Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 18.09.2017, Az.: 7 B 7097/17

Gefahrenvorsorge; Gesamtschuldnerschaft; Inverkehrbringen belasteter Lebensmittel; Lebensmittelrechtliche Anlasskontrolle; Verdacht auf Botulismustoxine

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
18.09.2017
Aktenzeichen
7 B 7097/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54172
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Veranlassung im kostenrechtlichen Sinn im Zusammenhang mit lebensmittelrechtlichen Kontrollen gibt jeder, der das untersuchte Produkt in den Verkehr bringt, denn er schafft dadurch den Tatbestand, der eine lebensmittelrechtliche Überwachung erforderlich macht.

Lebensmittelrechtliche Anlasskontrollen sind Maßnahmen der Gefahrenvorsorge, die bereits bei dem bloßen Verdacht auf Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften gerechtfertigt sind.

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 327,10 € festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäß (§ 88 VwGO) gestellte Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 22. August 2017 erhobenen Klage (7 A 6110/17) gegen den Gebührenbescheid des Antragsgegners vom 25. Juli 2017 hat keinen Erfolg. Er ist gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO statthaft und nunmehr nach erfolglosem behördlichem Aussetzungsantrag i.S.d. § 80 Abs. 6 VwGO auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet.

Nach § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO hat eine Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch unter anderem - wie hier - gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO bei der Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten.

Gemäß § 80 Absatz 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht bei gesetzlich angeordnetem Sofortvollzug die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen, wenn das private Interesse eines Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes zu bewerten ist.

Bei dieser Interessenabwägung sind im Verfahren nach § 80 Absatz 5 VwGO maßgeblich die Erfolgsaussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Bei einer offensichtlich Erfolg versprechenden Klage überwiegt das Suspensivinteresse des Betroffenen regelmäßig das öffentliche Vollzugsinteresse. Der Antrag ist dagegen in aller Regel unbegründet, wenn der Antragsteller im Verfahren zur Hauptsache keinen Erfolg haben wird, insbesondere wenn die angegriffene Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist.

Nach diesen Maßstäben ist der Antrag unbegründet, da sich der angefochtene Gebührenbescheid vom 25. Juli 2017, mit dem der Antragsgegner Gebühren in Höhe von 654,20 € für Probeentnahmen und Anlasskontrollen in mehreren Einzelhandelsunternehmen wegen des Verdachts auf Botulismustoxine in von der Antragstellerin in diese Geschäfte geliefertem Trockenfisch geltend macht, als offensichtlich rechtmäßig erweist.

Rechtsgrundlage für den Erlass des Gebührenbescheids sind §§ 1, 3, 5  NVwKostG i.V.m. Art. 28 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmung über Tiergesundheit und Tierschutz i.V.m. § 1 der Gebührenordnung für die Verwaltung im Bereich des Verbraucherschutzes und des Veterinärwesens (GOVV) in Verbindung mit dem Kostentarif Nr. VI.2.7.3 der Anlage zu § 1 GOVV.

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 NVwKostG werden für Amtshandlungen nach diesem Gesetz Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben, wenn die Beteiligten zu der Amtshandlung Anlass gegeben haben.

Nach Art. 28  Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 stellt die zuständige Behörde für den Fall, dass die Feststellung eines Verstoßes zu amtlichen Kontrollen führt, die über die normale Kontrolltätigkeit der zuständigen Behörde hinausgehen, den für den Verstoß verantwortlichen Unternehmen die aufgrund der zusätzlichen amtlichen Kontrollen entstehenden Kosten in Rechnung. Tätigkeiten, die über die normalen Kontrolltätigkeiten hinausgehen, sind danach beispielsweise die Entnahme und Analyse von Proben sowie andere Kontrollen, die erforderlich sind, um das Ausmaß eines Problems festzustellen und nachzuprüfen, ob Abhilfemaßnahmen getroffen wurden, oder um Verstöße zu ermitteln und/oder nachzuweisen.

Daneben sieht § 1 der Gebührenordnung für die Verwaltung im Bereich des Verbraucherschutzes und des Veterinärwesens (GOVV) in Verbindung mit dem Kostentarif Nr. VI.2.7.3. im Fall von anlassbezogenen Kontrollen, etwa zur Überprüfung einer Beanstandung, die Erhebung von Gebühren nach Zeitaufwand vor.

Dem angefochtenen Gebührenbescheid vom 25. Juli 2017 liegen rechtmäßige Amtshandlungen zu Grunde. Rechtsgrundlage für die Kontrollen sind §§ 39 Abs. 1 und 2, 43 Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB). Proben können gemäß § 43 LFGB entnommen und untersucht werden, wenn sich daraus Anhaltspunkte für die Einhaltung oder die Verletzung des LFGB oder der in seinem Anwendungsbereich unmittelbar geltenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften ergeben könnten.

