Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 21.04.2022, Az.: 1 A 517/22

Auskunftsrecht; Kommunalverfassungsstreit; Verfahrensfehler; Wahlprüfungsklage

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
21.04.2022
Aktenzeichen
1 A 517/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59757
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Für einen Kommunalverfassungsstreit, mit dem unter Verweis auf Verfahrensfehler eine bloße Wiederholung des Wahlprüfungsverfahrens vor der Vertretung angestrebt wird, ist kein Raum.
2. Die Integrität einer bereits durchgeführten Kommunalwahl kann nur in den gesetzlich dafür vorgesehenen Formen des Wahlprüfungsverfahrens vor der Vertretung und einer sich ggf. anschließenden verwaltungsgerichtlichen Wahlprüfungsklage in Frage gestellt werden. Bei der Wahlprüfungsklage prüft das Gericht die Einspruchsgründe in demselben Umfang wie die Vertretung, ohne an deren rechtliche Einschätzung gebunden zu sein.
3. Zum Prüfprogramm einer verwaltungsgerichtlichen Wahlprüfungsklage gehört grundsätzlich nicht die Frage, ob der Vertretung oder der Wahlleitung bei der Bearbeitung des Wahleinspruchs Verfahrensfehler unterlaufen sind. Dies gilt auch dann, wenn der Wahleinspruchsführer Mitglied der Vertretung ist und seine Mandatsrechte verletzt sieht.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Mit seiner Klage begehrt der Kläger als Ratsmitglied die Aufhebung der vom Beklagten zu 1. getroffenen Entscheidungen, die Wahleinsprüche gegen die am 12. September 2021 in A-Stadt durchgeführten Wahlen zurückzuweisen, und klageerweiternd gegenüber dem Beklagten zu 2. die Umsetzung fünf näher umschriebener, die verfahrensmäßige Behandlung der Wahleinsprüche betreffende und vom Beklagten zu 2. zu beachtende Verhaltensweisen.

Am 12. September 2021 fanden in der Stadt A-Stadt die Wahl der Bürgermeisterin bzw. des Bürgermeisters (Direktwahl), die Wahl des Rates der Stadt A-Stadt (Gemeindewahl) sowie die Wahl der Ortsräte in den Ortschaften F., G., H., I. und J. (Ortsratswahlen) statt. Darüber hinaus wurden an diesem Tag in der Region C-Stadt und so u. a. auch in der Stadt A-Stadt die Wahl einer Regionspräsidentin bzw. eines Regionspräsidenten (Direktwahl) und die Wahl der Regionsversammlung durchgeführt. Bei der Direktwahl zur Bürgermeisterin bzw. zum Bürgermeister erzielte der Kandidat der K., der amtierende Bürgermeister L., mit 12.081 Stimmen mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen (55,79 %) und war damit gemäß § 45g Abs. 2 Satz 2 NKWG als Bürgermeister gewählt. Auf die Kandidatin der M., Frau N., entfielen 6.587 Stimmen (30,42 %). Der Kläger, Kandidat der O. (=P.), erreichte 1.391 Stimmen (6,42 %). Frau Q., R., erzielte 741 Stimmen (3,42 %). Auf den Kandidaten S., T., entfielen 691 Stimmen und auf den Kandidaten U., V. A-Stadt, 163 Stimmen. Nachdem der Wahlausschuss der Stadt A-Stadt dieses Ergebnis der Direktwahl in seiner Sitzung vom 13. September 2021 festgestellt hatte, wurde es von der Gemeindewahlleitung am 21. September 2021 nach § 68 Abs. 3 Satz 1, § 83 Abs. 1 Satz 1 NKWO, § 9 Abs. 1 der Hauptsatzung der Stadt A-Stadt in ortsüblicher Weise bekanntgemacht. Das am 23. September 2021 festgestellte Ergebnis der Wahl des Rates und der Ortsratswahlen wurde am 14. Oktober 2021 in ortsüblicher Weise bekanntgemacht.

