Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.03.2003, Az.: 6 K 961/99
Anforderungen an die Buchführung von Automatenaufstellern; Qualifizierung des Kasseninhalts als Betriebseinnahmen; Korrektur des Betrages um Röhrenauffüllungen und Röhrenentnahmen; Schätzungsbefugnis des Finanzamts
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 25.03.2003
- Aktenzeichen
- 6 K 961/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 12840
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0325.6K961.99.0A
Rechtsgrundlagen
- § 162 Abs. 2 AO
- § 147 Abs. 1 AO
Fundstellen
- BBK 2003, 1032
- EFG 2003, 1215-1216
- INF 2003, 562
- NWB 2005, 3628 (Kurzinformation)
- StuB 2003, 1133
Verfahrensgegenstand
Körperschaftsteuer 1994
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Frage, in welchem Umfang die Klägerin bei ihren Geldspielautomaten Röhrennachfüllungen vorgenommen hat.
Die Klägerin wurde 1986 als GmbH mit einem Stammkapital von 50.000,00 DM gegründet, welches 1987 auf 200.000,00 DM erhöht wurde. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war im Streitjahr 1994 G. Ab 1995 besteht ein Organschaftsverhältnis zur K.- Automaten GmbH als Organmutter. Geschäftsführer der Klägerin ist seitdem H.
Die Klägerin betreibt mehrere Spielhallen, in denen im Streitjahr über 100 Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit aufgestellt waren. Die Geldspielautomaten sind mit jeweils vier Röhren ausgestattet, die mit 10-Pfennig-Stücken, 1-DM-Stücken, 2-DM-Stücken und 5-DM-Stücken gefüllt werden. Bei vollständiger Füllung befinden sich zwischen 700 und 800,00 DM in den Röhren. Sind die Röhren gefüllt, d.h. ist die fest eingestellte Sollgröße erreicht, fällt das weitere eingeworfene Geld in die Kasse, wo es elektronisch gezählt wird. Gewinne an die Spieler werden aus den Röhren ausgezahlt. Alle Spielautomaten sind technisch so eingerichtet, dass mindestens 60 % der Spieleinsätze als Gewinne ausgezahlt werden. Dabei kann es gelegentlich zu Röhrenleerspielungen kommen. Das Gerät ist dann nicht mehr spielbereit. In diesen Fällen müssen die Röhren nachgefüllt werden. Das Nachfüllen der Röhren kann auf zweierlei Weise erfolgen: Bei der Röhrenfüllung ohne Türöffnung wird der Automat durch den Geldschlitz nachgefüllt (sog. Wirtefüllung). Die Röhrenfüllung mit Türöffnung erfolgt durch eine Person, die über ein Geräteschlüssen verfügt. Dabei wird das Geld direkt in die Röhren gelegt. Diese Veränderung der Geldbestände in den Röhren wird vom Gerät registriert und im sog. Statistikstreifen ausgedruckt. Die in der Kasse befindlichen Beträge sowie die dort vorgenommenen Entnahmen werden im sog. Kassenstreifen festgehalten, der ebenfalls ausgedruckt werden kann.
Bei den Druckerstreifen ist zwischen sog. Neugeräten, deren Zulassungsnummer mit einer 5 oder einer höheren Ziffer beginnt, und sog. Altgeräten zu unterscheiden. Bei den Neugeräten muss die Auslesung spätestens nach 60 Tagen erfolgen. Unterbleibt die Auslesung, schaltet sich das Spielgerät automatisch ab. Diese Geräte sind seit 1991 auf dem Markt. Da die Geldspielgeräte nur bis zu vier Jahren zum Einsatz kommen dürfen, sind ab 1995 nur noch Neugeräte auf dem Markt. Aber auch bei den Altgeräten, deren Zulassungsnummer mit 0 bis 4 beginnt, war eine Auslesung in der Weise möglich, dass Röhrenfüllungen und Entnahmen den Statistikstreifen zu entnehmen sind. Der Unterschied zwischen Neu- und Altgeräten besteht in erster Linie darin, dass die Zählwerke der Neugeräte manipulationssicher sind. Im Streitjahr befanden sich in den Spielhallen der Klägerin überwiegend Neugeräte und nur zu einem geringen Teil Altgeräte.
