Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 17.03.2005, Az.: 3 A 511/03

Ablehnungsbescheid; Antrag; Antragsbearbeitung; Antragsunterlagen; Bearbeitung; Beweislast; Ermessensreduzierung; fehlende Mitwirkung; formeller Antrag; formloser Antrag; Frist; Kannvorschrift; Mietzuschuss; Mitteilung; Mitwirkung; Mitwirkungspflicht; Nachholung; Nichteinhaltung; Prozessstandschaft; Rückwirkung; Sanktion; Sozialleistung; Unterlagen; Versagung; Wiedereinsetzung; Wohngeld; Wohngeldantrag

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
17.03.2005
Aktenzeichen
3 A 511/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 50790
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Mit einer auf § 66 I SGB I gestützten Versorgung der Sozialleistung wird diese nicht endgültig aberkannt. Vielmehr wird dem Leistungsträger damit ein Leistungsverweigerungsrecht sui generis eingeräumt.

2. Sobald die Mitwirkung nachgeholt wird, entsteht gemäß § 67 SGB I ein Recht des Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die nachträgliche Erbringung der ursprünglich beantragten Sozialleistung.

Tenor:

Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für den Beigeladenen für den Zeitraum vom 01.11.2001 bis 31.03.2002 einen Mietzuschuss in Höhe von 559,99 EUR zu bewilligen.

Der Bescheid des Beklagten vom 16.05.2002 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 14.11.2003 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden für nicht erstattungsfähig erklärt.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Wohngeld.

2

Als überörtlicher Träger der Sozialhilfe trägt der Kläger die Kosten für die Unterbringung des Beigeladenen Herrn G. in der Evangelischen Stiftung Neuerkerode in Sickte. Mit Schreiben vom 05.11.2001 stellte er beim Beklagten einen formlosen Antrag auf Bewilligung von Wohngeld in Bezug auf den Beigeladenen. Darin wurde ausgeführt, ein formeller Antrag könne zur Zeit noch nicht vorgelegt werden, da ihm die benötigten Unterlagen noch nicht bekannt seien und ggf. erst angefordert werden müssten. Es wurde um Übersendung eines entsprechenden Antragsvordruckes und um Mitteilung der benötigten Unterlagen gebeten. Am 12.11.2001 teilte der Beklagte dem Kläger mit, welche Unterlagen noch benötigt würden und setzte eine Frist zur Vorlage der Unterlagen bis spätestens 17.12.2001. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass er sich bei Nichteinhaltung der Frist gezwungen sehe, von einer weiteren Bearbeitung des Antrages Abstand zu nehmen und den Antrag nach § 25 Abs. 1 WoGG i. V. m. § 66 SGB I abzulehnen. Nachdem seitens des Klägers keinerlei Reaktion erfolgte, versagte der Beklagte mit Bescheid gegenüber dem Kläger vom 03.01.2002 die Bewilligung von Wohngeld wegen fehlender Mitwirkung.

