Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 10.05.2022, Az.: 3 T 8/22

Corona-Sonderzahlung; Pfändungsschutz

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
10.05.2022
Aktenzeichen
3 T 8/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59242
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BGH - 13.07.2023 - AZ: IX ZB 24/22

Fundstellen

  • NZI 2022, 751
  • VuR 2022, 478

Tenor:

1.) Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 31.03.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg – 46 IK 71/18 – vom 22.03.2022 aufgehoben und der dem Schuldner für den Monat März 2022 als pfändungsfrei zu belassende Betrag seines Einkommens rückwirkend einmalig erhöht um 1.300,00 EUR.

2.) Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Schuldner ist als beamteter Lehrer im Dienste des Landes Niedersachsen tätig.

Mit Beschluss vom 24.05.2018 (Bd. I, Bl. 66 f. d.A.) wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit weiterem Beschluss vom 13.05.2019 (Bd. I, Bl. 199 d.A.) wurde das Verfahren sodann mangels Masse ohne Schlussverteilung aufgehoben. Bereits unter dem 05.12.2017 hatte der Schuldner zuvor Restschuldbefreiung beantragt und in diesem Zuge seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge für die Zeit von sechs Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Treuhänder abgetreten (Bd. I, Bl. 12 d.A.).

Im Monat März 2022 erhielt der Schuldner von seinem Dienstherrn nach § 63a NBesG eine einmalige steuerfreie Sonderzahlung zur Abmilderung der zusätzlichen Belastungen durch die COVID-19-Pandemie in Höhe von 1.300,00 EUR.

Mit Schriftsatz vom 12.03.2022 (Bd. II, Bl. 20 Rückseite d.A.) hat der Schuldner beantragt, ihm die Sonderzahlung vollständig zur Auszahlung zu bringen und nicht dem Treuhänder zuzuführen bzw. an ihn (den Schuldner) zurückzuzahlen. Das Amtsgericht hat diesen Antrag nach Anhörung des Treuhänders mit Beschluss vom 22.03.2022 (Bd. II, Bl. 22 d.A.) zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, weder bestehe eine Privilegierung nach § 150a SGB XI, noch komme Pfändungsschutz gem. §§ 36 Abs. 1 Satz 2, 292 InsO in Verbindung mit § 850i Abs. 1 ZPO in Betracht, da es sich bei der Sonderzahlung um Arbeitseinkommen handele. Schließlich sei auch § 850a Nr. 3 ZPO nicht anwendbar. Insbesondere sei Steuerfreiheit nicht gleichbedeutend mit Unpfändbarkeit.

Gegen diesen Beschluss, der dem Schuldner am 31.03.2022 zugestellt worden ist, hat er mit Schriftsatz vom 31.03.2022, beim Amtsgericht eingegangen am 05.04.2022, Beschwerde eingelegt und darauf verwiesen, dass er als Lehrer unmittelbar und ständig der Gefahr durch COVID-19-Viren ausgesetzt sei (Bd. II, Bl. 31 d.A.). Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 06.04.2022 nicht abgeholfen, auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen und die Akten dem hiesigen Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, und hat auch in der Sache Erfolg. Denn gem. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO und § 292 Abs. 1 Satz 3 InsO in Verbindung mit § 850a Nr. 3 ZPO genießt die streitgegenständliche Corona-Sonderzahlung nach § 63a NBesG Pfändungsschutz.

Corona-Sonderzahlungen fallen jedenfalls dann unter § 850a Nr. 3 ZPO, wenn sie der Abgeltung spezifischer, durch die Pandemie verursachter Erschwernisse dienen (vgl. nur LArbG Niedersachsen, Urteil vom 25.11.2021 – 6 Sa 216/21 –, juris, Rn. 38 und LG Dresden, Beschluss vom 09.02.2021 – 5 T 11/21 –, juris, Rn. 6 sowie Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 850a ZPO, Rn. 10 und BeckOK ZPO/Riedel, 44. Edition, Stand: 01.03.2022, ZPO, § 850a Rn. 15). Der Begriff der Erschwernis in § 850a Nr. 3 ZPO erfasst dabei u.a. besondere Belastungen bei der Arbeitsleistung, etwa Umstände, die für die Gesundheit des Betroffenen nachteilig sind (vgl. LArbG Niedersachsen, aaO, Rn. 40 m.w.N.). Dabei kommt es – jedenfalls bei Sonderzahlungen auf arbeitsvertraglicher Basis – grundsätzlich darauf an, ob und inwieweit der Schuldner im jeweiligen Einzelfall wegen der Auswirkungen der Pandemie unter besonderen Belastungen zu leiden gehabt hat (vgl. nur LArbG Niedersachsen, aaO, und LG Dresden, aaO).

