Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 28.03.2000, Az.: 4 A 4057/98
alleinstehende Frau; Ausschluss; Existenzgrundlage; Gruppenverfolgung; Kurden; regimekritische Aktivität; Reiseweg; Syrien; Yeziden
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 28.03.2000
- Aktenzeichen
- 4 A 4057/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41887
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 16a Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Das Zusammenleben einer Yesidin mit einem Nicht-Yeziden führt zum Ausschluss aus der Religionsgemeinschaft. Keine Gefährdung der Existenzgrundlage für alleinstehende Frauen in Syrien.
Gründe
Auch wegen der Zugehörigkeit zur yezidischen Glaubensgemeinschaft muss die Klägerin bei einer Rückkehr nach Syrien nicht politische Verfolgung befürchten.
Dadurch dass sie in der Bundesrepublik mit einem Nicht-Yeziden zusammengezogen ist und mit diesem auch zusammenleben will, hat sich die Klägerin durch ihr eigenes Verhalten aus der yezidischen Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen und wird von dieser Glaubensgemeinschaft nicht mehr als Yezidin akzeptiert (vgl. statt vieler Angaben Protokoll des Gesprächs am 12.02.1997 in Hannover mit dem Mir der Yeziden, Seite 6). Als Nicht-Yezidin drohen ihr bei einer Rückkehr nach Syrien auch nicht mehr die bekannten Schwierigkeiten mit der moslemischen Bevölkerung. Da eine Rückkehr in die yezidische Glaubensgemeinschaft nicht möglich ist, ist es ihr gegebenenfalls auch zuzumuten, sich in Syrien zum moslemischen Glauben zu bekennen. Schon deshalb braucht das Gericht den yezidenspezifischen Beweisanträgen des Prozessbevollmächtigten nicht nachzugehen.
Auch im Übrigen ist nicht erkennbar, dass die Klägerin bei einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit politischer Verfolgung zu rechnen hätte. Es entspricht ständiger Rechtsprechung der Kammer, dass weder allein der Auslandsaufenthalt noch die Asylantragstellung zu einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine politische Verfolgung bei einer Rückkehr nach Syrien führen, sofern die Betroffenen - wie hier - sich nicht politisch betätigt haben. Aus den Lageberichten des Auswärtigen Amtes, z. B. vom 24.10.1996, ergibt sich nämlich, dass die Einreise abgeschobener Antragsteller ohne Anhaltspunkte für eine politische Betätigung weitgehend unbehelligt verläuft und die Asylantragstellung als solche oder längerer Auslandsaufenthalt für sich in der Regel keine Anknüpfungspunkte für ein erhöhtes Interesse der Geheimdienste sind. Aus den der Kammer vorliegenden Auskünften von amnesty international, zuletzt vom 20.6.1996 an das VG Koblenz, ergibt sich im Ergebnis nichts anderes. Darin wird nämlich insoweit übereinstimmend mit den Angaben des Auswärtigen Amtes ausgeführt, dass mit zielgerichteter politischer Verfolgung in der Regel dann gerechnet werden muss, wenn sich jemand aktiv politisch oppositionell oder anderweitig regimekritisch verhält. Darüber hinaus wird zwar auch angeführt, dass syrische Asylantragsteller bei der Abschiebung gefährdet seien, von staatlichen Stellen verfolgt zu werden, da sie einem eingehenden Verhör durch die Einwanderungs- und Sicherheitsbehörden unterzogen werden. Weitergehend wird dann aber angeführt, dass die abgeschobenen Asylantragsteller dann in ein Haft- und Verhörzentrum in Damaskus gebracht werden, wo sie spätestens gefährdet sind, gefoltert zu werden, wenn sich bei der Überprüfung der Verdacht auf eine regimekritische Haltung oder frühere oppositionelle Betätigung ergibt. Bei der Befragung am Flughafen sei es hingegen nur nicht ausgeschlossen, dass es zu Misshandlungen durch Schläge oder zu anderen Maßnahmen komme. Auch aus dieser Stellungnahme kann daher nicht die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine politisch motivierte Verfolgung bei einer Rückkehr nach Syrien für diejenigen entnommen werden, die nicht in den Verdacht einer regimekritischen Haltung kommen könne. Übereinstimmend hiermit gibt das Deutsche Orient Institut, z. B. in der Auskunft an das VG Ansbach vom 8.5.1995, an, dass auch staatenlose Kurden aus Syrien allein wegen ihrer Asylantragstellung keine Bestrafung zu erwarten haben, da die staatlichen Organe Syriens die Bedeutung eines Asylverfahrens durchaus realistisch einschätzen können und das Asylverfahren in den Augen der syrischen Staatsorgane für nicht bereits in ihrem Heimatland politisch Verfolgte eben dieselbe Bedeutung hat wie in den Augen der Asylbewerber, nämlich die einer Formalie.