3

Mit Schreiben vom 28.03.2002, beim Beklagten eingegangen am 03.04.2002, übersandte der Kläger „Bezug nehmend auf seinen formlosen Wohngeldantrag vom 05.11.2001“ den formellen Wohngeldantrag mit Anlagen. Es wurde darauf hingewiesen, dass eine frühere Vorlage der Antragsunterlagen im Rahmen der sehr kurz gesetzten Frist zum 17.12.2001 nicht möglich gewesen sei. Unter Hinweis auf § 67 SGB I wurde gebeten, erneut über die Gewährung von Wohngeld zu entscheiden. Unter dem 08. und 26.04.2002 forderte der Beklagte beim Kläger unter nochmaligem Hinweis auf § 25 Abs. 1 WoGG und § 66 SGB I weitere Unterlagen an, „um den Wohngeldantrag vom 08.11.2001 bearbeiten zu können“. Nach Übersendung weiterer Unterlagen bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Beigeladenen mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 16.05.2002 für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.03.2003 einen Mietzuschuss in Höhe von 112,00 EUR monatlich. Dagegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 05.06.2002 Widerspruch erhoben, soweit im Bescheid der Zeitraum November 2001 bis März 2002 nicht berücksichtigt worden sei. Gleichzeitig wurde ein Bescheid des Arbeitsamtes Bad Hersfeld vom 10.05.2002 über die Gewährung von Kindergeld ab März 1998 vorgelegt. Zur Begründung trug er vor, die vom Beklagten aufgrund seines formlosen Antrages vom 05.11.2001 gesetzte Frist sei zu kurz bemessen gewesen, so dass es im Rahmen einer üblichen und angemessenen Arbeitszeit nicht möglich gewesen sei, alle für die Bearbeitung erforderlichen Unterlagen komplett vorzulegen. Der formelle Wohngeldantrag sowie Wohnraum- und Verdienstbescheinigung hätten zwar gerade noch fristgerecht vorgelegt werden können, dies jedoch auch nur unter Zurückstellung aller anderen notwendigen Fallbearbeitungen. Aus pragmatischen Erwägungen halte er es jedoch für angebracht, in den Fällen, in denen er Anträge auf Sozialleistungen stelle, die Antragsunterlagen möglichst komplett vorzulegen. Dies habe im vorliegenden Fall nicht innerhalb der gesetzten Frist bzw. bis zum Erlass des Ablehnungsbescheides erfolgen können. Bis zum Erlass des Ablehnungsbescheides hätte die am 10.05.2002 ergangene und ihm am 16.05.2002 zugestellte Entscheidung über die Bewilligung und Auszahlung des Kindergeldes für den Beigeladenen nicht vorgelegen. Von einer Zwischennachricht über diese Tatsache sei im Hinblick auf die Arbeitssituation aus Verwaltungsvereinfachungsgründen abgesehen worden. Mit Schreiben vom 28.03.2002 seien dann die vorhandenen Unterlagen vorgelegt worden, da nicht abzusehen gewesen sei, wann mit einer Entscheidung über den Kindergeldantrag gerechnet werden konnte. Die Bearbeitung der Wohngeldangelegenheit sei seinerseits nicht vorsätzlich oder fahrlässig verzögert worden. Der Grund für die geschilderte Bearbeitungsweise liege in erster Linie in der angespannten Arbeitssituation seiner Dienststelle. Der Bitte, im Hinblick auf die Nachholung seiner Mitwirkung gemäß § 67 SGB I rückwirkend Wohngeld zu gewähren, sei der Beklagte nicht nachgekommen. Gemäß dieser Vorschrift könne der Leistungsträger Sozialleistungen, die er nach § 66 SGB I versagt habe, nachträglich erbringen. Aufgrund dieser Kann-Vorschrift müsse der Leistungsträger, sofern alle Voraussetzungen für die Erbringung der Sozialleistung auch für die Zeit, in der die Mitwirkung zunächst unterlassen worden sei, vorliegen, nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Eine solche Ermessensentscheidung sei mit dem Bescheid vom 16.05.2002 nicht getroffen worden.

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Mit Bescheid vom 14.11.2003 wies die Bezirksregierung Braunschweig den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, nach § 27 Abs. 1 Satz 1 WoGG werde das Wohngeld in der Regel für 12 Monate bewilligt. Der Bewilligungszeitraum beginne am 1. des Monats, in dem der Antrag gestellt worden sei. Der Antrag sei formelle und materielle Anspruchsvoraussetzung. Es entspreche allerdings der wohngeldrechtlichen Praxis, dass zur Fristwahrung ein formloser Antrag ausreiche und in diesem Fall das entsprechend ausgefüllte Formblatt einschließlich der ggf. noch erforderlichen Unterlagen unverzüglich der Wohngeldbewilligungsstelle zu übersenden sei. Im vorliegenden Fall sei ein formloser Antrag bereits am 05.11.2001 gestellt worden. Hingegen sei der förmliche Antrag auf Wohngeld erst am 26.03.2002 ausgefertigt und unterschrieben und dem Beklagten mit Schreiben vom 28.03.2002, dort eingegangen am 03.04.2002, übersandt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei über den formlosen Antrag vom 05.11.2001 bestandskräftig mit Bescheid vom 03.01.2002 gemäß § 66 SGB I entschieden worden. Eine Wiedereinsetzung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X komme nicht in Betracht. Es sei weder ein entsprechender Antrag gestellt worden noch liege eine unverschuldete Fristversäumnis vor. Der Kläger habe auf die Anforderung von Unterlagen mit Fristsetzung bis zum 17.12.2001 nicht reagiert, so dass es zu dem ablehnenden Bescheid vom 03.01.2002 gekommen sei. Der Kläger habe noch bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist von einem Monat Zeit gehabt, Widerspruch zu erheben oder zumindest eine Verlängerung der behördlichen Frist zu beantragen. Die Behauptung, es werde Wert darauf gelegt, Vorgänge vollständig zu übersenden, sei eine reine Schutzbehauptung. Vielmehr habe vom Kläger auch im wohl verstandenen finanziellen Interesse erwartet werden müssen, dass er sich zumindest um eine (mögliche) Verlängerung der behördlichen Frist bemüht hätte, wenn tatsächlich die Unterlagen zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vollständig gewesen seien oder eine Arbeitsüberlastung vorgelegen habe. Somit sei das Mitwirkungsverfahren, das auf dem (formlosen) Antrag vom 05.11.2001 beruhe, unstreitig spätestens mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist am 07.02.2002 erfolglos beendet gewesen. Dementsprechend sei das Schreiben vom 28.03.2002 nicht als abschließende Mitwirkung, sondern als neuer Wohngeldantrag zu werten gewesen. Es könne daher auch nicht im Rahmen einer Ermessensentscheidung nach § 67 SGB I das Wohngeld für die Zeit vom 01.11.2001 bis 31.03.2002 bewilligt werden.

