Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 10.03.2005, Az.: 6 A 162/04
Fahrbahn; Gehweg; Gehwegplatten; Gehwegüberfahrt; Sicherheit; Straße; Straßengrundstück; Unterhaltung; Zufahrt
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 10.03.2005
- Aktenzeichen
- 6 A 162/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50990
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG - 26.05.2006 - AZ: 12 LA 150/05
Rechtsgrundlagen
- § 18 Abs 4 StrG ND
- § 20 Abs 1 StrG ND
- § 22 StrG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Eine Zufahrt im Sinne des § 20 NStrG erfasst auch den Bereich einer Gehwegüberfahrt.
2. Der Ausdruck "Straße" im Sinne des § 20 Abs. 1 NStrG ist funktionsbezogen auszulegen, so dass zur "Zufahrt" auch diejenigen Teile des Straßengrundstücks zählen, die überfahren werden müssen, damit die Fahrbahn erreicht werden kann.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aufforderung der Beklagten, zwei Gehwegüberfahrten in Stand zu setzen.
Der Kläger ist Erbbauberechtigter des Grundstücks D. 30/31 gewesen, das er zum 01.12.2004 veräußert hat. Er hat auf diesem Grundstück einen Garagenhof mit zwei Zufahrten zur E. betrieben. Um mit einem Fahrzeug von der E. zu diesem Garagenhof gelangen zu können, muss der zwischen der Fahrbahn und dem Grundstück liegende Gehweg überfahren werden. Dieser Gehweg ist mit Betonplatten hergestellt, von denen im Bereich der beiden Gehwegüberfahrten einige bereits fehlen und andere lose oder beschädigt sind.
Nach entsprechender Anhörung forderte die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 02.07.2003 auf, die von der E. auf das Grundstück D. 30/31 „führende Zufahrt“ unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von vier Wochen nach Zustellung dieser Verfügung in einen ordnungsgemäßen Zustand zu versetzen, da von „den Gehwegüberfahrten“ eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Für den Fall, dass der Kläger dem nicht fristgerecht nachkommen werde, drohte die Beklagte ihm die Ersatzvornahme an. Gleichzeitig ordnete sie die sofortige Vollziehung der Maßnahme an.
Der Kläger legte dagegen Widerspruch ein, den er im Wesentlichen wie folgt begründete: Eine Rechtsgrundlage für die Maßnahme sei nicht ersichtlich. Die fehlenden oder mangelhaften Gehwegplatten gehörten nicht mehr zu der von ihm unterhaltenen (Betonweg-) Zufahrt, sondern seien optisch, räumlich und funktional dem Gehweg zuzurechnen, der Teil der Straße sei. Im Übrigen seien die Schäden nicht durch die Nutzer des Garagenhofes, sondern von den Personen verursacht worden, die wegen des zugeparkten Wendehammers darauf angewiesen seien, die Zufahrten zum Wenden zu benutzen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.02.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Verpflichtung, die auf das Grundstück des Klägers führenden Zufahrten unverzüglich instand zu setzen, ergebe sich aus § 20 Abs. 4 i.V.m. § 18 Abs. 4 des Niedersächsischen Straßengesetzes (NStrG). Da es die Pflicht des Zufahrtnehmers sei, die Zufahren so herzurichten, dass sie den Anforderungen des Gemeingebrauchs einer öffentlichen Straße genügten, könne der Kläger sich auch nicht darauf berufen, dass andere Fahrzeuge die Zufahrten, die sich selbstverständlich innerhalb des Straßenkörpers befänden, beschädigt hätten.
Dagegen hat der Kläger am 03.03.2004 Klage erhoben. Teilweise sein früheres Vorbringen ergänzend und vertiefend hat er zur Begründung ausgeführt:
Der im Jahre 1967 erstellte Gehweg, für den er damals Erschließungskosten bezahlt habe, sei infolge übermäßiger Nutzung durch Lastkraftwagen beschädigt worden. Dazu sei es gekommen, nachdem in der E. 160 Wohneinheiten der Baugenossenschaft, aber nur 30 Stellplätze geschaffen worden seien. Seither würden die Straße und der Wendehammer infolge des entstandenen Parkraummangels so zugeparkt, dass LKW rückwärtsfahrend seine Zufahrten nutzen müssten, um in der E. wenden zu können. In den mehr als 25 Jahren zuvor hätten die Nutzer seines Garagenhofes keine Schäden am Gehweg verursacht. Unabhängig von der Verursachungsfrage gehe die Beklagte zu Unrecht davon aus, dass er im Rechtssinne für die Instandhaltung der Gehwegsüberfahrten verantwortlich sei. Die beschädigten Gehwegplatten gehörten zum Gehweg, der seinerseits Teil der Straße sei. Diese zu unterhalten, sei Verpflichtung der Beklagten, zumal diese es ursprünglich unterlassen habe, den Gehweg so zu schaffen, dass er den im Laufe der Zeit aufgetretenen zusätzlichen Belastungen hätte standhalten können.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 02. Juli 2003 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheids vom 10. Februar 2004 aufzuheben.
