Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 07.10.2004, Az.: 14 U 27/04
Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche aus Anlass eines schweren Verkehrsunfalles ; Angemessene Höhe einer Schmerzensgeldrente
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 07.10.2004
- Aktenzeichen
- 14 U 27/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 19557
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2004:1007.14U27.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 19.12.2003 - AZ: 13 O 210/03
Rechtsgrundlage
- § 253 BGB
Fundstellen
- JWO-VerkehrsR 2004, 379
- NJW-Spezial 2006, 114 (Kurzinformation)
- OLGReport Gerichtsort 2005, 22-24
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Schmerzensgeld von 70.000 Euro und monatliche Rente von 200 Euro bei folgenden Verletzungen und Unfallfolgen:
Abriss des rechten Arms; Ausriss der oberen Plexus brachialis und vena subclavia; Ausriss des Schlüsselbein und Schulterblattgelenks; Fraktur rechter Ober und Unterschenkel; Ruptur des hinteren Kreuzbandes am rechten Knie.
Dauerschäden: Funktions, Kraft und Gefühlsverlust des rechten Schultergürtels und des rechten Arms; Instabilität des rechten Kniegelenks
4 Monate stationäre Behandlung; mehrere Operationen; MdE 80 %
17 Jahre alter Schüler, der wegen der Unfallfolgen die 11. Klasse wiederholen musste
- 2.
Beim Anspruch auf Schadensersatz wegen entgangener Dienste des Unfallgeschädigten kommt es auf den Umfang der familienrechtlichen Verpflichtung an. Bei einem Schüler der 11. gymnasialen Klasse kann nur von einer Verpflichtung zur Mitarbeit in einem landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb des Vaters von 10 Wochenstunden ausgegangen werden.
In dem Rechtsstreit
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 24. August 2004
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... und
der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Kläger gegen das am 19. Dezember 2003 verkündete Teilanerkenntnisurteil und Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagten zu 2 und 3 die unter 1. des Tenors des angefochtenen Urteils ausgeurteilte monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 200 EUR seit dem 1. Dezember 2000 an den Kläger zu 1 zu zahlen haben.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beklagten haben der Kläger zu 1 92 % und der Kläger zu 2 8 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung wegen der Kosten des Berufungsverfahrens durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert der Beschwer des Klägers zu 1 übersteigt 20.000 EUR, derjenige des Klägers zu 2 und der Beklagten übersteigt diesen Betrag nicht.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 134.013,37 EUR.
Gründe
I.
Die Kläger machen Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche aus Anlass eines schweren Verkehrsunfalles geltend, der sich am 30. November 2000 in H. ereignete und für dessen Folgen die Beklagten in vollem Umfang einstandspflichtig sind. Das Landgericht, auf dessen Urteil zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat die Beklagten zu 2 und 3 gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger zu 1 ab Januar 2003 eine lebenslange monatliche Schmerzensgeldrente von 200 EUR zu zahlen; außerdem hat es die Einstandspflicht der Beklagten für alle weiteren materiellen und immateriellen Zukunftsschäden des Klägers zu 1 festgestellt. Schließlich hat das Landgericht die Beklagten gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger zu 2 Schadensersatz wegen unfallbedingt entgangener Dienste des Klägers zu 1 in Höhe von 10.998,80 EUR zu zahlen.
Dagegen, dass das Landgericht die weitergehende Klage abgewiesen hat, wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung. Der Kläger zu 1 hält die ihm vom Landgericht zugesprochene monatliche Schmerzensgeldrente von 200 EUR trotz des vorprozessual von der Beklagten zu 3 gezahlten Schmerzensgeldbetrages von 70.000 EUR für unangemessen niedrig. Angesichts der ganz erheblichen immateriellen Unfallfolgen hält er die Zuerkennung einer monatlichen Schmerzensgeldrente von mindestens 500 EUR für geboten. Da sich der Unfall am 30. November 2000 ereignete, macht der Kläger zu 1 die monatliche Schmerzensgeldrente nunmehr klageerweiternd bereits ab Dezember 2000 und nicht erst - wie in erster Instanz beantragt - ab Januar 2003 geltend. Außerdem begehrt der Kläger zu 1 weiterhin die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihm ab dem 1. Januar 2004 den Fortkommensschaden in Höhe der Differenz zwischen dem jeweils tatsächlich erwirtschafteten und dem Einkommen zu ersetzen, das er als Berufsoffizier und Pilot bei der Bundeswehr erzielt hätte. Der Kläger zu 2 beanstandet schließlich, dass das Landgericht die zu seinen - des Klägers zu 2 - bestehende, ihm aber durch den Unfall entgangene Dienstleistungspflicht des Klägers zu 1 auf wöchentlich 10 Stunden beschränkt hat. Tatsächlich habe der Kläger zu 1 in dem von ihm - dem Kläger zu 2 - geführten landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb vor dem Unfall im Durchschnitt mindestens 20 Wochenstunden gearbeitet.
