Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.03.2002, Az.: 13 K 519/97

Aufwendungen für die Unterbringung in einem Alten- und Pflegeheim als außergewöhnliche Belastung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
19.03.2002
Aktenzeichen
13 K 519/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 14065
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2002:0319.13K519.97.0A

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob Aufwendungen für die Unterbringung in einem Alten-/Pflegeheim als außergewöhnliche Belastung nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abgezogen werden können.

2

Frau Gertrud K., Mutter der Klägerin, bezog am 01.02.1992 im Alter von 81 Jahren ein Appartement im Seniorenstift B.. Ihre bisherige Wohnung wurde aufgelöst. Zu diesem Zeitpunkt litt Frau K. an verschiedenen Gesundheitsstörungen, unter anderem an einer auf einen Schlaganfall zurückzuführenden Sprachbehinderung. Dennoch war sie in der Lage, ihren Hausstand selbständig zu führen, in den letzten beiden Jahren unter Mitwirkung einer Haushaltshilfe.

3

Im Streitjahr 1993 entrichtete Frau K. für die Unterbringung ein Pauschalentgelt in Höhe von 51.420,00 DM an das Seniorenstift. Mit dem Entgelt waren folgende Leistungen abgegolten:

  • Miete und Reinigung des Appartements
  • allgemeine Betreuung
  • Pflege im Appartement bei Erkrankung
  • 24-stündige Pflege- und Notdienstbereitschaft
  • allgemeine ärztliche Überwachung durch den Stiftsarzt

4

In der Einkommensteuererklärung 1993 machte Frau K. unter anderem 44.524,25 DM als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG geltend. Dieser Betrag setzte sich wie folgt zusammen:

Heimkosten 51.420,00 DM
zzgl. Arztkosten 344,25 DM
abzgl. Haushaltsersparnis 7.200,00 DM
= Kosten i.S.d. § 33 EStG: 44.564,25 DM
5

Frau Gertrud K. ist am 12.11.1995 verstorben. Alleinerbin und damit Gesamtrechtsnachfolgerin ist die Klägerin.

6

Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) setzte die Einkommensteuer 1993 ohne Berücksichtigung der Heimkosten und nur unter Anerkennung der Arztkosten in Höhe von 345,00 DM als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG fest.

7

Auch in 1992 wurden die von Frau K. beantragten Kosten der Unterbringung im Altersheim vom FA nicht als außergewöhnliche Kosten anerkannt. Eine hiergegen gerichtete Klage blieb unter dem Aktenzeichen XIII 184/94 beim Niedersächsischen Finanzgericht Hannover erfolglos.

8

Mit der vorliegenden Klage wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren wiederum gegen die Nichtanerkennung der Heimkosten als außergewöhnliche Belastung in 1993.

9

Sie ist der Meinung, es handele sich bei den Heimkosten um eine außergewöhnliche Belastung, da der Aufenthalt ihrer Mutter im Altenwohnheim krankheitsbedingt gewesen sei. Zwar habe sie nicht an einer akuten Erkrankung gelitten. Ihr Gesundheitszustand sei aber dauerhaft so schlecht gewesen, dass die Heimunterbringung erforderlich gewesen sei.

10

So habe sie schon vor der Heimunterbringung starke Schwindelanfälle gehabt und sei schon des öfteren gestürzt, wobei sie sich Rippen sowie das Handgelenk gebrochen hätte. Zudem habe sie aufgrund der Sprachbehinderung nur noch "ja" oder "nein" sagen können. Ihre Mutter sei daher zu einer eigenen Haushaltsführung nicht mehr in der Lage gewesen. Vielmehr sei in den beiden letzten Jahren vor dem Umzug in das Altersheim die ständige Anwesenheit einer Hilfsperson in der Wohnung erforderlich gewesen, die die nötigen Hilfsleistungen habe erbringen können und aufgepasst habe, dass nichts passierte. Die Schwierigkeit, solche Hilfspersonen zu finden, sei mit ein Grund für die Heimübersiedlung gewesen. Allerdings hätten Verwandte sowie der damals behandelnde Arzt große Mühe gehabt, ihre Mutter davon zu überzeugen, dass sie nicht mehr allein ohne Aufsicht leben könne.

