Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 01.03.2000, Az.: 6 B 131/00

fachwissenschaftlicher Meinungsstreit; Pflanzenschutzmittel; Streitwert

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
01.03.2000
Aktenzeichen
6 B 131/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41231
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Keine gerichtliche Eilentscheidung auf einstweilige Zulassung von Pflanzenschutzmitteln bei wissenschaftlichem Meinungsstreit über die Nachweiserfordernisse. Streitwert in Pflanzenschutzverfahren (Jahresgewinn).

Gründe

1

Die Antragstellerin begehrt die vorläufige Zulassung des Pflanzenschutzmittels Kontakt 320 SC. Das Pflanzenschutzmittel (PSM) enthält den Wirkstoff Phenmedipham und ist als Herbizid zur Bekämpfung von zweikeimblättrigen Unkräutern in Zucker- und Futterrüben im Nachauflaufverfahren bestimmt.

2

Auf einen Antrag der Antragstellerin vom 26. Juni 1991, hinsichtlich der Formulierung und der Bezeichnung des PSM geändert durch Antrag vom 15. November 1993, war das Pflanzenschutzmittel Kontakt 320 SC mit Zulassungsbescheid der Antragsgegnerin vom 01. Februar 1995 bis zum 28. Februar 1997 zugelassen worden, weil das Umweltbundesamt sein Einvernehmen nur für diesen Zeitraum erteilt hatte. Mit einem Änderungsbescheid der Antragsgegnerin vom 13. Dezember 1996 wurde die Zulassungsdauer bis zum 30. Dezember 1998 verlängert.

3

Mit Schriftsatz vom 08. Juni 1998 suchte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin unter Bezugnahme auf die von ihr für eine weitere Mittelzulassung nachgereichten Prüfunterlagen um eine Zulassung des PSM für die Dauer von zehn Jahren nach. Mit Blick auf den bevorstehenden Ablauf der Zulassungsdauer beantragte die Antragstellerin außerdem am 04. Dezember 1998 beim Verwaltungsgericht Braunschweig den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur vorläufigen Zulassung des PSM Kontakt 320 SC bis zum 30. Juni 1999 (6 B 6372/98). Mit Beschluss der Kammer vom 22. Dezember 1998 wurde die Antragsgegnerin verpflichtet, entsprechend diesem Antrag das Pflanzenschutzmittel Kontakt 320 SC bis zur Entscheidung über die erneute Zulassung des Mittels, längstens bis zum 30. Juni 1999, zuzulassen. Auf ein hiergegen gerichtetes Rechtsmittel der Antragsgegnerin wurde mit Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 12. April 1999 (7 M 577/99) wegen der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Braunschweig zugelassen. Mit einem weiteren Beschluss vom 22. Februar 2000 ist das Beschwerdeverfahren, nachdem die Verfahrensbeteiligten übereinstimmend eine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache erklärt haben, eingestellt worden (3 M 1706/99).

4

Am 19. Mai 1999 hatte die Antragstellerin überdies Klage erhoben (6 A 120/99); im Hinblick auf die während des anhängigen Beschwerdeverfahrens vor dem Nds. Oberverwaltungsgericht Lüneburg geführten Verhandlungen zur einvernehmlichen Beilegung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens wurde mit Beschluss der Kammer vom 02. August 1999 das Ruhen des Klageverfahrens angeordnet.

5

Als die Bemühungen der Beteiligten zur einvernehmlichen Lösung im Zulassungsverfahren für das Pflanzenschutzmittel Kontakt 320 SC keinen Erfolg hatten, suchte die Antragstellerin am 18. Januar 2000 erneut beim Verwaltungsgericht um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach. Sie trägt vor:

