Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 28.03.2000, Az.: 4 A 4060/98
exilpolitische Aktivität; Mitgliedschaft; Syrien; Yeketi; Yeziden
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 28.03.2000
- Aktenzeichen
- 4 A 4060/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41889
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 16a Abs 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Keine Verfolgungsgefahr für einfache Mitgliedschaft in der YEKITI ohne besondere exilpolitische Aktivität.
Gründe
Aus den Gründen:
Es besteht bei dem Kläger auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass er bei einer Rückkehr nach Syrien aus Sicht des syrischen Staates in den Verdacht einer regimekritischen Haltung geraten könnte. Die Aktivitäten des Klägers in der Bundesrepublik haben nicht ein solches Gewicht.
Allein die Mitgliedschaft in einer kurdischen Organisation wie der Yekiti in Deutschland und erst recht die alleinige Sympathisantenstellung zu einer solchen Gruppierung begründet keine solche Verfolgungsgefahr. So führt selbst amnesty international in seiner Auskunft vom 26.6.1996 an das VG Koblenz bezogen auf die kurdischen Volksunion aus, dass die alleinige Tatsache der Mitgliedschaft in einer kurdischen Partei in der Regel nur zur Beobachtung durch die verschiedenen syrischen Geheim- und Sicherheitsdienste führen könne. Im Übrigen ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem syrischen Staat die Mitgliedschaft des Kläger in der Yekiti bekannt ist. Zwar nimmt auch das erkennende Gericht an, dass aufgrund der Tätigkeit der syrischen Dienste in Deutschland davon auszugehen ist, dass die Behörden in Syrien über politische Aktivitäten syrischer Staatsangehörige in Deutschland sehr gut informiert sind (vgl. z. B. Bulut, Auskunft vom Juli 1996 an das VG Braunschweig). Doch ist nicht anzunehmen, dass die syrischen Behörden auch Kenntnis über den Mitgliederbestand der Yekiti haben. Diese Einschätzung beruht darauf, dass die Yekiti in ihrer eigenen Stellungnahme vom 9.10.1996 an das VG Braunschweig angibt, dass sehr genau überprüft wird, ob jemand bereits in Syrien Mitglied der Yekiti gewesen ist. Wenn ein Kurde aus Syrien in Europa Mitglied in der Partei werden will, wird er für längstens zwei Jahre von Mitgliedern daraufhin überprüft, ob er tatsächlich in der Partei für die Ziele der Partei arbeiten will, oder ob es sich bei ihm beispielsweise um einen Sympathisanten/Agenten der Regierung handelt. Erst danach kann eine Mitgliedsbescheinigung ausgestellt werden. Im Übrigen läuft die Parteiarbeit auf unterer Ebene nur in kleinen Gruppen ab. Mitglieder einer Gruppe sind bezüglich der Arbeit innerhalb dieser Gruppe und bezüglich der personellen Besetzung zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ein Mitglied einer Gruppe kennt daher nicht Mitglieder anderer Gruppen oder deren Vorsitzende. Einzelne Mitglieder können daher nur wissen, wie sich die jeweilige Gruppe zusammensetzt. Mitgliedskandidaten wissen über die Aktivitäten der Partei am wenigsten. Vor dem Hintergrund dieser eigenen Absicherung der Mitgliederstruktur der Yekiti kann nicht davon ausgegangen werden, dass der syrische Geheimdienst Kenntnis von der Mitgliedschaft des Klägers in der Yekiti besitzt.
Entscheidend ist somit, in welcher Form sich der Kläger in Deutschland insbesondere öffentlichkeitswirksam politisch engagiert hat. So geht auch amnesty international (vgl. Auskunft vom 29.4.1996 an RA. Walliczek) davon aus, dass nur bei aktiven Anhängern der Partei der Yekiti von einer Gefährdung ausgegangen werden kann. Ob und in welchem Maße ein Mitglied einer kurdischen Organisation im Falle einer Rückkehr nach Syrien politische Verfolgung droht, hängt in erster Linie davon ab, ob sich diese Person politisch oppositionell oder regimekritisch verhalten hat (vgl. auch Auskünfte von amnesty international vom 24.6.1996 an VG Koblenz, vom 24.6.1996 an VG Koblenz, vom 11.11.1996 an VG Braunschweig und Bericht vom Oktober 1996; so auch Auswärtiges Amt, Auskunft vom 17.7.1996 an VG Braunschweig). Zu diesen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten konnte der Kläger nur angeben, dass er bei einer nicht näher bezeichneten Veranstaltung am 10.10.1998 anwesend war (Bl. 52 GA) sowie Flugblätter am 26.02.2000 in Sarstedt sowie bei einer Demonstration in Bonn am 16.10.1999 verteilt hat.