Es besteht bei der Klägerin auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie bei einer Rückkehr nach Syrien aus Sicht des syrischen Staates in den Verdacht einer regimekritischen Haltung geraten könnte.
3. Ferner liegen auch Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG nicht vor. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, der Klägerin drohten die in § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (BGBl. II, S. 68 - EMRK -) genannten Gefahren. Nach diesen Vorschriften darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter (§ 53 Abs. 1 AuslG) bzw. der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (§ 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK) unterworfen zu werden. Voraussetzung für die Annahme eines Abschiebungshindernisses ist, dass konkrete und ernsthafte Gründe bzw. begründete Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, der konkret Betroffene werde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Zielstaat der Abschiebung unmenschlich behandelt werden; die bloße theoretische Möglichkeit genügt nicht (vgl. dazu EGMR, Urt.v. 30.10.1991 - 45/1990/236/302-306 -, NVwZ 1992, 869; BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 1.94 -, S. 11 f., unter Hinweis auf sein Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, BverwGE 89, 162; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 8.4.1992 - A 16 S 1765/91 -, S. 2 f. des Abdrucks m.w.N.)
Hinreichende Anhaltspunkte für eine beachtliche Gefährdung seiner durch § 53 AuslG geschützten Rechtsgüter hat der Klägerin indessen weder vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich.
Auch die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kommt nicht in Betracht. Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG setzt das Bestehen individueller Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit voraus. Beruft sich ein Ausländer lediglich auf allgemeine Gefahren i. S. des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, die - wie etwa die typischen Bürgerkriegsgefahren - nicht nur ihm persönlich, sondern zugleich der ganzen Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe drohen, wird Abschiebungsschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 54 AuslG gewährt. Einen Anspruch auf eine Ermessensbetätigung der obersten Landesbehörde hat der Ausländer nicht.
§ 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG erfasst allgemeine Gefahren i. S. des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG auch dann nicht, wenn sie den einzelnen Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen. Nur dann, wenn dem einzelnen Ausländer kein Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1, 2, 3, 4 und 6 Satz 1 AuslG zusteht, er aber gleichwohl nicht abgeschoben werden darf, weil die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 GG wegen einer extremen Gefahrenlage die Gewährung von Abschiebungsschutz unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54 AuslG gebieten, ist § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass eine Entscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht ausgeschlossen ist (BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 (München) -, NVwZ 96, 199).
Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin sich bei einer Rückkehr nach Syrien in einer solchen extremen Gefahrenlage befinden würde. Es ist nicht erkennbar, dass in Syrien eine inzwischen 19 Jahre alte Frau, die keine gesundheitlichen Einschränkungen hat, das notwendige Existenzminimum nicht selbst, d.h. ohne Unterstützung durch ihre Familie erwirtschaften könnte. Mit dem Prozessbevollmächtigten geht das erkennende Gericht davon aus, dass die Klägerin kaum in das Heimatdorf ihrer Eltern zurückkehren kann, da sie sich durch ihr Verhalten von der yezidischen Glaubensgemeinschaft abgewandt hat. Doch ist es der Klägerin zuzumuten, sich z.B. in die Großstädte im Westen Syriens zu begeben und dort ihr Leben aufzubauen. Ihre geringe schulische Bildung und ihre kurdische Sprache stehen dem nicht entgegen, da eine Vielzahl kaum gebildeter Kurden auch in diesem Gebiet leben.
4. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in dem angegriffenen Bescheid entsprechen den Maßgaben der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylVfG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.