6

Nach Ablauf der Zulassungsfrist, die bis zum 30. Dezember 1998 gelaufen sei, seien weitere Prüfunterlagen nachgereicht worden, deren Vorlage die Antragsgegnerin gefordert habe. Damit lägen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vor. Eine längere Zulassungsdauer sei daran gescheitert, dass das Umweltbundesamt sein Einvernehmen nicht für einen längeren Zeitraum erteilt habe. Das PSM enthalte den Wirkstoff Phenmedipham, der voraussichtlich noch im Laufe dieses Jahres in den Anhang I zur Richtlinie 91/414/EWG aufgenommen werde. Die Antragsgegnerin sei nach § 15c Abs. 1 Nr. 2 PflSchG ermächtigt, bis zur Dauer von drei Jahren das Mittel schon vor der Aufnahme in die Anhangliste zuzulassen. Mehrere andere Pflanzenschutzmittel mit diesem Wirkstoff seien von der Antragsgegnerin bereits zugelassen worden. Die Voraussetzungen für eine Zulassung des PSM Kontakt 320 SC lägen vor. Die im Frühjahr 1999 geforderten Prüfunterlagen zur Arthropodenart Aphidius rhopalosiphi und zu zwei weiteren Arten seien inzwischen vorgelegt worden. Die Antragsgegnerin habe die Ergebnisse als valide beurteilt. Gleichwohl weigere sich das Umweltbundesamt, sein Einvernehmen für die Mittelzulassung zu erteilen. Die von der Behörde erhobenen Bedenken seien nicht begründet. Unter Laborbedingungen habe sich lediglich bei der Anwendung der höchsten vorgesehenen Aufwandmenge eine Mortalität von 79 v.H. bei der Arthropodenart Aphidius rhopalosiphi gezeigt. Da diese Arthropodenart auf der Kulturpflanze nicht vorkomme, sondern nur im Ackerrandbereich anzutreffen sei, seien Untersuchungen zu den Folgen einer Abdrift des Mittels aufgrund ungünstiger Windverhältnisse durchgeführt worden. Diese Untersuchungen hätten eine Mortalität von 13,3 v.H. ergeben, die unterhalb des Grenzwertes von 30 v.H. liege. Die vom Umweltbundesamt für bedenklich gehaltene Verminderung der Reproduktionsfähigkeit infolge der Mittelanwendung um 50 v.H. sei fachlich nicht haltbar, weil schon unter natürlichen Witterungs- und Umwelteinflüssen die Schwankungsbreite zwischen 20 v.H. und 70 v.H. liege. Bedenkliche Ergebnisse lägen nur bei Werten deutlich oberhalb von 70 v.H. vor. Sofern ergänzende Untersuchungen für notwendig gehalten würden, genüge es - wie dies auch bei der Zulassung des Mittels Ethosat 500 geschehen sei -, weitere Untersuchungen im Wege einer Auflage zur Mittelzulassung nachzufordern. Soweit das Umweltbundesamt außerdem ergänzende Untersuchungen zu den Auswirkungen auf Nichtzielpflanzen fordere, stehe dies im Widerspruch dazu, dass die in Absprache mit der Antragsgegnerin durchgeführten Untersuchungen von dieser Behörde für valide erklärt worden seien. Das Umweltbundesamt stütze seine hiervon abweichende Auffassung auf Vorgaben, die bisher lediglich von der eigenen Behörde erarbeitet worden, nicht aber auf eine Richtlinie der Europäischen Union oder der Biologischen Bundesanstalt zurückzuführen seien. Bei der am 24. August 1999 erfolgten Zulassung des PSM Powertwin, das ebenfalls den Wirkstoff Phenmedipham enthalte, seien Untersuchungen zu den Auswirkungen auf terrestrische Pflanzen lediglich als Auflage nachgefordert worden. Die Untersuchungsergebnisse zu Powertwin zeigten, dass bei allen untersuchten Aufwandmengen die schädigenden Auswirkungen bei dem PSM Powertwin deutlich höher lägen als bei dem PSM Kontakt 320 SC. Die unterschiedliche Vorgehensweise des Umweltbundesamtes sei deshalb nicht verständlich. Infolgedessen sei der Erlass einer einstweiligen Anordnung geboten. Für das laufende Jahr rechne sie aufgrund der Erfahrungen aus früheren Verkaufszeiten mit einem Gewinnverlust von 1,5 Mill. DM.

7

Die Antragstellerin beantragt,

8

die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, das Pflanzenschutzmittel Kontakt 320 SC bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig zuzulassen.

9

Die Antragsgegnerin beantragt,

10

den Antrag abzulehnen.

11

Sie entgegnet:

12

Bei dem Wirkstoff Phenmedipham handele es sich um einen Altwirkstoff, dessen Zulassung nur unter den Voraussetzungen der §§ 45 Abs. 5, 15 PflSchG erfolgen könne. § 15c PflSchG gelte ausschließlich für Pflanzenschutzmittel, die neue Wirkstoffe enthielten. Da das Umweltbundesamt sein Einvernehmen für eine Zulassung des Pflanzenschutzmittels Kontakt 320 SC nicht erteilt habe, habe keine Zulassungsentscheidung getroffen werden können. Zwar sei von der Biologischen Bundesanstalt der dieser Behörde obliegende Prüfbereich auf der Grundlage der nachgereichten Unterlagen abschließend bewertet worden; es sei jedoch nicht dargelegt worden, dass das Umweltbundesamt das Einvernehmen grundlos verweigere.

