Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.03.2002, Az.: 1 K 491/98

Mindestwertberechnung durch Ansatz der Bodenrichtwerte abzüglich eines Abschlages für Übergröße des Grundstücks

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
19.03.2002
Aktenzeichen
1 K 491/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 14066
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2002:0319.1K491.98.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 11.05.2005 - AZ: II R 21/02

Fundstellen

  • EFG 2002, 1572-1573
  • GuG aktuell 2003, 23
  • KÖSDI 2003, 13568-13569

Tatbestand

1

Umstritten ist die gesonderte Feststellung eines Grundstückswerts.

2

Am ...1996 erbte die Klägerin (Kl.) das Grundstück .... Es war 5.790 qm groß und mit einem Wohnhaus bebaut, das im Jahre 1956 errichtet sowie 1973 erweitert worden war. Das Grundstück liegt in A., einem Ort, der aus zwei Ortsteilen besteht: Einem kleineren, der die "alte Ortslage" umfasst und in dem das streitige Grundstück liegt, sowie einem größeren Neubaugebiet.

3

Bis zum 31.12.1995 (einschließlich) gab es für A. keine differenzierte Bodenrichtwertkarte. Die vom zuständigen Gutachterausschuss festgestellten Bodenrichtwerte ergaben sich vielmehr aus einer Liste, die auch die Richtwerte vieler anderer Gemeinden im Landkreis enthält. Diese Liste weist für A. auf den 31.12.1992 einen einzigen Richtwert aus, nämlich 70 DM. Für die beiden folgenden Stichtage (31.12.1993 und 1994) enthält die Liste Richtwerte von je 90,00 DM/qm sowie auf den 31.12.1995 einen Richtwert von 170,00 DM/qm. Die Beträge von 70 und 90,00 DM gelten für nicht erschlossene Baugrundstücke. Der auf den 31.12.1995 ausgewiesene Wert von 170 DM/qm gilt für Bauland, "für das Erschließungsbeiträge nicht mehr zu entrichten sind". Es ist unstreitig, dass sich alle Richtwerte auf ein "typisches Richtwertgrundstück" beziehen, das maximal 1.000 qm groß ist.

4

Eine differenzierte Bodenrichtwertkarte liegt für A. erstmals auf den 31.12.1996 vor. Diese enthält für die "alte Ortslage" einen Richtwert von 140,00 DM/qm und für das "Neubaugebiet" einen Richtwert von 190,00 DM/qm; auf die Kopien in der Hülle Bl. 34 FG-Akte wird Bezug genommen.

5

Zum Zwecke der Feststellung des Grundstückswertes für das streitige Grundstück führte der Beklagte (Finanzamt, FA) eine Wertermittlung nach dem Ertragswertverfahren (§ 146 Abs. 2 bis 5 Bewertungsgesetz, BewG) durch. Dabei ging das FA von einer üblichen Quadratmetermiete von 10,00 DM aus sowie von 600,00 DM Jahresmiete für "Garage". So kam es zu einem Ausgangswert von 472.500,00 DM, von dem es einerseits eine Alterswertminderung für 30 Jahre abzog, andererseits einen Zuschlag für Wohngrundstücke mit nicht mehr als zwei Wohnungen machte. Dies führte zu einem Ertragswert von 481.950,00 DM, der nicht umstritten ist.

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Zum Vergleich berechnete das FA den Mindestwert (§ 146 Abs. 6 BewG). Durch Multiplikation des in der Liste der Bodenrichtwerte enthaltenen Wertes (170,00 DM) mit der Quadratmeterzahl des Grundstücks (5.790) kam das FA zu einer Summe von 984.300,00 DM, von der es einen Abschlag von 20 v.H. machte (196.860,00 DM). Da der sich danach ergebende Mindestwert von 787.440,00 DM höher war als der Ertragswert, legte es seiner Feststellung den Mindestwert zugrunde und setzte den Grundstückswert auf den 10.02.1996 auf 787.000,00 DM fest. Hiergegen richtet sich - nach erfolglosem Vorverfahren - die Klage.

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Die Kl. trägt vor:

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Es sei bereits nicht korrekt, für ihr Grundstück in dem "Altort" einen Richtwert von 170 DM/qm anzusetzen. Denn bei dieser Zahl handele es sich um einen Mischwert zwischen Altort und Neubaugebiet, der den Wertverhältnissen in dem Altort nicht gerecht werde. Das zeige die differenzierte Karte auf den 31.12.1996, die für diesen späteren Stichtag nur 140 DM/qm ausweise. Es könne keine Rede davon sein, dass die Bodenwerte vom 31.12.1995 bis 31.12.1996 gefallen seien. Einen weiteren Fehler habe das FA dadurch begangen, dass es Grundstücksfläche und Richtwert schlicht multipliziert habe. Jeder vom Gutachterausschuss festgestellte Richtwert beziehe sich auf ein "typisches Richtwertgrundstück" von weniger als 1.000 qm Fläche. Weiche ein konkretes Grundstück in wertbeeinflussenden Faktoren - zu denen auch die Größe zähle - von dem fiktiven Richtwertgrundstück ab, so würde dies regelmäßig entsprechende Abweichungen seines Verkehrswertes von dem Bodenrichtwert bewirken. Richtigerweise hätte das FA die extreme Übergröße ihres Grundstücks durch einen angemessenen Abschlag berücksichtigen müssen.

