Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 10.04.2001, Az.: 6 B 70/01
Abschiebung; Abschiebungsandrohung; Asylfolgeverfahren; Wehrdienstentziehung; Zielstaat
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 10.04.2001
- Aktenzeichen
- 6 B 70/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 39556
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 53 AuslG
- § 71 Abs 1 AsylVfG
- § 71 Abs 4 AsylVfG
- § 50 Abs 2 AuslG
- § 31 Abs 1 AsylVfG
- § 80 Abs 5 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung in Syrien ist kein Asylgrund. Asylfolgeverfahren und Zielstaatsbezeichnung in der Abschiebungsandrohung.
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach seinen eigenen Angaben ein palästinensischer Volkszugehöriger aus Syrien. Sein erster Asylantrag wurde vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 30. April 1998 als unbegründet abgelehnt. Diese Entscheidung wurde am 23. Mai 1998 unanfechtbar. Der Antragsteller hatte zuvor die ihm zugewiesene Gemeinschaftsunterkunft mit unbekanntem Ziel verlassen.
Nachdem der Antragsteller im Dezember 2000 in Berlin aufgegriffen und in Abschiebehaft genommen worden war, beantragte er am 02. März 2001 erneut seine Anerkennung als Asylberechtigter. Hinsichtlich seiner Angaben wird auf die am 27. März 2001 vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge durchgeführte Anhörung des Antragstellers besonders hingewiesen.
Mit Bescheid vom 03. April 2001 lehnte das Bundesamt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sowie eine Änderung der im Bescheid vom 30. April 1998 getroffenen Feststellung zu § 53 AuslG ab und forderte den Antragsteller zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung auf. Für den Fall, dass der Antragsteller der Ausreiseaufforderung nicht fristgerecht nachkommen werde, drohte das Bundesamt ihm die Abschiebung nach Syrien oder in einen anderen zur Rücknahme bereiten oder verpflichteten Staat an.
Gegen den ihm am 04. April 2001 zugestellten Bescheid hat der Antragsteller am 06. April 2001 Klage erhoben und zugleich um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 06. April 2001 gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 03. April 2001 anzuordnen, soweit darin die Abschiebung angedroht worden ist.
Die Antragsgegnerin hat die Verwaltungsvorgänge dem Gericht zugeleitet, jedoch bisher einen Antrag nicht gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens, des Verfahrens 6 A 69/01 sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin und die von der Kammer herausgegebene Liste der Erkenntnismittel zu Asylsuchenden aus Syrien verwiesen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand des Verfahrens.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. §§ 75, 71 Abs. 4, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG zulässige Antrag ist nicht begründet. Die für einen Erfolg des Rechtsschutzantrages nach §§ 71 Abs. 4, 36 Abs. 4 AsylVfG vorausgesetzten ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verfahrensgegenständlichen Abschiebungsandrohung bestehen nicht. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat nach Abschluss des ersten Asylverfahrens vielmehr ersichtlich zu Recht die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt und die nach §§ 71 Abs. 4, 34 Abs. 1 AsylVfG gebotene Abschiebungsandrohung erlassen.
Nach § 71 Abs. 1 AsylVfG ist auf einen nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages gestellten neuen Asylantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn sich nach rechtskräftigem Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG), oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Antrag ist darüber hinaus nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, den Grund für das Wiederaufgreifen geltend zu machen (§ 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss ferner binnen drei Monaten gestellt werden, gerechnet von dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens Kenntnis erhalten hat (§ 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG).
Für die Abschiebungsandrohung gilt Entsprechendes. Auch insoweit kann eine Rechtspflicht des Bundesamtes, zu prüfen, ob zugunsten des Ausländers Abschiebungshindernisse nach §§ 51 und 53 Abs. 1 bis 4 AuslG vorliegen, die es nach §§ 71 Abs. 4, 31 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG gebieten, die Abschiebungsandrohung (durch Benennung des Staates, in den der Ausländer wegen solcher Abschiebungshindernisse nicht abgeschoben werden darf) einzuschränken, nur angenommen werden, wenn auch insoweit gegenüber der früheren Abschiebungsandrohung Wiederaufgreifensgründe im Sinne des § 51 VwVfG vorliegen. Dies ist hier nicht der Fall.
Der Antragsteller hat offensichtlich keine Gründe vorgebracht, die unter diesen Voraussetzungen ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens rechtfertigen. Die Angaben des Antragstellers, der nicht nur hinsichtlich seines vorgeblichen Verfolgungsschicksals, sondern auch in Bezug auf seine Familienangehörigen überwiegend unterschiedliche Darstellungen gegeben hat, sind schon aus diesem Grunde unglaubhaft. Selbst wenn aber der Antragsteller eine Desertion begangen haben sollte, droht ihm bei einer Rückkehr nach Syrien deswegen keine politische Verfolgung. Eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung stellt nur dann eine politische Verfolgung im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG oder des § 51 Abs. 1 AuslG dar, wenn sie zusätzlich zu der Ahndung kriminellen Unrechts auch darauf gerichtet ist, den Betreffenden wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Persönlichkeitsmerkmals zu treffen (BVerwG, Urteil vom 24.11.1992, DVBl. 1993, 325 [BVerwG 24.11.1992 - BVerwG 9 C 70/91]; BVerfG, Beschluss vom 11.12.1985, BVerfGE 71, 276). Anhaltspunkte dafür, dass die syrische Regierung das Wehrstrafrecht als Instrument zur politischen Auseinandersetzung mit den tatsächlichen oder vermuteten Gegnern verwendet, lassen sich jedoch nach Maßgabe der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen nicht feststellen. Wehrpflichtige, die sich in Syrien dem Wehrdienst entzogen haben, werden nach der Rückkehr in das Heimatland in der Regel bei der Einreise verhaftet und müssen dann erneut Wehrdienst leisten; außerdem haben sie mit strafrechtlicher Verfolgung zu rechnen. Die syrische Strafbestimmungen sehen vor, dass die Wehrdienstentziehung mit einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten und mit einer Verdoppelung des Wehrdienstes zu ahnden ist. Tatsächlich kommt es jedoch kaum zu einem militärstrafrechtlichen Verfahren. Stattdessen wird die Dienstzeit entsprechend verlängert oder verdoppelt (Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 13.01.1999 und vom 19.07.2000). Sowohl nach der Höhe der strafrechtlichen Sanktionen als auch im Hinblick auf die Anwendungspraxis dieser Regelungen lässt sich nicht feststellen, dass der syrische Staat im Fall von Wehrdienstentziehungen Maßnahmen ergreift, die neben einer strafrechtlichen Ahndung auch darauf gerichtet sind, den Betreffenden wegen eines asylerheblichen Persönlichkeitsmerkmals zu treffen (Auswärtiges Amt, Auskunft vom 24.02.2000 an das VG Münster; vgl. auch OVG Lüneburg, Urteil vom 22.06.1999, 2 L 666/98 m.w.N.).
Der Antrag ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 83b Abs. 1 AsylVfG abzulehnen.