13

Das von der Antragsgegnerin beteiligte Umweltbundesamt hat ausgeführt:

14

Das EU-Prüfverfahren zur Aufnahme des Wirkstoffs Phenmedipham in die Anhangliste I zur Richtlinie 91/414/EWG sei noch nicht abgeschlossen. Die Voraussetzungen für eine Zulassung nach dem Pflanzenschutzgesetz lägen ebenfalls nicht vor. Die Bewertung der nachgereichten Unterlagen zu den Auswirkungen des PSM Kontakt 320 SC auf Arthropoden habe hinsichtlich der Art Aphidius rhopalosiphi ergeben, dass eine hinreichende Charakterisierung und Quantifizierung des Risikos und damit ein Ausschluss unvertretbarer Auswirkungen auf den Naturhaushalt nicht möglich sei. Der Biologischen Bundesanstalt sei bereits mit Schreiben vom 05. Januar 2000 nach der Auswertung der Prüfunterlagen mitgeteilt worden, dass die Untersuchungen zu einer abdriftbedingten Aufwandmenge von 4 v.H. der maximalen Anwendungsmenge eine Mortalitätsrate von 13 v.H. bei der Art Aphidius rhopalosiphi ergeben sowie eine signifikante Verminderung der Reproduktion um 50 v.H. gezeigt hätten. Diese Effekte seien eindeutig substanzbedingt und nicht lediglich mit natürlichen Schwankungen zu erklären, wie ein Vergleich mit unbehandelten Kontrollorganismen gezeigt habe. Mit dem Wert von 50 v.H. lägen die Effekte deutlich oberhalb des maximal tolerierbaren Wertes von 30 v.H.. Diese Werte seien bei einer Prüfkonzentration von 4 v.H. in einem Abstand von 1 m zur behandelten Fläche zu erwarten. Zwar seien bei geringeren Testkonzentrationen durchaus Effekte von weniger als 50 v.H. möglich; diesbezügliche quantitative Aussagen seien jedoch wegen des Fehlens von Untersuchungen zur Dosis-Wirkung-Beziehung nicht zu machen. Der Hinweis der Antragstellerin darauf, dass die untersuchte Arthropodenart Aphidius rhopalosiphi im Zeitraum der Mittelanwendung nur im Ackerrandbereich vorkomme, verkenne, dass diese Art als Stellvertreterorganismus für eine Vielzahl von Arthropoden geprüft werde, die die vielfältigste aller Gruppen darstelle. Ein Anspruch darauf, die fehlenden Unterlagen im Wege einer Auflage nachzufordern, bestehe nicht. Eine Mittelzulassung dürfe nicht erfolgen, wenn zu prüfende Teilbereiche noch nicht abgeklärt seien. Hinsichtlich der Mittel Ethosat 500 und Powertwin seien ebenfalls keine weiteren Untersuchungen im Wege einer Auflage vom Umweltbundesamt gefordert worden. Die von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen zum Prüfbereich der terrestrischen Nichtzielpflanzen seien vom Umweltbundesamt akzeptiert und bewertet worden. Eine vorläufige Beurteilung der Auswirkungen auf den Naturhaushalt und ihrer Vertretbarkeit habe ergeben, dass im Falle einer Mittelzulassung zum Schutz benachbarter Ökotone eine Anwendungsbestimmung über das Einhalten eines Abstands erforderlich sei. Weitere Untersuchungen an terrestrischen Pflanzen seien unter dem Gesichtspunkt der Abstandsregelung nicht erforderlich und auch nicht gefordert worden. Der Antragstellerin sei mitgeteilt worden, dass bei einer durch das Ergebnis von weitergehenden Untersuchungen an terrestrischen Pflanzen bewirkten Entlastung der festgestellten Gefährdungsmomente, die nach den gegenwärtigen Erkenntnissen eine Abstandsregelung erfordern, eine erneute Entscheidung über die Anwendungsbestimmung getroffen werden könne; es sei der Antragstellerin lediglich anheim gestellt worden, solche Untersuchungen durchzuführen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens, der Verfahren 6 A 120/99, 6 B 6372/98 sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (3 Bände) Bezug genommen.

II.

16

Der Antrag hat keinen Erfolg.