Mit E-Mail und nachfolgendem Schriftsatz vom 25. Juli 2021 rügte der Kläger gegenüber dem Beklagten zu 2., ihm sei eine neutrale und faire Wahlkandidatur als Bürgermeisterkandidat nicht möglich, da der derzeitige Amtsinhaber und gleichzeitige Bürgermeisterkandidat L. nicht zwischen einer Amtshandlung als Bürgermeister und seiner erneuten Kandidatur unterscheide und damit seine Neutralitätspflicht verletze. Mit weiterem Schreiben an den Beklagten zu 2. vom 26. Juli 2021 stellte der Kläger verschiedene Fragen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schreiben vom 25. und 26. Juli 2021 verwiesen.

Mit an den Kläger gerichtetem Schreiben vom 11. August 2021, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, nahm der Beklagte zu 2. detailliert zu den Schreiben vom 25. und 26. Juli 2021 Stellung. Ausdrücklich heißt es in diesem Schreiben

„Ihre schriftlichen Eingaben vom 25. Juli 2021 werden von der Wahlleitung als Wahleinspruch zu den Akten genommen und in die an die Direktwahl unmittelbar anschließende Wahlprüfung einbezogen.“

Mit weiterem Schreiben vom 31. August 2021 wies der Kläger als Sprecher der O. darauf hin, dass für den Wahlbereich II W. ungültige Stimmzettel an Briefwähler herausgegeben worden seien und die Verwaltung derzeit versuche, alle falsch ausgegebenen Stimmzettel wieder einzusammeln. Teilweise hätten Briefwähler aus W. falsche Stimmzettel erhalten und infolgedessen für den Bereich Mitte abgestimmt. Zu den zahlreichen in diesem Schreiben aufgeworfenen Fragen nahm die Gemeindewahlleitung mit Schreiben vom 7. September 2021 Stellung und erklärte darüber hinaus, die Eingaben würden von der Gemeindewahlleitung als Wahleinspruch zu den Akten genommen und in die an die Kommunalwahlen unmittelbar anschließende Wahlprüfung einbezogen.

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2021, eingegangen bei der Gemeindewahlleitung am 4. Oktober 2021, legte Herr Dr. X. Einspruch gegen die Gültigkeit der Direktwahl mit der Begründung ein, der Bürgermeister und Kandidat L. habe während des Wahlkampfs seine Neutralitätspflicht nicht beachtet.

Mit E-Mail vom 12. September 2021 erklärte Herr Y. gegenüber dem Wahlamt der Stadt A-Stadt, „vorbehaltlich einer sofortigen Beantwortung meiner Beschwerde“ fechte er hiermit die Wahlen an.

Mit Schreiben vom 2., 23. und 24. September 2021 legte Herr Z. Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahlen ein.

Der Beklagte zu 2. empfahl dem Beklagten zu 1. mit seinen Beschlussempfehlungen vom 2. Dezember 2021 (Drs. BD/2021/427), sämtliche Wahleinsprüche zurückzuweisen. Ursprünglich war die Entscheidung über die Wahleinsprüche für die Sitzung des Rates der Stadt A-Stadt am 13. Dezember 2021 vorgesehen; der entsprechende Tagesordnungspunkt wurde aber von der Tagesordnung abgesetzt. In der nachfolgenden Ratssitzung vom 24. Januar 2022 stand die Entscheidung über die Wahleinsprüche erneut auf der Tagesordnung. Der in der Sitzung anwesende Kläger sowie Herr Dr. AA. nahmen zu ihren Einsprüchen Stellung. Nachdem ein Antrag auf geheime Abstimmung in Bezug auf alle vier Wahleinsprüche abgelehnt worden war, wurden in getrennten Abstimmungen alle vier Wahleinsprüche zurückgewiesen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Protokoll zu Tagesordnungspunkt 4 der Ratssitzung vom 24. Januar 2022 verwiesen.

Die Wahlprüfungsentscheidung wurde dem Kläger in Gestalt eines vom Vorsitzenden des Beklagten zu 1. unterzeichneten Bescheides vom 3. Februar 2022, zugestellt am 5. Februar 2022, bekanntgegeben.

