Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 25.08.2023, Az.: 10 UF 121/23

vereinfachtes Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger; Eintritt der Volljährigkeit während des laufenden Verfahrens; Zulässigkeit; Vereinfachtes Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger: Festsetzung von Kindesunterhalt für die Zeit nach Eintritt der Volljährigkeit während des laufenden Verfahrens

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
25.08.2023
Aktenzeichen
10 UF 121/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 33145
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2023:0825.10UF121.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 05.05.2023 - AZ: 633 FH 8286/22

Fundstellen

  • FamRB 2023, 487-488
  • JAmt 2024, 46-47
  • MDR 2023, 1530-1531
  • NJW-Spezial 2023, 677
  • NZFam 2023, 1141

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Das vereinfachte Verfahren über den Unterhalt Minderjähriger bleibt auch für die Zeit nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zulässig, wenn die Volljährigkeit während des laufenden Verfahrens eintritt (Anschluss an BGH, FamRZ 2006, 402 und OLG Koblenz, FamRZ 2020, 111; Abgrenzung zu OLG Stuttgart, FamRZ 2023, 301).

  2. 2.

    Materiellrechtliche, aus der Volljährigkeit resultierende Einwendungen wie etwa die anteilige Barunterhaltspflicht beider Elternteile können gemäß § 256 Satz 2 FamFG im Beschwerdeverfahren nicht erstmalig geltend gemacht werden, auch wenn das Kind erst während des Beschwerdeverfahrens volljährig geworden ist.

In der Familiensache
pp.
hat der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle durch die Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... am 25. August 2023 beschlossen:

Tenor:

  1. I.

    Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 5. Mai 2023 dahingehend geändert, dass der Unterhalt, den die Antragsgegnerin zum Ersten eines jeden Monats an die Antragsteller zu zahlen hat, festgesetzt wird auf monatlich jeweils 100 € je Antragsteller seit dem 1. September 2022.

    Im Übrigen wird die Beschwerde als unzulässig verworfen.

  2. II.

    Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

  3. III.

    Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf bis zu 4.000 €.

Gründe

I.

Zu entscheiden ist über die Festsetzung von Unterhalt im vereinfachten Verfahren.

Die Antragsteller, die bei ihrem Vater leben, haben Ende November 2022 beim Amtsgericht für die Zeit ab Juli 2021 die Festsetzung des Mindestunterhalts gegen ihre Mutter, die Antragsgegnerin, beantragt.

Der Antragsteller zu 1. wurde bis zum Eintritt seiner Volljährigkeit am 22. Juni 2023, der durchgängig minderjährige Antragsteller zu 2. während des gesamten erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens vom Jugendamt ... als Beistand vertreten.

Die Antragsgegnerin hat gegen den Unterhaltsfestsetzungsantrag in dem von ihr am 11. Januar 2023 unterschriebenen amtlichen Vordruck Einwendungen erhoben. Insoweit hat sie sich unter lit. C des Vordrucks "ab heute" zur Zahlung von monatlich 100 € je Antragsteller verpflichtet und im Übrigen fehlende Leistungsfähigkeit geltend gemacht.

Das Amtsgericht hat den Antragstellern insoweit unter dem 8. Februar 2023 rechtliches Gehör gewährt mit dem Hinweis, dass das Gericht den Unterhalt in der von der Antragsgegnerin angegebenen Höhe auf Antrag festsetzen und im Übrigen auf Antrag das streitige Verfahren durchführen werde.

Mit Schreiben vom 27. April 2023 haben die Antragsteller darum gebeten, den Unterhalt in der von der Antragsgegnerin genannten Höhe festzusetzen.

Durch Beschluss vom 5. Mai 2023, auf den der Senat Bezug nimmt, hat das Amtsgericht den von der Antragsgegnerin an die Antragsteller zu zahlenden Unterhalt festgesetzt auf mtl. jeweils 100 € je Antragsteller seit dem 1. Juli 2021.

Gegen diese Entscheidung hat die Antragsgegnerin am 1. Juni 2023 form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt, soweit Unterhaltszahlungen für die Zeit vor September 2022 und ab Januar 2023 für beide Antragsteller zusammen ein höherer Unterhaltsbetrag als insgesamt 160 € festgesetzt worden sind. Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, sie sei vor September 2022 nicht leistungsfähig gewesen. Seit Januar 2023 ergebe sich unter Berücksichtigung des notwendigen Selbstbehalts von 1.370 € und einem um 5 % berufsbedingte Aufwendungen bereinigten Nettoeinkommen von monatlich 1.528 € eine Verteilungsmasse von gerundet 160 €. Nach Eintritt der Volljährigkeit des Antragstellers zu 1. seien beide Eltern barunterhaltspflichtig. Der Antragsteller zu 1. befinde sich zudem seit August 2023 in der Berufsausbildung und beziehe ein bedarfsdeckendes Ausbildungsentgelt.

