Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 30.03.2000, Az.: 6 A 138/99
Abschiebungshindernis; Abschiebungsschutz; Ausländerbehörde; Bluthochdruck; Bundesamt; Folgeantrag; Gesundheitsbeeinträchtigung; Krankheit; medizinische Versorgung; Traumatisierung; Türkei; Vollzugshindernis
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 30.03.2000
- Aktenzeichen
- 6 A 138/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41858
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 53 Abs 6 AuslG
- § 71 AsylVfG
- § 51 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die engen Voraussetzungen des § 71 AsylVfG gelten nicht die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG. Zuständigkeit der Ausländerbehörde für die Gewährung eines Abschiebungsschutzes bei einem Vollstreckungshindernis (Krankheit).
Gründe
Die zulässige Klage über die das Gericht trotz Ausbleibens von Beteiligten verhandeln und entscheiden konnte, da es in der ordnungsgemäßen Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen hat (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist nicht begründet.
Nach § 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG ist auf einen nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages gestellten neuen Asylantrag ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn sich nach rechtskräftiger Ablehnung des Asylantrages die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- und Rechtslage zugunsten des Betroffenen geändert hat, neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden, oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. Der Antrag ist darüber hinaus nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, den Grund für das Wiederaufgreifen geltend zu machen (§ 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 2 VwVfG). Der Antrag muss ferner binnen drei Monaten gestellt werden, gerechnet von dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens Kenntnis erhalten hat (§ 71 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG).
Die Klägerin hat keine Gründe vorgebracht, die unter diesen Voraussetzungen ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens rechtfertigen. Die Kammer verweist insoweit auf die Ausführungen des Bundesamtes in dem Bescheid vom 31. Mai 1999, die sich das Gericht zu Eigen macht (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Darin ist zutreffend ausgeführt worden, dass eine besondere Rückkehrgefährdung nur dann anzunehmen ist, wenn sich der Betreffende öffentlichkeitswirksam und an führender Stelle exilpolitisch betätigt hat (Nds. OVG Lüneburg, Urt. vom 18.01.2000, 11 L 3404/99 m.w.N.). Die Klägerin, die mit den von ihr benannten Demonstrationsteilnahmen lediglich einfache politische Aktivitäten im Ausland entfaltet hat, ist auch unter Berücksichtigung der bisher bekannt gewordenen Abschiebungsfälle, in denen Schwierigkeiten mit türkischen Behörden aufgetreten sein sollen, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einem Verfolgungsrisiko ausgesetzt (ebenso: Nds. OVG Lüneburg, Urt. vom 18.01.2000, aaO.; VGH Kassel, Urt. vom 13.12.1999, 12 UE 2984/97.A; VGH Mannheim, Urt. vom 07.10.199, A 12 S 1021/97; OVG Hamburg, Urt. vom 03.12.1999, 5 Bf 5.95.A; OVG Münster, Beschl. vom 15.09.1999, 8 A 2285/99.A).
Die von der Klägerin erneut vorgetragenen Erlebnisse mit den Sicherheitskräften im Heimatland waren bereits Gegenstand des ersten Asylverfahrens, über das die Kammer mit Urteil vom 03. September 1998 (6 A 6053/98) entschieden hat. Mit diesem Vorbringen ist die Klägerin in diesem Asylfolgeverfahren gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ausgeschlossen.
Mit den von ihr zunächst geltend gemachten gesundheitlichen Gründen (Bluthochdruck, Gallenoperation, Osteoporose), die nicht einen erneuten Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 AsylVfG, sondern einen Antrag auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses im Sinne des § 53 Abs. 6 AuslG zum Gegenstand haben, ist die Klägerin zwar nicht durch die auf § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG beschränkte Verweisung des § 71 AsylVfG ausgeschlossen. Es steht vielmehr grundsätzlich im Ermessen der zuständigen Behörde, außerhalb des Rahmens des § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG ein bereits abgeschlossenes Verfahren zur Feststellung von Abschiebungshindernissen wieder aufzugreifen (BVerwG, Urt. vom 07.09.1999, AuAS 2000, 38). In diesem Sinne sind die Ausführungen des Bundesamtes in dem angefochtenen Bescheid vom 30. Mai 1999 (Seite 3 Abs. 3) zu begreifen, mit denen die von der Klägerin geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen unter dem Gesichtspunkt ihrer Zielstaatsbezogenheit und im Hinblick auf eine medizinische Behandlungsmöglichkeit im Heimatstaat als nicht derart gewichtig beurteilt worden sind, dass sie ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG darstellen. Diese Erwägungen lassen einen Ermessensfehler nicht erkennen. Sowohl die Möglichkeit, die von der Klägerin angeführten Erkrankungen in (den medizinischen Zentren) der Türkei angemessen behandeln zu können (Deutsches Rotes Kreuz, Stellungnahme vom 31.07.1997; Penteker, Auskunft vom 08.07.1998; Dora, Auskunft vom 17.08.1998; Deutsche Botschaft Ankara, Auskunft vom 26.04.1999, vom 04.05.1999 und vom 17.09.1999) als auch die Verfügbarkeit von finanziellen Mitteln für eine erforderlich werdende Behandlung sind vom Bundesamt zutreffend dargelegt worden.
Die von der Klägerin nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 87b VwGO (20. Februar 2000) geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörungen führen ebenfalls nicht zum Klageerfolg. Es kann dahingestellt bleiben, ob die verspätete Vorlage der ärztlichen Stellungnahme als genügend entschuldigt angesehen werden könnte, obgleich erste die Bescheinigung vom 12. Februar 2000 datiert und die zugrundeliegende Untersuchung schon am 21. Januar 2000 stattgefunden hat. Insbesondere im Hinblick auf die in der ärztlichen Bescheinigung getroffene Feststellung, dass Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten, zu vermeiden seien und jede Konfrontation mit dem traumatischen Erlebnis, selbst in der Erinnerung, zu einer Verschärfung der Symptome führen könne, ist die von der Klägerin geltend gemachte psychische Erkrankung als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis zu begreifen, über das im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden ist. Hierüber hat vielmehr die Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren zu befinden. Denn die befürchteten negativen Auswirkungen treten nach dem Ergebnis der ärztlichen Stellungnahme allein durch die Abschiebung als solche und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ein (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. vom 07.09.1990, AuAS 2000, 38; Urt. vom 29.07.1999, 9 C 2.99).
Ob die posttraumatischen Belastungsstörungen, die als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis nur gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde geltend gemacht werden könnten, eine ausreichende Grundlage für ein Vollzugshindernis sein können, ist allerdings zweifelhaft. Obgleich in der ärztlichen Stellungnahme vom 12. Februar 2000 als typisches Merkmal einer solchen psychischen Beeinträchtigung die Vermeidung von Aktivitäten bezeichnet wird, mit denen die Erinnerung an das Trauma wachgerufen werden könnten, und jede Konfrontation - selbst in der Erinnerung - mit dem Erlebten als eine Verschärfung der Symptome diagnostiziert wird, sind die Angstempfindungen und Erinnerungen der Klägerin offenbar nicht von einer Intensität, die eine Ausreise oder Abschiebung hindern würde. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Klägerin an exilpolitischen Veranstaltungen der Kurden teilnimmt, durch die Erinnerungen an das von ihr Erlebte immer wieder vergegenwärtigt werden. Dies bedarf jedoch - wie bereits dargelegt worden ist - in dem gegen die Bundesrepublik Deutschland geführten Rechtsstreit keiner abschließenden Beurteilung.
Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b Abs. 1
AsylVfG abzuweisen.