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Der Kläger hat am 11.12.2003 Klage erhoben und verfolgt sein Begehren weiter. Zur Begründung trägt er vor, der Beklagte habe den mit Schreiben vom 28.03.2002 übersandten formellen Wohngeldantrag zu Unrecht als neuen Antrag gewertet, obwohl dieser mit Schreiben vom 08.04.2002 weitere Unterlagen „für die Bearbeitung des Wohngeldantrages vom 08.11.2001“ unter Fristsetzung bis zum 29.04.2002 angefordert habe. Mit Schreiben des Beklagten vom 08.04.2002, mithin nach Eingang des formellen Wohngeldantrages, habe diese ausdrückliche Bezugnahme auf den formlosen Wohngeldantrag vom 08.11.2001 zu erkennen gegeben, dass er nunmehr nach dem Eingang des formellen Wohngeldantrages auch über den Zeitraum seiner formlosen Antragstellung entscheiden werde. Dies stelle eindeutig eine rückwirkende Entscheidung des Beklagten gemäß § 67 SGB I dar, nachdem er durch Übersendung des formellen Wohngeldantrages seine Mitwirkungspflichten nachgeholt und in dem Schreiben vom 28.02.2002 ausdrücklich auf die Möglichkeit des § 67 SGB I hingewiesen habe. Das Verhalten des Beklagten in dem Bescheid vom 16.05.2002 stehe daher in krassem Widerspruch zu dessen Verhalten in dem Schreiben vom 08.04.2002 (venire contra factum proprium). Der Beklagte habe ausgeführt, dass die Mitwirkungshandlung gemäß § 67 SGB I innerhalb eines Monats hätte nachgeholt werden müssen. Dabei verkenne er die Systematik der §§ 60-67 SGB I. Der auf fehlende Mitwirkungspflicht gestützte Versagungsbescheid gemäß § 66 SGB I werde durch die Nachholung der Mitwirkungshandlung trotz eventueller Bestandskraft rechtswidrig und sei daher aufzuheben. Ausweislich des Bescheides vom 03.01.2002 sei die Leistung wegen fehlender Mitwirkung bei der Antragstellung gemäß § 66 Abs. 1 SGB I versagt worden. Der Beklagte habe daher gerade keine Entscheidung über die materielle Leistungsvoraussetzung getroffen, sondern nur eine Versagung wegen fehlender Mitwirkung des Leistungsberechtigten ausgesprochen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die Versagung wegen fehlender Mitwirkung des Leistungsberechtigten als ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zu qualifizieren, der rechtswidrig werde, sobald die Mitwirkungspflicht nachgeholt werde oder aus sonstigen Gründen entfalle. Dass der Beklagte seinen Bescheid vom 03.01.2002 aufgehoben habe, nachdem er die Mitwirkungspflichten nachgeholt hatte, ergebe sich insbesondere aus dessen Schreiben vom 08.04.2002 sowie aus dem Schreiben des Beklagten an die Betreuerin des Hilfeempfängers vom 26.04.2002, mit dem zur Bearbeitung des Wohngeldantrages vom 08.11.2001 noch eine Vollmacht angefordert worden sei.