Der Antragsteller zu 2. hat zu der Beschwerde dahingehend Stellung bezogen, dass sich die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Einwendungen zu Unterhaltszahlungen in Höhe von monatlich 100 € ab Januar 2023 verpflichtet habe und seitens der Antragsteller der Erlass eines entsprechenden Beschlusses beantragt worden sei. Das Amtsgericht habe mit der angefochtenen Entscheidung die Unterhaltsverpflichtung fälschlicherweise bereits für den Zeitraum ab 1. Juli 2021 in der anerkannten Höhe festgelegt. Für den Zeitraum 1. September 2022 bis 31. Dezember 2022 habe die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde eine Leistungsfähigkeit in der titulierten Höhe eingeräumt und den Beschluss nicht angefochten. Für den Zeitraum 1. Juli 2021 bis 31. August 2022 dürfte der Beschluss daher aufzuheben sein. Soweit die Beschwerde sich gegen die Höhe der Festsetzung für den Zeitraum ab 1. Januar 2023 richte, dürfte sie unzulässig sein, da sie nicht auf Einwendungen gestützt werden könne, die nicht erhoben worden seien, bevor der Festsetzungsbeschluss erlassen gewesen sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

II.

Die Beschwerde hat nach Maßgabe des Tenors Erfolg.

Dabei ist der Antragsteller zu 1. mit Eintritt der Volljährigkeit und Beendigung der Beistandschaft unmittelbar selbst am Verfahren beteiligt, ohne dass es wie bei einer durch Eintritt der Volljährigkeit bedingten Beendigung einer elterlichen Verfahrensstandschaft nach § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB (vgl. hierzu BGH FamRZ 2013, 1378ff) eines gewillkürten Beteiligtenwechsels bedarf. Denn anders als im Fall elterlicher Verfahrensstandschaft ist ein minderjähriges, vom Jugendamt als Beistand vertretendes Kind von Anfang an selbst am Verfahren beteiligt; mit Eintritt der Volljährigkeit fällt lediglich die bis dahin erforderliche gesetzliche Vertretung weg.

Der Eintritt der Volljährigkeit während des laufenden Verfahrens hat nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH FamRZ 2006, 402ff) auch nicht die Unzulässigkeit des vereinfachten Unterhaltsverfahrens zur Folge. Denn in § 249 Abs. 1 FamFG heißt es, dass auf Antrag der Unterhalt eines minderjährigen Kindes im vereinfachten Verfahren festgesetzt werden kann, und nicht etwa, dass auf Antrag eines minderjährigen Kindes dessen Unterhalt in diesem Verfahren festgesetzt werden könne. Auch das Gesetz stellt somit auf die Art des zu titulierenden Unterhaltsanspruchs ab, ohne die Befugnis zur Antragstellung von besonderen Eigenschaften des Antragstellers abhängig zu machen (vgl. BGH a. a. O.; OLG Koblenz FamRZ 2020, 111f). Soweit in diesem Zusammenhang teilweise vertreten wird, es könne bei einer im Lauf des vereinfachten Unterhaltsverfahrens eintretenden Volljährigkeit dann aber nur der Unterhalt bis zur Volljährigkeit festgesetzt werden, während für die Zeit danach die Zulässigkeit entfalle (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2023, 301f m. w. N. zum Meinungsstand), steht dies nach Auffassung des Senats mit der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nicht in Einklang. Der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich keine diesbezügliche Einschränkung gemacht, obwohl in dem von ihm entschiedenen Fall nach dem Verständnis des hier erkennenden Senats der Unterhalt über den Zeitpunkt der Volljährigkeit hinaus festgesetzt worden war. Dementsprechend ist vorliegend von einer uneingeschränkten Zulässigkeit auszugehen.

Soweit sich die Antragsgegnerin auf die nach Eintritt der Volljährigkeit eintretende anteilige Barunterhaltspflicht beider Elternteile sowie eine fehlende Bedürftigkeit des Antragstellers zu 1. aufgrund bezogenen Ausbildungsentgelts beruft, handelt es sich um materiellrechtliche Einwendungen, die gem. § 256 S. 2 FamFG im Beschwerdeverfahren nicht erstmalig geltend gemacht werden können; insoweit ist die Beschwerde unzulässig. Dass diese Einwendungen erst während des Beschwerdeverfahrens entstanden sind, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

Im Übrigen nimmt der Senat zwecks Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die vollumfänglich zutreffende Beschwerdeerwiderung des Antragstellers zu 2. und schließt sich dessen Ausführungen uneingeschränkt an. Dabei ergibt sich die Unzulässigkeit der Beschwerde für die Zeit ab Januar 2023 ebenfalls aus § 256 S. 2 FamFG. Die Antragsgegnerin kann insoweit im Beschwerdeverfahren eine unter monatlich jeweils 100 € liegende Leistungsfähigkeit nicht mehr einwenden, nachdem sie sich erstinstanzlich zur Zahlung von jeweils 100 € verpflichtet hat.

Es bleibt der Antragsgegnerin allerdings unbenommen, ihre Einwendungen im Wege eines Abänderungsverfahrens nach § 240 FamFG geltend zu machen oder - insbesondere hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit des vereinfachten Unterhaltsverfahrens für die Zeit nach Eintritt der Volljährigkeit - Rechtsbeschwerde zu erheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 FamFG. Sie entspricht in Anbetracht des wechselseitigen Obsiegens und Unterliegens sowie unter Berücksichtigung der Dauer der Unterhaltsverpflichtung der Billigkeit.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren wurde festgesetzt gemäß § 51 FamGKG.