Am 10. Februar 2022 hat der Kläger zunächst eine auf die Aufhebung des Ratsbeschlusses über die Wahleinsprüche gerichtete Klage erhoben und diese am 21. Februar 2022 hinsichtlich der begehrten Umsetzung konkret bezeichneter Verhaltensweisen durch den Beklagten zu 2. erweitert. Der Ratsbeschluss sei aufzuheben, weil es für ihn als Ratsmitglied und für den Rat insgesamt aufgrund von Fehlern des Beklagten zu 2. nicht möglich gewesen sei, eine sachgerechte und fundierte Entscheidung zu den Wahlbeschwerden zu treffen. So habe sich die M. bei der Abstimmung im Rat aufgrund der „sehr schwachen Reaktion der Verwaltung“ enthalten. Im Einzelnen beanstandet der Kläger, dass die vom Beklagten zu 2. vorgelegten Wahleinsprüche nicht lesbar gewesen seien, dass die Verfasser der Wahlbeschwerden zur Ratssitzung am 24. Januar 2022 nicht geladen worden seien, dass die Stellungnahme der Wahlleitung nicht als solche gekennzeichnet gewesen, vielmehr aus dem Rechtsamt, welches dem Bürgermeister unterstehe, gekommen sei und dass es an der Kennzeichnung gefehlt habe, auf welche Wahl sich die Wahleinsprüche bezögen, dass den Ratsmitgliedern nicht alle Unterlagen übermittelt worden seien, dass der Beklagte zu 2. die Rechtsfolgen der Wahlprüfungsentscheidung unzureichend erläutert und in der Ratssitzung am 24. Januar 2022 zu sämtlichen Nachfragen geschwiegen habe und dass in der Ratsdrucksache BD/2021/427 mehrere Wahleinsprüche zusammengefasst worden seien, obwohl sie von mehreren Personen eingereicht worden seien und sich auf verschiedene Wahlen (Kommunalwahl/Bürgermeisterwahl/Wahl des Regionspräsidenten) bezögen. Mit seiner Klageerweiterung begehrt der Kläger, dem Beklagten zu 2. im Hinblick auf die von ihm, dem Kläger, als fehlerhaft betrachteten Verhaltensweisen konkret die aus seiner Sicht für eine fundierte und sachlich begründete Entscheidung über die Wahleinsprüche erforderlichen „korrekten“ Verhaltensweisen aufzugeben.

Der Kläger beantragt,

I. den Beschluss der Beschlussdrucksache inklusive aller darin enthaltenen Beschlüsse des Beklagten zu 1. zur Wahlprüfungsentscheidung vom 24. Januar 2021 zu BD/2021/427 aufzuheben,

II. mit Klageerfolg gegen den Beklagten zu 1.,

1. dass der Beklagte zu 2. ihm alle Unterlagen einschließlich der Anlagen zu der BD/2021/427 lesbar zur Verfügung stellt,

2. dass der Beklagte zu 2. ihm alle zu den Wahlbeschwerden entstandenen Unterlagen, einschließlich dem Beschwerdeschriftverkehr zur Verfügung stellt.

3. dass der Beklagte zu 2. die Ladungserfordernisse ordnungsgemäß für die Verfasser der Wahleinsprüche zu der Sitzung des Beklagten zu 1., bei der über die Wahleinsprüche entschieden wird, erstellt, damit diese ihm, dem Kläger, ihre Beschwerden nach § 47 Abs. 2 NKWG vortragen können,

4. dass die zuständige Stelle, für die Fertigung der Wahlprüfungsentscheidung, hier der Beklagte zu 2., sich in der Wahlprüfungsentscheidung erkennbar verantwortlich kennzeichnet.

5. dass der Beklagte zu 2. die Wahlprüfungsentscheidung so zu erstellen hat, dass eine Trennung der Wahlprüfungsentscheidungen, nach den jeweiligen Wahlen (Kommunalwahl/Bürgermeisterwahl/Wahl des Regionspräsidenten) einerseits und andererseits nach den einzelnen Beschwerdeführern inklusive Rechtsbelehrungen und Rechtsfolgen erfolgt.

Der Beklagte zu 1. und der Beklagte zu 2. beantragen jeweils,

die Klage abzuweisen.

