Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 03.04.2000, Az.: 1 A 1/00
Eingriff in den Gestaltungswillen bei vor Änderung der Friedhofsordnung erworbener Grabstätte; Übermaßverbot bei Vorschreiben einer einzigen Gesteinsart bei obligatorischer Pflanzbeeteinfassung; Besondere Gestaltungsvorschriften auf Friedhöfen nur bei anderen im Gemeindegebiet zur Verfügung stehenden Friedhöfen ohne solche zusätzlichen Anforderungen
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 03.04.2000
- Aktenzeichen
- 1 A 1/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 30717
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2000:0403.1A1.00.0A
Rechtsgrundlagen
- § 14 Abs. 3 S. 5 Friedhofsordnung vom 29.10.1998
- § 17 Abs. 1 S. 3 Friedhofsordnung vom 29.10.1998
- § 19 Abs. 3 Friedhofsordnung vom 29.10.1998
Fundstelle
- NdsVBl 2001, 22-23
Verfahrensgegenstand
Gestaltung einer Grabstätte
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 3. April 2000
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Harms als Einzelrichter
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 15.09.1999 und der Widerspruchsbescheid des Kirchenkreisamtes Peine vom 25.10.1999 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, die von der Klägerin beantragte Grabeinfassung mit dem Stein Orion-Granit zu genehmigen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 2.000,- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der im November 1998 verstorbene Ehemann der Klägerin ist Anfang Dezember 1998 auf dem Friedhof der Beklagten in ... beigesetzt worden. Seine Grabstätte liegt auf dem neueren Teil des Friedhofs; es handelt sich dabei um eine sog. pflegeleichte Grabstätte, für die § 14 der Friedhofsordnung vom 29.10.1998 besondere Gestaltungsvorschriften vorsieht. Danach ist die Pflanzfläche mit Granit Bianco Star, Oberfläche poliert, ebenerdig, 6 cm breit einzufassen. Mit Schreiben vom 01.02.1999 beantragte der von der Klägerin beauftragte Steinmetz die Genehmigung zur Errichtung von Grabstein mit Sockel aus dem grau-blauen Stein Orion Granit und der Grabeinfassung aus Naturstein. Die Beklagte teilte dem Steinmetz daraufhin am 29.03.1999 mit, die Einfassung der pflegeleichten Rasengräber müsse mit dem Granitstein Bianco Star schwarz-weiß erfolgen. Hieraufhin erbat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheides mit der Begründung, die Grabeinfassung mit dem vorgesehenen blau-grauen Granit sei zu genehmigen. Mit Bescheid vom 15.09.1999 teilte die Beklagte mit, dass sie die Errichtung des Grabmals zwar genehmigt habe, die vorgesehene Grabeinfassung aber ablehne, weil sie gegen § 14 der Friedhofsordnung verstoße. Dagegen hat die Klägerin nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid des Kirchenkreisamtes Peine vom 02.12.1999) Klage erhoben.
Zur Begründung beruft sie sich darauf, dass sie die Grabstätte zu einem Zeitpunkt erworben habe, als die neue Friedhofsordnung vom 29.10.1998 noch gar nicht wirksam gewesen sei; zudem sei sie auf die Gestaltungsvorschriften beim Erwerb der Grabstätte auch nicht hingewiesen worden; schließlich würden diese auch unzulässiger Weise in ihren Gestaltungswillen eingreifen.
Die Klägerin beantragt
Aufhebung der Bescheide vom 15.09. und 02.12.1999,
Verpflichtung der Beklagten zur Genehmigung der Grabeinfassung mit dem Stein Orion Granit.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und beantragt
Klagabweisung.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Klage, über die gemäß § 6 VwGO der Einzelrichter entscheidet, hat Erfolg; denn die Beklagte hat der Klägerin zu Unrecht versagt, die von ihr erworbene Grabstätte mit einer Einfassung aus dem Stein Orion Granit zu versehen.
Die Pflicht, die Einfassung kirchenbehördlich genehmigen zu lassen, ergibt sich aus § 19 Abs. 3 der Friedhofsordnung vom 29.10.1998. Diese ist mit ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt für den Landkreis vom 15. Mai 1999 in Kraft getreten. Ihre Vorschriften sind auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden; denn bei einer Verpflichtungsklage, wie hier, ist grundsätzlich auf die Rechtslage am Tage der mündlichen Verhandlung abzustellen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich eine Grabeinfassung aus dem Stein Orion Granit nicht mit einem Hinweis auf § 14 Abs. 3 Satz 5 der Friedhofsordnung verbieten. Danach ist zwar die Pflanzfläche mit Granit Bianco Star einzufassen. Diese Vorschrift ist aber mit höherrangigem Recht nicht vereinbar.
