilareva 07.04.2017, S. 8 f.).

Es existieren auch keine staatlichen Wohnbeihilfen, damit sich anerkannte Schutzberechtigte außerhalb der Flüchtlingszentren eine Unterkunft auf dem privaten Wohnungsmarkt beschaffen können (AA 18.07.2017, S. 7). Es besteht zwar eine sehr begrenzte Auswahl von Sozialwohnungen (AA 18.07.2017, S. 8). Nach bulgarischem Recht entscheidet jedoch jede Gemeinde selbständig über die Gewährung einer Sozialwohnung. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialwohnungen können Flüchtlinge (etwa im Raum Sofia) realistischerweise nicht erfüllen (vgl. Ilareva 07.04.2017, S. 9).

Die Bemühungen der Republik Bulgarien, die Situation anerkannter Schutzberechtigter auch im Hinblick auf deren Unterbringung auf kommunaler Ebene mit Hilfe der Gemeinden zu verbessern, sind bislang unzureichend. Am 12. August 2016 verabschiedete die Republik Bulgarien die „Verordnung über die Bedingungen und das Verfahren für den Abschluss, die Umsetzung und die Aufhebung eines Abkommens über die Integration von Ausländern mit gewährtem Asyl oder internationalem Schutz“. Danach konnte zwischen einem anerkannten Schutzberechtigten und einer Gemeinde ein Integrationsabkommen abgeschlossen werden. Diese Verordnung wurde am 31. März 2017 aufgehoben. Keine Gemeinde hatte Interesse am Abschluss einer solchen Vereinbarung gezeigt (Ilareva 07.04.2017, S. 5 f.). Am 25. Juli 2017 wurde eine neue Verordnung mit identischem Titel erlassen (http://dv.parliament.bg/DVWeb/showMaterialDV.jsp?idMat=116399, zuletzt aufgerufen am 20.11.2017). Nach der neuen Verordnung muss der Bürgermeister, der mit einem Flüchtling eine Integrationsvereinbarung abschließt, Unterstützung bei der Unterbringung des Ausländers und seiner Familienangehörigen leisten (AA 18.07.2017, S. 8). Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat den Erlass der Verordnung in einer Erklärung vom 24. Juli 2017 begrüßt (http://www.unhcr.org/bg/3272-агенцията-на-оон-за-бежанците-приветс.html, zuletzt aufgerufen am 20.11.2017, übersetzt mit google translate), aber bemängelt, dass auch die neue Verordnung darauf basiere, dass sich die Kommunen zum Abschluss einer Integrationsvereinbarung bereit erklärten. An dieser Bereitschaft fehle es. Zudem biete die Verordnung keine wesentliche Unterstützung für einige der bedeutendsten und wichtigsten Hindernisse für eine effektive Integration, etwa dem Zugang von Flüchtlingen zu Sozialwohnungen. Die Staatliche Agentur für Flüchtlinge hat überdies laut einem Pressebericht im November 2017 mitgeteilt, keine Gemeinde habe im Zeitraum seit Erlass der neuen Verordnung im Juli 2017 – wie auch bereits unter Geltung der Vorgänger-Verordnung – den erforderlichen Antrag gestellt, um mit einem anerkannten Schutzberechtigten eine Integrationsvereinbarung abzuschließen (http://econ.bg/Новини/Нито-една-община-не-е-пожелала-да-интегрира-бежанци_l.a_i.752825_at.1.html, zuletzt aufgerufen am 21.11.2017, übersetzt mit google translate). Soweit in Artikel 18 der neuen Verordnung dem Ausländer im Falle einer teilweisen oder vollständigen Nichterfüllung der Vereinbarung ein Widerspruchsrecht eingeräumt ist, setzt dieses Widerspruchsrecht den Abschluss einer solchen Integrationsvereinbarung voraus, der jedoch an der fehlenden Bereitschaft der Gemeinden scheitert. Dies zeigt, dass auch die neue Verordnung von vornherein kein geeignetes Instrument ist, die Situation anerkannter Schutzberechtigter u. a. im Hinblick auf ihre Versorgung mit einer Unterkunft zu verbessern, und der bulgarische Staat keine geeigneten Maßnahmen zur Erreichung dieses Zwecks ergreift. Daraus ergibt sich nach Auffassung des Senats, dass sich die anerkannten Schutzberechtigten, die sich in einer gravierenden Mangel- und Notsituation befinden und von staatlicher Unterstützung vollständig abhängig sind, letztlich staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sehen.