Bei der hier streitgegenständlichen Corona-Sonderzahlung für Besoldungsempfänger nach dem NBesG bedarf es einer Darlegung der individuellen Erschwerungen im konkreten Einzelfall jedoch nicht. Denn der niedersächsische Landesgesetzgeber hat in § 63a Satz 1 NBesG ausdrücklich bestimmt, dass die Sonderzahlung

„zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die COVID-19-Pandemie im Jahr 2021“

gewährt werde. Auch in der Gesetzesbegründung (Niedersächsischer Landtag, Drucks. 18/10417, S. 6) heißt es hierzu dementsprechend:

„Es handelt sich um eine Sonderzahlung des Dienstherrn, die im Sinne des § 3 Nr. 11 a des Einkommensteuergesetzes (EStG)zur Abmilderung der zusätzlichen Belastung durch die Corona-Krise als zusätzliche Unterstützung zu den ohnehin geschuldeten Bezügen gewährt wird. Sie bleibt daher nach § 3 Nr. 11 a EStG steuerfrei.“

Damit hat der Landesgesetzgeber hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Sonderzahlung dem Ausgleich besonderer pandemiebedingter Belastungen der Besoldungsempfänger dient, und auf diese Weise den Charakter der Sonderzahlung als (steuerfreie) Erschwerniszulage gesetzlich festgeschrieben – und zwar ohne dass es auf eine besondere gesundheitliche Gefährdung im Einzelfall ankommt. Vor diesem Hintergrund ist dem Besoldungsempfänger nicht abzuverlangen, seine besondere individuelle Betroffenheit durch die COVID-19-Pandemie eigens darzulegen.

Dies korrespondiert im Übrigen auch mit der Rechtsprechung des BGH zur Unpfändbarkeit von Nachtarbeitszuschlägen: Mit Beschluss vom 29.06.2016 – VII ZB 4/15 – hat der BGH entschieden, dass solche Zuschläge, soweit sie dem Schuldner steuerfrei gewährt werden, als Erschwerniszulagen gem. § 850a Nr. 3 ZPO nicht der Pfändung unterliegen – und zwar unabhängig davon, ob mit der Leistung der Nachtarbeit im Einzelfall besondere individuelle Erschwernisse einhergehen oder nicht (zitiert nach juris, Rn. 13). Der Umfang der Steuerfreiheit ist dabei als Anhaltspunkt für die Üblichkeit im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO heranzuziehen (BGH, aaO, Rn. 14). Dementsprechend ist auch vorliegend von der Üblichkeit der an den Schuldner geleisteten Sonderzahlung in Höhe von 1.300,00 EUR auszugehen.

III.

Gem. § 4 InsO in Verbindung mit § 574 Abs. 3 Satz 1 bzw. Abs. 2 Nr. 1 ZPO war die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Eine Rechtssache hat dann grundsätzliche Bedeutung, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (Zöller/Heßler, aaO, § 543, Rn. 11 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben: Die Frage, ob Corona-Sonderzahlungen auf Grundlage des § 63a NBesG oder aufgrund vergleichbarer bundes- oder landesrechtlicher Vorschriften grundsätzlich und ohne nähere Darlegung im Einzelfall pfändungsfrei sind, ist in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten. Insoweit besteht auch ein abstraktes Interesse an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts, um Unterschiede zwischen einzelnen Bundesländern zu vermeiden. Die Frage ist schließlich auch klärungsbedürftig. Das ist dann der Fall, wenn zu einer Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (Zöller/Heßler, aaO m.w.N.). Ersteres ergibt sich hier bereits aus der Kommentarliteratur (vgl. nur einerseits Zöller/Herget, aaO, § 850a ZPO, Rn. 10, der darauf abstellt, ob jeweils spezifische, durch die Pandemie verursachte Erschwernisse vorliegen, und andererseits BeckOK ZPO/Riedel, aaO, Rn. 15 m.w.N., der die Steuerfreiheit von Corona-Zuschlägen allgemein mit ihrer Unpfändbarkeit gleichsetzen will). Ferner existieren soweit ersichtlich auch noch keine höchstrichterlichen Entscheidungen zu der vorliegenden Fragestellung.