Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.03.2003, Az.: 4 K 601/95
Selbständige Tätigkeit eines Parlamentsstenographen; Ähnlichkeit zu anderen freien Berufen; Zustellung eines Steuerbescheides an eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR); Bedeutung wissenschaftlicher und künstlerischer Leistungen; Fehlen eigener Gedanken
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 12.03.2003
- Aktenzeichen
- 4 K 601/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 19760
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0312.4K601.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs. 1 S. 3 GewStG
- § 2 Abs. 1 GewStG
- § 15 Abs. 2 S. 1 EStG
- § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG
- § 79 Abs. 1 Nr. 3 AO 1977
Fundstelle
- EFG 2004, 567-568
Redaktioneller Leitsatz
Ein selbstständiger Parlamentsstenograf, der analytische Protokolle zu erstellen hat, übt eine einem Schriftsteller ähnliche Tätigkeit aus. Er erzielt daher Einkünfte aus selbständiger Arbeit.
Tatbestand
Die Kläger waren in den Streitjahren als Parlamentsstenographen tätig. Zur gemeinsamen Berufsausübung hatten sie sich mit Vertrag vom 01.12.1988 zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) zusammengeschlossen. Der Beklagte qualifizierte die Einkünfte der Kläger als Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Sinne von § 15 Einkommensteuergesetz (EStG). Dementsprechend erließ er für die Jahre 1989 bis 1992 Gewerbesteuermessbescheide gegenüber der GbR und stufte die Einkünfte der Kalenderjahre 1991 und 1992 in den Feststellungsbescheiden für diese Jahre als gewerbliche Einkünfte ein.
Im Einspruchsverfahren gegen diese Bescheide machten die Kläger geltend, dass ihre Gewinne aus der Tätigkeit als Parlamentsstenographen als Einkünfte aus selbständiger Arbeit im Sinne von § 18 Abs. 1 EStG zu qualifizieren seien. Ihre Tätigkeit weise eindeutige Parallelen zu den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG anerkannten Tätigkeiten auf. Insbesondere könne das Berufsbild des Parlamentsstenographen mit dem des Schriftstellers, Journalisten und des Übersetzers verglichen werden. Die sogenannten analytischen Protokolle der Parlamentsstenographen seien deutlich von den sogenannten Wortprotokollen zu unterscheiden. Die Fertigung analytischer Protokolle über Verhandlungen, Sitzungen, Debatten usw. in den Parlamenten bzw. in verschiedenen Ausschüssen sei eine äußerst anspruchsvolle Tätigkeit. Daher seien die fest in einem Parlament tätigen Parlamentsstenographen Beamte des höheren Dienstes oder Angehörige in vergleichbaren Gehaltsgruppen. Vor der Gründung der GbR sei der Gesellschafter A als Regierungsrat und die Gesellschafterin G als Angestellte der Vergütungsgruppe II a BAT im stenographischen Dienst des niedersächsischen Landtags tätig gewesen.
Der Beklagte wies die Einsprüche gegen alle angefochtenen Bescheide durch Einspruchsbescheid vom 13.11.1995 zurück. Diesen Einspruchsbescheid richtete der Beklagte - auch soweit sie sich auf die Gewerbesteuermessbeträge bezogen - an die Kläger A und G. Mit der Klage machen die Kläger die unwirksame Bekanntgabe des Einspruchsbescheids geltend, soweit er sich auf die Gewerbesteuermessbescheide bezieht. Dieser Bescheid sei insoweit nicht wirksam bekannt gegeben worden. Denn er sei nicht, wie es erforderlich gewesen wäre, an die GbR bekannt gegeben worden, sondern an ihre Gesellschafter als Inhaltsadressaten. Im Übrigen wiederholen und vertiefen die Kläger ihren Vortrag aus dem Einspruchsverfahren. Auf die detaillierte Klagebegründung vom 16.04.1996 wird insoweit Bezug genommen.
Die Kläger beantragen,
die Gewerbesteuermessbescheide 1989 bis 1992 vom 27.01.1994 (1989 und 1990) sowie vom 21.10.1993 (1991) und vom 31.03.1993 (1992) in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 13.11.1995 ersatzlos aufzuheben sowie die Feststellungsbescheide 1991 und 1992 vom 07.04.1993 sowie vom 09.03.1994 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 13.11.1995 zu ändern und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb in solche aus selbständiger Arbeit zu ändern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Im Übrigen wird auf die Steuerakten und die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Der Senat hat die von der Bundesanstalt für Arbeit herausgegebenen Blätter zur Berufskunde "Parlamentsstenograph, Parlamentsstenographin", 6. Auflage, Bielefeld 1989, beigezogen. Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung ihre Tätigkeit ausführlich erläutert. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
I.