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Er beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 16.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 14.11.2003 insoweit aufzuheben, als Wohngeldleistungen für die Monate November 2001 bis März 2002 versagt werden und diesen zu verpflichten, ihm für den Zeitraum November 2001 bis März 2002 Wohngeldleistungen in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung verweist er auf Folgendes: Wenn der Leistungsträger wegen fehlender Mitwirkung im Sinne der §§ 60-64 SGB I unter Beachtung der Grenzen des § 65 SGB I eine für den Berechtigten (zunächst) negative Entscheidung nach § 66 SGB I (insbesondere unter Beachtung des Verfahrens nach § 66 Abs. 3 SGB I) habe treffen müssen, und werde die unterbliebene Mitwirkung danach im notwendigen Umfang nachgeholt, so entstehe gemäß § 67 SGB I ein Recht des Betroffenen auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über das nachträgliche Erbringen der entzogenen Sozialleistungen. Davon zu unterscheiden seien jedoch die Fälle, in denen der Leistungsträger wie im vorliegenden Fall den Anspruch zunächst durch Bescheid (§ 39 SGB X) wirksam abgelehnt habe. Eine diesbezügliche Korrektur könne sich allenfalls nach § 44 SGB X ergeben. Aber auch nach dieser Vorschrift sei im vorliegenden Sachverhalt eine Rücknahme des Bescheides vom 03.01.2002 nicht möglich, da zur Zeit der Bescheiderteilung die Versagung rechtmäßig gewesen sei.

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Der durch Beschluss vom 20.07.2004 Beigeladene hat sich zum Verfahren nicht geäußert und stellt keinen Antrag.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten und der Bezirksregierung Braunschweig Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässige Klage, über die die Kammer mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat Erfolg. Dem Beigeladenen steht als materiell Berechtigtem ein Anspruch auf die Bewilligung eines Mietzuschusses in Höhe von 559,99 EUR für den Zeitraum vom 01.11.2001 bis 31.03.2002 seitens des Beklagten zu. Diesen Anspruch kann der erstattungsberechtigte Kläger über den im Zeitpunkt der Klageerhebung noch geltenden § 91a BSHG im eigenen Namen gerichtlich geltend machen (gesetzliche Prozessstandschaft).

