Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 02.08.2023, Az.: 15 UF 9/23

Beschwerde der Kindesmutter gegen die Entziehung der elterlichen Sorge wegen des Vorliegens einer konkreten Kindeswohlgefährdung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
02.08.2023
Aktenzeichen
15 UF 9/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 52681
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hildesheim - 05.12.2022 - AZ: 35 F 71/22

In der Familiensache
betreffend die elterliche Sorge für
L. W., geboren am 24. März 2019, ...,
Verfahrensbeistand:
Rechtsanwältin A. G., ...,
weitere Beteiligte:
1. I. W., ...,
Kindesmutter und Beschwerdeführerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
Anwaltsbüro S...,
2. T. H., ...,
Kindesvater,
3. Landkreis H...,
4. Vormund: Landkreis H., ...,
hat der 15. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht P., die Richterin am Amtsgericht G. und den Richter am Oberlandesgericht G. am 31. Juli 2023 beschlossen:

Tenor:

  1. I.

    Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hildesheim vom 5. Dezember 2022 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

  2. II.

    Der Beschwerdewert wird auf 4.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Aus der früheren nichtehelichen Beziehung der Beteiligten zu 1 und zu 2 ist der am 24. März 2019 geborene Sohn L. W. hervorgegangen. Die elterliche Sorge für L. stand bisher der Kindesmutter allein zu. Seit dem 10. August 2022 wird L. fremdbetreut, zunächst in der Kleinkindgruppe der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung S. in H., seit dem 29. Oktober 2022 in einer Bereitschaftspflegefamilie.

Das vorliegende Hauptsacheverfahren wurde aufgrund eines Berichts des Jugendamts des Landkreises H. vom 21. Oktober 2022 durch das Amtsgericht - Familiengericht - Hildesheim von Amts wegen eingeleitet. Mit diesem Bericht hatte das Jugendamt zunächst lediglich den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf vorläufige Entziehung der Gesundheitssorge der Kindesmutter beantragt, da die Kindesmutter die Krankenkassenkarte, den Impfausweis und das Vorsorgeuntersuchungsheft für L. nicht herausgegeben habe und damit notwendige medizinische Maßnahmen für L. erschwere. Nachdem sich Anfang November 2022 herausstellte, dass die vorgenannten Unterlagen inzwischen übergeben wurden, wurde das Verfahren durch das Amtsgericht als Hauptsacheverfahren zur Klärung des künftigen Lebensmittelpunktes von L. fortgeführt. Dieses bestellte L. einen Verfahrensbeistand und hörte die Beteiligten am 29. November 2022 persönlich an. Zuvor hatte das Jugendamt des Landkreises H. mit einem weiteren Bericht vom 25. November 2022 nunmehr die einstweilige Entziehung der elterlichen Sorge insgesamt und die Bestellung des Jugendamtes zum Vormund beantragt. Mit diesem Bericht wurde beim Amtsgericht das einstweilige Anordnungsverfahren 35 F 79/22 (EASO) eingeleitet, welches durch den wenige Tage später stattgefundenen Anhörungstermin im vorliegenden Hauptsacheverfahren, in dem der vorgenannte Antrag ebenfalls Gegenstand war, seine Erledigung gefunden hat. Bereits in diesem Anhörungstermin erklärte die Kindesmutter, mit einer Fremdunterbringung ihres Kindes auf Dauer nicht einverstanden zu sein; vielmehr solle L. in den Haushalt ihrer Mutter wechseln, der gegebenenfalls Teilbereiche der elterlichen Sorge übertragen werden sollten.