In ihrer Gewinnermittlung für das Jahr 1994 berücksichtigte die Klägerin Röhrenfüllungen i.H.v. 12.192,00 DM. Den Nettobetrag von 10.601,00 DM behandelte sie gewinnmindernd. Dies entspricht rund 1,1 % der Spielerlöse. Zum Nachweis legt die Klägerin handschriftliche Belege von Spielhallenmitarbeitern vor, von denen nur ein Teil unterschrieben sind. Die Statistikstreifen der Auslesungsausdrucke hat die Klägerin von den Kassenstreifen abgeschnitten und vernichtet.
Nach einer Betriebsprüfung erkannte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die Röhrenfüllungen nicht gewinnmindernd an, sondern schätzte den von der Klägerin behaupteten Nettobetrag dem Gewinn hinzu.
Das FA begründet seine Auffassung damit, dass die abgeschnittenen Statistikstreifen von der Klägerin hätten aufbewahrt werden müssen, da sie zu den Grundaufzeichnungen i.S.d. § 147 Abgabenordnung (AO) gehörten. Dass diese nicht mehr vorgelegt werden könnten, gehe zu Lasten der Klägerin. Die insoweit vorgelegten Belege der Mitarbeiter seien demgegenüber nicht beweiskräftig.
Gegen die Nichtberücksichtigung der Röhrenauffüllungen wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der vorliegenden Klage. So habe eine Gewinnhinzuschätzung schon deswegen nicht erfolgen dürfen, da es an der Schätzungsbefugnis dem Grunde nach fehle. Bei den Statistikstreifen handele es sich insoweit nicht um aufbewahrungspflichtige Grundaufzeichnungen. Auch sei die Buchführung im Übrigen ordnungsgemäß gewesen. Die von den Mitarbeitern gefertigten Belegeüber die Röhrenauffüllungen seien hinreichend; ggf. hätten die Mitarbeitern als Zeugen vernommen werden müssen. Schließlich sei die Schätzung der Höhe nach nicht gerechtfertigt, da ein vom FA vorgenommener Musterausdruck Röhrenauffüllungen i.H.v. 3,6 % der Spielerlöse enthalte. Die Klägerin trägt weiterhin vor, dass es undokumentierte Geldentnahmen aus den Röhren nicht gegeben habe.
Die Klägerin beantragt,
den Körperschaftsteuerbescheid und den Gewerbesteuermessbescheid für 1994, beide vom 01.03.1999 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.11.1999 dahingehend zu ändern, dass Steuern und Messbetrag unter Anerkennung weiterer Betriebsausgaben i.H.v. 10.601,00 DM niedriger festgesetzt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner in der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung fest. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass es ohne Vorlage der Statistikstreifen auch nicht gewährleistet sei, dass die Spielgeräte undokumentiert geöffnet und dabei Geldstücke den Röhren entnommen worden seien.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist begründet. Das FA hat Röhrenauffüllungen der Klägerin i.H.v. 10.601,00 DM zu Unrecht nicht gewinnmindernd berücksichtigt.
1.
Bei den von der Klägerin betriebenen Geldspielgeräten ist grundsätzlich der Kasseninhalt, wie er in den Kassenstreifen ausgedruckt wird, als Betriebseinnahmen der Besteuerung zu Grunde zu legen. Dieser Betrag ist jedoch um Röhrenauffüllungen und Röhrenentnahmen zu korrigieren. Diese Korrekturbeträge sind dem vom Gerät ausgedruckten Statistikstreifen zu entnehmen. Legt ein Steuerpflichtiger die Statistikstreifen nicht vor, so ist das FA grundsätzlich berechtigt, Röhrenentnahmen und Auffüllungen zu schätzen.