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Der Beklagte hat nach Ansicht der Kammer zu Unrecht Wohngeld nur für den Zeitraum ab 01.04.2002 bewilligt bzw. keine Ermessensentscheidung gemäß § 67 SGB I hinsichtlich der Gewährung von Wohngeld für den Zeitraum November 2001 bis März 2002 getroffen. § 67 SGB I ist im Zusammenhang mit § 66 und § 65 SGB I zu sehen. Insoweit normieren die für alle Sozialleistungen geltenden Vorschriften Mitwirkungspflichten der jeweiligen Leistungsberechtigten (§ 60 SGB I). Danach muss derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen angeben, die für die Leistung erheblich sind, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitteilen und Beweismittel bezeichnen und auf Verlangen vorlegen. § 66 SGB I gibt dem Leistungsträger die Möglichkeit, auf ein Verhalten, das gegen die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60-65 SGB I verstößt, mit einer Sanktion zu reagieren. Denn kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, den Mitwirkungspflichten nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhaltes erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen, soweit die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen sind (vgl. § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I). Die Versagung oder Entziehung setzt eine Frist zur Nachholung der Mitwirkungspflicht unter Hinweis auf die Folgen voraus (§ 66 Abs. 3 SGB I). Mit der Möglichkeit dieser Sanktion kann letztlich Druck auf den Mitwirkungspflichtigen ausgeübt werden. Bei der Entscheidung der Behörde handelt es sich nicht um eine Entscheidung nach den Regeln der objektiven Beweislast, welche unberührt bleiben. Vielmehr erfolgt eine Begrenzung der Sachaufklärungspflicht und eine Verringerung des Beweismaßes aufgrund einer Verletzung von Mitwirkungspflichten. Dementsprechend wird mit der Versagung die Sozialleistung nicht endgültig aberkannt. Vielmehr wird dem Leistungsträger ein Leistungsverweigerungsrecht sui generis für den Zeitraum der fehlenden Mitwirkung eingeräumt. Die Dauer dieses Leistungsverweigerungsrechts hängt von der Nachholung der Mitwirkung durch den Betroffenen ab (vgl. für alles Vorstehende Giese/Krahmer, SGB I, § 66 Rn. 12, 16). Erfolgt die Nachholung vor einer angedrohten Entscheidung gemäß § 66 SGB I, korrigiert der Betroffene sein pflichtwidriges Verhalten, ohne dass er einen Rechtsnachteil erleidet. Wird die Mitwirkung nachgeholt und liegen die Leistungsvoraussetzungen vor, falls eine Entscheidung nach § 66 SGB I bereits erfolgt ist, kann der Leistungsträger Sozialleistungen nachträglich ganz oder teilweise erbringen (§ 67 SGB I). Da die Entziehung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I rechtmäßig nur wegen fehlender Mitwirkung des Leistungsberechtigten, nicht aber wegen Fehlens materieller Leistungsvoraussetzungen ausgesprochen werden darf, wird dieser Verwaltungsakt rechtswidrig, sobald die Mitwirkungspflicht nachgeholt wird. Dann ist der Versagungsbescheid gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB X aufzuheben. Sobald die Mitwirkung nachgeholt wird, entsteht gemäß § 67 SGB I i. V. m. § 39 Abs. 1 SGB I ein Recht des Bürgers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die nachträgliche Erbringung der ursprünglich beantragten Sozialleistungen (vgl. BSG, Urt. v. 22.02.1995 - 4 RA 44/94 -, recherchiert in Juris). Eines besonderen Antrags des Betroffenen bedarf es für die Nachgewährung nicht (vgl. Giese/Krahmer, a. a. O.: § 67 Rn. 4.1 ff.). Entgegen der Ansicht des Beklagten ist nicht ersichtlich, dass die Pflicht zu einer Entscheidung gemäß § 67 SGB I lediglich bis zur Bestandskraft des auf § 66 SGB I gestützten Bescheides besteht. Dies ergibt sich allein aus der Tatsache, dass in der Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen darüber bestehen, ob ein Bescheid nach § 67 SGB I die formelle Bestandskraft eines Versagungs- oder Entziehungsbescheides nach § 66 SGB I voraussetzt (vgl. Giese/Krahmer, a. a. O., § 67 Rn. 3.3; vgl. auch Mrozynski, SGB I § 67 Rn. 7, der eine Nachholung im Sinne von § 67 SGB I erst nach der bis zur Entscheidung über den Widerspruch betr. die Entscheidung nach § 66 SGB I annimmt).

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Bezogen auf das vorliegende Verfahren unter Berücksichtigung der Vorschriften des Wohngeldgesetzes stellt sich die rechtliche Situation nach Ansicht der Kammer wie folgt dar:

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Der Kläger war über § 91a BSHG berechtigt, gegenüber dem Beklagten im eigenen Namen den Anspruch des Beigeladenen auf Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz geltend zu machen. Insoweit hat er im November 2001 einen wirksamen Antrag gestellt. Zwar soll der Antrag auf Wohngeld auf dem amtlichen Vordruck gestellt werden (vgl. WoGVwV 23.12 Abs. 1; § 60 Abs. 2 SGB I). Jedoch ist auch eine formlose Antragstellung möglich. In diesem Fall hat die zuständige Stelle - wie auch im vorliegenden Verfahren geschehen - dem jeweiligen Antragsteller einen amtlichen Vordruck mit den dazu gehörigen Erläuterungen zu übersenden, ihn aufzufordern, den Vordruck innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist ausgefüllt wieder einzureichen und ihn darauf hinzuweisen, dass anderenfalls der formlos gestellte Antrag zurückgewiesen werden kann, wenn durch die Nichtbenutzung des Vordrucks die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird (vgl. 23.12 Abs. 1, 66.11 WoGVwV). Es kann dahinstehen, ob der in § 66 Abs. 1 SGB I geregelte Versagungsgrund überhaupt gegenüber einem (überörtlichen) Träger der Sozialhilfe, der nach § 91a BSHG die Feststellung einer Sozialleistung betreibt, anwendbar ist (vgl. VGH Mannheim, B. v. 19.04.2004 - 12 S 1576/03 -, FEVS 56, 27 ff.) und der Bescheid vom 03.01.2002 seinerzeit rechtmäßig ergangen ist. Jedenfalls ist mit dem Bescheid vom 03.01.2002 entgegen der Ansicht des Beklagten in der Klageerwiderung keine materielle Ablehnung des Anspruchs erfolgt. Denn in dem Bescheid wird ausdrücklich auf § 66 SGB I Bezug genommen und festgestellt, dass die für die Klärung des Sachverhalts zur Gewährung von Wohngeld erforderlichen Beweismittel nicht angegeben und die Beweisurkunden nicht vorgelegt wurden.