Nach Auffassung des Beklagten zu 1. ist die Klage bereits unzulässig. Ziel des Klägers sei es, „ein Zeichen zu setzen“ und der Verwaltung vom Gericht aufzeigen zu lassen, welche Rechte die Ratsmitglieder hätten und wie „ordentliche“ Verwaltung auszusehen habe. Dieses Klagebegehren könne jedoch nicht zulässiger Gegenstand eines Wahlprüfungsverfahrens sein. Der mögliche Inhalt einer Wahlprüfungsentscheidung gemäß § 48 NKWG bestimme zugleich den zulässigen Gegenstand eines sich an die Wahlprüfungsentscheidung anschließenden gerichtlichen Verfahrens. Wahlprüfungsklagen seien als Verpflichtungsklagen ausgestaltet, mit denen begehrt werde, den Rat zu verpflichten, eine bestimmte Wahl für ungültig zu erklären. Trotz entsprechenden gerichtlichen Hinweises habe der Kläger an einer reinen Anfechtungsklage gegen den Beklagten zu 1. festgehalten und zusätzlich Klage persönlich gegen den Beklagten zu 2. erhoben. Entgegen der Absicht des Klägers könnten behördliche Verfahrenshandlungen nicht isoliert zum Gegenstand eines Klageverfahrens gemacht werden, wie sich aus § 44a VwGO ergebe. Es gelte nichts anderes, wenn – wie hier – vordergründig die Sachentscheidung angegriffen werde, es dem Kläger aber erklärtermaßen gar nicht um die Korrektur dieser Entscheidung gehe. Der Kläger bedürfe des von ihm gewählten Weges auch nicht, um „ein Zeichen zu setzen“ und seinen – tatsächlichen oder vermeintlichen – Rechten als Ratsmitglied Geltung zu verschaffen. Denn gemäß § 56 NKomVG stehe den Ratsmitgliedern ein gerichtlich durchsetzbares Antrags- und Auskunftsrecht zu, welches durch die aus § 58 Abs. 4 NKomVG folgenden Auskunftsansprüche der Vertretung sowie das einem Viertel der Mitglieder der Vertretung sowie einer Fraktion oder Gruppe zukommende Akteneinsichtsrecht flankiert werde. Die Klage sei im Übrigen auch unbegründet. Inhaltliche Mängel der Wahlprüfungsentscheidung habe der Kläger weder gerügt, noch seien sie ersichtlich. Die gerügten formellen Mängel der Wahlprüfungsentscheidung begründeten keine Rechtswidrigkeit der Wahlprüfungsentscheidung. Durch die ausführlichen Schilderungen des Inhalts der Wahleinsprüche in der Drucksache BD/2021/427 seien die Ratsmitglieder hinreichend über den maßgeblichen Sachverhalt informiert worden. Die Drucksache und die Anlagen seien - hinreichend lesbar, um von dem Inhalt verlässlich Kenntnis zu nehmen - über das Ratsinformationssystem verfügbar gewesen. Zudem hätten der Kläger und Dr. AA. in der Ratssitzung vom 24. Januar 2022 auch durch Wortbeiträge zu ihren Wahleinsprüchen Stellung genommen. Alle Wahleinspruchsführer seien zu der Ratssitzung am 13. Dezember 2021 förmlich geladen worden. Zu der Sitzung am 24. Januar 2022 seien der Kläger und Dr. AA. als Ratsmitglieder geladen worden. Herr Kohls und Herr Dammann, die ebenfalls Wahleinsprüche erhoben hatten, aber keine Anhörung beantragt hätten, hätten auch nicht geladen werden müssen. Die Drucksache BD/2021/427 sei entgegen der Auffassung des Klägers als Stellungnahme der Wahlleitung gekennzeichnet gewesen. Dass die Fachabteilung 30 vorbereitend daran beteiligt gewesen sei, sei nicht zu beanstanden. Dem NKWG lasse sich auch keine Verpflichtung des Wahlleiters entnehmen, detailliert die Rechtsfolgen der Wahlprüfungsentscheidung zu erläutern. Schließlich sei es - auch im Hinblick auf die jeweiligen Mitwirkungsverbote betroffener Ratsmitglieder - nicht zu beanstanden, dass der Beklagte zu 2. seine Stellungnahme zu den Wahleinsprüchen nicht einzeln abgegeben, sondern zusammengefasst habe. Eine Verpflichtung des Beklagten zur mündlichen Erläuterung in der Verhandlung über einen Wahleinspruch bestehe nicht.