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Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des Feststellungsbescheides vom 14. Januar 1998 und des Einspruchsbescheides vom 21.07.1998 den Grundstückswert für das streitige Grundstück auf 481.000,00 DM herabzusetzen.

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Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Das FA trägt vor:

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Der vom FA festgestellte Grundstückswert beruhe auf dem sogenannten Mindestwert gem. § 146 Abs. 6 BewG, wonach der für ein Grundstück anzusetzende Wert nicht geringer sein dürfe als der Wert, mit dem der Grund und Boden allein als unbebautes Grundstück nach § 145 Abs. 3 BewG zu bewerten wäre. Der Wert unbebauter Grundstücke bestimme sich nach ihrer Fläche und den um 20 v.H. ermäßigten Bodenrichtwerten. Aus diesen Rechtsgrundlagen ergäbe sich zwingend, dass nur die Bodenrichtwerte und nichts anderes zugrunde gelegt werden dürften. Das FA habe daher gar nicht anders vorgehen können als geschehen. Durch die Kürzung des Bodenrichtwertes um 20 % seien möglicherweise vorhandene wertmindernde Umstände bereits berücksichtigt worden. In diesem Zusammenhang sei auch zu beachten, dass die Kl. die Möglichkeit habe, das Grundstück zu parzellieren und als Bauland in bester Lage zu verkaufen. Wenn sie dennoch meine, es besitze einen niedrigeren gemeinen Wert, könne sie dies auf geeignete Weise nachweisen, z.B. durch ein Sachverständigengutachten. Das sei aber bisher nicht geschehen.

13

Im Übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und die vorgelegten Steuerakten Bezug genommen.

Gründe

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Die Klage ist begründet.

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Der Wert für das von der Kl. geerbte Grundstück auf den ....1996 ist im Ertragswertverfahren (§ 146 Abs. 2 bis 5 BewG) festzustellen; ein höherer Mindestwert (§ 146 Abs. 6 BewG) existiert nicht. Das ergibt sich aus Folgendem:

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Ab 1. Januar 1996 werden Einheitswerte, die für Grundbesitz nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 festgestellt worden sind, bei der Erbschaftssteuer nicht mehr angewendet, § 138 Abs. 1 BewG. Anstelle dieser Einheitswerte werden für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens Grundstückswerte unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse zum 1. Januar 1996 festgestellt. Diese Wertverhältnisse gelten gem. § 138 Abs. 4 BewG bis zum 31. Dezember 2001. Die Grundbesitzwerte sind gesondert festzustellen, wenn sie u.a. für die Erbschaftssteuer erforderlich sind (Bedarfsbewertung, § 138 Abs. 5 BewG). Dabei sind nach § 138 Abs. 3 BewG die Grundstückswerte mit einem typisierenden Wert unter Anwendung der §§ 139 und 145 bis 150 BewG zu ermitteln.

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Der Wert bebauter Grundstücke wird grundsätzlich gemäß § 146 Abs. 2 - 5 BewG im Ertragswertverfahren ermittelt. Jedoch darf der sich hiernach für ein bebautes Grundstück ergebende Wert nicht geringer sein als der Wert, mit dem der Grund und Boden allein als unbebautes Grundstück nach § 145 Abs. 3 BewG zu bewerten wäre. Nach § 145 Abs. 3 Satz 1 BewG bestimmt sich der Wert unbebauter Grundstücke nach ihrer Fläche und den um 20 v.H. ermäßigten Bodenrichtwerten. Die Bodenrichtwerte sind von den Gutachterausschüssen nach dem Baugesetzbuch auf den 01.01.1996 zu ermitteln und den Finanzämtern mitzuteilen, § 145 Abs. 3 S. 2 BewG . Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert des unbebauten Grundstücks niedriger ist als der nach § 145 Abs. 3 Satz 1 BewG ermittelte Wert, ist der gemeine Wert festzustellen. Typische Nachweismöglichkeiten für einen niedrigeren Verkehrswert sind das Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen oder des örtlich zuständigen Gutachterausschusses einerseits und ein stichtagsnaher Kaufpreis andererseits.

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Hieraus folgt jedoch nicht, dass der Grundstückswert stets durch schlichte Multiplikation des Bodenrichtwertes mit der Grundstücksgröße - § 145 Abs. 3 Satz 1, 2 BewG - ermittelt werden könnte oder gar müsste:

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a)

Zwar sind die von den Gutachterausschüssen mitgeteilten Bodenrichtwerte bei der Bedarfsbewertung von den Finanzämtern regelmäßig ohne nähere Überprüfung hinsichtlich ihrer Höhe anzuwenden und auch die Finanzgerichte haben die Richtwerte ihrer Höhe nach nicht eingehender zu überprüfen (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 27.01.2000 IV 261/1999). Dies beruht insbesondere auf der Erkenntnis, daß die Gutachterausschüsse der Katasterämter offenkundig die besten Fachausschüsse für die Ermittlung von Grundbesitzwerten sind und es keinen Sinn macht, deren Kompetenz durch eine - im Zweifel geringere - "Gerichtskompetenz" zu ersetzen.