17

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um von dem Rechtsuchenden wesentliche Nachteile abzuwenden. Ihrer Natur nach darf eine solche Anordnung jedoch nur eine einstweilige Regelung treffen oder einen vorläufigen Zustand schaffen. Dieser Sicherungszweck der einstweiligen Anordnung verbietet es im Allgemeinen, einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorzugreifen. Von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung Ausnahmen zugelassen, wenn wirksamer Rechtsschutz im Klageverfahren nicht oder nicht rechtzeitig erreichbar ist und dies für den Antragsteller zu schlechthin unzumutbaren Nachteilen führen würde. Darüber hinaus setzt die von der Antragstellerin angestrebte einstweilige Anordnung voraus, dass sie in einem nachfolgenden Klageverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben und auf der Grundlage der bisher vorliegenden Antragsunterlagen eine erneute Zulassung des Pflanzenschutzmittels Kontakt 320 SC erreichen wird. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor.

18

Die Biologische Bundesanstalt lässt nach § 15 Abs. 1 PflSchG ein Pflanzenschutzmittel zu, wenn u.a. der Antrag den Anforderungen des § 12 PflSchG entspricht und die Prüfung des Pflanzenschutzmittels ergibt, dass es hinreichend wirksam ist, keine nicht vertretbaren Auswirkungen auf die zu schützenden Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse, keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier und auf das Grundwasser sowie keine sonstigen nicht vertretbaren Auswirkungen, insbesondere auf den Naturhaushalt sowie auf den Hormonhaushalt von Mensch und Tier, hat. Die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels ist nach diesen gesetzlichen Vorgaben nur statthaft, wenn schädliche und unvertretbare Auswirkungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen sind (BVerwG, Urt. vom 10.11.1988, BVerwGE 81, 12 = Buchholz 421.4 Nr. 1; OVG Lüneburg, Beschl. vom 20.02.1992 - 3 L 1233/91 -; VG Braunschweig, Urt. vom 12.09.1990 - 6 A 6009/90 -). Mit den in § 15 PflSchG normierten Anforderungen an die Beschaffenheit eines Pflanzenschutzmittels soll bei Anwendung eines sehr hohen Sicherheitsmaßstabs das Risiko einer schädlichen bzw. unvertretbaren Auswirkung auf die in dieser Vorschrift genannten Rechtsgüter ausgeschlossen werden. Hinsichtlich der Vertretbarkeit oder Unvertretbarkeit von Auswirkungen eines Mittels steht den am Zulassungsverfahren beteiligten Behörden eine Einschätzungsprärogative nicht zu (BVerwG, Urt. vom 10.11.1988, aaO.; a.A.: Gündermann, NuR 1996, 175 m.w.N.). Nach dem - erforderlichenfalls vom Gericht zu ermittelnden - Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der Technik (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 PflSchG) ist vielmehr u.a. zu untersuchen, welche Auswirkungen das Pflanzenschutzmittel auf die Gesundheit und den Hormonhaushalt von Mensch und Tier, auf das Grundwasser und den Naturhaushalt hat. Außerdem sind in eine solche Prüfung der Grad der Wahrscheinlichkeit, dass die nicht auszuschließenden Auswirkungen auf den Naturhaushalt nachteilig sind, das Gewicht dieses Nachteils, der Vorteil der Mittelverwendung für den Pflanzenbau und dessen evtl. Ersetzbarkeit durch andere Mittel oder Pflanzenschutzmaßnahmen einzustellen (BVerwG, Urt. vom 11.10.1988, aaO.).

19

Nach Maßgabe dieser Gesichtspunkte und im Hinblick auf die besonderen Bedingungen, unter denen ein Verfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO geführt wird, kann dem Begehren der Antragstellerin nicht entsprochen werden. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, das auf die Verwertung präsenter und auch inhaltlich ohne weitere sachverständige Hilfe nachvollziehbarerer Beweismittel zugeschnitten ist, sind der gerichtlichen Kontrolle aufgrund der in der Natur des Eilverfahrens liegenden sachlich und zeitlich eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten von vornherein enge Grenzen gezogen. Aus diesen Gründen sind insbesondere umstrittene fachwissenschaftliche Beurteilungen typischerweise erst im Hauptsacheverfahren zu klären.