Die Beklagte verteidigt ihre Entscheidung und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger, der für die Erfüllung der angefochtenen Verpflichtung nach eigenem Vorbringen auch gegenüber dem Erwerber des Erbbaurechts am Grundstück D. 30/31 haftet, nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat ihn zu Recht für die Instandsetzung der Gehwegüberfahrten zur E. in Anspruch genommen.
1. Rechtsgrundlage der angefochtenen Verpflichtung zur Instandsetzung der Gehwegüberfahrten ist § 22 i. V. m. §§ 20 Abs. 4, 18 Abs. 4 NStrG. Nach § 20 Abs. 4 NStrG gelten für „die Unterhaltung der Zufahrten“, die - wie hier - nicht auf einer (Sondernutzungs-) Erlaubnis nach § 18 Abs. 1 NStrG beruhen, die Vorschriften des § 18 Abs. 4 Satz 1 und 2 NStrG sowie die Ermächtigungsnorm des § 22 NStrG sinngemäß. Die von § 20 Abs. 4 NStrG für die Unterhaltung der Zufahrt angeordnete sinngemäße Anwendung des § 18 Abs. 4 Satz 1 NStrG bedeutet, dass der Inhaber einer Zufahrt die „Anlagen so zu errichten und zu unterhalten (hat), dass sie den Anforderungen der Sicherheit und Ordnung sowie den anerkannten Regeln der Technik genügen“. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, so kann die zuständige Behörde die erforderlichen Maßnahmen entsprechend § 22 NStrG anordnen.
1.1. Formelle Bedenken gegen die Anordnung der Beklagten bestehen insoweit nicht. Die Beklagte hat auch dem Bestimmtheitserfordernis entsprochen, indem sie im Widerspruchsbescheid klargestellt hat, dass sich ihre Anordnung auf beide zur E. führende Zufahrten erstreckt.
1.2. Auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die ergangene Anordnung liegen vor.
1.2.1. Die Beklagte hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die beiden Gehwegüberfahrten zu den Zufahrten im Sinne der vorgenannten Vorschriften rechnen.
Allerdings ist dem Kläger - wie auch die Beklagte nicht bestreitet - einzuräumen, dass der Gehweg gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 NStrG Teil der öffentlichen Straße ist und die in § 20 Abs. 1 NStrG enthaltene Definition einer Zufahrt („Eine Zufahrt ist die für die Benutzung mit Fahrzeugen bestimmte Verbindung von Grundstücken oder von nicht öffentlichen Wegen mit einer Straße“) bei einer rein grundstücksbezogenen Betrachtung nichts dafür hergibt, dass der Kläger auch die Flächen des zur Straße zählenden Gehweges zu unterhalten hat, die überfahren werden müssen, damit von seinem Grundstück aus die Fahrbahn erreicht werden kann.
Die in § 20 Abs. 4 NStrG enthaltene Umschreibung der „Zufahrt“ zeigt jedoch, dass hier nicht eine rein grundstücksbezogene Betrachtungsweise, sondern ein funktionsbezogenes Verständnis des in § 20 Abs. 1 NStrG benutzten Begriffs der „Straße“ (hier im Sinne von „Fahrbahn“) geboten ist, das die Gehwegüberfahrten zur Zufahrt rechnet.
Indem der Gesetzgeber eine Zufahrt als die für die Benutzung mit Fahrzeugen bestimmte Verbindung von Grundstücken mit einer Straße definiert, stellt er auf den bestimmungsgemäßen Gebrauch einer Fläche und nicht auf deren grundstücksbezogene Abgrenzung ab. Eine „Zufahrt“ zur Straße, die für die Benutzung mit Fahrzeugen bestimmt ist, kann auch nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht am Gehweg enden, sondern führt sachnotwendig über diesen Teil des Straßenkörpers hinweg bis auf die Fahrbahn.
Dass eine Zufahrt nicht allein grundstücksbezogen definiert werden kann und nicht durch den Beginn des Straßengrundstücks begrenzt wird, erschließt sich auch aus der Systematik des § 20 NStrG, insbesondere aus der Vorschrift des § 20 Abs. 4 NStrG selbst:
Ginge es bei der Zufahrt allein um das nicht zum Straßenkörper im Sinne der Definition des § 2 Abs. 2 Nr. 1 NStrG zählende Anliegergrundstück, wäre die in Anlehnung an § 8a Fernstraßengesetz zur Entlastung des Trägers der Straßenbaulast geschaffene Vorschrift des § 20 Abs. 4 NStrG überflüssig. Einem privaten Eigentümer bräuchte jedenfalls im straßenrechtlichen Regelungszusammenhang nicht vorgeschrieben zu werden, sein Grundstück zu unterhalten.