Die Beschaffung von Wohnraum am freien Wohnungsmarkt ist auch dann nach Darstellung des UNHCR ein großes Problem, wenn finanzielle Mittel zur Anmietung von Wohnraum vorhanden sind (UNHCR Bulgarien, 2016 Age, Gender and Diversity Participatory Assessment (AGD PA) Report, S. 10). Durch den Mangel an gezielter Unterstützung im Wohnungswesen müssten sich Statusinhaber durch Immobilienagenturen, Landsleute, Rechtsanwälte und Freiwillige ihren eigenen Wohnraum suchen. Die Vermittler nutzten häufig die Unerfahrenheit der Begünstigten mit den örtlichen Verhältnissen, ihr fehlendes bulgarisches Sprachwissen und ihren verzweifelten Bedarf an Wohnraum aus und verlangten von ihnen höhere Provisionen oder Mieten für Räume, denen es selbst am Nötigsten fehle (vgl. auch Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 23.07.2015, S. 2). Einen Vermieter zu finden, der bereit sei, eine Wohnung an Familien von vier oder mehr Personen zu vermieten, sei oft eine Herausforderung. Da keine nachhaltige Lösung existiere, seien vor allem besonders gefährdete Personen von Obdachlosigkeit bedroht (UNHCR Bulgarien, 2016 Age, Gender and Diversity Participatory Assessment (AGD PA) Report, S. 10). Bereits im Jahr 2014 stellte das Bulgarische Flüchtlingskomitee fest, dass die Beschaffung von privatem Wohnraum allenfalls für Personen eine Option sei, deren Verwandte ihnen Geld überweisen könnten oder die über eine Arbeitsstelle verfügten. Hinzu komme, dass Vermieter die Vermietung aus Gründen der Rasse, der Nationalität, der Religion oder wegen der Anzahl der Kinder der Flüchtlinge ablehnen würden (Bulgarian Council on Refugees and Migrants, Monitoring Report on the Integration of Beneficiaries of International Protection in the Republic of Bulgaria In 2014, S. 53; AA 18.07.2017, S. 9).

Auch die Nichtregierungsorganisationen, die in Einzelfällen bei der Wohnungssuche helfen (AA 18.07.2017, S. 9), sind nach Einschätzung des Senats nicht in der Lage, den in Deutschland lebenden anerkannten Schutzberechtigten bei einer Rückkehr nach Bulgarien Unterkünfte zu verschaffen, da deren Hilfen (u. a. Beratung bei der Unterkunftssuche) sich nur im begrenzten Rahmen der jeweiligen Projektfinanzierung bewegen können (Ilareva 07.04.2017, S. 3 ff.).

Im Ergebnis ist die Erlangung des Schutzstatus nach einer Rückkehr daher faktisch in der Regel gleichbedeutend mit Obdachlosigkeit (so ausdrücklich Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Stuttgart vom 23.07.2015, S. 2). Soweit das Saarländische Oberverwaltungsgericht ebenfalls erhebliche Probleme bei der Unterkunftssuche sieht und deshalb eine Abschiebung nur für zulässig erachtet, wenn die Betroffenen in Bulgarien während einer angemessenen “Anlaufzeit“ eine als Meldeadresse geeignete Unterkunft zur Verfügung haben und auf eine solche Anlaufadresse für angemessene Zeit zugreifen können (Saarländisches OVG, Urteil vom 13.12.2016 – 2 A 260/16 –, juris Rn. 28), bestätigt dies im Ergebnis die Auffassung des Senats.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in Bulgarien abweichend von der dargestellten allgemeinen Einschätzung auf (irgend)eine Unterkunft zugreifen kann, sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegt auch keine Zusicherung des Bundesamtes vor, dass dem Kläger in Bulgarien eine konkrete Unterkunft zur Verfügung steht.

bb) Anerkannte Schutzberechtigte haben zudem große Schwierigkeiten, eine Arbeitsstelle zu erlangen, um die für Wohnraum und den übrigen Lebensbedarf benötigten Mittel zu erwirtschaften.