Mit Beschluss vom 5. Dezember 2022, auf den zur weiteren Darstellung des Sachverhalts einschließlich des Verlaufs der Jugendhilfegewährung durch die Jugendämter des Landkreises H.-P. und H. ergänzend Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht der Kindesmutter sodann die elterliche Sorge für L. in vollem Umfang entzogen und Vormundschaft angeordnet. Zum Vormund hat es das Jugendamt des Landkreises H. bestellt. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, die angeordnete Sorgerechtsentziehung sei gemäß §§ 1666 Abs. 1, 1666a Abs. 1 BGB erforderlich, da eine Gefährdung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls von L. gegeben sei, die auf andere Weise als durch die Sorgerechtsentziehung und die Fremdunterbringung nicht abgewendet werden könne. Der gesamte Hilfeverlauf zeige, dass auf Seiten der unter rechtlicher Betreuung stehenden Kindesmutter eine Einschränkung der Erziehungsfähigkeit vorliege, die in der Vergangenheit immer wieder zu Kindeswohlgefährdungen im Zusammenhang mit der Betreuung von L. durch die Kindesmutter geführt habe. Es liege eine Überforderung und ein nicht adäquater Umgang der Kindesmutter mit L. - auch vor dem Hintergrund der bestehenden Auffälligkeiten des Kindes - vor. Der Kindesmutter sei es nicht möglich, Gefahrensituationen für ihr Kind in ausreichendem Maße zu erkennen. Das Jugendamt habe unter anderem von Beißen, Treten, Werfen mit Essen und Kot sowie Schmierereien mit Kot und Urinieren im Zimmer durch L. berichtet. Außerdem seien von dem Helfersystem verstärkte Verhaltensauffälligkeiten des Kindes wahrgenommen worden, wenn es mit der Mutter zusammen gewesen sei. Betreuer der Kleinkindgruppe der Einrichtung S. hätten von extrem übergriffigem und sogar planerischem Verhalten des Kindes insbesondere gegenüber anderen Kindern berichtet. Unter anderem in der Mutter-Kind-Einrichtung in U., in der sich die Kindesmutter mit L. vor der Inobhutnahme befunden habe, seien von den dortigen Betreuern Schreie des Kindes einerseits und klatschende Geräusche andererseits wahrgenommen worden. Auch seien von den Helfern Gefahrensituationen, beispielsweise im Straßenverkehr, beobachtet worden, in denen die Kindesmutter überhaupt nicht oder zu spät eingegriffen habe. L. sei auf die Straße gelaufen und die Kindesmutter habe zu spät reagiert, weshalb eine Mitarbeiterin der Mutter-Kind-Einrichtung in U. habe eingreifen müssen. Mehrfach sei es auch vorkommen, dass die Kindesmutter nach Beginn einer Beschäftigung mit L., zum Beispiel Malen mit Straßenmalkreide oder Spielen im Sandkasten, letztlich zwei Stunden alleine gespielt habe und sich stattdessen die Betreuer um das Kind hätten kümmern müssen.

Die Kindesmutter zeige derzeit keine ausreichende Akzeptanz mit einer dauerhaften Fremdunterbringung von L. Ihre Zusammenarbeit und Zusagen in der Vergangenheit seien von einer starken Ambivalenz und Unzuverlässigkeit geprägt. In der in dem Verfahren 35 F 57/22 (EASO) wegen Prüfung der Erforderlichkeit kinderschutzrechtlicher Maßnahmen nach §§ 1666 Abs. 1, 1666a Abs. 1 BGB am 2. September 2022 stattgefundenen Sitzung habe sich die Kindesmutter mit einer Fremdunterbringung einverstanden erklärt und eine verlässliche Zusammenarbeit, insbesondere im gesundheitlichen Bereich, zugesagt. Insbesondere habe sie auch die Aushändigung des U-Heftes, der Krankenversichertenkarte und des Impfausweises von L. zugesichert. Alle diese Unterlagen seien abschließend jedoch erst am 21. Oktober 2022 auf starken Nachdruck hin vorgelegt worden.

Die Kindesmutter sei im Rahmen ihrer kognitiven Erfassung eingeschränkt. Die genauen Hintergründe der rechtlichen Betreuung und etwaige Diagnosen seien jedoch nicht bekannt und von der Kindesmutter auch auf Nachfrage nicht mitgeteilt worden. Nach alledem könne nicht davon ausgegangen werden, dass derzeit eine zuverlässige Zusammenarbeit der Kindesmutter mit dem Helfersystem, insbesondere zur Fassung wichtiger Entscheidungen des Sorgerechtsinhabers, stattfinden würde.