Dass eine Zufahrt sich auch in den Bereich des Straßenkörpers hinein erstrecken kann, zeigt sich ferner bei der durch § 20 Abs. 4 NStrG ebenfalls sinngemäß herangezogenen Vorschrift des § 18 Abs. 4 Satz 2 NStrG, wonach Arbeiten an der Straße der Zustimmung des Trägers der Straßenbaulast bedürfen. Diese Regelung wäre ebenfalls überflüssig, wenn die Unterhaltung einer Zufahrt das Straßengrundstück nicht berühren könnte. Da nur bei einer funktionalen Zuordnung der Gehwegüberfahrt zum Begriff der Zufahrt überhaupt ein Anwendungsbereich der genannten Vorschriften besteht, verbietet sich die von dem Kläger favorisierte Auslegung ohne Weiteres.
Nur die oben aufgezeigte Auslegung wird schließlich auch dem Veranlasserprinzip gerecht, dem ersichtlich auch § 20 Abs. 4 NStrG dient. Insoweit bestimmt § 16 NStrG als Grundsatz: „Wenn eine Straße wegen der Art des Gemeingebrauchs durch einen anderen aufwändiger hergestellt oder ausgebaut werden muss, als es dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis entspricht, hat der andere dem Träger der Straßenbaulast die Mehrkosten für den Bau und die Unterhaltung zu vergüten und ihm hierfür auf Verlangen angemessene Vorschüsse oder Sicherheiten zu leisten.“ Die durch eine zwar noch gemeingebräuchliche aber verstärkte Nutzung der Straße verursachten Kosten werden indessen nicht nur beim erstmaligen Bau auf den Kostenveranlasser übergewälzt, sondern sollen ihm durch § 20 Abs. 4 NStrG auch als Unterhaltungsverpflichtungen überbürdet bleiben.
1.2.2. Rechtsfehlerfrei hat die Beklagte ferner angenommen, dass die Gehwegüberfahrten nicht den Anforderungen der Sicherheit und den anerkannten Regeln der Technik genügen.
Anhand der beim Verwaltungsvorgang befindlichen Lichtbilder (Bl.23 bis 25 VV), die vor dem Erlass des Widerspruchsbescheids gefertigt worden sind, ist ersichtlich, dass trotz der provisorischen Ausbesserungsarbeiten, die den anerkannten Regeln der Technik nicht entsprochen haben, weiterhin viele Gehwegplatten zerbrochen sind, was auch auf eine ungenügend sichere Lagerung bzw. zu geringe Stärke der Platten hinweist. Die beschädigten Gehwegplatten können sich, wie auch der Kläger nicht bestreitet, insbesondere für Fußgänger oder auf dem Gehweg mit dem Fahrrad fahrende Kinder als Stolperfallen erweisen; ferner drohen weitere Teilstücke herausgerissen zu werden.
1.2.3. Der Inanspruchnahme des Klägers steht nicht entgegen, dass die Beschädigung der Gehwegüberfahrten - wie der Kläger geltend macht - nicht auf die Nutzer seines Garagenhofes, sondern auf Lastkraftwagen zurückzuführen ist, die die Zufahrten zum Garagenhof nutzen, um dort zu wenden. Ob dies zutrifft, braucht nicht aufgeklärt zu werden.
Selbst wenn der Kläger die letzten Ursachen für die bestehenden Beschädigungen der Gehwegüberfahrten richtig benannt hätte, könnte ihn dies nicht von seiner Verantwortlichkeit für den Zustand der von ihm zu unterhaltenden Gehwegüberfahrten befreien. Diese Verantwortlichkeit ist nicht verschuldensabhängig und trifft den Inhaber einer Zufahrt auch dann, wenn seine Zufahrt zu Zwecken genutzt wird, die er nicht intendiert hat. Immerhin hat er mit den Zufahrten einen adäquaten Ursachenbeitrag für die von ihm geschilderten Wendemanöver durch Lastkraftwagen geschaffen.
Da auch die sonstigen Regelungen der angegriffenen Bescheide rechtlich nicht zu beanstanden sind, ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit sowie zur Abwendungsbefugnis ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 72 Nr. 1 GKG i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a. F. und orientiert sich an dem von der Beklagten als Kosten der Ersatzvornahme veranschlagten Betrag.