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Demgegenüber war der Beklagte bereits von Amts wegen und erst recht nach dem Hinweis des Klägers auf § 67 SGB I verpflichtet, nach Vorlage des Antragsvordrucks und der angeforderten Unterlagen im April 2002 gemäß § 67 Abs. 1 SGB I eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob für den vergangenen Zeitraum von November 2001 bis März 2002 Wohngeldleistungen nachträglich erbracht werden. Wie o. a. kam es nicht darauf an, dass der Bescheid vom 03.01.2002 zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig war.

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Nach Ansicht der Kammer ist diese Ermessensentscheidung zu Gunsten des Beigeladenen bzw. Klägers zu treffen. Unter Berücksichtigung der vorgegebenen Konstellation und des Sachverhaltes im Übrigen hält die Kammer lediglich die nachträgliche Gewährung von Wohngeldleistungen für den Zeitraum von November 2001 bis März 2002 für rechtmäßig, so dass eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt.

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Bei dieser Ermessensentscheidung ist im Hinblick auf § 2 Abs. 2 SGB I insbesondere zu berücksichtigen, ob mit der nachträglichen Leistungsgewährung der Zweck der Sozialleistung noch erreicht werden kann. Darüber hinaus sind die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen, die Dauer der fehlenden Mitwirkung, die Motive und das Verschulden des Betroffenen und ggf. die Mitverursachung der fehlenden Mitwirkung durch den Leistungsträger zu berücksichtigen (vgl. Giese/Krahmer, SGB I, § 67 Rn. 4.2). Im vorliegenden Verfahren ist davon auszugehen, dass auch mit der nachträglichen Leistungsgewährung der Zweck des Wohngeldes, die wirtschaftliche Sicherung angemessenen Wohnens, noch erreicht werden kann. Von besonderer Bedeutung ist darüber hinaus, dass nicht der nach dem Wohngeldgesetz anspruchsberechtigte Beigeladene selbst das Verwaltungsverfahren geführt hat, sondern der Kläger in gesetzlicher Prozessstandschaft. Vor diesem Hintergrund ist zu berücksichtigen, dass der Kläger eine Vielzahl von Ansprüchen über § 91a BSHG nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG; §§ 16 Abs. 3, 17 Abs. 1 SGB I, §§ 33 ff., 86 SGB X) geltend zu machen hat. Im Übrigen erscheint auch die Argumentation des Klägers in Anbetracht seiner Verpflichtung aus den eben genannten Vorschriften sachgemäß. Dadurch, dass bei der Anforderung mehrerer Unterlagen mit der Übersendung an die zuständige Behörde gewartet wird, bis alle oder zumindest ein Großteil der Unterlagen vorhanden sind, kann sowohl auf Seiten der Antrag stellenden Behörde als auch auf Seiten der Wohngeldbehörde unnötiger Verwaltungsaufwand vermieden werden (vgl. auch VGH Mannheim, a. a. O.). Allein das Versäumnis des Klägers, in Anbetracht der relativ kurzen Fristsetzung zur Vorlage der Unterlagen einen Antrag auf Fristverlängerung zu stellen oder auf seine üblichen Gepflogenheiten der gemeinsamen Übersendung vollständiger Unterlagen hinzuweisen, kann demgegenüber keine andere Entscheidung rechtfertigen.

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Nach alledem ist der Beklagte zu verpflichten, dem Kläger in Bezug auf den Beigeladenen für den Zeitraum vom 01.11.2001 bis 31.03.2002 einen Mietzuschuss in Höhe von 559,99 EUR (vgl. Mitteilung des Beklagten vom 09.07.2004, Bl. 30 der Gerichtsakte) zu bewilligen. Der Bescheid des Beklagten vom 16.05.2002 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 14.11.2003 sind aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.