Selbst die Teilnahme an den Großdemonstrationen in Bonn begründet nach Überzeugung des erkennenden Gerichts keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger aus syrischer Sicht in den Verdacht geraten könnte, sich regimefeindlich verhalten zu haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei diesen Demonstrationen die regelmäßig ein- bis zweimal im Jahr vor der syrischen Botschaft in Bonn stattfinden und auch entsprechend beobachtet werden, um Großveranstaltungen handelt, an denen auch eine Vielzahl syrischer Kurden teilnimmt, die sich erstmals in der Bundesrepublik syrien-kritisch betätigen. Dabei darf nicht verkannt werden, dass diese Veranstaltungen aus Sicht der einfachen Teilnehmer an diesen Demonstrationen im wesentlichen deshalb stattfinden, um sich aus ausländer- und asylrechtlicher Sicht ein zumindest vorübergehendes Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland zu erwirken. Eine regimekritische Haltung wird auch der syrische Staat aus der schlichten Teilnahme an solchen Großdemonstrationen zur Überzeugung des erkennenden Gerichts nicht herleiten. Insoweit schließt sich das erkennende Gericht im vollem Umfang der Einschätzung des Deutschen Orient-Institutes in seiner Auskunft vom 30.7.1996 an das VG Braunschweig an. Hierin ist ausgeführt, dass eine politische und/oder politisch-kulturelle Tätigkeit im Hinblick auf die damit für die den Betreffenden verbundene Gefahr in Abhängigkeit davon einzuschätzen ist, wo diese stattfindet. In Syrien gehört nicht viel dazu, aus politischen Gründen Schwierigkeiten mit der Staatssicherheit zu bekommen. Deshalb halten sich die Kurden, solange sie in Syrien leben, auch im allgemeinen sehr zurück. Es ist nicht sicher auszuschließen, dass der syrische Geheimdienst versucht, auch im Ausland die Exponenten der Syrisch-Kurdischen Nationalen Bewegung zu beobachten. Es kann schon sein, dass auf einer Großveranstaltung auch "Vertreter" des syrischen Geheimdienstes anwesend sind, wenn diese Veranstaltung zumeist von syrischen Kurden besucht und organisiert wurde. Andererseits darf aber auch davon ausgegangen werden, dass nicht jede Vereinstätigkeit eine die Syrer interessierende Opposition ist bzw. diese nur dann interessieren dürfte, wenn es sich um im Ausland vorgenommene Aktivitäten handelt, die erstens einen konkreten Bezug zu Syrien haben und irgendwie auch nach Syrien hineinwirken wollen. Im Übrigen ist angesichts der sehr zahlreichen kurdischen Asylbewerber aus Syrien davon auszugehen, dass die Syrer einigermaßen genau zwischen wirklicher, aus dem Ausland heraus gezielt nach Syrien hinein oder doch wenigstens in konkreter derartiger Absicht unternommener Aktivität und einer allein "ausländischen Zwecken" halber unternommenen Aktivität zu unterscheiden wissen. Den Syrern kann nicht eine derartige Weltfremdheit unterstellt werden, dass sie die ausländerrechtlichen Gegebenheiten der Bundesrepublik Deutschland nicht durchaus realistisch einzuschätzen im Stande sind.
3. Ferner liegen auch Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG nicht vor. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dem Kläger drohten die in § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4.11.1950 (BGBl. II, S. 68 - EMRK -) genannten Gefahren. Nach diesen Vorschriften darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter (§ 53 Abs. 1 AuslG) bzw. der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (§ 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK) unterworfen zu werden. Voraussetzung für die Annahme eines Abschiebungshindernisses ist, dass konkrete und ernsthafte Gründe bzw. begründete Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, der konkret Betroffene werde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Zielstaat der Abschiebung unmenschlich behandelt werden; die bloße theoretische Möglichkeit genügt nicht (vgl. dazu EGMR, Urt.v. 30.10.1991 - 45/1990/236/302-306 -, NVwZ 1992, 869; BVerwG, Urt. v. 5.7.1994 - 9 C 1.94 -, S. 11 f., unter Hinweis auf sein Urteil vom 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, BverwGE 89, 162; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 8.4.1992 - A 16 S 1765/91 -, S. 2 f. des Abdrucks m.w.N.)
Hinreichende Anhaltspunkte für eine beachtliche Gefährdung seiner durch § 53 AuslG geschützten Rechtsgüter hat der Kläger indessen weder vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich.
4. Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in dem angegriffenen Bescheid entsprechen den Maßgaben der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylVfG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.