Mildere Maßnahmen als eine Fremdunterbringung seien zur Gewährleistung eines ausreichenden Schutzes von L. derzeit nicht ersichtlich. Die bislang durchgeführten Hilfemaßnahmen, insbesondere die Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung, hätten die Kindeswohlgefährdung nicht abwenden können. Auch dort habe es Meldungen über Kindeswohlgefährdungen und fehlende ausreichende Zusammenarbeit und Akzeptanz der Kindesmutter gegeben. In der Mutter-Kind-Einrichtung in U. sei es am 8. August 2022 gar zu einem tätlichen Angriff der Kindesmutter auf eine Mitarbeiterin gekommen, welcher durch die Kindesmutter jedoch in Abrede genommen werde.

Eine Unterbringung von L. im Haushalt der Großmutter mütterlicherseits komme als mildere Maßnahme ebenfalls nicht in Betracht. Soweit die Kindesmutter den Wunsch hege und in der Sitzung vom 29. November 2022 nochmals bekräftigt habe, dass L. in den Haushalt ihrer Mutter wechseln und von dieser die elterliche Sorge ausgeübt werden solle, könne dem aus Kindeswohlgesichtspunkten nicht gefolgt werden. Der Wunsch der Kindesmutter sei ihren eigenen Angaben zufolge neben dem familiären Umfeld davon geprägt, dass sie selbst einen freieren und größeren Umgang mit L. haben und sich auch anders um diesen kümmern könne. Insoweit wäre im Hinblick auf die bestehenden Vorerkenntnisse aufgrund des bisherigen Hilfeverlaufs wiederum mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Kindeswohlgefährdung zu rechnen. Gerade ein größerer Umfang der Betreuung durch die Kindesmutter habe zu der Ausgangssituation der damaligen Inobhutnahme geführt. Dass ein ausreichender Schutz durch die Großmutter gewährleistet werde, sei nicht zu erkennen. Die Großmutter erkenne nach Einschätzung des Jugendamtes diese Zusammenhänge nicht. Dabei sei auch der bisherige Hilfeverlauf zu berücksichtigen. Die Großmutter habe sich nicht an den Schutz- und Stufenplan bei der damaligen Rückführung des Kindes in den Haushalt der Kindesmutter Anfang 2022 gehalten. Zudem habe das Helfersystem ein dominantes Auftreten der Großmutter beobachtet, durch welches gute Erziehungsansätze und Ideen der Kindesmutter unterbunden worden seien. Nach der am 10. August 2022 erfolgten Inobhutnahme habe die Großmutter zudem keine Bereitschaft gezeigt, L. bei sich aufzunehmen.

Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Großmutter in ausreichendem Maß die Förderung von L. und die Erfüllung seiner Bedarfe gewährleisten könne. Den Schilderungen des Jugendamtes, etwa im Bericht vom 25. November 2022 (35 F 79/22 (EASO)), zufolge habe die Großmutter anhaltend betont, dass weder Verhaltensauffälligkeiten des Kindes noch Entwicklungsverzögerungen bestünden. Der hohe Förderbedarf von L. werde also von der Großmutter nicht erkannt, und alle fachlichen Einschätzungen diesbezüglich würden nicht ernst genommen.

Aus den vorgenannten Gründen komme die Großmutter mütterlicherseits als Vormund nicht in Betracht.

Die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei aufgrund der umfangreichen Erkenntnisse aus dem bisherigen Hilfeverlauf nicht veranlasst; vielmehr liege bereits eine ausreichende Entscheidungsgrundlage vor.

Gegen diese ihrem erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten am 9. Dezember 2022 zugestellte Entscheidung hat die Kindesmutter am 8. Januar 2023 beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt. In ihrer Beschwerdebegründung vom 16. Februar 2023 hat sie zunächst beantragt, ihr die elterliche Sorge für L. zu belassen und lediglich die Teilbereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitssorge und Antragstellung bei Behörden vorübergehend auf ihre Mutter, Frau E. K., zu übertragen, verbunden mit dem Wechsel von L. in deren Haushalt.

Es diene dem Wohl von L. am besten, wenn er bei seinen Angehörigen aufwachse und nicht in einer Einrichtung oder Pflegefamilie. Soweit sie selbst derzeit nicht in der Lage sein sollte, das Sorgerecht auszuüben, halte sie es für ausreichend, vorübergehend die vorgenannten Teilbereiche der elterlichen Sorge auf ihre Mutter zu übertragen.