20

Hiervon ist in Bezug auf die von den Verfahrensbeteiligten und der Einvernehmensbehörde (Umweltbundesamt) aus ihrer fachlichen Sicht unterschiedlich bewerteten Erkenntnisse aus den Studien und Prüfunterlagen, soweit sie zum Pflanzenschutzmittel Kontakt 320 SC von der Antragstellerin eingereicht worden sind, die daraus geschlossenen Folgerungen hinsichtlich der Auswirkungen auf den Naturhaushalt und für die Frage der Entbehrlichkeit weiterer Nachweise als Voraussetzung für die Zulassung des Mittels auszugehen. Die Kammer sieht sich nicht in der Lage, die vom Umweltbundesamt geforderten ergänzenden Untersuchungen und Prüfunterlagen zur Dosis-Wirkung-Beziehung, mit denen ein quantifizierbarer Nachweis für geeignete Risikominimierungsmaßnahmen im Sinne des Anhangs VI Teil C Nr. 2.5.2.4 der Richtlinie 91/414/EWG erbracht werden könnte, von vornherein als derart unbedeutend anzusehen, dass sie - wie von der Antragstellerin gefordert - als Auflage zu einem Zulassungsbescheid nachgefordert werden könnte. Nachdem die bis zum 30. Dezember 1998 reichende Zulassung des Pflanzenschutzmittels Kontakt 320 SC abgelaufen ist, setzt eine erneute Zulassung des Mittels ebenso wie die vorangegangene Zulassung voraus, dass der Antrag den Erfordernissen des § 12 Abs. 3 PflSchG i.V.m. § 1 PflSchMittelVO und das Pflanzenschutzmittel den Anforderungen des § 15 PflSchG entspricht (OVG Lüneburg, Urt. vom 03.02.1994, NVwZ 1995, 286 [OVG Niedersachsen 03.02.1994 - 3 L 1243/91]). Das schließt zwar nicht aus, dass von einem Antragsteller in dem erneuten Zulassungsverfahren auf bereits früher von ihm vorgelegte Unterlagen Bezug genommen werden kann; es ist indes grundsätzlich nicht statthaft, von vornherein Teilbereiche von der Zulassungsprüfung auszunehmen und auf einen Zeitpunkt nach der Zulassung zu verlagern, indem die Zulassung mit entsprechenden Nachforderungen versehen wird (vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Urt. vom 03.02.1994, aaO.; VG Braunschweig, Beschl. vom 07.02.1991 - 6 B 61356/90 -, Beschl. vom 14.06.1999 - 6 B 46/99 -). Soweit das Gesetz die Vorlage von Angaben, Unterlagen und Proben im Wege von Auflagen und Nachforderungen zulässt, um evtl. auftretende Risiken abzuklären und erforderlichenfalls eine Modifizierung oder einen Widerruf der Zulassung vorzubereiten, setzen solche Anordnungen eine dem Schutzzweck des § 1 Abs. 4 PflSchG sowie den Anforderung des § 15 PflSchG genügende Zulassung eines Pflanzenschutzmittels voraus. Zum Nachweis der Zulassungsvoraussetzungen notwendige Angaben, Unterlagen und Proben sind erforderlichenfalls bereits vor der Zulassungsentscheidung zu ergänzen (§ 15 Abs. 5 PflSchG).

21

Mit dem Umweltbundesamt geht auch die Antragsgegnerin davon aus, dass die Laborversuche nach den von der Antragstellerin vorgelegten Prüfunterlagen bei Nichtzielarthropoden (Aphidius rhopalosiphi) zu Ergebnissen geführt haben, die gemäß Anhang VI Teil C Nr. 2.5.2.4 grundsätzlich einer Zulassung des Pflanzenschutzmittels entgegenstehen. Lediglich hinsichtlich der Maßnahmen, mit denen das Risiko einer solchen Schädigung unter die einer Zulassung entgegenstehende Grenze herabgesetzt werden könnte, werden von den beteiligten Behörden unterschiedliche Auffassungen vertreten. Nach Aktenvermerken der Antragsgegnerin vom 04., 06. und 07. Januar 2000 von dieser Behörde wird die in die Untersuchungen eingestellte Abdriftmenge (4 v.H. der Aufwandmenge) als Worst-Case-Szenario angesehen, die mit einer Reduktion der Reproduktion um 50 v.H. zwar immer noch bei der Arthropodenart Aphidius rhopalosiphi zu einer Überschreitung des genannten Grenzwertes führe. Im Hinblick darauf, dass 95 v.H. der in einer Randzone von 1 m Breite neben der Behandlungsfläche befindlichen Aphidius-Populationen einer Aufwandmenge des Wirkstoffs ausgesetzt seien, die geringer als 4 v.H. der Aufwandmenge sei, und innerhalb des 3- bis 4-jährigen Anwendungszeitraums eine Wiedererholung der betroffenen Arten angenommen werde, seien bei der praktischen Anwendung keine nicht vertretbaren Auswirkungen auf Nichtzielarthropoden zu erwarten. Demgegenüber fordert das Umweltbundesamt Untersuchungsergebnisse zur Quantifizierung der Relation von Dosismengen und Wirkungen bei unterschiedlichen Anwendungs- und Abdriftabständen und damit eine Konkretisierung der von der Antragsgegnerin geäußerten Auffassung einer Vertretbarkeit der Auswirkungen. Nach den EU-Richtlinien können die einer Zulassung entgegenstehenden Laborergebnisse nur mit einem praktischen Beweis für das Ausbleiben unannehmbarer Auswirkungen auf die betreffenden Organismen durch geeignete Risikominimierungsmaßnahmen relativiert werden (Anhang VI Teil C Nr. 2.5.2.4 der Richtlinie 91/414/EWG). Es erscheint deshalb nicht als sachwidrig, wenn das Umweltbundesamt zur Abschätzung der Bedingungen für einen solchen praktischen Beweis der Risikominimierung ergänzende Angaben und Unterlagen zur Dosis-Wirkung-Beziehung fordert.

