Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 15.03.2019, Az.: 8 B 68/19

England; Großbritannien; Nordirland

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
15.03.2019
Aktenzeichen
8 B 68/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69482
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

I.

Der Antragsteller ist pakistanischer Staatsangehöriger und reiste am 10. Dezember 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 11. Dezember 2018 Asyl beantragte.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) gab er an, dass ein von ihm in England gestellter Asylantrag abgelehnt worden sei, weshalb er weiter nach Deutschland gereist sei. Wäre sein Asylantrag dort nicht abgelehnt worden, wäre er gerne dort geblieben. Weiter erklärte er, Depressionen zu haben und in England in Behandlung gewesen zu sein.

Eine EURODAC-Abfrage des Bundesamtes ergab, dass er am 22. Januar 2016 im Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland einen Asylantrag gestellt hat. Das Bundesamt stellte daraufhin am 8. Januar 2019 gegenüber den Behörden des Vereinigten Königreichs ein Wiederaufnahmeersuchen, welchem diese am 16. Januar 2019 unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b stattgaben.

Die Antragsgegnerin lehnte daraufhin mit Bescheid vom 21. Januar 2019 den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete seine Abschiebung nach Großbritannien mit Nordirland an (Ziffer 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).

Zur Begründung wird in dem Bescheid, der dem Antragsteller am 24. Januar 2019 übergeben wurde, ausgeführt, dass nach der Dublin III-Verordnung Großbritannien und Nordirland für den Asylantrag des Antragstellers zuständig seien. Auch bestünden keine Abschiebungsverbote, weil dort keine systemischen Mängel vorlägen, welche die Vermutung der zuverlässigen Einhaltung der europäischen Menschenrechtskonvention in Großbritannien und Nordirland widerlegen würden.

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am Freitag, den 1. Februar 2019 Klage erhoben (Az. 8 A 194/19) und um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht sowie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führt er aus, dass er sich auf Anraten eines Sozialarbeiters mit einem Anwalt habe in Verbindung setzen wollen, was ihm erst am 1. Februar 2019 möglich gewesen sei.

II.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung (§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG) ist unzulässig (dazu 1.) und wäre darüber hinaus auch unbegründet (dazu 2.).

1. Der Antragsteller hat seinen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nicht binnen der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt und ihm war auch keine Wiedereinsetzung in diese Frist zu gewähren.

Der Antragsteller hat den Bescheid vom 21. Januar 2019 am 24. Januar 2019 erhalten. Die Antragsfrist endete damit gem. § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Halbsatz 1 BGB am 31. Januar 2019 um 24:00 Uhr. Der Antrag des Antragstellers ging demgegenüber erst am 1. Februar 2019, mithin nach Ablauf der Frist bei Gericht ein.

Dem Antragsteller war auch nicht auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in die Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG zu gewähren.

Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Verschulden im Sinn des § 60 Abs. 1 VwGO ist dann gegeben, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 23.02.1996 - BVerwG 8 B 28.96 -, juris Rn. 1 m.w.N.; Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 60 Rn. 9). Der Antrag ist gem. § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO).

Der Antragsteller hat einen Wiedereinsetzungsgrund nicht dargelegt und glaubhaft gemacht. Er hat zwar angegeben, nicht in der Lage gewesen zu sein, vor dem Termin bei einem Rechtsanwalt selbst eine Klage zu fertigen. Substantiierte Ausführungen hierzu hat er jedoch nicht gemacht. Sein pauschaler Vortrag ist für das Gericht so nicht nachvollziehbar und ein unverschuldetes Versäumen der Frist nicht erkennbar, insbesondere auch, da er einen Kontakt zu einem Sozialarbeiter hatte, und vermag einen Wiedereinsetzungsgrund nicht zu begründen, zumal es auch an einer Glaubhaftmachung fehlt.

Auch sonst liegen keine offenkundigen Umstände vor, die einen Wiedereinsetzungs-grund begründen würden.

2. Darüber hinaus wäre der Antrag des Antragstellers auch unbegründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen das Entfallen der grundsätzlich gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO gegebenen aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage - wie hier gem. § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG - durch Bundesgesetz vorgeschriebenen ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO), auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn die im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung überwiegt. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass das öffentliche Vollzugsinteresse bereits durch den gesetzlich angeordneten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erhebliches Gewicht erhält (vgl. BVerwG, Beschl. v. 07.08.2014 - 9 VR 2.14 -, juris Rn. 3, und Beschl. v. 13.06.2007 - 6 VR 5.07 -, NVwZ 2007, 1207 [1209]; Bay. VGH, Beschl. v. 09.08.2018 - 15 CS 18.1285 -, juris Rn. 33). Insbesondere wenn die mit dem Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, besteht kein Anlass von der gesetzlich bestimmten Regel der sofortigen Vollziehbarkeit abzugehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.09.2008 - 7 VR 1.08 -, juris Rn. 6). Ist hingegen die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Verfügung offensichtlich, weil sie sich schon bei summarischer Prüfung ergibt, kann das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 06.09.2007 - 5 ME 236/07 -, juris Rn. 11; vgl. zu alledem auch Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 80 Rn. 146 ff.).