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b)

Andererseits steht für den Senat außer Frage, dass die Richtwerte bei der Bedarfsbewertung nur so verstanden und angewandt werden dürfen, wie es die Gutachterausschüsse - z.B. bei der Erstellung eines Wertgutachtens - selbst tun würden und wie diese ihre eigenen Richtwerte verstehen. Ein anderes Vorgehen wäre nicht nur formalistisch, sondern könnte auch zu deutlich unrichtigen Ergebnissen führen. Daher ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die von den Gutachterausschüssen der Katasterämter festgestellten Bodenrichtwerte sich stets auf ein fiktives Grundstück beziehen, das für das jeweilige Gebiet typisch ist (Richtwertgrundstück). Abweichungen eines konkreten Grundstücks von dem Richtwertgrundstück in den wertbeeinflussenden Umständen bewirken in der Regel entsprechende Abweichungen seines Verkehrswertes von dem Bodenrichtwert (vgl. z.B. Erläuterungen zur Liste der Bodenrichtwerte zum 31.12.1997, Bl. 17 FG-Akte; im Ergebnis ebenso Oberfinanzdirektion Hannover, Bewertungskartei § 145 Abs. 3 BewG Karte 1 vom 27. Juli 2000 a.E.). Liegen solche wertbeeinflussenden Abweichungen vor, so ist dies auch bei der Bedarfsbewertung - z.B. durch einen angemessenen Zu- oder Abschlag - angemessen zu berücksichtigen.

21

Es ist gerichtsbekannt, dass eine erhebliche Übergröße eines Grundstücks von der Art, wie sie im Streitfall vorliegt, regelmäßig einen wertmindernden Faktor darstellt, der - bei Erstellung eines Wertgutachtens durch einen Gutachterausschuss - einen Abschlag von etwa 30 v.H. bewirken würde. Der Senat sieht keinen Grund, diesen Abschlag im Streitfall zu verweigern. Der Hinweis des FA, die Kl. könne ihr Grundstück parzellieren und mehrere Teilgrundstücke als Bauland verkaufen, ist schon wegen des Stichtagsprinzips unerheblich. Hinzu kommt, dass in einem solchen Fall erhebliche Kosten, insbesondere für die Erschließung, berücksichtigt werden müssten.

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Das Gericht geht auch nicht von dem mitgeteilten Richtwert von 170,00 DM/qm aus, sondern von dem niedrigeren Wert von 140,00 DM/qm. Das beruht auf § 145 Abs. 3 letzter Satz BewG. Danach ist ein (niedrigerer) gemeiner Wert anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige ihn nachweist. Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der gemeine Wert erschlossener Baugrundstücke in der alten Ortslage von A. am 31.12.1995 nur 140,00 DM/qm betrug. Das ergibt sich aus dem Vergleich der Richtwerte für A. auf die verschiedenen Stichtage. Auf den 31.12.1992, 1993 und 1994 betrug der Richtwert für nicht erschlossenes Bauland 70,00 DM, 90 DM und 90,00 DM. Auf den 31.12.1995 weist die Liste der Richtwerte für A. 170,00 DM für voll erschlossenes Bauland aus. Es ist offensichtlich, dass diese Steigerung auf den hohen Erschließungskosten in dem Neubaugebiet beruht. Ebenso offensichtlich ist, dass diese Erschließungskosten eine - allerdings geringere - Reflexwirkung auf die Grundstückspreise in der alten Ortslage ausübten, obwohl vergleichbare Erschließungskosten im alten Ortskern nie gezahlt wurden. Der mitgeteilte einheitliche "Richtwert" von 170,00 DM/qm ist zwar ungefähr das rechnerische Mittel aller Grundstückspreise in A. zum 31.12.1995, liegt aber deutlich höher als der tatsächliche Grundstückswert in der alten Ortslage. Das wird durch die differenzierte Bodenrichtwertkarte auf den 31.12.1996 bestätigt. Am 31.12.1995 können die Verhältnisse nicht anders gewesen sein. Da diese Umstände zur Überzeugung des Senats feststehen, bedarf es eines besonderen Nachweises durch die Kl. (z.B. durch ein Gutachten) nicht.

23

Danach ergibt sich folgende Mindestwertberechnung:

5.790 x 140,00 DM = 810.600,00 DM
Abschlag von 20 v.H. 162.120,00 DM
verbleiben 648.480,00 DM
Abschlag von 30 v.H. 194.544,00 DM
Mindestwert 453.936,00 DM
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Da dieser Mindestwert deutlich niedriger ist als der im Ertragswertverfahren festgestellte Betrag von 481.950,00 DM, war der Grundstückswert auf 481.000,00 DM herabzusetzen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 151 Abs. 3 und 155 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.