Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 28.04.2022, Az.: 12 A 5692/19
Belegungsbindung; Ermessensfehler; Geldausgleich; Mietbindung; Wohnraumförderbestimmungen; Wohnraumförderung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 28.04.2022
- Aktenzeichen
- 12 A 5692/19
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 59253
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 WoFG ND
- § 22 WoFG ND
- § 7 WoFG ND
Tenor:
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
Im Übrigen wird der die Wohnung E., F. (Mieter: G.) betreffende Bescheid der Beklagten vom 4. November 2019 insoweit aufgehoben, als darin für die Freistellung von der Belegungsbindung „angemessene Wohnfläche“ eine Ausgleichsleistung in Höhe von 660,- € festgesetzt ist.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung von Ausgleichszahlungen für Freistellungen von Belegungsbindungen nach § 7 NWoFG.
Mit Bescheid vom 3. Juli 2001 bewilligte H. - I. - (im Folgenden: J.) dem Kläger auf der Grundlage von § 88d II. WoBauG ein Landesdarlehen in Höhe von 253.498,51 € für den Neubau von vier Mehrfamilienhäusern mit insgesamt 35 Wohnungen (2.727,58 m2 geförderte Wohnfläche) in der K. in L.. Zu den „rechtlichen Grundlagen“ der Förderung zählen nach Ziff. III des Bescheides unter anderem „die Wohnungsbauförderungsbestimmungen des Landes Niedersachsen (WFB) in der zur Zeit der Bewilligung geltenden Fassung“.
Am 27./30. November 2001 schlossen der Kläger und die J. eine ergänzende Vereinbarung über die bewilligte Förderung (im Folgenden: Fördervereinbarung) ab, die unter anderem folgende Bestimmungen enthält:
§ 2
Zweckbestimmung der geförderten Wohnungen
(1) Die geförderten Wohnungen dürfen nur an Wohnungssuchende vermietet werden, deren Einkommen (Gesamteinkommen aller zum Haushalt gehörenden Personen) innerhalb der Grenze nach § 25 II. WoBauG liegt.
(2) Die Größe der Wohnung muss bei der Vermietung in angemessenem Verhältnis zur Größe des Mieterhaushaltes stehen. Angemessen sind:
[...]
- für vier Haushaltsmitglieder bis 85 qm
[...]
Die zuständige Wohnungsbauförderungsstelle kann einer Überschreitung dieser Wohnflächengrenzen bis zu 10 % zustimmen, insbesondere wenn besondere bauliche Erfordernisse (Grundstückszuschnitt, Ausbau/Erweiterung vorhandener Baulichkeiten o. ä.) die Einhaltung der Grenzen nicht ermöglichen.
(3) Der Zuwendungsempfänger hat sich vor Abschluss des Mietvertrages durch eine Bescheinigung der Wohnungsbauförderungsstelle nachweisen zu lassen, dass das Einkommen der oder des Wohnungssuchenden innerhalb der Grenze nach § 25 II. WoBauG liegt; die für die Wohnungsuchende oder den Wohnungsuchenden angemessene Wohnungsgröße ist in der Bescheinigung anzugeben.
§ 6
Freistellung
(1) Soweit eine Vermietung von geförderten Wohnungen an Wohnungssuchende, deren Einkommen innerhalb der Grenze nach § 25 II. WoBauG liegt, nach Maßgabe der vorstehenden Regelungen nicht möglich ist, kann die LTS oder die von ihr beauftragte Stelle die Freistellung der betroffenen Wohnungen von der vereinbarten Belegungs- und Mietpreisbindung zulassen. [...]
[...]