Der Beklagte zu 2. hält die gegen ihn gerichtete erweiterte Klage für unzulässig, weil sie unter der Bedingung erhoben worden sei, dass die Klage gegen den Beklagten zu 1. Erfolg habe. Hierbei handele es sich um eine unzulässige außerprozessuale Bedingung. Denn es würden trotz prozessualer Verknüpfung gegen die beiden Beklagten tatsächlich zwei Verfahren mit zwei Streitgegenständen geführt. Die Klage gegen den Beklagten zu 2. sei auch deshalb unzulässig, weil ein Anspruch des Klägers gegen ihn aus keiner Rechtsnorm denkbar sei. Unselbständige Verfahrenshandlungen des Wahlleiters könnten lediglich im Rahmen einer Wahlprüfungsentscheidung als mögliche Fehler geltend gemacht werden, nicht jedoch isoliert gegenüber dem Wahlleiter durchgesetzt werden. Für eine gerichtliche Vorfestlegung, wie ein Wahlprüfungsverfahren durchzuführen ist, im Wege vorbeugenden Rechtsschutzes bestehe keine Notwendigkeit. Es sei dem Kläger zuzumuten, etwaige Fehler in der Wahlprüfungsentscheidung im Rahmen eines Wahleinspruchs zu klären. Soweit der Kläger seine Rechte als Ratsmitglied gesichert wissen wolle, sei es ihm zuzumuten, den Beschluss über die Wahlprüfung abzuwarten und sodann im Wege des Kommunalverfassungsstreits vorzugehen mit der Begründung, dass der Beschluss unter Verletzung seiner Rechte als Ratsmitglied zustande gekommen sei. Die Klage sei im Übrigen auch unbegründet. Es sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte zu 2. gegen Pflichten als Wahlleiter verstoßen habe, die darauf schließen ließen, dass er bei einer neu durchzuführenden Wahlprüfungsentscheidung rechtswidrig handele. Der Beklagte zu 2. schließt sich insoweit den Ausführungen des Beklagten zu 1. an und vertieft diese. Wenn sich die Ratsmitglieder nicht hinreichend informiert fühlten, stünden ihnen Auskunfts- und Fragerechte an die Verwaltung zu. Der Kläger könne diese nicht für die übrigen Ratsmitglieder geltend machen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Ziel des Klägers ist die gerichtliche Aufhebung der Beschlüsse des Beklagten zu 1. vom 24. Januar 2022 über die Wahleinsprüche und die anschließende Verurteilung des Beklagten zu 2. zu einer „ordnungsgemäßen Vorbereitung“ der erneut zu treffenden Wahlprüfungsentscheidungen. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger klargestellt, dass er keine Wahlprüfungsklage erhoben hat, sondern dass er seine Rechte als Ratsmitglied verletzt sieht und deshalb im Wege des Kommunalverfassungsstreites klagt.

Die Klage mit den gestellten Anträgen ist bereits unzulässig. Für einen Kommunalverfassungsstreit, mit dem unter Verweis auf Verfahrensfehler eine bloße Wiederholung des Wahlprüfungsverfahrens vor der Vertretung angestrebt wird, ist kein Raum.

Ratsmitglieder, die vom Rat oder von einem anderen in der Kommunalverfassung vorgesehenen Organ in ihrer Rechtsstellung beeinträchtigt werden, können im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits um gerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen. Als statthafte Klagearten kommen allerdings grundsätzlich nur die Leistungs- und die Feststellungsklage in Betracht; ein Bedürfnis für eine Gestaltungsklage besteht nicht, weil von Organen der öffentlichen Hand erwartet werden kann, dass sie sich einer gerichtlichen Entscheidung beugen, so dass eine Leistungsklage auf Aufhebung eines Ratsbeschlusses durch den Rat oder eine auf Feststellung der Rechtswidrigkeit oder Unwirksamkeit gerichtete Feststellungsklage zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes ausreichend ist (Wefelmeier in KVR-NKomVG, Stand: September 2016, § 54 Rn. 24). Schon aus diesem Grunde ist die auf Kassation gerichtete Klage gegen den Beklagten zu 1. unzulässig und kann auch die gegen den Beklagten zu 2. gerichtete Klage, die die Aufhebung der Ratsbeschlüsse gemäß dem gegen den Beklagten zu 1. gerichteten Klageantrag voraussetzt, keinen Erfolg haben.