In der mündlichen Anhörung vor dem Amtsgericht habe sie nur deshalb auf die eines Sachverständigengutachtens verzichtet, weil sie davon ausgegangen sei, dass im Falle einer Entziehung der elterlichen Sorge ihre Mutter beauftragt werden würde, für L. zu sorgen. Die jetzige Entscheidung sei für sie überraschend, zumal weder das Gericht noch die Verfahrensbeiständin bisher mit ihrer Mutter gesprochen hätten, um sich ein eigenes Bild zu verschaffen. Dies sei verfahrensfehlerhaft gewesen. Sie hätte vielmehr davon ausgehen dürfen, dass vor einer Bestellung des Jugendamtes zum Vormund die Möglichkeit der Betreuung durch Familienangehörige nicht lediglich anhand von Äußerungen des Jugendamtes, sondern aufgrund eigener Wahrnehmung vom Gericht geprüft werde. Ihre kognitiven Einschränkungen seien dem Familiengericht bekannt gewesen. Daher sei es auch unangemessen gewesen, sie im Anhörungstermin mit dem Antrag des Jugendamtes vom 25. November 2022 auf vorläufige Entziehung der elterlichen Sorge zu konfrontieren und dann sogleich nicht nur vorläufig, sondern auch endgültig zu entscheiden.

Es stehe auch nicht hinreichend fest, dass eine Entziehung der elterlichen Sorge und Einrichtung einer Vormundschaft dem Kindeswohl am besten entspreche. Durch die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung würden nun Fakten geschaffen, die eine Rückführung von L. in seine Familie deutlich erschwerten. Für L. sei es am besten, wenn er bei seiner Großmutter mütterlicherseits aufwachse statt in einer Pflegefamilie. Die Großmutter werde vom Jugendamt des Landkreises H. abgelehnt, weil sie nach der Inobhutnahme des Kindes am 10. August 2022 es abgelehnt habe, L. zu sich zu nehmen. Dieser Umstand zeige jedoch gerade, dass das Jugendamt ihre Mutter seinerzeit noch als geeignet und in der Lage betrachtet habe, L. zu betreuen. Das Verhalten ist Jugendamtes sei damit widersprüchlich. Dieser Widerspruch sei nicht aufgeklärt worden.

Auch schließe das Amtsgericht einen Wechsel von L. in den Haushalt der Großmutter aus, ohne sich selbst ein Bild von dieser gemacht zu haben. Dies stelle einen Verfahrensfehler dar, zumal die Großmutter ihrerseits konkret beantragt habe, die elterliche Sorge für L. auf sie zu übertragen. Auch die Verfahrensbeiständin habe das Gespräch mit ihrer Mutter nicht gesucht, obwohl hierzu beim Umgangskontakt bei der Pflegestelle am 23. November 2022 Gelegenheit bestanden habe.

In seiner Entscheidung stütze sich das Amtsgericht allein auf die Angaben des Jugendamtes, deren Richtigkeit jedoch nicht überprüft worden sei. In der amtsgerichtlichen Entscheidung werde auch an keiner Stelle thematisiert, dass die Großmutter regelmäßig Umgang mit L. habe und insoweit auch eine besondere Bindung zwischen beiden bestehe. Auch hierüber hätte das Jugendamt das Gericht informieren müssen. Für sie dränge sich der Verdacht auf, dass hier vom Jugendamt und von der Verfahrensbeiständin nur einseitig Informationen an das Gericht weitergegeben worden seien.

Damit sei eine ausreichende Entscheidungsgrundlage ihrer Auffassung nach gerade nicht gegeben. Vielmehr wäre ein Sachverständigengutachten einzuholen gewesen. Es müsse gutachterlich geklärt werden, welchen Bedarf L. habe, wie weit sie selbst erziehungsfähig sei und inwieweit die Möglichkeit der Betreuung des Kindes durch die Großmutter gegeben sei. Sofern erforderlich, wäre auch zu ermitteln, welche weiteren Stellen mit eingebunden werden sollten, um die Betreuung in der Familie sicherzustellen.

