Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.03.2002, Az.: 7 K 477/00
Vorliegen einer einem beratenden Betriebswirt ähnlichen Berufs; Pflicht des Steuerpflichtigen zum Beweis der Ähnlichkeit; Anforderungen an die Form des Nachweises; Nachweis der theoretischen Kenntnisse eines Autodidakten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 20.03.2002
- Aktenzeichen
- 7 K 477/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 26802
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:0320.7K477.00.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 31.08.2005 - AZ: XI R 62/04
Rechtsgrundlage
- § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Ein einem beratenden Betriebswirt ähnlicher Beruf liegt nur vor, wenn er auf einer vergleichbar breiten fachlichen Vorbildung beruht und sich die Beratungstätigkeit auf einen vergleichbar breiten betrieblichen Bereich erstreckt.
- 2.
Der Stpfl. kann den erforderlichen Nachweis der theoretischen Kenntnisse anhand eigener praktischer Arbeiten führen. Für diese Form des Nachweises ist es erforderlich, dass die Tätigkeit des Stpfl. besonders anspruchsvoll ist und nicht nur der Tiefe, sondern auch der Breite nach zumindest das Wissen des Kernbereichs eines Fachstudiums voraussetzt.
- 3.
Dabei werden an die Breite der Tätigkeit geringere Anforderungen gestellt als an die der Ausbildung oder der autodidaktisch erworbenen Kenntnisse.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kl. eine freiberufliche Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübt.
Der 19... geborene Kl. absolvierte nach Ablegung des Abiturs im Jahre 19... zunächst eine Ausbildung zum Müller, da für ihn ein Studium wegen des Zweiten Weltkrieges nicht möglich war. Später bildete er sich zum Müllermeister fort. Von 19... bis 19... betrieb er eine Müllerei. Die Anzahl seiner Mitarbeiter betrug zwei bis drei. Ab dem Jahr 19... baute er dazu parallel ein Fuhrgeschäft auf, welches er als Speditionsunternehmer bis 19... betrieb. In Spitzenzeiten beschäftigte der Kläger 14 bis 15 Mitarbeiter und hatte 13 bis 14 Lkws in seinem Bestand. Für die Müllerei erstellte der Kl. die Buchführung mit Ausnahme der Jahresabschlüsse, für das Speditionsunternehmen dagegen seine Ehefrau unter seiner Aufsicht. Nach dem Verkauf mehrerer Speditionsfahrzeuge arbeitete er im Bereich Umwelt- und Entsorgungstechnik. Der Kl. entwickelte hochwertige technische Gerate für den individuellen Gebrauch und baute diese entsprechend den Erfordernissen der Entsorgungs- und Umwelttechnik um. Darüber hinaus unternahm er umfangreiche chemische Versuche mit verschiedenen Flockungsmitteln, die er im Laufe der Jahre mit dem Ziel weiterentwickelte, Flüssigkeit optimal aus dem Klärschlamm heraustrennen zu können. Diesbezüglich eignete er sich durch Studium der Fachliteratur und den Besuch von Fachkongressen ein umfangreiches theoretisches Wissen an. Zudem verfügte er aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen über umfassende Praxiskenntnisse.
Der Kläger war bis zum 31. 12. 19... Gesellschafter der F. OHG, welche im Bereich der Entsorgungs- und Umwelttechnik gewerblich tätig war.
Am 30. 01. 19... schloss er mit der Nachfolgefirma der vorbenannten OHG, der F.H. GmbH, einen Beratervertrag mit Wirkung ab 01. 01. 19... ab. Gegenstand dieses Vertrages ist die Beratung der GmbH in allen abfallwirtschaftlichen Fragen, in Fragen der Betriebsorganisation Innovation, Akquisition, Kundenbetreuung, der technischen Abwicklung sowie des Unternehmensbestandes.
Aus der Beratertätigkeit erzielte er im Streitjahr Einkünfte in Höhe von ... DM, die er als Einkünfte aus selbständiger Arbeit in seiner Einkommensteuererklärung erklärte.
Nach Durchführung einer Außenprüfung beim Kl. im März 19... wertete der Beklagte dessen Beratertätigkeit als gewerbliche Tätigkeit und setzte mit Bescheid vom ... den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag auf ... DM fest.
Gegen diesen Bescheid legte der Kl. am ... Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsbescheid vom ... als unbegründet zurückwies.
Dagegen erhob der Kl. Klage. Er begehrt die Aufhebung des Gewerbesteuermessbescheides. Seiner Ansicht nach übe er eine einem beratenden Betriebswirt ähnliche Beratertätigkeit aus und sei daher freiberuflich tätig. Dieses ergebe sich daraus, dass er in der Lage sei, sowohl die fachspezifischen Erfordernisse der Entsorgungs- und Umwelttechnik als auch allgemeine betriebswirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen.
