Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 29.08.2023, Az.: 21 WF 64/23

Ordnungshaft; Haftbefehl; Ersatzordnungshaft; Haftanordnung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
29.08.2023
Aktenzeichen
21 WF 64/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 40302
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2023:0829.21WF64.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Otterndorf - 11.01.2022
AG Otterndorf - 28.03.2022
AG Cuxhaven - 05.05.2023 - AZ: 11 F 1092/22

Fundstellen

  • FamRZ 2024, 289
  • MDR 2024, 65-66
  • NJW-RR 2024, 7-9
  • NZFam 2024, 184

Amtlicher Leitsatz

Wird zur Durchsetzung von Schutzmaßnahmen nach dem GewSchG originäre Ordnungshaft (mit einer konkreten Haftdauer) angeordnet, bedarf es zu dessen Vollzug nicht des Erlasses eines Haftbefehls, weil die Haft bereits durch den Beschluss über die Ordnungshaft unmittelbar verhängt wurde. Eine gegen den Haftbefehl gerichtete Beschwerde ist unzulässig, auch wenn dieser mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist, weil der Haftbefehl keinen eigenständigen Regelungsgehalt hat. Der Erlass eines Haftbefehls ist jedoch möglich, um einen reibungslosen Vollzug der Ordnungshaft zu gewährleisten.

In der Familiensache
betreffend Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz
Beteiligte:
1.
##,
z. Z. Justizvollzugsanstalt ##,
Antragsgegner und Beschwerdeführer,
Verfahrensbevollmächtigte:
##
2.
##
Antragstellerin und Beschwerdegegnerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
##
hat der 21. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht XXXX, die Richterin am Oberlandesgericht XXXX und den Richter am Amtsgericht XXXX am 29. August 2023 beschlossen:

Tenor:

  1. I.

    Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts - Familiengericht - Cuxhaven vom 5. Mai 2023 wird als unzulässig verworfen.

  2. II.

    Eine Gerichtsgebühr nach Nr. 1912 KV FamGKG wird nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten hat der Antragsgegner zu tragen.

Gründe

I.

Auf Antrag der Antragstellerin hat das Amtsgericht - Familiengericht - Otterndorf mit Beschluss vom 11. Januar 2022 Schutzmaßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz gegen den Antragsgegner - u.a. ein Näherungs- und Kontaktverbot - erlassen, die es bis zum 10. Januar 2023 befristet hat.

Mit Beschluss vom 28. März 2022 hat das Amtsgericht Otterndorf das Verfahren an das Amtsgericht Cuxhaven abgegeben.

Am 30. März 2022 hat die Antragstellerin beantragt, gegen den Antragsgegner Ordnungshaft zu verhängen. Zur Begründung hat sie detailliert ausgeführt, dass der Antragsgegner ihr mehrfach aufgelauert sowie sie verletzt habe. Daraufhin hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 26. April 2022 gegen den Antragsgegner Ordnungshaft von 28 Tagen festgesetzt. Diese Ordnungshaft hat der Antragsgegner am 21. Juni 2022 angetreten und bis zum 18. Juli 2022 verbüßt.

Am 3. August 2022 hat die Antragstellerin erneut beantragt, gegen den Antragsgegner Ordnungshaft festzusetzen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Antragsgegner habe sie bereits wieder am 20. und am 27. Juli 2022 an ihrer Wohnschrift aufgesucht und er habe sie beleidigt sowie bedroht.

Am 19. August 2022 hat das Amtsgericht einen Beschluss mit folgender Beschlussformel erlassen:

Gegen den Antragsgegner wird wegen Verstoßes gegen die Unterlassungsanordnung gemäß Beschluss des Amtsgerichts Otterndorf vom 11.01.2022 (Az. 7 F 17/22 EAGS) Ordnungshaft von fünf Monaten festgesetzt.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde hat der Senat durch Beschluss vom 13. Februar 2023 (21 WF 6/23) als unzulässig verworfen, weil die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht gewahrt worden war.