Das Amtsgericht hätte auch nicht auf die Anhörung des Kindes verzichten dürfen. Gerade vor dem Hintergrund, dass auch die Großmutter regelmäßig Umgang mit L. habe, hätte eine Anhörung des Kindes Auskunft über die bestehende Bindung geben und dem Verdacht entgegenwirken können, es sei bewusst auf die Anhörung verzichtet worden, um diese Bindung zu verschleiern. Überhaupt dränge sich der Eindruck auf, dass hier seitens des Jugendamtes auf eine schnelle, abschließende Lösung gedrängt werde, bei der eine gründliche Prüfung, welche Lösung dem Kindeswohl am besten entspreche, hinter eine kurzfristige Regelung zurücktrete. Dies könne dem Kindeswohl jedoch nicht entsprechen. Dies gelte auch für den Umstand, dass das Jugendamt bereits eine Pflegefamilie gefunden habe.

Im Anhörungstermin vom 23. März 2023 hat die Kindesmutter ihren Beschwerdeantrag dahin eingeschränkt, dass der Entzug der elterlichen Sorge selbst nicht mehr angegriffen werde.

Die Verfahrensbeiständin hat im Beschwerdeverfahren mit Bericht vom 17. März 2023 zur Beschwerdebegründung schriftlich Stellung genommen und darin unter anderem zum Ausdruck gebracht, dass das Beschwerdevorbringen ihrer Auffassung nach eine andere Beurteilung, als in der amtsgerichtlichen Entscheidung geschehen, nicht rechtfertige. Die Großmutter komme aus ihrer Sicht als Vormund nicht in Betracht. Diese erkenne bis jetzt nicht die Defizite in der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter, die Verhaltensauffälligkeiten von L. und dessen erhöhten Förderbedarf. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Bericht vom 17. März 2023 (Bl. 126 f. d.A.) Bezug genommen.

Das Jugendamt hat mit Bericht vom 20. März 2023 (Bl. 126 f. d.A.), auf den ergänzend ebenfalls Bezug genommen wird, zur aktuellen Situation von L. in der Bereitschaftspflege berichtet.

Darüber hinaus hat der Senat sämtliche Verfahrensbeteiligten einschließlich des Kindesvaters sowie die Großmutter mütterlicherseits persönlich angehört. Hierzu wird auf die Niederschrift der Sitzung vom 23. März 2023 (Bl. 136 ff. d.A.) nebst dem als Anlage überreichten Bericht des Jugendamts vom selben Tage nebst beigefügter Fallchronik (Bl. 148 - 154 ff. d.A.) sowie den Protokollberichtigungsvermerk vom 25. Juli 2023 Bezug genommen. Am 20. April 2023 erfolgte die Anhörung des Kindes im Beisein der bestellten Verfahrensbeiständin; hierzu wird auf den Anhörungsvermerk vom 20. April 2023 (Bl. 167 d.A.) Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Kindesmutter ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. In der Sache führt sie jedoch nicht zum Erfolg.

1. Aus zutreffenden Erwägungen und mit nachvollziehbarer Begründung, der sich der Senat nach eigener kritischer Würdigung des gesamten Akteninhalts und persönlicher Anhörung aller Beteiligten wie auch der ebenfalls persönlich angehörten Großmutter mütterlicherseits in vollem Umfang anschließt, ist das Amtsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass gegenwärtig eine konkrete Kindeswohlgefährdung von L. bestünde, wenn die Kindesmutter die elterliche Sorge weiterhin ausüben und L. wieder betreuen würde, und dass zur Abwendung dieser Kindeswohlgefährdung auch eine Betreuung des Kindes durch die Großmutter mütterlicherseits, verbunden mit einer Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge auf diese, nicht ausreichend wäre.

Diese Einschätzung teilt auch der Senat. Denn es steht in Anbetracht des gesamten tatsächlichen Geschehens in Gestalt des Verlaufs der seit Februar 2021 gewährten Jugendhilfe hinreichend fest, dass die Kindesmutter selbst nicht ausreichend in der Lage ist, L. eigenverantwortlich zu betreuen und zu erziehen und dabei dessen besonderem Förderbedarf im erforderlichen Maß gerecht zu werden.