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist anerkannten Schutzberechtigten auch und gerade deshalb versperrt, weil sie über keine Unterkunft verfügen. Die Jobcenter der Agentur für Arbeit unterstützen die eigenen Anstrengungen bei der Arbeitssuche durch Bereitstellung von Informationen über verfügbare Stellen, Möglichkeiten zur Weiterbildung, Berufsausbildung sowie Berufsorientierungskurse und haben eine unter anderem ins Arabische übersetzte Informationsbroschüre herausgegeben. Ohne Unterkunft können sich die Schutzberechtigten aber nicht bei einem Jobcenter der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend melden. Eine solche Anmeldung erfordert nämlich ein Ausweisdokument. Dieses wiederum kann nur beantragt werden, wenn der Schutzberechtigte eine Meldebestätigung vorweisen kann. Für die Meldebestätigung muss er jedoch eine Unterkunft nachweisen können (Ilareva, Bericht über die derzeitige rechtliche, wirtschaftliche und soziale Lage anerkannter Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigter in Bulgarien, 27.08.2015, im Folgenden: Ilareva 27.08.2015, S. 3; Ilareva 07.04.2017, S. 6). Doch selbst nach erfolgreicher Registrierung erweist es sich für die anerkannten Schutzberechtigten als fast unlösbare Aufgabe, ohne Kenntnisse der bulgarischen Sprache einen Arbeitsplatz zu finden (AA 18.07.2017, S. 6; UNHCR Bulgarien, 2016 Age, Gender and Diversity Participatory Assessment (AGD PA) Report, S. 10; UNHCR, Bulgarien als Asylland, April 2014, S. 12 f.).

Ohne Registrierung beim Jobcenter können anerkannte Schutzberechtigte zwar möglicherweise am lokalen Arbeitsmarkt Beschäftigung finden. Sie verdienen dort aber nur den Mindestlohn bzw. einen Betrag, der nicht ausreicht, um die monatlichen Ausgaben zu decken (Ilareva 27.08.2015, S. 3; UNHCR Bulgarien, 2016 Age, Gender and Diversity Participatory Assessment (AGD PA) Report, S. 10; insofern in der deutschen Übersetzung der Stellungnahme von Ilareva 07.04.2017, S. 6, unzutreffend wie folgt zitiert: „erhalten […] einen minimalen Lohn, der aber ausreicht, um ihre monatlichen Kosten zu decken.“ Im Original des UNHCR-Berichts und in der Stellungnahme von Ilareva heißt es hingegen: „earning the minimum wage, which is insufficient to cover […]“; vgl. auch Pro Asyl, Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien, April 2015, S. 35). Auch diese Beschäftigungsverhältnisse bieten also keine Gewähr dafür, eine Unterkunft und den übrigen Lebensbedarf finanzieren zu können (a. A. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31.08.2016 – 3 L 94/16 –, juris Rn. 14, jedoch ohne Auseinandersetzung mit der Stellungnahme von Ilareva vom 27.08.2015).

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger abweichend von dieser allgemeinen Einschätzung bessere Möglichkeiten hat, eine seinen Lebensbedarf deckende Arbeitsstelle in Bulgarien zu finden, sind nicht erkennbar.

cc) Die erheblichen Probleme bei der Erlangung einer Unterkunft und einer den Lebensbedarf deckenden Beschäftigung bergen zugleich die Gefahr der Verelendung, da auch kein Zugang zu Sozialhilfe besteht.

Denn die bereits erörterte Registrierung beim Jobcenter ist neben dem Ausweisdokument eine der Voraussetzungen, um einen Antrag auf Sozialhilfe stellen zu können (Saarländisches OVG, Urteil vom 10.01.2017 – 2 A 330/16 –, juris Rn. 30; Ilareva 27.08.2015, S. 4; Ilareva 07.04.2017, S. 7). Ohne Unterkunft besteht für die Schutzberechtigten also auch kein Zugang zu Sozialhilfe, ohne die sie andererseits keine Unterkunft (auf dem freien Wohnungsmarkt) erlangen können (Ilareva 27.08.2015, S. 4). Der Zugang zu einer Meldeadresse ist daher der „Dreh- und Angelpunkt“ für die Schutzberechtigten in Bulgarien (Saarländisches OVG, a.a.O.).