Die Kläger beantragen unter Abänderung des angefochtenen Urteils,
- 1.
die Beklagten zu 2 und 3 gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger zu 1 von Dezember 2000 bis Dezember 2002 eine angemessene in das Ermessen des Gerichts gestellte Schmerzensgeldrente in der Größenordnung von 500 EUR monatlich und ab Januar 2003 lebenslang in der Größenordnung von weiteren 300 EUR (über die ab diesem Datum vom Landgericht zuerkannten 200 EUR hinaus) monatlich zu zahlen,
- 2.
festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger zu 1 ab dem 1. Januar 2004 den Fortkommensschaden in Höhe der Differenz zwischen dem jeweils tatsächlich erwirtschafteten und dem Einkommen zu ersetzen, das er als Berufsoffizier und Pilot bei der Bundeswehr einschließlich aller Zulagen und sonstigen Vergünstigungen erzielt hätte,
- 3.
die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger zu 2 Schadensersatz wegen entgangener Dienste in Höhe von weiteren 11.013,37 EUR (über vom Landgericht zuerkannte 10.998,80 EUR hinaus) zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Klägers zu 1 ist im Wesentlichen und diejenige des Klägers zu 2 in vollem Umfang unbegründet. Den Klägern stehen gegenüber den Beklagten keine weitergehenden Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche zu, als das Landgericht sie ihnen in dem angefochtenen Urteil auf der Grundlage der in erster Instanz gestellten Anträge zuerkannt hat.
1.
Das Rechtsmittel des Klägers zu 1 hat lediglich insoweit Erfolg, als er nunmehr im Wege der nach § 264 Nr. 2 ZPO zulässigen Klageerweiterung die Zahlung der ihm vom Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldrente ab dem 1. Dezember 2000, d. h. ab dem Tag nach dem Unfall, begehrt. Da ein Anspruch auf die monatliche Schmerzensgeldrente bereits ab diesem Zeitpunkt besteht, war das angefochtene Urteil entsprechend abzuändern.
2.
Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat der Senat die vom Landgericht festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Danach kann nicht festgestellt werden, dass das Urteil des Landgerichts im Ergebnis fehlerhaft ist.
a)
Nimmt man eine Kapitalisierungsberechnung der dem Kläger zu 1 zugesprochenen monatlichen Schmerzensgeldrente in Höhe von 200 EUR ab Dezember 2000 vor, so ergibt sich ein Kapitalbetrag von ca. 45.000 EUR. Bei einer 5 %igen Verzinsung und einem Ausgangsalter des Klägers zu 1 zum Zeitpunkt des Beginns der Rentenzahlung von 17 Jahren ist von einem Kapitalisierungsfaktor von 18,772 auszugehen (vgl. Anhang I zum Barwert einer vorschüssig zahlbaren Monatsrente bei Geigel/Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozess, 23. Aufl.). Multipliziert man die dem Kläger zu 1 vom Landgericht zugesprochene Jahresrente in Höhe von 2.400 EUR (= 200 EUR/Monat x 12 Monate) mit diesem Kapitalisierungsfaktor, so errechnet sich ein Betrag von 45.052,80 EUR. Addiert man zu diesem Betrag das Schmerzensgeld in Höhe von 70.000 EUR, das die Beklagte zu 3 dem Kläger zu 1 vorprozessual gezahlt hat, so errechnet sich eine Summe aus Schmerzensgeld und kapitalisierter Schmerzensgeldrente in Höhe von ca. 115.000 EUR.