(3) Die LTS oder die von ihr beauftragte Stelle erteilt eine gebührenpflichtige Freistellung für die Dauer einer jeweils einmaligen Vermietung der betroffenen Wohnung. Für den Zeitraum der Freistellung ist die vereinbarte Belegungs- und Mietpreisbindung ausgesetzt. Die Freistellung erfolgt mit folgenden Auflagen:
1. Der Zuwendungsempfänger ist verpflichtet, eine andere Wohnung mit vergleichbarer Größe aus seinem Wohnungsbestand, die keiner Bindung unterliegt (Ersatzwohnung), an eine Berechtigte oder einen Berechtigten nach § 25 II. WoBauG zu vermieten (mittelbare Belegung), soweit und sobald eine entsprechende Wohnung hierfür zur Verfügung steht. Für die Ersatzwohnung darf die vor der Freistellung für die geförderte Wohnung gemäß § 4 zulässige Miete mit den Erhöhungsmöglichkeiten gemäß § 4 Abs. 2 erhoben werden.
2. Der Zuwendungsempfänger ist verpflichtet, die Differenz zwischen der am Markt erzielbaren Miete und der gemäß § 4 Abs. 1 und 2 zulässigen Höchstmiete für die freigestellte Wohnung an die LTS abzuführen. Der Zuwendungsempfänger wird von der Zahlungspflicht befreit, sobald die freigestellte Wohnung wieder bestimmungsgemäß vermietet wird oder eine mittelbare Belegung erfolgt.
Die Dauer der Belegungs- und Mietpreisbindung der betroffenen Wohnung verlängert sich um den Zeitraum zwischen Freistellung und Belegung einer Ersatzwohnung gemäß Ziffer 1. Wird eine Ersatzwohnung nicht zur Verfügung gestellt, so verlängert sich die Dauer der Belegungs- und Mietpreisbindung um die Dauer der Freistellung (Dauer der einmaligen Vermietung).
[...]
Unter dem 1. August und dem 12. Oktober 2019 beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihn hinsichtlich zweier - jeweils 115,5 m2 großer - Wohnungen in dem Gebäude M. von den Belegungsbindungen freizustellen. Die Wohnung „EGR“ (im Folgenden: Wohnung N.) sei ab dem 1. Dezember 2019 an Herrn N. vermietet, dessen Antrag auf Erteilung einer Wohnberechtigungsbescheinigung die Beklagte mit Bescheid vom 23. Juli 2019 abgelehnt habe. Für die „Wohnung 27“ (im Folgenden: Wohnung O.), die ab dem 1. September 2019 an Familie O. vermietet sei, habe trotz vielfacher Bewerbung über lange Zeit kein geeigneter, zum Berechtigtenkreis gehörender Haushalt gefunden werden können. Unter dem 4. November 2019 wurde der - vierköpfigen - Familie O. allerdings ein Wohnungsberechtigungsschein erteilt, der sie zum Bezug einer mit öffentlichen Fördermitteln geförderten Wohnung mit einer Wohnfläche bis zu 85 m2 berechtigte.
Mit den beiden streitgegenständlichen Bescheiden vom 4. November 2019 stellte die Beklagte den Kläger hinsichtlich der vorbezeichneten Wohnungen unter Bezugnahme auf § 11 Abs. 1 Nr. 3 und § 7 NWoFG für die Dauer der jeweiligen Mietverhältnisse von der Belegungsbindung „angemessene Wohnfläche“ frei. Als Ausgleichsleistung für die Freistellung setzte sie „im Rahmen ihres Ermessens“ einen Betrag von (22 m2 x 0,50 € x 60 Monate =) 660,- € (Wohnung O.) bzw. von (115,5 m2 x 0,50 € x 60 Monate =) 3.465,- € (Wohnung N.) fest. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe nachgewiesen, dass er sich erfolglos um die Vermietung an Berechtigte mit Wohnberechtigungsschein bemüht habe. Berechtigte Wohnungssuchende, die zur Anmietung bereit gewesen seien, hätten ihr, der Beklagten, nicht vorgelegen. Durch die Vorgaben in Nr. 65.2.1 der neugefassten Wohnraumförderbestimmungen des Landes Niedersachsen vom 2. Juli 2019 (- WFB -, Nds. MBl. 2019 S. 1075) habe sich das bisherigen Verfahren zur Festlegung des Geldausgleichs geändert. Bei Freistellungen von den Belegungsbindungen sei ein Geldausgleich in Höhe von 0,50 € pro Quadratmeter Wohnfläche und Monat zu erheben. Dieser werde aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung als einmaliger Betrag im Voraus festgelegt. Dabei sei nach den Wohnraumförderbestimmungen regelmäßig eine Mietdauer von mindestens fünf Jahren zugrunde zu legen.