Dabei hat das Gericht bereits Zweifel, ob die Beklagte nicht bereits dadurch ihr gesetzgeberisches Ermessen überschritten hat, dass sie für die obligatorische Pflanzbeeteinfassung nur eine einzige Gesteinsart vorgeschrieben hat (vgl. zum Übermaßverbot: BayVerfGH NVwZ 1986, 371 [VerfGH Bayern 21.03.1985 - Vf. 9-VII/84]). Diesen Zweifeln brauchte das Gericht indessen nicht weiter nachzugehen, da § 14 Abs. 3 Satz 5 der Friedhofsordnung bereits aus einem anderen Grunde unwirksam ist. Denn es ist in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt, dass sog. besondere Gestaltungsvorschriften auf Friedhöfen nur dann zulässig sind, wenn im Gemeindegebiet andere Friedhöfe oder Friedhofstelle zur Verfügung stehen, für die solche zusätzlichen Anforderungen nicht gelten (vgl. Gaedke, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 7. Aufl. 1997, S. 186 ff. m.w.N.). Es muss also rechtlich und tatsächlich gewährleistet sein, dass auf anderen Friedhöfen oder Friedhofsteilen Grabfelder zur Verfügung stehen, für die allein die allgemeinen, d.h. durch den Friedhofszweck gebotenen Gestaltungsvorschriften gelten (OVG Lüneburg NVwZ 1996, 810 [OVG Niedersachsen 27.09.1995 - 8 L 1219/93]; VGH Baden-Württemberg DVBl. 1997, 1278). Dabei geht das Gericht mit Gaedke (a.a.O. S. 190 m.w.N.) und dem VGH Baden-Württemberg (DVBl. 1997, 1278) davon aus, dass es nicht zumutbar ist, Friedhofsbenutzer allein aus gestalterischen bzw. ästhetischen Gründen zu zwingen, auf die Bestattung eines Verstorbenen im Heimatort zu verzichten und auf den Friedhof eines anderen, mehr oder weniger weit entfernten Ortsteils auszuweichen. Insoweit können die Bürger von ... nicht auf den nächstgelegenen, aber immer noch 3,5 km entfernten Friedhof in ... verwiesen werden. Vielmehr muss hier sichergestellt sein, dass die Ausweichmöglichkeit auf demselben Friedhof besteht.
Das ist auf dem ... Friedhof indes nicht der Fall. Nach den Richtlinien über die Gestaltung der Grabstätten und Grabmale, die nach § 17 Abs. 1 Satz 3 der Friedhofsordnung ihr Bestandteil sind, sollen die Grabstätten oder die Grabstellen nur dann mit festem Material eingefasst werden, wenn dies wegen der Beschaffung des Bodens notwendig ist (Abschnitt I Nr. 5 Satz 1). Diese Vorschrift läuft auf ein Verbot der Einfassung von Grabstätten mit festem Material hinaus (vgl. OVG Lüneburg NVwZ 1996, 810 [OVG Niedersachsen 27.09.1995 - 8 L 1219/93]). Sie gibt dem Friedhofsbenutzer jedenfalls keine freie Wahlmöglichkeit, eine steinerne Einfassung der Grabstätte nach seinen Wünschen vorzunehmen. Damit fehlt es an der Voraussetzung, unter der § 14 Abs. 3 Satz 5 der Friedhofsordnung als besondere Gestaltungsvorschrift zulässig wäre.
Dabei spielt es rechtlich im Übrigen keine Rolle, ob die Verbotsvorschrift in Abschnitt I Nr. 5 Satz 1 der Richtlinien als allgemeine Gestaltungsvorschrift überhaupt gültig ist oder nicht. Das Gericht hält sie für ungültig, weil sie aus Gründen des Friedhofszwecks oder der friedhofsinternen Sicherheit und Ordnung nicht erforderlich ist (vgl. OVG Lüneburg NVwZ 1996, 811 [OVG Niedersachsen 24.11.1995 - 8 L 216/94]; Gaedke a.a.O. S. 203/204 m.w.N.). Gleichwohl hat die Beklagte diese Vorschrift zum Inhalt ihrer Friedhofsordnung gemacht, die vom Friedhofsbenutzer Beachtung erfordert. Jedenfalls kann er in dem Zeitpunkt, in dem er eine Grabstätte erwirbt und darin eine Beisetzung veranlasst, nicht verlässlich übersehen, dass diese Vorschrift, weil ungültig, seine Gestaltungsmöglichkeiten nicht einschränkt. Danach muss sich die Beklagte so behandeln lassen, als hätte sie auf ihrem Friedhof keine Grabfelder, für die allein die allgemeinen Gestaltungsvorschriften gelten. Das macht die besondere Gestaltungsvorschrift § 14 Abs. 3 Satz 5 der Friedhofsordnung unwirksam.
Dem kann die Beklagte, wie in der mündlichen Verhandlung geschehen, auch nicht entgegenhalten, tatsächlich sei auf dem alten Friedhofsteil nahezu jede Grabstätte mit einer Steineinfassung versehen. Dazu hat sie im Verlaufe des Klageverfahrens bereits vorgetragen, sie habe schon seit langem verlangt, dass alle Einfassungen aus nordischem Granit hergestellt sein müssen. Dieser Vortrag belegt, dass es auf dem Friedhof ... gerade keine Grabfelder ohne besondere Gestaltungsregelung gegeben hat.
Danach scheiden sowohl § 14 Abs. 3 Satz 5 der Friedhofsordnung als auch Abschnitt I Nr. 5 Satz 1 der Richtlinien als Prüfungsmaßstab für den Genehmigungsantrag aus. Sonstige Versagungsgründe für das Bauvorhaben sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass die vorgesehene Grabeinfassung eine Verunstaltung des Friedhofs bewirkt, Friedhofsbesucher in der Andacht stören (§§ 13 Abs. 1 und 3 i.V.m. 20 Abs. 1 der Friedhofsordnung) oder die Würde des Friedhofs beeinträchtigen könnte (Abschnitt I Nr. 1 der Richtlinien). Danach hat die Klägerin einen Rechtsanspruch (vgl. Gaedke, a.a.O. S. 196 ff.) auf Genehmigung der von ihr vorgesehenen Einfassung.
Die kostenrechtlichen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG (1/4 Auffangwert).
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 2.000,- DM festgesetzt.