Wie sich sowohl aus dem in der erstinstanzlichen mündlichen Anhörung vom 29. November 2022 erörterten Bericht des Jugendamts vom 25. November 2022 (Bl. 3 - 6 der Beiakte 35 F 79/22 (EASO) wie auch aus der im Anhörungstermin des Senats vom Jugendamt überreichten Fallchronik (Bl. 148 - 154 ff. d.A.) ergibt, sind bereits seit Juli 2021 die jeweils bei der Kindesmutter eingesetzten Fachkräfte der sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) wiederholt zu der Einschätzung gelangt, dass die Kindesmutter nicht in der Lage ist, ausreichend für L. zu sorgen, weshalb zunächst eine Erweiterung des Stundenumfangs der SPFH und im weiteren Verlauf Maßnahmen in Mutter-Kind-Einrichtungen folgten (vom 19. bis 21. Juli 2021 in B. [jedoch ohne L., da die Maßnahme bereits nach zwei Tagen wieder abgebrochen und die Kindesmutter in das AMEOS Klinikum aufgenommen werden musste], im Oktober 2021 in einer Einrichtung für begleitete Elternschaft in B.-U. sowie vom 12. Juli bis zum 10. August 2022 in der Einrichtung Haus ... in U. [die wegen Überforderung der Kindesmutter mit der Versorgung von L. abgebrochen musste, weshalb das Kind am 10. August 2022 in Obhut genommen wurde und bis zum 28 Oktober 2022 in der Jugendhilfeeinrichtung S. in H. in der dortigen Kleinkindgruppe betreut wurde; vgl. wegen der weiteren Einzelheiten S. 6 - 7 der Fallchronik, Bl. 151R - 152 d.A.]).

Diese vorstehenden Umstände beruhen nicht lediglich auf der Wahrnehmung einer einzelnen Person des Jugendamtes, sondern mehrerer im Rahmen der jeweiligen SPFH eingesetzter Fachkräfte. Um von diesen tatsächlichen Gegebenheiten ausgehen zu können, bedurfte es weder einer zeugenschaftlichen Vernehmung dieser einzelnen Fachkräfte, noch war hier die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich, um die geschilderte Sachlage rechtlich bewerten zu können. Denn die darin zum Ausdruck gekommene nicht ausreichende Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter erschließt sich bereits ohne sachverständige Hilfe. Weder musste das Amtsgericht daher ein Sachverständigengutachten zur Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter einholen, noch ist der Senat darauf angewiesen. Im Übrigen wird die derzeit nicht ausreichende Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter als solche von dieser auch selbst, wie sich aus der Fassung ihres Antrags im Anhörungstermin vom 23. März 2023 ergibt, nicht mehr in Abrede genommen.

Die in der amtsgerichtlichen Entscheidung erfolgte Entziehung der elterlichen Sorge gemäß §§ 1666,1666a BGB war daher erforderlich und verhältnismäßig, da mildere Maßnahmen - insbesondere ein abermaliger Aufenthalt der Kindesmutter mit L. in einer weiteren Mutter-Kind-Einrichtung - wegen der Erfolglosigkeit dieser bereits versuchten Maßnahmen gegenwärtig nicht mehr in Betracht kommt.

2. Angesichts dessen ist auch für den Antrag der Kindesmutter, eine Betreuung von L. (wieder) ihrer Mutter zu überlassen und dieser dafür Teilbereiche der elterlichen Sorge zu übertragen, gegenwärtig kein Raum. Eine derartige Entscheidung wäre nach § 1630 Abs. 3 BGB zwar grundsätzlich möglich. Danach kann, wenn die Eltern ihr Kind für längere Zeit in Familienpflege geben, das Familiengericht auf Antrag der Eltern oder der Pflegeperson Angelegenheiten der elterlichen Sorge auf die Pflegeperson übertragen. Dies setzt jedoch voraus, dass sich das Kind aktuell bei der betreffenden Pflegeperson befindet und die seit Beginn dieser Familienpflege verstrichene Zeit bereits dazu geführt hat, dass das Kind in der Pflegefamilie seine Bezugswelt gefunden hat (BayObLG, Entscheidung vom 7. April 1998 - 1 Z BR 13/98 - FamRZ 1998, 1040; jurisPK-BGB-Bullmann, BGB, 10. Auflage, § 1630 Rn. 30). Diese Voraussetzungen liegen zum derzeitigen Zeitpunkt jedoch nicht vor. Zwar hat sich L. von Juli 2021 bis Januar 2022 bei der Großmutter mütterlicherseits befunden und wurde von ihr betreut. Dieser Entwicklungsabschnitt gehört jedoch inzwischen seit längerem der Vergangenheit an, weshalb es nicht mehr darum geht, einer Person, die bereits tatsächlich die Pflege für das Kind ausübt, nun mehr lediglich noch rechtliche Handlungsmöglichkeiten durch Übertragung von Teilbereichen der elterlichen Sorge zu geben.