Der Antragsgegner wurde mit Schreiben vom 6. März 2023 aufgefordert, die Ordnungshaft spätestens bis zum 1. April 2023 in der Justizvollzugsanstalt ## anzutreten. Dem ist der Antragsgegner nicht nachgekommen.

Am 5. Mai 2023 hat das Amtsgericht einen Haftbefehl erlassen, dem eine Rechtsbehelfsbelehrung angefügt war. Der Haftbefehl lautete wie folgt:

In der Familiensache [...] wird gegen den Antragsgegner die Haft angeordnet.

Wegen des weiteren Inhalts wird auf den Haftbefehl vom 5. Mai 2023 Bezug genommen.

Nachdem der Antragsgegner daraufhin am 10. Mai 2023 verhaftet und der Justizvollzugsanstalt ## zugeführt worden war, wendet er sich mit der sofortigen Beschwerde vom 24. Mai 2023 gegen den Haftbefehl. Zur Begründung wird insbesondere angeführt, der Haftbefehl sei unverhältnismäßig. Wegen des weiteren Inhalts wird auf den Beschwerdeschriftsatz Bezug genommen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist nicht zulässig.

Nach § 87 Abs. 4 FamFG ist zwar gegen Beschlüsse, die im Vollstreckungsverfahren ergehen, die sofortige Beschwerde statthaft. Nicht anfechtbar sind allerdings Beschlüsse, die rein deklaratorischen Charakter haben und keinen eigenen Regelungsinhalt aufweisen. Dies ist bei dem hier angefochtenen Haftbefehl, dem ein die originäre Ordnungshaft anordnender Beschluss vorausgegangen ist, der Fall.

1.

Die Haftanordnung ist durch den die originäre Ordnungshaft festsetzenden Beschluss vom 19. August 2022 erfolgt.

Im Rahmen der Vollstreckung nach den §§ 95 Abs. 1 Nr. 4, 96 Abs. 1 Satz 3 FamFG, 890 ZPO ist insoweit zwischen der Ersatzordnungshaft und der originären Ordnungshaft zu differenzieren. Während eine Ersatzordnungshaft mit dem Ordnungsgeldbeschluss in der Regel nur bezüglich des Umrechnungsfaktors und lediglich unter dem Vorbehalt, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann, festgesetzt wird, wird die originäre Ordnungshaft unmittelbar verhängt (Cirullies, DGVZ 2017, 81, 83).

Daran ändert der hier für die Beschlussformel gewählte Wortlaut ("Ordnungshaft [...] festgesetzt") nichts. Die Begriffe "anordnen" und "festsetzen" werden in diesem Zusammenhang, wie sich etwa auch aus § 89 Abs. 1 und 4 FamFG ergibt, synonym verwendet (s. auch Sieghörtner, in: BeckOK FamFG, 46. Edition, Stand: 02.04.2023, § 89 Rn. 14).

2.

Der Haftbefehl vom 5. Mai 2023, der dahingehend lautet, dass gegen den Antragsgegner die Haft angeordnet wird, hat hierneben keinen eigenständigen Regelungsgehalt.

Ob für den Vollzug einer originären Ordnungshaft neben dem die Ordnungshaft anordnenden Beschluss der Erlass eines Haftbefehls erforderlich ist, wurde bislang - soweit ersichtlich - nur vereinzelt problematisiert (s. Saenger/Kießling, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 890 Rn. 34; Cirullies, NJW 2013, 203, 205; ders. FamRZ 2023, 489, 493; so wohl auch Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 890 Rn. 15; a.A. jeweils betreffend § 89 FamFG offenbar Zimmermann, in: MüKo FamFG, 3. Aufl. 2018, § 89 Rn. 31; Johannsen/Henrich/Althammer/Rake, FamFG, 7. Aufl. 2020, § 89 Rn. 21; Sternal/Giers, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 89 Rn. 24; zur anders zu beurteilenden rechtlichen Lage bei der Ersatzordnungshaft s. Cirullies, DGVZ 2017, 81, 83).