Bei Anwendung dieser Maßstäbe würde das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung gegenüber dem Interesse des Antragstellers an einem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland für die Dauer des Hauptsacheverfahrens überwiegen, da seine Klage nach der insoweit maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 05.03.2018 - 1 B 155.17 -, juris Rn. 13 zu OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.10.2017 - 11 A 78/17.A -, juris Rn. 48) bei summarischer Prüfung, ihre Verfristung außer Betracht gelassen, auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg bietet.

Das Bundesamt hat in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides aller Voraussicht nach zu Recht die Abschiebung des Antragstellers angeordnet. Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG (i.d.F.v. 31.07.2016). Hiernach ordnet das Bundesamt, sofern ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

1. Vorliegend ist nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig, da der aus einem Drittstaat kommende Antragsteller dort erstmals einen Asylantrag gestellt hat.

Die Frist für das Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO hat das Bundesamt eingehalten. Da das Vereinigte Königreich dem Wiederaufnahmegesuch innerhalb des durch Art. 25 Abs. 1 Dublin III-VO bestimmten Zeitraums zugestimmt hat, ist es gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Die Frist für die Überstellung des Antragstellers von sechs Monaten hat gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO noch nicht (erneut) zu laufen begonnen, weil der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung nachsucht (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.05.2016 - 1 C 15.15 -, juris Rn. 11). Dementsprechend scheidet auch ein Übergang der Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin aus.

Die Antragsgegnerin ist auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO für die Prüfung des Asylantrags der Antragstellerin zuständig. Denn es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass im Vereinigten Königreich für Schutzsuchende in der Situation des Antragstellers systemischen Mängel im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen bestünden, welche die Zuständigkeit der Antragsgegnerin begründeten. Es sind keine hinreichenden Gründe für die Annahme der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris Rn. 106) bzw. dem übereinstimmenden Art. 3 EMRK (vgl. Nds OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 26) bei einer Rückkehr des Antragstellers in das Vereinigte Königreich feststellbar.

Bei der Prüfung, ob ein Mitgliedsstaat hinsichtlich der Behandlung von rücküberstellten Schutzsuchenden gegen Art. 3 EMRK verstößt, ist ein strenger Maßstab anzulegen (Nds OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 27). Denn nach dem Konzept, welches Art. 16a Abs. 2 GG und §§ 26a, 29 Abs. 1, 34a AsylG zu Grunde liegt, ist davon auszugehen, dass unter anderem in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention) und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (EMRK) sichergestellt ist und daher dort einem Schutzsuchenden keine politische Verfolgung droht oder keine für Schutzsuchende unzumutbare Bedingungen herrschen („Prinzip des gegenseitigen Vertrauens", vgl. auch EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, NVwZ 2012, 417 [EuGH 21.12.2011 - Rs. C-411/10; C-493/10]; BVerwG, Urt. v. 09.01.2019 - 1 C 36.18 -, juris Rn. 19; Nds OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 27). Eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC bzw. Art. 3 EMRK liegt (insbesondere) vor, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieser Grundrechte mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass der Betroffene in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) - im Unterschied zu den Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaates - nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann und der betreffende Mitgliedstaat dem mit Gleichgültigkeit begegnet, weil er auf die gravierende Mangel- und Notsituation nicht mit (geeigneten) Maßnahmen reagiert (Nds. OVG, Urt. v. 09.04.2018 - 10 LB 92/17 -, juris Rn. 32).

Anhaltspunkte für die Annahme entsprechender Mängel im Asylverfahren oder den Aufnahmebedingungen im Vereinigten Königreich, die zu einer Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Antragstellers bei seiner Rückkehr nach dorthin führen würden, wurden weder von ihm geltend gemacht noch sind solche sonst ersichtlich (vgl. auch VG Chemnitz, Beschl. v. 05.07.2018 - 6 L 279/18.A -, juris). Der Antragsteller hat vielmehr gegenüber dem Bundesamt gerade ausgeführt, dass er gerne im Vereinigten Königreich geblieben wäre, wenn sie seinen Asylantrag dort nicht abgelehnt hätten. Im Übrigen nimmt das Gericht Bezug auf die Ausführungen der Antragsgegnerin in dem angegriffenen Bescheid, denen es folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).

2. Der Abschiebung des Antragstellers stehen auch sonst keine Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe entgegen. Eine Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG setzt insoweit auch voraus, dass „feststeht“, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat deshalb in den Fällen, in denen der Schutzsuchende in einem für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, vor Erlass einer Abschiebungsanordnung auch zu prüfen, ob Abschiebungsverbote oder Duldungsgründe vorliegen. Damit sind sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse gemeint (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 30.01.2019 - 10 LA 21/19 -, juris Rn. 10). Der Antragsteller hat hierfür sprechende Umstände weder substantiiert vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.