Selbst wenn es anerkannten Schutzbedürftigen möglicherweise mit Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen, die – wie ausgeführt – im Einzelfall helfen, gelingt, Wohnraum zu erlangen, besteht das Risiko, dass die Wohnortgemeinden dennoch nicht bereit sind, die Schutzbedürftigen bei der behördlichen Registrierung zu unterstützen (Ilareva 07.04.2017, S. 10).

Dementsprechend stellte das Bulgarische Flüchtlingskomitee bereits im Jahr 2014 fest, dass anerkannte Schutzberechtigte, die über keine Unterstützung von im Ausland lebenden Verwandten verfügen, in größter Armut leben (Bulgarian Council on Refugees and Migrants, Monitoring Report on the Integration of Beneficiaries of International Protection in the Republic of Bulgaria In 2014, S. 38).

Nach dem oben dargestellten Maßstab sind anerkannte Schutzberechtigte zwar nicht besser zu behandeln als die inländische Bevölkerung. Die Lage der anerkannten Schutzberechtigten unterscheidet sich jedoch grundlegend von der Lebenssituation der bulgarischen Bevölkerung. Sie haben keine sozialen Kontakte, können nicht auf wirksame familiäre oder nachbarschaftliche Hilfe zurückgreifen, sind weitestgehend auf sich allein gestellt und haben vor allem keinen Zugang zu Unterkunft, Arbeitsmöglichkeiten und Sozialhilfe. Hinzu kommen Verständigungsprobleme, da sie die bulgarische Sprache nicht beherrschen und die Angestellten in den Behörden üblicherweise keine Fremdsprache sprechen (Ilareva 27.08.2015, S. 3).“

Diese Ausführungen, denen das Gericht folgt, gelten in vollem Umfang auch für den Kläger. Die Beklagte hat weder Umstände vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich, die in seinem Fall zu einer anderen Beurteilung führen würden. Auch ist weder von der Beklagten dargelegt noch sonst zu erkennen, dass sich die Umstände in Bulgarien seit dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Januar 2018 in entscheidungserheblicher Weise verändert hätten. Vielmehr ist etwa auch noch den aktuellen Erkenntnismitteln zu entnehmen, dass selbst diejenigen anerkannten Schutzberechtigten, die bis zu sechs Monate in einer Aufnahmeeinrichtung verbleiben dürfen, weiter akute Schwierigkeiten haben, sich eine Unterkunft zu sichern und die Hindernisse beim Zugang zu Sozialhilfeleistungen fortbestehen (aida, Country Report: Bulgaria, 2018 Update, v. 31.12.2018, S. 76 f.). Der Zugang zu Sozialwohnungen für Personen mit Schutzstatus ist weiterhin unmöglich, selbst Familien mit Kindern bleiben lediglich Obdachlosenunterkünfte (Thüringer OVG, Urt. v. 21.12.2018 – 3 KO 337/17 –, juris Rn. 57 f.).

Auch der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 22. August 2018 (Az. 3 L 50/17) sind insoweit keine Erkenntnisse zu entnehmen, die zu einer anderen Beurteilung führen. Soweit das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, dass nicht erkennbar sei, dass mittellose Schutzberechtigte ohne private oder familiäre Netzwerke in Bulgarien nicht ihre elementaren Bedürfnisse (Unterkunft, Versorgung) mit Hilfe von Dritten befriedigen könnten (juris, Rn. 14), tritt das Gericht dieser Auffassung nicht bei. Es ist nicht ersichtlich, dass die in der Entscheidung aufgeführten Hilfen der Nichtregierungsorganisationen tatsächlich in der Praxis dazu beitragen würden, die oben dargestellten Schwierigkeiten von anerkannten Schutzberechtigten, insbesondere bei dem Zugang zu Obdach und zum Arbeitsmarkt bzw. zur Sozialhilfe, zu überwinden (vgl. auch VG Magdeburg, Urt. v. 06.02.2019 - 8 A 42/19 -, juris Rn. 24 f.).

Danach wäre eine Abschiebung des Klägers unter Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl.1952 II S. 685) derzeit unzulässig, so dass die Beklagte - wie vom Kläger beantragt - verpflichtet ist, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO i.V.m. § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.