11

Für einen krankheitsbedingten Heimaufenthalt spreche nach Meinung der Klägerin auch ein Krankheitsbericht des behandelnden Heimarztes vom 19.03.1997. Nach diesem habe er Frau K. vom 14.10.1994 bis August 1995 hausärztlich internistisch betreut. Der Allgemeinzustand von Frau K. habe eine Eigenversorgung in eigener Wohnung nicht zugelassen, so dass die Übersiedlung in ein Alten-/Pflegeheim aus medizinischer Sicht geboten gewesen sei. Aufgrund der Schwindelanfälle mit Gangunsicherheit und Sturzgefahr habe die Patientin nicht ohne Aufsicht bleiben können.

12

Die Tatsache, dass Ihre Mutter im Normaltrakt und nicht im Pflegetrakt des Heimes untergebracht gewesen sei, stelle nicht die Notwendigkeit der Heimunterbringung in Frage. Zudem sei eine gesonderte Kranken- und Pflegestation im Stift B. nicht vorhanden gewesen. Behandlung und Pflege seien in den Wohnappartements erfolgt. Es habe sich um ein "behütetes Wohnen mit ärztlicher Aufsicht" gehandelt. Wichtig für ihre Mutter sei die vorhandene Notrufanlage sowie die Kontrollvisite gewesen, die drei mal täglich erfolgt wäre.

13

Die Klägerin ist der Ansicht, es hänge von der Beurteilung im Einzelfall ab und könne nicht verallgemeinert werden, ob eine Heimunterbringung krankheitsbedingt erfolgt sei oder nicht. Diese Beurteilung könne nur durch einen Arzt erfolgen. Dies sei mit dem vorgelegten Schreiben des Heimarztes geschehen.

14

Allein daraus, dass für alle Heimbewohner die Leistungen im Wesentlichen die gleichen waren, könne nicht geschlossen werden, ob sie für den Einzelnen krankheitsbedingt erforderlich seien.

15

Die Klägerin beantragt,

  1. 1)

    den Einspruchsbescheid vom 25.09.1997 aufzuheben und die Einkommensteuer 1993 unter Berücksichtigung der ihrer Mutter in 1993 für die Unterbringung im Wohnstift B. entstandenen Aufwendungen in Höhe von 44.420,00 DM (Heimkosten in Höhe von 51.420,00 DM abzüglich Haushaltsersparnis in Höhe von 7.200,00 DM) als außergewöhnliche Belastung auf 0,00 DM herabzusetzen sowie

  2. 2)

    die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

16

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

17

Er ist der Auffassung, es handele sich bei den Kosten für die Heimunterbringung um Kosten der privaten Lebensführung gemäß § 12 Nr. 1 EStG und nicht um eine außergewöhnliche Belastung.

18

Ein ausschließlich krankheitsbedingter Aufenthalt der Mutter der Klägerin im Seniorenstift sei - wie schon im Streitjahr 1992 - nicht nachgewiesen worden. Aus dem hausärztlichen Attest des Heimarztes gehe keine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Vergleich zum Veranlagungszeitraum 1992 hervor. Vielmehr ließe sich aus dem Attest schließen, dass sich der gesundheitliche Zustand von Frau K. von 1992 bis 1994 nicht wesentlich verschlechtert habe. Der Aufenthalt der Mutter der Klägerin im Seniorenstift sei daher altersbedingt gewesen. Sie sei im Streitjahr nur in dem Umfang pflegebedürftig gewesen wie es bei Personen ihres Alters nicht ungewöhnlich sei. Zudem entspreche es der Regel, dass sich Personen ihres Alters in einem Altersheim aufhalten würden, wenn eine häusliche Pflege durch die Familie oder andere Personen nicht möglich sei.

19

Dafür spreche auch, dass Frau K. im Streitjahr ausschließlich im normalen Appartementtrakt des Heimes und nicht auf der vorhandenen Kranken- und Pflegestation untergebracht gewesen sei. Sie habe zudem ausschließlich das Pauschalentgelt entrichtet, welches alle Heimbewohner, unabhängig vom Gesundheitszustand, zahlen müssten.