Am 4. Dezember 2019 hat der Kläger Klage erhoben.
Mit Bescheid vom 12. März 2020 hat die Beklagte ihren die Wohnung N. betreffenden Bescheid vom 4. November 2019 dahingehend geändert, dass die Freistellung gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 3 NWoFG von den Belegungsbindungen (angemessene Wohnungsgröße und einzuhaltende Einkommensgrenze) und den Mietbindungen gemäß § 7 und § 9 NWoFG erteilt worden ist. Die Auflage eines einmaligen Geldausgleichs in Höhe von 3.465,- € als Ausgleich für die Freistellung hat die Beklagte aufgehoben und stattdessen die in § 6 Abs. 3 der Fördervereinbarung vorgesehenen Auflagen festgesetzt. Von der Festsetzung einer Mietabschöpfung hat die Beklagte allerdings abgesehen und dies damit begründet, dass die mit den Mietern vereinbarte Nettokaltmiete von 6,55 €/m2 der nach der Fördervereinbarung zulässigen Höchstmiete entspreche. Zur weiteren Begründung hat die Beklagte ausgeführt, durch die in § 6 der Fördervereinbarung getroffenen Regelungen bei Freistellungen von der einzuhaltenden Einkommensgrenze sei ihr Auswahlermessen an die dort bestimmten Ausgleiche gebunden. Diese Regelungen gingen als speziellere Vorgaben den Wohnraumförderbestimmungen vor. Da nach § 6 Abs. 3 der Fördervereinbarung für den Zeitraum der Freistellung die vereinbarte Belegungs- und Mietpreisbindung ausgesetzt sei, sei der Bescheid vom 4. November 2019 darüber hinaus um die Freistellung von den Mietbindungen zu erweitern gewesen.
Zur Begründung der Klage trägt der Kläger (nunmehr noch) vor, auch die in Bezug auf die Wohnung O. festgesetzte Ausgleichszahlung sei rechtswidrig. Grundlage des Bewilligungsbescheides vom 3. Juli 2001 seien die seinerzeit geltenden Wohnraumförderbestimmungen, die noch keinen festen Ausgleichsbetrag vorgesehen hätten. Die Frage der Freistellung sei in § 6 der Fördervereinbarung abschließend geregelt. Die Regelung erfasse auch die Freistellung von der Einhaltung der für den Haushalt angemessenen Wohnungsgröße; mit der Wendung „nach Maßgabe der vorstehenden Regelungen“ nehme § 6 Abs. 1 der Fördervereinbarung auf sämtliche in § 2 der Fördervereinbarung geregelten Tatbestände Bezug. Da die Wohnung O. - wie die Wohnung N. - zu einem Mietzins vermietet sei, der unterhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete liege, seien auch die Voraussetzungen für eine Mietabschöpfung nicht gegeben. Selbst wenn die Wohnraumförderbestimmungen vom 2. Juli 2019 hier anwendbar sein sollten, sei die Festsetzung eines Ausgleichsbetrages im Voraus ermessensfehlerhaft. Nr. 65.2 WFB sehe lediglich vor, dass die Ausgleichszahlung auch für die gesamte Freistellung im Voraus entrichtet werden könne. Für die Begründung einer entsprechenden Verpflichtung biete er keine Grundlage. Eine solche könne ausschließlich als laufende monatliche Ausgleichszahlung auferlegt werden.
Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2020 hat der Kläger den Rechtsstreit hinsichtlich des die Wohnung N. betreffenden Bescheides vom 4. November 2019 in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt nunmehr noch,
den Bescheid der Beklagten vom 4. November 2019 betreffend die Freistellung gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 3 Niedersächsisches Wohnungsförderungsgesetz für die Wohnung in F., E. (Mieter: G.) insoweit aufzuheben, als ihm eine Ausgleichsleistung für die Freistellung auferlegt ist.
Die Beklagte schließt sich der Teilerledigungserklärung des Klägers an und beantragt im Übrigen,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Ausgleichsforderung sei § 11 Abs. 2 NWoFG, der nach der Übergangsregelung in § 19 Satz 2 NWoFG in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Neuordnung der Wohnraumförderung vom 29. Oktober 2009 (Nds. GVBl. S. 403 - im Folgenden: Fassung vom 29. Oktober 2009 -) auf nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz geförderten Wohnraum anwendbar sei. Während die Festsetzung eines Ausgleichs für die Freistellung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 NWoFG zwingend sei, habe die Auswahl zwischen den möglichen Ausgleichen nach pflichtgemäßem Ermessen zu erfolgen. Als landesweit einheitlicher Rahmen für die Ermessensausübung sei Nr. 65 WFB heranzuziehen, soweit nicht bereits die abgeschlossenen Fördervereinbarungen Vorgaben zu den Ausgleichen enthielten. Zwar sei letzteres hier mit § 6 Abs. 3 der Fördervereinbarung grundsätzlich der Fall. Die Vorschrift gelte jedoch nur für Freistellungen von der einzuhaltenden Einkommensgrenze. Bei Freistellungen von der Einhaltung der für den Haushalt angemessenen Wohnungsgröße - wie im Fall der Wohnung O. - richte sich der Ausgleich nach Nr. 65 WFB, was ihr ihre oberste Fachaufsichtsbehörde bestätigt habe. Da der Kläger keine Ersatzwohnung zur Vermietung an Berechtigte gemäß Nr. 65.5 WFB als Ausgleich zur Verfügung stellen könne, habe sie sich für die Festsetzung eines Geldausgleichs gemäß Nr. 65.2.1 WFB entschieden. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung habe sie darüber hinaus von der ihr in Nr. 65.2.1 Satz 2 und 3 WFB eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Geldausgleich als einmaligen Betrag festzusetzen. Von der Mietbindung habe sie den Kläger nicht freigestellt. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass sie, die Beklagte, nicht Vertragspartei der Fördervereinbarung sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Im Übrigen ist die zulässige Klage begründet. Der die Wohnung O. betreffende Bescheid der Beklagten vom 4. November 2019 ist, soweit er als Ausgleich für die Freistellung von der Belegungsbindung „angemessene Wohnfläche“ einen Geldbetrag in Höhe von 660,- € festsetzt, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die festgesetzte Ausgleichsleistung und die zugrundeliegende Freistellungsentscheidung finden ihre Grundlage in § 11 NWoFG. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 NWoFG in der zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses geltenden Fassung vom 29. Oktober 2009 konnte die zuständige Stelle die verfügungsberechtigte Person befristet von Bindungen nach den §§ 7 und 9 NWoFG (d.h. von Belegungs- und Mietbindungen) freistellen, soweit nach den örtlichen wohnungswirtschaftlichen Verhältnissen ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Aufrechterhaltung der Bindungen nicht bestand (Nr. 1), an der Freistellung ein überwiegendes öffentliches Interesse bestand (Nr. 2) oder an der Freistellung ein überwiegendes berechtigtes privates Interesse bestand (Nr. 3). Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 NWoFG, der durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Wohnraumfördergesetzes und anderer Rechtsvorschriften vom 28. April 2021 (Nds. GVBl. S. 240) unverändert geblieben ist, ist für die Freistellung nach Abs. 1 ein angemessener Ausgleich zu leisten, indem der zuständigen Stelle Belegungs- und Mietbindungen für Ersatzwohnungen für die Dauer der Freistellung vertraglich eingeräumt werden oder ein Geldausgleich oder ein sonstiger angemessener Ausgleich geleistet wird. Bei einer Freistellung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 NWoFG kann gemäß § 11 Abs. 2 Satz 2 NWoFG von einem Ausgleich abgesehen werden. Im Fall des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 NWoFG steht der zuständigen Stelle hingegen kein Entschließungs-, sondern lediglich ein Auswahlermessen in Bezug auf die in § 11 Abs. 2 Satz 1 NWoFG genannten Formen des Ausgleichs (Belegungs- und Mietbindungen für Ersatzwohnungen, Geldausgleich, sonstiger angemessener Ausgleich) zu.