Der Senat ist der Auffassung, dass es neben einem die originäre Ordnungshaft anordnenden Beschluss keines zusätzlichen Haftbefehls bedarf. Gegen die Erforderlichkeit eines Haftbefehls in dieser Konstellation spricht, dass die im früheren Recht für die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung gesetzlich verankerte Unterscheidung zwischen Haftanordnung (§ 901 ZPO a.F.) und Haftbefehl (§ 908 ZPO a.F.) nicht mehr besteht (Saenger/Rathmann, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 802g Rn. 1; Cirullies, NJW 2013, 203, 205). Ziel der Beseitigung dieser Unterscheidung war die Schaffung von Rechtsklarheit. Hintergrund war ein Streit darüber, ob die Haftanordnung und der Haftbefehl zwei voneinander zu trennende Entscheidungen sind oder ob der Haftanordnungsbeschluss und der Haftbefehl eine dahingehende Einheit bilden, dass der Haftbefehl nur die nach außen in Erscheinung tretende Form der Haftanordnung ist und als deren vollstreckbare Ausfertigung wirkt (s. dazu BR-Drs. 134/94, S. 146 ff.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht deshalb, weil nach mittlerweile h.M., der auch der Senat folgt, für den Vollzug einer nach § 890 ZPO angeordneten Ordnungshaft die §§ 802g ff. ZPO analog angewendet werden (die Anwendung der Strafvollstreckungsordnung, deren Geltungsbereich sich nach § 1 StVollstrO richtet wird überwiegend abgelehnt, s. etwa Saenger/Kießling ZPO, 9. Aufl. 2021, § 890 Rn. 33; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 43. Aufl. 2022, § 890 Rn. 32; Gruber, in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2020, § 890 Rn. 39). Diese Vorschriften - wie auch die §§ 144 f. GVGA - gehen zwar wegen der vorstehend dargestellten Entwicklung des Gesetzes vom Vorliegen eines (die Haftanordnung enthaltenden) Haftbefehls aus. Daraus ist aber nicht zu schließen, dass im Rahmen der analogen Anwendung der Vorschriften nach Erlass des die Ordnungshaftanordnung enthaltenden Beschlusses zusätzlich ein als "Haftbefehl" überschriebener weiterer Beschluss zu erlassen wäre.

3.

Unzulässig ist der Erlass eines (deklaratorischen) Haftbefehls deshalb jedoch nicht (s. etwa auch OVG Münster, Beschluss vom 20.04.2012, 13 E 64/12 [Rn. 65], zitiert nach juris). Gerade vor dem Hintergrund, dass mitunter von Gerichtsvollziehern ein Haftbefehl verlangt (vgl. dazu Cirullies, NJW 2013, 203, 205) und ein solcher auch teilweise in der Fachliteratur gefordert (s.o.; s. dazu auch Cirullies, NJW 2013, 203, 205 m.w.N.) wird, kann es in der Praxis durchaus sinnvoll sein, einen solchen auszustellen, damit ein reibungsloser Vollzug der Ordnungshaft gewährleistet werden kann. Dies kann in Form eines gesonderten mit "Haftbefehl" überschriebenen Beschlusses (der nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen ist) oder durch Klarstellung bereits im Ordnungsmittelbeschluss (s. zu dieser Möglichkeit OVG Münster, Beschluss vom 20.04.2012, 13 E 64/12, zitiert nach juris) erfolgen.

III.

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden für die Bemessung der Ordnungshaft Art. 6 Abs. 2 Satz 2 EGStGB keine Anwendung findet. Soweit zum Teil unter Verweis auf diese Vorschrift vertreten wird, dass eine Ordnungshaft nach Tagen festzusetzen sei (s. - allerdings jeweils in Bezug auf § 89 FamFG - Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 89 FamFG Rn. 10; OLG Naumburg, FamRZ 2022, 1803, 1804; OLG Celle, FamRZ 2023, 527, 532), folgt der Senat dem für Ordnungshaftanordnungen nach den §§ 95 Abs. 1 Nr. 4, 96 Abs. 1 Satz 3 FamFG, 890 ZPO nicht.