20

Auch die in den Heimkosten enthaltenen Leistungen der allgemeinen Art sprächen für einen altersbedingten Aufenthalt der Mutter der Klägerin im Seniorenstift.

21

Dass Frau K. leidend gewesen sei, werde nicht in Frage gestellt. Diese Gesundheitsstörungen bestünden jedoch schon seit längerem und seien nicht Folge einer akuten Erkrankung im Streitjahr. Weil Frau K. aber nicht im höheren Umfang als die übrigen Heimbewohner auf Hilfe angewiesen gewesen sei, ließe sich die Unterbringung nicht als ausschließlich krankheitsbedingt ansehen.

22

Eine Außergewöhnlichkeit der Aufwendungen läge daher nicht vor.

Gründe

23

Die Klage ist nicht begründet.

24

Die in 1993 angefallenen Heimkosten stellen mangels ausschließlich krankheitsbedingtem Aufenthalt der Mutter der Klägerin im Seniorenstift B. keine außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 EStG dar.

25

Nach § 33 Abs.1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung).

26

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. z.B. Urteil vom 29. September 1989 III R 129/86 in BStBl II 1990, 418) und der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung (vgl. z.B. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, 21. Aufl., § 33 EStG Anm. 31; Arndt in Kirchhof/Söhn, Kommentar zum EStG, § 33 Anm. B 39; Schmidt/Drenseck, Kommentar zum EStG, 20. Aufl., § 33 Anm. 14) sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag des § 32a EStG abgegolten sind, sind aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen.

27

Zu den üblichen Aufwendungen der Lebensführung rechnen regelmäßig auch die Kosten für die altersbedingte Unterbringung in einem normalen Altersheim (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteil vom 24.02.2000 III R 80/97 in BStBl II 2000, 294 m.w.N.). Derartige Aufwendungen sind ihrer Art und dem Grunde nach schon deshalb nicht außergewöhnlich, weil sie anderen in vergleichbaren Verhältnissen lebenden älteren Steuerpflichtigen ebenfalls erwachsen und es insbesondere nichts Außergewöhnliches ist, dass ein älterer Mensch in einem Altersheim lebt, weil er nicht mehr für sich sorgen kann oder will (BFH-Urteil vom 12.01.1973 in BStBl II 1973, 442 [BFH 12.01.1973 - VI R 207/71]). Soweit alte Menschen zunehmend auf fremde Hilfe angewiesen sind, hat der Gesetzgeber den hierdurch bedingten Aufwendungen, soweit sie das übliche Existenzminimum überschreiten und damit durch den Grundfreibetrag nicht erfasst werden, jedenfalls für das Streitjahr durch die Gewährung eines Pauschbetrages in Höhe von 1.200,00 DM Rechnung getragen (§ 33 a Abs. 3 S. 2 EStG).

28

Nach der Rechtsprechung sowie einem Großteil der Literatur kann allerdings auch im Falle der Heimunterbringung der Tatbestand des § 33 EStG ausnahmsweise erfüllt sein, wenn der dortige Aufenthalt ausschließlich durch eine Krankheit veranlasst ist (vgl. BFH-Urteil vom 24.02.2000, III R 80/97 in BStBl II 2000, 294 m.w.N.; Drenseck in Schmidt, ESt-Kommentar, 20. Auflage, § 33 Rn. 35 unter "Altersheim"; Oepen in Blümich, ESt-Kommentar, 72. ErgL., § 33 Rn. 150 unter "Altenheim"; Kanzler in Hermann / Heuer / Raupach, ESt-Kommentar, § 33 Anm. 300 unter "Altersheim").

29

Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall. Die Mutter der Klägerin wies weder vor noch während ihres Aufenthaltes im Seniorenstift eine akute Erkrankung auf, aufgrund derer ihr dortiger Aufenthalt bedingt war. Bei den von der Klägerin beschriebenen Gebrechen ihrer Mutter handelt es sich um altersbedingte Erscheinungen, die für eine 81-jährige Person nicht ungewöhnlich sind.