Diese Regelungen finden - anders als der Kläger offenbar meint - auf den vorliegenden Fall Anwendung. Nach § 19 Satz 2 NWoFG in der Fassung vom 29. Oktober 2009 (§ 22 Abs. 2 Satz 2 NWoFG n.F.) richten sich unter anderem die Belegungs- und die Mietbindung sowie die Freistellung und Änderung von Belegungs- und Mietbindungen auch bei Wohnraum, der - wie hier - nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz in der Fassung vom 10. August 1994 (BGBl. I S. 2137) in der bis zum 31. Dezember 2001 jeweils geltenden Fassung gefördert worden ist, ausschließlich nach dem Niedersächsischen Wohnraum- und Wohnquartierfördergesetz.
Nach den Maßgaben dieses Gesetzes ist die Beklagte zur Bestimmung einer Ausgleichsleistung verpflichtet. Denn mit ihrem die Wohnung O. betreffenden Bescheid vom 4. November 2019 hat sie den Kläger unter Anwendung des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 NWoFG von der Belegungsbindung der angemessenen Wohnfläche (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NWoFG) freigestellt. Ihre Entscheidung, als Ausgleich einen Geldbetrag in Höhe von 660,- € festzusetzen, ist allerdings ermessensfehlerhaft (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
Zwar liegt hier kein Ermessensausfall vor. Den Ausführungen im Bescheid, wonach sie „[i]m Rahmen [ihres] Ermessens“ als Ausgleichsleistung für die Freistellung einen Geldausgleich festsetzt, lässt sich hinreichend deutlich entnehmen, dass die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen erkannt hat. Darüber hinaus lässt sich erkennen, dass sie sich hinsichtlich der Höhe des Ausgleichsbetrages an Nr. 65.2.1 WFB orientiert hat. Die mit der Klageerwiderung nachgeschobene Begründung, sie habe sich für die Festsetzung eines Geldausgleichs gemäß Nr. 65.2.1 WFB (und nicht einer anderen Form des Ausgleichs) entschieden, weil der Kläger keine Ersatzwohnung zur Vermietung an Berechtigte gemäß Nr. 65.5 WFB als Ausgleich habe zur Verfügung stellen können, ist daher nach § 114 Satz 2 VwGO zuzulassen.
Es ist jedoch ein Ermessensfehlgebrauch gegeben, weil sich die Beklagte bei ihrer Entscheidung über die Form des Ausgleichs fehlerhaft nicht an § 6 der Fördervereinbarung, sondern an Nr. 65 WFB orientiert hat.
Allerdings sind die Wohnraumförderbestimmungen vom 2. Juli 2019 grundsätzlich auf die dem Kläger bewilligte Förderung anwendbar. Dem steht nicht entgegen, dass die Wohnraumförderbestimmungen des Landes Niedersachsen unter Ziff. III des Bewilligungsbescheides nicht in der jeweils, sondern in der zur Zeit der Bewilligung geltenden Fassung zur rechtlichen Grundlage für die Förderung und zum Bestandteil des Bescheides erklärt werden. Da sich die Freistellung hier „ausschließlich“ nach dem am 29. Oktober 2009 - nach Übergang der Gesetzgebungskompetenz vom Bund auf das Land im Rahmen der Föderalismusreform 2006 - erlassenen Niedersächsischen Wohnraum- und Wohnquartierfördergesetz richtet (s.o.), sind in der Folge auch die zur Durchführung dieses Gesetzes erlassenen (vgl. Nr. 1.1 WFB) Wohnraumförderbestimmungen als normkonkretisierende und ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften heranzuziehen.