Darüber hinaus bleiben die Eltern im Falle einer Entscheidung nach § 1630 Abs. 3 BGB weiterhin Inhaber wenigstens von Teilen der elterlichen Sorge und können ihre Zustimmung zur Übertragung der übrigen Teile der elterlichen Sorge auf die Pflegeperson jederzeit frei widerrufen. Dies wiederum setzt jedoch voraus, dass die Kindeseltern bzw. der die Alleinsorge bislang ausübende Elternteil seinerseits hinreichend erziehungsfähig ist. Hieran fehlt es, wie oben bereits ausgeführt, bei der Kindesmutter jedoch.

3. Entgegen der Auffassung der Kindesmutter war es auch nicht verfahrensfehlerhaft, dass weder die Verfahrensbeiständin während des erstinstanzlichen Verfahrens mit der Großmutter mütterlicherseits gesprochen noch das Amtsgericht diese persönlich angehört hat, bevor die amtsgerichtliche Entscheidung betreffend die Auswahl des Vormundes erging. Darüber hinaus hat der Senat im Rahmen seiner Ermittlungen die Großmutter mütterlicherseits zusammen mit den Verfahrensbeteiligten persönlich angehört und kommt ebenso, wie das Jugendamt, die Verfahrensbeiständin und das Amtsgericht, zu der Einschätzung, dass die Großmutter mütterlicherseits als Betreuungsperson für L. angesichts von dessen besonderem Förder- und Betreuungsbedarf derzeit nicht in Betracht kommt. Die Ermessensentscheidung des Amtsgerichts bei der Auswahl des Vormundes lässt daher weder Verfahrens- noch sonstige Rechtsfehler erkennen.

L. hat sowohl während seines Aufenthalts mit der Kindesmutter in der Mutter-Kind-Einrichtung in U. wie auch anschließend im Rahmen seiner Unterbringung in der Einrichtung S. in H. erhebliche Verhaltensauffälligkeiten gezeigt. Auch diese sind in der vorgenannten Fallchronik detailliert beschrieben und in der amtsgerichtlichen Entscheidung zutreffend wiedergegeben worden. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf diese Schilderungen Bezug.

Von der Großmutter mütterlicherseits ist ein besonderer Betreuungsbedarf des Kindes nicht nur in der Vergangenheit verneint worden; sie sieht, wie auch in der Anhörung vor dem Senat deutlich geworden ist, auch jetzt einen solchen über das normale Maß hinausgehenden Betreuungsbedarf nicht und akzeptiert insbesondere auch die gegenteilige fachliche Einschätzung der jeweils für das Jugendamt handelnden Personen nicht. Angesichts dessen teilt der Senat die Einschätzung von Jugendamt und Amtsgericht, dass nicht erkennbar ist, dass die Großmutter mütterlicherseits hinreichend in der Lage wäre, L. in dem für ihn derzeit erforderlichen besonderen Ausmaß zu betreuen und zu fördern und sich hierfür auch gegenüber der Kindesmutter hinreichend abzugrenzen. Mit der vom Jugendamt auch im Beschwerdeverfahren abgegebenen aktuellen Einschätzung geht auch der Senat davon aus, dass insoweit eine Betreuung in einer speziell für L. Bedarfe ausgesuchten Pflegefamilie erforderlich ist.

4. Nach alledem weist die amtsgerichtliche Entscheidung keinen Korrekturbedarf auf. Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Beschwerdewerts auf § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.