30

Dies geht unter anderem aus den von der Mutter der Klägerin in Anspruch genommenen Leistungen des Seniorenstifts hervor. Hierbei handelt es sich um Leistungen allgemeiner Art. Insbesondere die allgemeine Betreuung, die allgemeine ärztliche Überwachung sowie die gelegentliche Inanspruchnahme der Bereitschaft des Pflege- und Notdienstes im Seniorenstift sprechen zwar nicht für einen gesundheitlich sehr guten Zustand, aber doch dafür, dass Frau K. nicht dauerhaft akut krank war. Denn auch alle anderen Bewohner des Seniorenstifts - unabhängig von ihrem Gesundheitszustand - bezogen diese in einem Pauschalentgelt enthaltenen Standartleistungen. Letztere sollten den Bewohnern Hilfe im Alltag sowie eine sofortige Hilfe in Notsituationen ermöglichen, nicht aber schon vorhandene Krankheiten behandeln.

31

Für einen altersbedingten Aufenthalt von Frau K. spricht auch, dass sie im Appartementbereich des Stifts lebte, was bedeutet, dass sie nicht mehr ärztliche Aufmerksamkeit benötigte als die übrigen Heimbewohner. Bei diesem "behüteten Wohnen mit ärztlicher Aufsicht" - wie die Klägerin es nennt - steht aber das Wohnen und nicht die ärztliche Betreuung im Vordergrund.

32

Dem steht der Krankheitsbericht des Heimarztes nicht entgegen. Dieser ist nicht aussagekräftig. Denn er wurde zum einen nach mehr als einem Jahr nach dem Tod von Frau K. erstellt. Zum anderen hat der Heimarzt die Mutter der Klägerin erst ab Oktober 1994 ärztlich betreut. Diese ist aber schon im Februar 1992 in den Appartementtrakt des Seniorenstifts gezogen. Über die streitgegenständliche Frage, ob der Aufenthalt seiner Patientin im Seniorenstift im Streitjahr 1993 krankheitsbedingt war oder nicht, kann er somit gar kein Urteil abgeben, denn er kannte Frau K. in diesem Zeitraum noch gar nicht.

33

Ein solcher Pflegeheimaufenthalt liegt nicht außerhalb des Üblichen, denn der von der Klägerin beschriebene Umfang der Pflegebedürftigkeit ihrer Mutter ist bei vergleichbaren Personen ihres Alters nicht ungewöhnlich. Vielmehr ist es die Regel, dass Menschen, die nicht mehr alleine für sich sorgen können oder wollen, ein solches "behütetes Wohnen mit ärztlicher Aufsicht" in Anspruch nehmen, gerade wenn eine häusliche Pflege durch Familienmitglieder oder andere Personen nicht möglich ist.

34

Eine Außergewöhnlichkeit der Aufwendungen kann somit nicht festgestellt werden.

35

Nach alledem war die Unterbringung der Mutter der Klägerin im Seniorenstift B. lediglich altersbedingt. Die Klage ist daher abzuweisen.

36

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

37

Die Revision wird nicht zugelassen.

38

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr.1 FGO.

39

Einer Rechtssache ist grundsätzliche Bedeutung nur dann beizumessen, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Gesamtheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (Ruban in Gräber, FGO-Kommentar, 4. Auflage, § 115 Rn. 7 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).

40

Die der Klage zugrunde liegende Rechtsfrage über die Abzugsfähigkeit von Heimaufwendungen als außergewöhnliche Belastung ist hinreichend geklärt. Der BFH hat zuletzt in seinem Urteil vom 24.02.2000 - III R 80/97 (in BStBl II 2000, 294 m.w.N. zu dieser Problematik) über diese Frage entschieden und Aufwendungen für die krankheitsbedingte Unterbringung von Angehörigen im Altenpflegeheim als außergewöhnliche Belastung anerkannt.

41

Bei der hier zu klärenden Frage handelt es sich dagegen um die Tatsachenfrage, ob der Aufenthalt der Mutter der Klägerin im Seniorenstift B. krankheitsbedingt war oder nicht.

42

Bei reinen Tatsachenfragen ist eine Revision jedoch nicht zuzulassen.