Zu den Kontrollen hat die Antragstellerin auch Anlass (vgl. § 5 Abs. 1 NVwKostG) geben. Sie ist deshalb die richtige Kostenschuldnerin.

Veranlasser im kostenrechtlichen Sinn ist nicht nur, wer die Amtshandlung willentlich herbeiführt, sondern auch derjenige, in dessen Pflichtenkreis sie erfolgt (BVerwG, Urteil v. 22.08.2012 - 6 C 27.11 -, juris Rn. 32, m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Nds. OVG hat derjenige "Anlass" i. S. d. § 5 Abs. 1 NVwKostG zu einer Amtshandlung gegeben, der einen Tatbestand geschaffen hat, der die Behörde zu der Amtshandlung veranlasst hat. Einen hinreichenden Anlass setzt auch derjenige, der eine bloße Ursache für die Amtstätigkeit setzt (vgl. Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung von Gebühren und Auslagen in der Verwaltung, LT-Drs. 4/222, S. 11) oder objektiv einen Tatbestand verwirklicht, an den das Gesetz für Aufsichts- oder Ordnungsbehörden eine Ermächtigung für ein Einschreiten knüpft (OVG Lüneburg, Beschluss v. 26. November 2012 - 8 LA 3/12 -, juris Rn. 18). Anlass für eine lebensmittelrechtliche Probenentnahme oder Untersuchung gibt somit jeder, der das untersuchte Produkt in Verkehr bringt, denn er schafft dadurch den Tatbestand, der eine lebensmittelrechtliche Überwachung erforderlich macht und setzt damit die Grundlage für die individuelle Zurechenbarkeit und kostenrechtliche Verantwortlichkeit (vgl. bereits VG Oldenburg, Urteil v. 27. Februar 2009 - 7 A 5297/06 -, juris Rn. 24 ff.; so auch VG Braunschweig, Urteil v. 15. Juli 2003 - 5 A 304/02 -, juris; Erlass des Nds. Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 8. Februar 2000, Nds. MBl. 2000, 230, 241). Ein "schuldhaftes Handeln" ist nicht erforderlich (VG Braunschweig, a.a.O.).

Unstreitig bringt die Antragstellerin als Fischgroßhandelsunternehmen Fisch (Plötze) in den Verkehr, indem sie diesen u.a. an diverse Einzelhandelsbetriebe im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners liefert.

Es bestand auch ein Verdachtsfall, der den Antragsgegner zu den dem Gebührenbescheid zugrunde liegenden Kontrollen ermächtigte.

Der Antragsgegner erhielt zwischen dem 1. und 3. Mai 2017 Hinweise durch das Niedersächsische Landesgesundheitsamt und das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz bezüglich eines vom Robert Koch-Institut gemeldeten Verdachtsfalls, bei dem mit Botulismustoxinen (Symptome: Lähmung bis hin zum Tod) verseuchter Trockenfisch (Plötze; Kaufdatum und Beginn der Krankheitssymptome: 29. April 2017) von einem Patienten aus Niedersachsen verzehrt worden sein sollte. Den Fisch hatte der Betroffene in einem Einzelhandelsunternehmen in Damme erworben (vgl. dazu auch den Schriftsatz vom 21. Juni 2017, Bl. 25 d.A.), welcher von der Antragstellerin als Fischgroßhandel unstreitig zuvor beliefert worden war. Das Robert Koch-Institut teilte am 4. Mai 2017 mit, dass Botulismustoxine sowohl im Blut des Patienten als auch in den entsprechenden Fischresten nachgewiesen wurden (auf die Laborbefunde wird insoweit Bezug genommen, vgl. Bl. 8 BA 001). Mit dem pauschalen Bestreiten der Erkrankung dringt die Antragstellerin daher nicht durch. Bei dieser Sachlage bestand ohne Weiteres der Verdacht eines Verstoßes gegen das Inverkehrbringen gesundheitsgefährdender Lebensmittel (Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002) durch die Antragstellerin bzw. der Verdacht, dass die Botulismusvergiftung auf den Konsum des von der Antragstellerin in den Verkehr gebrachten Fisches zurückzuführen ist.

Vor diesem Hintergrund ist die Überprüfung der Einzelhandelsunternehmen, in die die Antragstellerin den beanstandeten Fisch laut Lieferlisten (vgl. auch Bl. 44 ff. BA 001) vor dem Erkrankungsfall geliefert hatte, nicht zu beanstanden.

Soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, Botulismustoxine hätten in ihrem Betrieb nicht nachgewiesen werden können, so kommt es darauf nicht an. Für die Kontrolle genügte, wie dargelegt, der Verdacht eines belasteten Lebensmittels. Im Übrigen lässt sich nicht ausschließen, dass die Belastung mit Botulismustoxinen auf den Betrieb der Antragstellerin zurückzuführen ist. Gleiches gilt für den Einwand, dass der Einzelhandelsbetrieb in Damme, auf den der Kauf des belasteten Fisches zurückgeführt worden ist, nicht nur von der Antragstellerin, sondern auch von weiteren Zulieferern beliefert werde. Zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Ausräumung des begründeten Verdachts in Bezug auf die Antragstellerin waren die Probenentnahmen insoweit unumgänglich. Die Berechtigung und Verpflichtung zur Durchführung der Kontrollen (vgl. auch § 39 Abs. 2 Nr. 2 ff. LFGB) folgt im Hinblick auf die überragenden Interessen von Leben und Gesundheit potentieller Konsumenten eines beanstandeten Lebensmittels bereits aus dem bestehenden Verdacht eines Gesundheitsrisikos, da es sich um Maßnahmen der Gefahrenvorsorge handelt.

Soweit auch die Einzelhandelsunternehmen den beanstandeten Fisch in den Verkehr gebracht haben bzw. bringen, so sind zwar auch diese potentiell kostenrechtlich verantwortlich. Eine so entstehende Gesamtschuldnerschaft (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 NVwKostG) eröffnet dem Antragsgegner jedoch ein Auswahlermessen bei der Schuldnerauswahl und dient der Verwaltungsvereinfachung. Einer Begründung der Auswahlentscheidung im Gebührenbescheid bedarf es nicht (VG Oldenburg, Urteil v. 27. Februar 2009 - 7 A 5297/06 -, juris Rn. 39 m.w.N.). Für eine willkürliche Entscheidung ist hier nichts ersichtlich

Die festgesetzten Gebühren sind entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen das Gebot der Erforderlichkeit oder der Verhältnismäßigkeit ist nicht ersichtlich. Soweit die Antragstellerin insbesondere einwendet, es sei nicht nachvollziehbar, dass in einem Einzelhandelsbetrieb in Damme zwei Kontrollen am 3. und 4. Mai 2017 (Gebühren i.H.v. 176,60 € und 189,10 €) stattgefunden haben, so dringt sie damit ebenfalls nicht durch. Bei diesem an zwei aufeinander folgenden Tagen kontrollierten Betrieb handelt es sich um den Betrieb, in dem der Fisch erworben wurde, in dessen Resten das Botulismustoxin nachgewiesen worden war. Zum Zeitpunkt der ersten Kontrolle bestand aufgrund der Krankheitssymptome des Verbrauchers lediglich der Verdacht, dass dieser an Botulismus erkrankt sein könnte. Nach der Vorlage der Laborbefunde am 4. Mai 2017 lag es auf der Hand, dass dieser „Ausgangsbetrieb“ einer besonders intensiven Kontrolle bedurfte. Aus den Niederschriften über die amtliche Kontrolle (Bl. 59 f. BA 001) geht hervor, dass am 3. Mai 2017 Proben entnommen worden waren. Am 4. Mai 2017 wurden weitere Maßnahmen, u.a. eine Dokumentenkontrolle zur Prüfung der Zulieferbetriebe, die Ermittlung der einzelnen Kunden der letzten Tage, die Absprache der Verbraucherwarnung etc. durchgeführt. Dieses stufenweise Vorgehen ist im Hinblick auf den zeitlichen Ablauf  insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Soweit die Antragstellerin die Gebührenhöhe auch im Übrigen pauschal bestreitet, lassen sich Rechtsfehler nicht erkennen. Die übrigen Kontrollen betrafen ausweislich der Niederschriften die Kontrolle des Produktrückrufs und die Schnellwarnung (Gebühren i.H.v. 58,80 €, 79,50 €, 56,70 €  [bzw. in einem Fall die ergänzende Erörterung der Gefahrenlage, Gebührenhöhe 93,50 €, vgl. Bl. 64 BA 001]). Gegen die Rechtmäßigkeit der Gebührenerhebung im Übrigen (Vor- und Nachbereitung, Reisezeit, Auslagen) ist weder substantiiert vorgetragen noch ansonsten etwas ersichtlich.

Für Anhaltspunkte, die losgelöst von den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigen könnten (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO analog), ist ebenfalls nichts ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Der Streitwert folgt aus §§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG. Gem. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG war für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte der mit dem angefochtenen Gebührenbescheid geltend gemachten Gebühren i.H.v. 654,20 € anzusetzen (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).