Außerdem kann im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreits zwar die Verletzung von Mitgliedschaftsrechten geltend gemacht werden, es können aber nicht ein eigener Wahleinspruch oder die Wahleinsprüche Dritter verfolgt werden. Die Integrität einer bereits durchgeführten Kommunalwahl kann nur in den gesetzlich dafür vorgesehenen Formen des Wahlprüfungsverfahrens vor der Vertretung (§§ 46 ff. NKWG) und einer sich gegebenenfalls anschließenden verwaltungsgerichtlichen Wahlprüfungsklage (§ 49 Abs. 2 NKWG) in Frage gestellt werden. Die Entscheidung über Wahleinsprüche obliegt gemäß § 47 Abs. 1 NKWG der Vertretung. Bei deren Tätigkeit als Wahlprüfungsorgan handelt es sich um ein „durchaus eigentümliches Untersuchungsverfahren“, das nicht auf eine Kontrolle der Tätigkeit des Gemeindedirektors, sondern darauf abzielt, im Wege einer Überprüfung der eigenen Legitimationsgrundlagen durch die neugewählte Vertretungskörperschaft möglichst bald Gewissheit über deren ordnungsgemäße Zusammensetzung zu gewinnen und so einen ungestörten Fortgang der gemeindlichen Funktionsausübung zu gewährleisten (OVG Münster, Beschl. v. 07.01.1985 -15 B 2697/84 -, NVwZ 1985, 843). Nach § 48 Abs. 1 NKWG wird der Wahleinspruch zurückgewiesen, wenn er 1. unzulässig oder zulässig, aber unbegründet ist oder 2. zwar zulässig und begründet ist, aber der Rechtsverstoß auch im Zusammenhang mit anderen Rechtsverstößen das Wahlergebnis nicht oder nur unwesentlich beeinflusst hat. Nach § 48 Abs. 2 NKWG wird 1. das Wahlergebnis neu festgestellt oder berichtigt oder 2. die Wahl ganz oder teilweise für ungültig erklärt, wenn ein Wahleinspruch nicht nach § 48 Abs. 1 NKWG zurückzuweisen ist. Die Vertretung setzt die Wahlprüfungsentscheidung gemäß § 49 Abs. 1 NKWG als Bescheid um, der den Beteiligten zugestellt wird. Gegen die Entscheidung kann gemäß § 49 Abs. 2 NKWG Klage erhoben werden. Mit Blick auf die in § 48 Abs. 2 NKWG normierten Rechtsfolgen ist die Verpflichtungsklage die richtige Klageart (vgl. zur richtigen Klageart einer Wahlprüfungsklage: Nds. OVG, Urt. v. 26.03.2008 - 10 LC 203/07 -, juris Rn. 22; Urt. d. Kammer v. 09.02.2016 - 1 A 12763/14 -, juris Rn. 33; zu den früher vertretenen Sichtweisen: Thiele/Kamlage, Niedersächsisches Kommunalwahlrecht, 5. Aufl., § 49 Rn. 4 m. w. N.). Im Rahmen einer auf die Verpflichtung zur Ungültigkeitserklärung einer Wahl gerichteten Klage prüft das Gericht in gleicher Weise wie die Vertretung, ohne aber an deren Wertungen gebunden zu sein, was dem primär objektivrechtlichen Charakter des Wahlprüfungsverfahrens Rechnung trägt (Urt. d. Kammer v. 14.03.2022 – 1 A 6477/21 -, juris Rn. 26). Dabei unterscheidet sich die kommunalrechtliche Wahlprüfung maßgeblich von der Wahlprüfung im Falle von Bundestagswahlen. Gemäß § 1 Abs. 1 des Wahlprüfungsgesetzes (WahlPrG) entscheidet der Bundestag nämlich nicht nur