Diese Summe muss sich im Rahmen dessen halten, was für vergleichbare Fälle zugebilligt wird (vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl., § 253 Rn. 23 m. w. N.). Dies ist hier mit der vom Landgericht ausgeurteilten Schmerzensgeldrente im Gegensatz zur Auffassung des Klägers zu 1 der Fall. Dabei hat das Landgericht die wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt, die für die Bemessung des Schmerzensgeldes in der konkreten Situation des Klägers zu 1 maßgeblich sind. Seine Vorstellungen zur Höhe des Schmerzensgeldes, die er mit der Berufung weiterverfolgt, überschreiten den Rahmen des Angemessenen erheblich. Dabei sei durchaus betont, dass die ganz erheblichen Verletzungen, die der seinerzeit erst 17jährige Kläger zu 1 bei dem Verkehrsunfall vom 30. November 2000 erlitten hat und unter denen er weiter dauerhaft leidet, - insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Darstellung der Unfallfolgen auf den S. 3 und 4 der Leseabschrift des angefochtenen Urteils Bezug genommen - in keiner Weise bagatellisiert werden sollen. Der Senat ist jedoch an die Vergleichsrechtsprechung gebunden und verweist insoweit beispielsweise auf die Nachweise unter den laufenden Nummern 2864 ff. und 2970 ff. bei Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 22. Aufl. Auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats, dass Schmerzensgelder entsprechend der Empfehlung des Verkehrsgerichtstags 2001 durchaus großzügig bemessen werden sollen, ist er der Auffassung, dass die vom Landgericht ausgeurteilte Schmerzensgeldrente (zusammen mit der vorprozessualen Schmerzensgeldzahlung durch die Beklagte zu 3) durchaus im angemessenen Rahmen liegt. Dabei darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger zu 1 trotz seiner erheblichen Verletzungen nicht auf die Hilfe Dritter angewiesen ist.
b)
Der mit der Berufung weiter verfolgte Antrag des Klägers zu 1 auf Feststellung der Erstattungsfähigkeit eines zukünftigen Erwerbsschadens ist unzulässig, weil es ihm diesbezüglich an dem notwendigen Feststellungsinteresse fehlt. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts unter 2. a) auf S. 8 der Leseabschrift des angefochtenen Urteils Bezug genommen, denen sich der Senat anschließt. Durch den vom Landgericht tenorierten Feststellungsausspruch ist der Kläger zu 1 insbesondere vor der Verjährung weiterer materieller und immaterieller Zukunftsschäden ausreichend geschützt. Sollte ihm zukünftig tatsächlich ein unfallbedingter Erwerbsschaden entstehen - dies ist zur Zeit noch offen , so wird der Kläger zu 1 einen solchen etwaigen Schadensersatzanspruch im Wege einer Leistungsklage geltend zu machen haben.
c)
Auch die Feststellungen des Landgerichts zum Schadensersatzanspruch des Klägers zu 2 wegen unfallbedingt entgangener Dienste des Klägers zu 1 begegnen keinen Bedenken. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass den Kläger zu 1 während des hier in Rede stehenden Zeitraums von Dezember 2000 bis Juli 2003 (= Zeitpunkt des geplanten Abiturs des Klägers zu 1) ohne den Unfall keine familienrechtliche Verpflichtung getroffen hätte, mehr als 10 Wochenstunden in dem landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb seines Vaters mitzuhelfen. Zu einem höheren Arbeitseinsatz war der Kläger zu 1 insbesondere deshalb nicht verpflichtet, weil er während dieses Zeitraums sein Hauptaugenmerk auf seine schulischen Leistungen in der gymnasialen Oberstufe richten musste. Dass der Kläger zu 1 vor dem Unfall tatsächlich mehr als 10 Wochenstunden im elterlichen Betrieb mitgearbeitet hat, ist insoweit unerheblich. Denn die Beklagten sind nur insoweit zum Schadensersatz verpflichtet, als den Kläger zu 1 eine familienrechtliche Mithilfepflicht traf. Für dessen überobligationsmäßiges Engagement brauchen sie hingegen nicht einzustehen.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 ZPO. Den Wert der Beschwer hat der Senat im Hinblick auf § 26 Nr. 8 EGZPO festgesetzt. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor.
Streitwertbeschluss:
Streitwert des Berufungsverfahrens: 134.013,37 EUR.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens war auf 134.013,37 EUR festzusetzen (Berufungsantrag zu 1: 23.000 EUR [= 500 EUR/Monat x 25 Monate = 12.500 EUR + 300 EUR/Monat x 35 Monate = 10.500 EUR, § 17 Abs. 2 GKG]; Berufungsantrag zu 2: 100.000 EUR; Berufungsantrag zu 3: 11.013,37 EUR).