Der Kl. beantragt,
den Gewerbesteuermessbescheid 1996 vom ... in der Form des Einspruchsbescheids vom ... aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an seiner Rechtsauffassung fest. Er ist der Ansicht. der Kl. erfülle nicht die Voraussetzungen für eine dem Berufsbild des beratenden Betriebswirt ähnliche Tätigkeit. Insoweit fehle es an der nötigen Ausbildung. Zudem würden sich seine Kenntnisse, die nicht den Erfordernissen eines betriebswirtschaftlichen Studiums genügen würden, nur auf eine Branche beschränken. Der Kl. stelle vielmehr den typischen Vertreter des erfahrenen und qualifizierten Gewerbetreibenden dar, der seine Kenntnisse im Rahmen seiner Berufssparte weitergebe.
Wegen des weitergehenden Vorbringens wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 20. 03. 2002 Bezug genommen.
Dem Gericht hat die für den Kl. bei dem Beklagten geführte Gewerbesteuerakte einschließlich der Betriebsprüfungsarbeitsakte unter der Steuernummer ... vorgelegen.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Der Kl. war im Streitjahr freiberuflich tätig, indem er einen dem Katalogberuf "beratender Betriebswirt" ähnlichen Beruf im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgeübt hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - kommt als beratender Betriebswirt nur derjenige in Betracht, der nach einem entsprechenden Studium oder einem vergleichbaren Selbststudium, verbunden mit praktischer Erfahrung mit den hauptsächlichen Bereichen der Betriebswirtschaft und nicht nur mit einzelnen Spezialgebieten vertraut ist, und diese fachliche Breite seines Wissens auch bei seinen praktischen Tätigkeiten einsetzen kann und tatsächlich einsetzt. Die erforderliche fachliche Breite in diesem Sinne umfasst Fragen der Führung, der Fertigung, der Materialwirtschaft, der Finanzierung, des Vertriebs, des Verwaltungs- und Rechnungswesens sowie des Personalwesens. Die notwendige Breite der Betätigung ist demgegenüber schon dann vorhanden, wenn sie sich wenigstens auf einen dieser betrieblichen Hauptbereiche erstreckt (BFH, Urteil vom 14. 03. 1991 IV R 135/90, BStBl. 1991 II S. 769 ff., 770).
Diesem Berufsbild eines beratenden Betriebswirts entsprechend liegt ein ähnlicher Beruf nur dann vor, wenn er auf einer vergleichbar breiten fachlichen Vorbildung beruht und sich die Beratungstätigkeit auf einen vergleichbar breiten betrieblichen Bereich erstreckt (BFH, a. a. O., BStBl. 1991 II S. 769 ff., 770 m. w. N.). Dieses hat der Steuerpflichtige nachzuweisen, indem er im Einzelnen darlegt und beweist, welche außerhalb der üblichen Studiengänge angebotenen Kurse er besucht und welche Werke er im Selbststudium durchgearbeitet hat. Da der Nachweis auch den Erfolg der autodidaktischen Ausbildung mit umfasst, wird dieser Beweis in der Regel allerdings schwer zu erbringen sein. Daher ist es nach der Rechtsprechung des BFH zulässig, dass der Steuerpflichtige den erforderlichen Nachweis der theoretischen Kenntnisse anhand eigener praktischer Arbeiten führt. Für diese Form des Nachweises ist es jedoch erforderlich, dass die Tätigkeit des Steuerpflichtigen besonders anspruchsvoll ist und nicht nur der Tiefe, sondern auch der Breite nach zumindest das Wissen des Kernbereichs eines Fachstudiums voraussetzt. Dabei werden an die Breite der Tätigkeit geringere Anforderungen gestellt als an die der Ausbildung oder der autodidaktisch erworbenen Kenntnisse. Auf diese Weise wird der Tatsache Rechnung getragen, dass auch bei Freiberuflern vielfach ein wirtschaftliches Bedürfnis für eine Spezialisierung besteht. Dass heißt jedoch nicht, dass die theoretischen Kenntnisse eines Autodidakten bereits dann die erforderliche Breite aufweisen, wenn sie für das Spezialgebiet, auf dem der Steuerpflichtige tätig ist, ausreichen. Das gilt selbst dann, wenn dieselbe Spezialisierung auch bei Angehörigen des Vergleichsberufs mit umfassender Ausbildung anzutreffen ist. Die Angehörigen der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten Katalogberufe zeichnen sich dadurch aus, dass sie aufgrund ihres gründlichen und umfangreichen theoretischen Wissens in der Lage sind, auch relativ einfach erscheinende Probleme in einem größeren Zusammenhang zu sehen und damit sicherer zu beurteilen als jemand, der dies nur aufgrund einer vorwiegend praktischen Ausbildung sowie seiner praktischen Erfahrung tut (BFH, a. a. O., BStBl. 1991 II S. 769 ff., 770).
Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und der Anhörung des Kl. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dieser den erforderlichen Nachweis der theoretischen Kenntnisse anhand eigener praktischer Arbeit geführt hat. Der Kl. verpflichtete sich, die F.H. GmbH in allen abfallwirtschaftlichen Fragen, in Fragen der Betriebsorganisation, Innovation, Akquisition, Kundenbetreuung, der technischen Abwicklung sowie des Unternehmensbestandes zu beraten. Diese Art der Tätigkeit erfordert betriebswirtschaftliche Kenntnisse in Theorie und Praxis, die sich der heute ...-jährige Kl. im Laufe seines langen Berufslebens durch stetige berufliche Weiterqualifikation in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen angeeignet hat. Die Basis für seinen beruflichen Werdegang wurde durch die Erlangung der allgemeinen Hochschulreife im Jahre 19... gelegt. Da für den Kl. ein Studium aufgrund des Zweiten Weltkrieges nicht möglich gewesen war, absolvierte er zunächst eine Ausbildung zum Müller und bildete sich anschließend zum Müllermeister fort. Seit 19... war er selbständig tätig, zunächst als Müllermeister bis 19..., ab 19... zeitgleich als Speditionsunternehmer und zuletzt bis Ende 19... als Gesellschafter der F. OHG auf dem Gebiet der Entsorgungs- und Umwelttechnik. Aufgrund seiner umfassenden breitgefächerten Kenntnisse war der Kl. stets in der Lage, auf branchenspezifische Probleme zu reagieren, nach Alternativen zu suchen und diese erfolgreich und gewinnbringend umzusetzen. Er überprüfte nicht nur die jeweiligen innerbetrieblichen Strukturen auf ihre Wirtschaftlichkeit, sondern analysierte jeweils den betrieblichen Ist-Zustand auf seine Entwicklungsmöglichkeiten am Markt. Insofern beschäftigte er sich mit Fragen der Führung, der Organisation, der Fertigung, der Materialwirtschaft, der Finanzierung sowie des Vertriebs. Auf diese Weise entdeckte er mehrfach Nischen, die er für sich und seine Mitarbeiter erfolgreich nutzen konnte. Er stellte auch unter Beweis, dass er aufgrund seiner theoretischen Kenntnisse in der Lage war, die aufgetretenen Probleme in einem größeren Zusammenhang zu sehen und sie damit sicher beurteilen zu können. In seinem Müllereibetrieb hatte er sich auf Futtermittel spezialisiert, was später dazu führte, dass er auch den Transport derselben übernahm. So baute er parallel ein Speditionsunternehmen auf und beförderte nicht nur eigenes Futtermittel, sondern übernahm auch für fremde Dritte den Transport. In Spitzenzeiten hatte er 13 bis 14 Lkw in seinem Unternehmensbestand, deren Touren er selbst zusammenstellte. Während dieser Zeit stand ihm zwar ein Disponent hilfreich zur Seite. Gleichwohl oblag dem Kl. die Leitung und Organisation des Betriebes. Nachdem die Nachfrage auf dem Transportsektor gesunken war und der Kl. demzufolge mehrere Fahrzeuge verkaufen musste, suchte er sich wieder ein neues Betätigungsfeld, um seine Mitarbeiter nicht entlassen zu müssen. So erschloss er sich den Bereich der Entsorgung von Hauskläranlagen, indem er die entsprechende Fachliteratur studierte und an zahlreichen Fachkongressen teilnahm. Darüber hinaus verfügt der Kl. über theoretische und praktische Kenntnisse in den Bereichen Buchführung und Personalwesen. Die Buchführung für den Müllereibetrieb erstellte er bis auf die Jahresabschlüsse selbst. Demgegenüber übertrug er die laufenden Buchführungsaufgaben für das Speditionsunternehmen seiner Ehefrau und beschränkte sich insoweit auf die Ausübung von Kontrolle. Was die Personalführung anbelangt, war zu berücksichtigen, dass in der Mühle des Kl. zwei bis drei Mitarbeiter beschäftigt waren und seinem Speditionsunternehmen in Spitzenzeiten 14 bis 15 Beschäftigte angehörten. Insofern oblag es ihm unter anderen, entsprechende Aufgabenkataloge zu entwerfen, die Mitarbeiter in ihre Tätigkeitsbereiche einzuweisen, sie zu leiten und zu kontrollieren. Nach Gesamtwürdigung aller Umstände war die Tätigkeit des Kl. im Streitjahr der eines beratenden Betriebswirts ähnlich.
Da bereits aus vorstehenden Gründen eine freiberufliche Tätigkeit vorliegt, war nicht mehr darüber zu entscheiden, ob der Kl. aufgrund seiner umfassenden Kenntnisse, insbesondere auf dem Gebiet der Entsorgungs- und Umwelttechnik, eine einem Ingenieur ähnliche Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgeübt hat.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.