Art. 6 Abs. 2 EGStGB, der für die gesamte Rechtsordnung gilt (Putzke, in: MüKo StPO, 1. Aufl. 2018, Art. 6 EGStGB Rn. 1; s. auch BT-Drs. 7/550, S. 195, 202), lautet wie folgt:

Droht das Gesetz Ordnungshaft an, ohne das Mindest- oder Höchstmaß zu bestimmen, so beträgt das Mindestmaß einen Tag, das Höchstmaß sechs Wochen. Die Ordnungshaft wird in diesem Fall nach Tagen bemessen.

Der Wortlaut steht in Fällen, in denen das Höchstmaß der Ordnungshaft auf sechs Monate bestimmt ist, einer Nichtanwendung des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 EGStGB nicht entgegen. Obwohl Art. 6 Abs. 2 Satz 1 EGStGB zwei Fälle regelt - nämlich den Fall, dass das Gesetz Ordnungshaft androht, ohne das Mindestmaß zu bestimmen, und den Fall, dass das Gesetz Ordnungshaft androht, ohne das Höchstmaß zu bestimmen - findet sich in Satz 2 die Formulierung "in diesem Fall" und nicht "in diesen Fällen". Diese Formulierung deutet auf eine Bezugnahme auf das in Satz 1 zuletzt angeführte Höchstmaß hin (ein Bezug zu dem zuvor genannten Mindestmaß wäre mit der Formulierung "in jenem Fall" herzustellen). Ein Fall, in dem (wenigstens auch) das (Auffang-)Höchstmaß des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 EGStGB heranzuziehen ist, liegt jedoch, wenn das Höchstmaß - wie etwa in § 890 ZPO - auf sechs Monate bestimmt ist, nicht vor.

Im Übrigen ist bei Ordnungshaft nach den §§ 95 Abs. 1 Nr. 4, 96 Abs. 1 Satz 3 FamFG, 890 ZPO auch deshalb nicht von einem Fall, wie er in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 EGStGB in Bezug genommen wird, auszugehen, weil das Höchstmaß in § 890 ZPO - anders als das Auffanghöchstmaß des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 EGStGB - in Monaten und nicht in Wochen ausgedrückt wird. Dies macht deshalb einen Unterschied, weil eine Woche stets sieben Tage umfasst und somit unproblematisch in Tage umgerechnet werden kann, während dies bei Monaten, die 28 bis 31 Tage umfassen können, nicht ohne weiteres möglich wäre. An anderer Stelle im Gesetz wird diese Problematik dadurch gelöst, dass bestimmt wird, dass der Monat mit 30 Tagen berechnet wird (s. etwa § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Danach ergeben sich bei 6 Monaten 180 Tage (6 Monate x 30 Tage). Eine vergleichbare Regelung gibt es aber im Zusammenhang mit der Ordnungshaft nicht. Sechs Monate können deshalb 181 Tagen (z.B. 1. Januar bis 30. Juni (kein Schaltjahr): 1 Monate x 28 Tage + 2 Monate x 30 Tage + 3 Monate x 31 Tage) bis 184 Tagen (z.B. 1. Juli bis 31. Dezember: 2 Monate x 30 Tage + 4 Monate x 31 Tage) entsprechen.

IV.

Von der Erhebung einer Gerichtsgebühr nach Nr. 1912 KV FamGKG sieht der Senat im Hinblick auf die vom Amtsgericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 20 FamGKG ab. Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf den §§ 84, 87 Abs. 5 FamFG.

Die Festsetzung eines Verfahrenswertes ist unter Berücksichtigung von Nr. 1912 KV FamGKG nicht veranlasst.