Eine Schätzungsbefugnis des FA ist nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO immer dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zu Grunde gelegt werden kann. Nach § 158 AO sind die Buchführungen und die Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen, die den Vorschriften der §§ 140 - 148 AO entsprechen, der Besteuerung zu Grunde zu legen, soweit nach den Umständen des Einzelfalles kein Anlass besteht, ihre sachliche Richtigkeit zu beanstanden. Zu den Aufzeichnungen, die ein Steuerpflichtiger zu führen und aufzubewahren hat, gehören nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO auch sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von Bedeutung sind. Die Statistikstreifen sind solche sonstigen Unterlagen im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO, da sie Aufschluss über die Veränderungen im Bestand der Röhrenfüllungen geben und damit die Beträge aufzeichnen, um die der Kassenbestand bei der Ermittlung der Betriebseinnahmen zu korrigieren ist. Insoweit sind die Statistikausdrucke vergleichbar mit dem als sonstige Unterlagen im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO anerkannten Registrierkassenstreifen, Kassenzetteln und Bons (so auch FG Dessau, Beschluss vom 15.03.2001 I V 78/00, EFG 2001, 802 mit weiteren Nachweisen). Dies gilt sowohl für Neugeräte als auch für die im Streitjahr noch in Betrieb befindlichen Altgeräte, da sich bei beiden Gerätetypen die Veränderungen im Röhrenbestand nur aus dem Statistikausdruck entnehmen lassen.
Die Klägerin hat die Statistikstreifen ihrer Geldspielgeräte nicht aufbewahrt und somit gegen die Ordnungsvorschrift des § 147 Abs. 1 Nr. 5 verstoßen. Dass die Klägerin sich nach ihrem Vortrag über die Aufbewahrungspflicht irrte und die Statistikstreifen insoweit aus Unkenntnis vernichtet hat, ist dabei unbeachtlich. Der objektive Verstoß gegen die Ordnungsvorschrift reicht aus, um die Beweiskraft der Buchführung in Frage zu stellen. Der Ordnungsverstoß entfällt auch nicht dadurch, dass die Klägerin von ihren Mitarbeitern Belege über die Röhrenauffüllungen anfertigen ließ. Insoweit ist ein Steuerpflichtiger nicht berechtigt, Unterlagen, die er von Gesetzes wegen aufzubewahren hat, durch andere unsichere Aufzeichnungen zu ersetzen. Da sich die Buchführung der Klägerin somit als formell nicht ordnungsgemäß erweist, war das FA grundsätzlich zu einer Schätzung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO berechtigt.
2.
Das FA durfte jedoch die Röhrenauffüllungen jedoch nicht auf 0,00 DM schätzen.
Bei der Durchführung der Schätzung ist zu berücksichtigen, dass bei dem Verstoß gegen die formellen Vorschriften der §§ 140 ff. AO zwar keine Vermutung für die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses besteht; diese formelle Ordnungswidrigkeit ist für sich allein jedoch kein Grund für eine Korrektur, da auch das Ergebnis einer formell nicht ordnungsgemäßen Buchführung sachlich richtig sein kann. Eine Korrektur ist als nur in soweit gerechtfertigt, als Grund für die Annahme besteht, dass das Ergebnis der Buchführung auch sachlich unrichtig ist (Frotscher in Schwarz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 158 Rn. 12). Entsprechend sind auch bei einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung bei der Schätzung alle relevanten Umstände zu berücksichtigen, die dem FA bekannt sind oder im Rahmen verhältnismäßiger Sachaufklärung bekannt sein können und müssen (BFH-Urteil vom 24.06.1997 VIII R 9/96, BStBl II 1998, 51; Seer in Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung, § 162 Rn. 41).
Unter Beachtung aller weiteren Umstände ist davon auszugehen, dass die Klägerin im Streitjahr Röhrenauffüllungen in der von ihr behaupteten Höhe vorgenommen hat und das FA demnach nicht berechtigt war, die Röhrenfüllungen mit einem niedrigen Betrag zu schätzen.
a)
Als sonstige Umstände, die für Röhrenauffüllungen von 10.601,00 DM im Streitjahr sprechen, sind zunächst die von den Mitarbeitern der Klägerin gefertigten Belege zu werten. Diese lassen zwar den Verstoß gegen die formellen Buchführungsvorschriften nicht entfallen; auch ist deren Beweiswert insoweit gemindert, als ein Teil der Belege nicht von den Ausstellern unterschrieben worden ist; sie bieten aber dennoch ein Indiz dafür, dass Röhrenfüllungen überhaupt vorgenommen worden sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Ausstellern um eine Vielzahl von Mitarbeitern handelt, denen das Fingieren von Belegen nicht ohne konkrete Anhaltspunkte unterstellt werden kann.
b)
Als weiterer entscheidender Umstand ist zu würdigen, dass die von der Klägerin geltend gemachten Röhrenfüllungen im externen Betriebsvergleich am unteren Ende der branchenüblichen Prozentsätze liegen.