über die Gültigkeit der Bundestagswahlen, soweit sie der Wahlprüfung unterliegen, sondern auch über die Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl. Sofern bei der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl Rechte einer einsprechenden Person oder einer Gruppe einsprechender Personen verletzt wurden, stellt der Bundestag die Rechtsverletzung fest, wenn er die Wahl nicht für ungültig erklärt (§ 1 Abs. 2 Satz 2 WahlPrG). Eine entsprechende Feststellung trifft gemäß § 48 Abs. 3 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Verfahrens über eine Wahlprüfungsbeschwerde. So hat das Bundesverfassungsgericht unlängst die Wahlprüfungsbeschwerde der NPD gegen die Entscheidung des Deutschen Bundestages vom 21. Februar 2019, mit der ihr Einspruch gegen die Wahl des 19. Deutschen Bundestages am 24. September 2017 im Land Berlin, der sich auf die Nichtzulassung der Landesliste der NPD gestützt hatte, zwar wegen unzureichender Darlegung der Mandatsrelevanz verworfen, soweit er sich gegen die Gültigkeit der Wahl im Land Berlin richtete; es hat jedoch in der Nichtzulassung der Landesliste einen Wahlfehler gesehen, der die Beschwerdeführer in ihren Rechten verletzt (Beschl. v. 23.03.2022 -2 BvC 22/19 -, juris Rn. 43 f.). Ein derartiges Prüfprogramm, bei dem es unabhängig von der Mandatsrelevanz selbständig um die Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl geht, ist für die kommunalrechtliche Wahlprüfungsklage gemäß dem NKWG jedoch nicht vorgesehen. Anders als bei Bundestagswahlen spielen schlichte Verfahrensfehler ohne Mandatsrelevanz mithin im gerichtlichen Wahlprüfungsverfahren keine Rolle. Aber selbst im Falle von Bundestagswahlen betrifft die Wahlprüfung nur die Rechtsverletzungen „bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl“ und keine Rechtsverletzungen im Rahmen des Wahlprüfungsverfahrens selbst. Zum Prüfprogramm einer gerichtlichen Wahlprüfung gehört daher grundsätzlich nicht die Frage, ob der Vertretung oder der Wahlleitung bei der Bearbeitung des Wahleinspruchs Verfahrensfehler unterlaufen sind. Eine Ausweitung der gerichtlichen Prüfung auf die Abläufe beim Zustandekommen der Wahlprüfungsentscheidung der Vertretung sieht das Gesetz nicht vor und hierfür könnte ausnahmsweise auch nur dann Veranlassung bestehen, wenn ein Wahlprüfungsverfahren de facto gar nicht durchgeführt worden ist. Grundsätzlich ist die Situation aber vergleichbar mit dem Umfang der zweitinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung nach zugelassener Berufung: nach Zulassung der Berufung wegen eines Verfahrensfehlers gemäß §§ 124 Abs. 2 Nr. 5, 124a VwGO prüft das Oberverwaltungsgericht den Streitfall innerhalb des Berufungsantrags im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht (§ 128 VwGO), ohne dass es auf den in der ersten Instanz aufgetretenen Verfahrensfehler noch ankommt.