22

Dagegen werden entgegen der Auffassung der Antragstellerin ergänzende Unterlagen zu den Auswirkungen des PSM auf terrestrische Nichtzielpflanzen vom Umweltbundesamt nicht gefordert. Das Umweltbundesamt hat dargelegt, dass die von ihm als valide beurteilten Unterlagen zu diesem Prüfbereich die Festlegung einer Anwendungsbestimmung zur Folge haben wird, sofern nicht mit geeigneten weitergehenden Untersuchungen eine Veränderung des derzeitigen Erkenntnisstandes herbeigeführt wird. Diese Angaben stimmen mit den diesbezüglichen Ausführungen des Umweltbundesamtes in dem der Antragsgegnerin zugeleiteten Schriftsatz vom 05. Januar 2000 (Ausführungen unter C) überein. Die der Antragsgegnerin vorliegenden Unterlagen zu diesem Prüfbereich dürften daher einer Mittelzulassung - ohne dass die Einzelheiten der von der Antragsgegnerin zu treffenden Anwendungsbestimmungen bereits feststehen - nicht entgegenstehen.

23

Insgesamt erscheinen die für das Pflanzenschutzmittel vorgelegten Nachweise und Zulassungsunterlagen weiterhin - wenngleich nur in einem Teilbereich - als unvollständig. Bei dieser Sachlage verbietet sich der Erlass der beantragten Regelungsanordnung zur vorläufigen Zulassung des Pflanzenschutzmittels. Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass unter dem von der Antragstellerin geltend gemachten Gesichtspunkt der Vorlage von nachgeforderten und der Zulassungsbehörde nachgereichten Prüfunterlagen das frühere Zulassungsverfahren nicht nach § 51 VwVfG aufgegriffen und fortgeführt werden kann. Mit dem Ablauf der früheren Zulassung zum 30. Dezember 1998 sind die Rechtswirkungen des bestandskräftig gewordenen Zulassungsbescheids entfallen, so dass danach eine Verfahrenswiederaufnahme nach § 51 VwVfG nicht mehr statthaft ist. Die Antragstellerin ist vielmehr auf die ihr gesetzlich eröffnete Möglichkeit eines neuen Zulassungsverfahrens verwiesen (vgl. hierzu: Kopp, VwVfG, Komm. 6. Aufl., § 51 Rn 16 m.w.N.). Dieser Rechtslage hat die Antragstellerin inzwischen mit einem nach den Angaben der Antragsgegnerin vollständigen Zulassungsantrag vom 31. März 1999 Rechnung getragen.

24

Der Antrag ist nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG und orientiert sich hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache an den von der Antragstellerin erwarteten jährlichen Gewinneinbußen im Falle einer nicht erteilten Zulassung des Pflanzenschutzmittels. Im Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist die Hälfte dieses Wertes zu Grunde zu legen. Die Kammer hält eine Streitwertfestsetzung auf der Grundlage des § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG (Auffangwert) nicht für angemessen und folgt insoweit der diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der Streitwertfestsetzung bei Arzneimittelzulassungen (BVerwG, Urt. vom 23.07.1991 - 3 C 56/90 -).