Aus Gründen des Vertrauensschutzes dürfen die Wohnraumförderbestimmungen - davon gehen auch die Beklagte und deren obersten Fachaufsichtsbehörde aus - von der zuständigen Stelle im Rahmen der Ermessensausübung aber nur insoweit herangezogen werden, als die von der J. hier vorgegebenen (vgl. die Auflage Nr. X.a)9. des Bewilligungsbescheides) Fördervereinbarungen keine abweichenden Regelungen enthalten. Der abschließende Hinweis der Beklagten darauf, dass sie nicht Vertragspartei der Fördervereinbarung sei, erschließt sich vor diesem Hintergrund nicht. Eine solche abweichende Regelung ist hier in Gestalt von § 6 der Fördervereinbarung und den dort in Abs. 3 vorgegebenen Auflagen gegeben. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Vorschrift auch auf solche Freistellungsfälle anzuwenden, in denen die Wohnung an Personen vermietet werden soll, die einen Wohnberechtigungsschein besitzen und die die für den Wohnraum in der Förderentscheidung bestimmte Einkommensgrenze nicht überschreiten (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 NWoFG), in denen jedoch der Wohnraum die im Wohnberechtigungsschein bestimmte für den Haushalt angemessene Wohnungsgröße überschreitet (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NWoFG).
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 der Fördervereinbarung kann die J. oder die von ihr beauftragte Stelle, soweit eine Vermietung von geförderten Wohnungen an Wohnungssuchende, deren Einkommen innerhalb der Grenze nach § 25 II. WoBauG liegt, nach Maßgabe der vorstehenden Regelungen nicht möglich ist, die Freistellung der betroffenen Wohnungen von der vereinbarten Belegungs- und Mietpreisbindung zulassen. Mit der Wendung „nach Maßgabe der vorstehenden Regelungen“ nimmt die Vorschrift - worauf der Kläger zutreffend hinweist - unter anderem die Zweckbestimmungen des § 2 der Fördervereinbarung in Bezug. In § 2 wird nicht nur verlangt, dass die geförderten Wohnungen nur an Wohnungssuchende vermietet werden, deren Einkommen innerhalb der Grenze nach § 25 II. WoBauG liegt (Abs. 1), sondern auch, dass die Größe der Wohnung bei der Vermietung in angemessenem Verhältnis zur Größe des Mieterhaushaltes steht. Daraus folgt, dass § 6 Abs. 1 der Fördervereinbarung auch eine Freistellung von der Belegungsbindung „angemessene Wohnungsgröße“ zulässt. Dafür spricht im Übrigen auch der in § 6 Abs. 1 Satz 1 a.E. der Fördervereinbarung verwendete weite Begriff der „vereinbarten Belegungsbindung“, der - über die Belegungsbindung „Einhaltung der Einkommensgrenze“ hinaus - sämtliche Belegungsbindungen erfasst. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Regelung - entgegen den vorstehenden Ausführungen - nur für Freistellungen von der einzuhaltenden Einkommensgrenze gilt - hat die Beklagte nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
Nach § 6 Abs. 3 Satz 3 der Förderungsvereinbarung „erfolgt“ die Freistellung nach § 6 Abs. 1 der Vereinbarung mit den in Nr. 1 und 2 formulierten Auflagen und der in § 6 Abs. 3 Sätze 4 und 5 vorgesehenen Verlängerung der Dauer der Belegungs- und Mietpreisbindung. Für einen pauschalen Geldausgleich, wie ihn die Beklagte hier festgesetzt hat, bietet die Vorschrift keine Grundlage.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 2 Satz 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Hinsichtlich des übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärten Teils des ursprünglich zur Entscheidung gestellten Streitgegenstandes entspricht es billigem Ermessen, dass die Beklagte die Kosten trägt, denn sie hat den Kläger insoweit klaglos gestellt.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 Satz 1 und 2 ZPO.