Im vorliegenden Fall wurden alle vier eingelegten Wahleinsprüche vom Beklagten zu 1. gemäß § 48 Abs. 1 NKWG zurückgewiesen und die Wahlprüfungsentscheidung gemäß § 49 Abs. 1 NKWG zugestellt. Dagegen wurden keine Wahlprüfungsklagen erhoben. Mithin ist der Bescheid des Beklagten zu 1., mit dem die am 24. Januar 2022 beschlossene Wahlprüfungsentscheidung umgesetzt wurde, bestandskräftig geworden. Die Wahlprüfung ist abgeschlossen, und die Wahlen sind gültig.

Eine erneute Überprüfung der Entscheidung der gerichtsähnlich agierenden Vertretung ist auch auf kommunalverfassungsrechtlichen Antrag eines Ratsherrn, der eine Verletzung seiner Mitgliedschaftsrechte geltend macht, nicht möglich. Die Kammer verkennt nicht die Situation des Klägers, der in der mündlichen Verhandlung eindringlich den für ihn unbefriedigenden Ablauf der Ratssitzung am 24. Januar 2022 geschildert hat. Wie oben ausgeführt kann die Klage mit den vom Kläger gestellten Anträgen aber keinen Erfolg haben, weil er im Wege des Kommunalverfassungsstreits gegen den Beklagten zu 1. weder die Aufhebung des Ratsbeschlusses über die Wahlprüfung noch in der Folge gegen den Beklagten zu 2. die Umsetzung „ordnungsgemäßer Verfahrenshandlungen“ zwecks erneuter Wahlprüfung erreichen kann. Von vorneherein wäre vorliegend gegen den Beklagten zu 1. nur ein Antrag auf Feststellung der Verletzung eines Mitgliedschaftsrechts prozessual zulässig gewesen, worauf gemäß § 88 VwGO hinzuwirken das Gericht allerdings angesichts des vom Kläger mit der Anrufung des Gerichts ausdrücklich erstrebten Rechtsschutzziels keine Veranlassung gesehen hat. Im Übrigen hätte es hierfür an der Klagebefugnis gefehlt. Diese setzt in Kommunalverfassungsstreitverfahren voraus, dass das klagende Organ bzw. der klagende Organteil geltend macht, durch die Handlung oder Unterlassung eines anderen Organ(teils) in einem durch die Kommunalverfassung eingeräumten wehrfähigen subjektiven Mitgliedschaftsrecht verletzt zu sein (Wefelmeier in KVR-NKomVG, Stand: September 2016, § 54 Rn. 26). Die als verletzt bzw. beeinträchtigt bezeichneten Rechte müssen durch Gesetz oder Geschäftsordnung gerade (auch) dem jeweiligen Kläger zugeordnet sein (vgl. Urt. d. Kammer v. 04.08.2016 - 1 A 675/16 -, juris Rn. 17 m. w. N.). Hier macht der Kläger geltend, aufgrund von Verfahrensfehlern im Wahlprüfungsverfahren sei es ihm und den anderen Ratsmitgliedern nicht möglich gewesen, eine sachgerechte und fundierte Entscheidung zu den Wahlbeschwerden zu treffen. Zum einen kann der Kläger nur eine Verletzung seines eigenen Mitgliedschaftsrechts geltend machen, zum anderen ist auch nicht ersichtlich, welches ihm zugeordnete Recht verletzt sein könnte. Er beanstandet im Wesentlichen die Aufbereitung und Übermittlung der Unterlagen zur Wahlprüfung. Gemäß § 46 Abs. 3 Satz 2 NKWG legt die Wahlleitung den Wahleinspruch mit ihrer Stellungnahme der für die Wahlprüfungsentscheidung zuständigen Vertretung vor, so dass auch nur der Rat insgesamt und nicht ein einzelnes Ratsmitglied eine Verletzung organschaftlicher Rechte im Zusammenhang mit den vorgelegten Unterlagen geltend machen kann. Dem kommunalverfassungsrechtlichen Recht jedes Abgeordneten auf ausreichende und rechtzeitige Information vor Beratung und Entscheidung über die jeweilige Angelegenheit, das auch im Wahlprüfungsverfahren gilt (Steinmetz, Kommunalwahlrecht Niedersachsen, 5. Aufl., S. 385), wird durch das Antrags- und Auskunftsrecht gemäß § 56 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) ausreichend Rechnung getragen. Dessen Verletzung ist vom Kläger nicht hinlänglich geltend gemacht worden. Zu Recht hat der Beklagte zu 1. ihm diesbezüglich vorgehalten, dass er es versäumt habe, zur Wahrung seiner Rechte in der Ratssitzung am 24. Januar 2022 einen Vertagungsantrag zu stellen und sich außerdem offenbar doch in der Lage gesehen habe, eine Entscheidung über die Wahlbeschwerden zu treffen, weil er – wie er in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat – sich bei der geheimen Abstimmung nicht etwa enthalten, sondern mit „Nein“ abgestimmt hat. Soweit der Kläger darüber hinaus Ladungsfehler hinsichtlich der Wahleinspruchsführer rügt, hätte es ebenfalls an der Klagebefugnis gefehlt. Denn er selbst ist als Ratsmitglied zur Ratssitzung am 24. Januar 2022 ordnungsgemäß geladen worden.

Auch mit den gegen den Beklagten zu 2. gerichteten Anträgen (II. 1-5) ist die Klage unzulässig. Es ist bereits nicht erkennbar, dass der Gemeindewahlleiter, dessen Rechtsstellung sich aus § 9 NKWG ergibt, überhaupt taugliches Organ im Rahmen eines Kommunalverfassungsstreites sein könnte. Im Übrigen würden selbst dann, wenn ein allenfalls in Betracht kommender Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der im einzelnen beanstandeten Handlungen des Beklagten zu 2. im durchgeführten Wahlprüfungsverfahren als zulässig betrachtet würde, die obigen Ausführungen zur fehlenden Klagebefugnis auch hinsichtlich der gegen den Beklagten zu 2. gerichteten Klage in gleicher Weise gelten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.