Bei der Ermittlung der branchenüblichen Prozentsätze bezüglich Röhrenfüllungen stützt sich das Gericht auf die Aussage des Zeugen R. Dieser hat bekundet, dass Röhrenauffüllungen in Höhe von 1 - 3% der Erlöse branchenüblich seien. Dabei bezieht sich der Zeuge auf seine Erfahrungen als Fahnder mit dem Einsatzschwerpunkt Spielhallen, die er seit 1998 ausübt. Im Rahmen dieser Tätigkeit habe er anhand der von ihm bearbeiteten Steuerfälle Statistiken angelegt und ausgewertet, nach denen die Röhrenauffüllungen bei 1 - 3% des Erlöses liegen. Diese Angaben deckten sich auch mit den Statistiken der Kollegen, auch in anderen Bundesländern.Überdies habe er Kontakte zu zwei der führenden Herstellern von Geldspielgeräten.
Das Gericht hat keinen Anlass an der Glaubwürdigkeit des Zeugen oder der Glaubhaftigkeit seiner Angaben zu zweifeln. Insbesondere reicht die vom Zeugen geschilderte, selbst angelegte Statistik, die auf über 100 einzelnen Geräten beruht, in Verbindung mit dem Abgleich von Fällen der Kollegen der eigenen Behörde und der Behörden anderer Bundesländer aus, um die genannten Erfahrungswerte als Vergleichsmaßstab zu Grunde zu legen.
Anhaltspunkte dafür, dass die von der Klägerin aufgestellten Geräte Röhrenauffüllungen in einem Umfang bedürften, der außerhalb der genannten Bandbreite liegen, ist weder vom FA vorgetragen noch sonst ersichtlich. Demzufolge hätte sich das FA bei seiner Schätzung - wie bei der allgemein anerkannten Schätzungsmethode nach Werten aus der Richtsatzsammlung - innerhalb der üblichen Bandbreite von Röhrenfüllungen bewegen müssen.
c)
Allein die vom FA geäußerte und von der Klägerin bestrittene Vermutung, dass es bei der Klägerin nicht zu dokumentierten Röhrenentnahmen gekommen sein könnte, rechtfertigt eine Abweichung vom Branchendurchschnitt nicht. Insoweit hätte das FA andere Umstände ermitteln und vortragen müssen, die auf derartige Röhrenentnahmen schließen ließen, wie z.B. eine Geldverkehrsrechnung mit ungeklärten Zuflüssen beim Gesellschafter-Geschäftsführer oder ein Abgleich der Bareinzahlungen mit den entnommenen Kassenbeträgen. Dies hat das FA jedoch unterlassen. Gegen die Annahme solcher nicht dokumentierten Röhrenentnahmen spricht auch der Umstand, dass solche Entnahmen die Wahrscheinlichkeit von Röhrenleerspielungen erhöht hätte und es demzufolge zu höheren Röhrenauffüllungen hätte kommen müssen. Dies ist vorliegend aber unwahrscheinlich, da die von der Klägerin geltend gemachten Auffüllungen am untersten Rand des üblichen liegen.
d)
Eine Gesamtschau der hier vorliegenden Umstände ergibt, dass die Buchführung der Klägerin zwar formell nicht ordnungsmäßig, sachlich aber richtig ist. Demzufolge durfte das FA eine korrigierende Schätzung der Röhrenauffüllungen mit 0,00 DM nicht vornehmen. Die von der Klägerin geltend gemachten Auffüllungen in Höhe von 10.601,00 DM sind vielmehr erlösmindernd zu berücksichtigen.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.