Soweit sich die angefochtene Einspruchsentscheidung auf die Gewerbesteuermessbescheide bezieht, fehlt es bereits an einer wirksamen Bekanntgabe. Steuerschuldnerin der Gewerbesteuer ist die Klägerin zu 1. als Gesellschaft bürgerlichen Rechts, § 5 Abs. 1 Satz 3 Gewerbesteuergesetz (GewStG). Dieser Gesellschaft, vertreten durch ihre Gesellschafter (§ 79 Abs. 1 Nr. 3 Abgabenordnung (AO)) war der Einspruchsbescheid insoweit bekanntzugeben (§ 122 Abs. 1 Satz 1 AO; vgl. dazu BFH, Urteil vom 16.11.1989 - IV R 29/89 - BStBl II 1990, 272 (273)). Daran mangelt es hier. Der Einspruchsbescheid bezeichnet als Inhaltsadressaten lediglich die Gesellschafter, nicht aber die Gesellschaft. Der bezüglich der Gewerbesteuermessbescheide nicht wirksam bekannt gegebene Einspruchsbescheid ist daher auf entsprechenden Antrag der Klägerin zur Klarstellung der Rechtslage aufzuheben (vgl. zur Aufhebung unwirksamer Verwaltungsakte aus Gründen der Klarstellung BFH, Urteil vom 26.03.1985 - VIII R 225/83 - BStBl II 1985, 603 (605)).
II.
Die übrigen, mit der Klage angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide und die Gewinnfeststellungsbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung sind zwar wirksam bekannt gegeben worden. Sie sind aber rechtswidrig, weil die A/G-GbR keinen Gewerbebetrieb unterhalten hat und ihre Gesellschafter keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb, sondern solche aus selbständiger Arbeit erzielt haben.
Nach § 2 Abs. 1 GewStG unterliegt jeder inländische stehende Gewerbebetrieb im Sinne des EStG der Gewerbesteuer. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG ist Gewerbebetrieb eine selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird, sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt und u.a. weder als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbständige Arbeit anzusehen ist.
Zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG gehören neben den Einkünften der dort genannten Angehörigen der sogenannten Katalogberufe, zu denen auch Schriftsteller und Übersetzer gehören, auch die Einkünfte von Personen, deren Beruf einem der Katalogberufe ähnlich ist. Ein ähnlicher Beruf liegt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vor, wenn er in wesentlichen Punkten mit einem der Katalogberufe verglichen werden kann. Dazu gehört die Vergleichbarkeit sowohl der Ausbildung als auch der ausgeübten beruflichen Tätigkeit (vgl. BFH, Beschluss vom 14.11.2000 - IV B 156/99 - BFH/NV 2001, 593 und Urteil vom 18.05.2000 - IV R 89/99 - BStBl II 2000, 625). Die für den vergleichbaren Katalogberuf erforderlichen Kenntnisse müssen nachgewiesen sein, die in dieser Weise qualifizierte Arbeit den wesentlichen Teil der gesamten Berufstätigkeit ausmachen und dem ähnlichen Beruf das Gepräge im Sinne des Katalogberufs geben (vgl. BFH, Urteile vom 07.09.1989 - IV R 156/86 - BFH/NV 1991, 359; vom 05.10.1989 - IV R 154/86 - BStBl II 1990, 73; vom 21.03.1996 - XI R 82/94 - BStBl II 1996, 518).
Die Tätigkeit der Kläger als Parlamentsstenographen, soweit sie dabei analytische Protokolle zu erstellen hatten, ist der eines Schriftstellers ähnlich. Wie der Bundesfinanzhof schon in dem Urteil vom 30.10.1975 - IV R 142/72 - BStBl II 1976, 192 (193), hervorgehoben hat, ist für die steuerrechtliche Beurteilung nicht die Bezeichnung, sondern der Gegenstand der Betätigung maßgebend. Schriftstellerisch tätig wird derjenige, der eigene Gedanken mit den Mitteln der Sprache schriftlich für die Öffentlichkeit niederlegt (BFH, Urteil vom 10.09.1998 - IV R 16/97 - BStBl II 1999, 215 (216) mit Hinweisen auf die ältere Rechtsprechung). Anders als bei der künstlerischen Tätigkeit kommt es auf eine bestimmte Qualität der Darlegungen nicht an, insbesondere braucht das Geschriebene weder von wissenschaftlichem noch von künstlerischem Inhalt zu sein. Unschädlich ist es, wenn sich schriftliche Äußerungen auch nur auf zu beschreibende rein tatsächliche Vorgänge beziehen (vgl. BFH, Urteil vom 10.09.1998 - IV R 16/97 - a.a.O.). Auch die Erstellung eines Vorschriftensuchregisters wurde bereits als selbständige Gedankenarbeit angesehen (vgl. BFH, Urteil vom 18.01.1962 - IV 270/60 U - BStBl III 1962, 131 (132)). Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs kam die erforderliche eigene Gedankenarbeit bereits allein in der Aufstellung bestimmter Stichworte für ein Nachschlagewerk und der Zuordnung feststehender Fundstellen zu diesen Stichworten zum Ausdruck. Der erkennende Senat folgt dieser Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Ausgehend von diesen - geringen - Anforderungen für die steuerliche Anerkennung schriftstellerischer Tätigkeit als selbständige Arbeit im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist die Tätigkeit der Kläger als Parlamentsstenographen ihrem Gesamtbild nach der Tätigkeit eines Schriftstellers ähnlich. Denn ausgehend von der stenographischen Niederschrift, die jeder der verschiedenen Tätigkeiten des Parlamentsstenographen zugrunde liegt und deren Übertragung in Langschrift sicher als klassisches Beispiel für das Fehlen eigener Gedanken als Grundlage für das Geschriebene gelten kann, liegt in der intensiven Überarbeitung des Stenogramms für die Erstellung analytischer Protokolle nach den dargestellten Gesichtspunkten und der daran anschließenden komprimierten schriftlichen Darstellung des so gewonnenen Konstrukts die schriftliche Wiedergabe eigener Gedanken. Nicht die Rede- oder Diskussionsbeiträge als solche sind hier Gegenstand der schriftlichen Darstellung, sondern ihr vom Parlamentsstenographen mit Blick auf das Verhandlungsthema in eigener Gedankenarbeit ermittelter sachlicher Gehalt. Charakteristisch für solche analytischen Protokolle ist die - von der stenographischen Niederschrift abweichende - Zusammenfassung des auf das Wesentliche reduzierten Sachverhalts, und zwar soweit nötig und zweckmäßig in eigenen Worten (vgl. dazu auch Blätter zur Berufskunde der Bundesanstalt für Arbeit "Parlamentsstenograph", a.a.O., S. 12 und 13). Die Darstellung der Redner wird in den Urteils- oder Gutachtenstil umgeformt, oftmals wird von der chronologischen Reihenfolge abgewichen, und es kommt vor allem darauf an, alle für die Entscheidung relevanten Argumente der Diskussionsteilnehmer klar herauszuarbeiten und alle unwesentlichen und überflüssigen Bemerkungen zu eliminieren. Weil in analytischen Protokollen der effektive Umfang der Verhandlungen regelmäßig auf ein Drittel komprimiert wird, ist deutlich, dass bei dieser Form der Protokollierung eine ganz intensive "redaktionelle" Bearbeitung der stenographischen Niederschrift stattfindet.
Im Streitfall kann dahinstehen, ob die übrigen Tätigkeiten der Kläger anderen freien Berufen im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG ähnlich sind, etwa der eines Übersetzers oder Dolmetschers. Ebenso kann offen bleiben, ob Teile der Tätigkeiten der Kläger gewerblichen Charakter haben. Denn die Anwendung der sog. Abfärberegelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG scheitert im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten bereits daran, dass die verschiedenen Tätigkeiten der Kläger untrennbar miteinander verflochten sind, sich gegenseitig unlösbar bedingen und der eindeutig freiberufliche Teil ihrer Tätigkeit, nämlich die Erstellung analytischer Protokolle, ihrer gesamten beruflichen Tätigkeit das Gepräge gibt (zum Erfordernis trennbarer Tätigkeiten für die Anwendung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG vgl. BFH, Urteil vom 24.04.1997 - IV R 60/95 - BStBl II 1997, 567 (568)).
Das quantitative und qualitative Schwergewicht der Tätigkeit der Kläger in den Streitjahren lag nach Überzeugung des Senats in der Erstellung solcher analytischen Protokolle. Die Kläger haben das in ihrer Klagebegründung im Einzelnen ausgeführt und in der mündlichen Verhandlung überzeugend ergänzt. Die Kläger hatten in den Streitjahren zum ganz überwiegenden Teil analytische Protokolle von Ausschusssitzungen zu erstellen. Der Anteil von wörtlichen oder scheinwörtlichen Protokollen lag bei rund 10 %. Der Beklagte ist diesen Darlegungen der Kläger nicht entgegengetreten und der erkennende Senat hat auch deshalb keinen Anlass daran zu zweifeln. Die intensive Bearbeitung und Umformung der stenographischen Niederschrift gibt dieser Tätigkeit des Parlamentsstenographen auch das Gepräge. Das Produkt seiner Arbeit ist "eine mit viel Fingerspitzengefühl und nach einer Fülle von geschriebenen und ungeschriebenen Regeln bereinigte Form des Gesprochenen", wie es in den Blättern zur Berufskunde, a.a.O., S. 7 zutreffend beschrieben wird.
Die Kläger schulden ihren Auftraggebern regelmäßig einen einheitlichen Erfolg, nämlich die Führung des Protokolls in einer bestimmten Sitzung oder während eines bestimmten Zeitraums während einer solchen Sitzung, ohne dass im Auftrag die Art der Protokollierung festgelegt wird. Der Kläger hat das in der mündlichen Verhandlung ausgeführt. Je nach dem Gegenstand der Sitzung entscheiden die Kläger dann nach ihren professionellen Kriterien über die Art des zu erstellenden Protokolls. Diese Art der Auftragserteilung und -abwicklung verknüpft die einzelnen Tätigkeiten so eng miteinander, dass eine Trennung nicht möglich ist (zur Beurteilung gemischter Tätigkeiten als trennbar oder untrennbar vgl. BFH, Urteile vom 07.11.1991 - IV R 17/90 - BStBl II 1993, 324 (326) und vom 24.04.1997 - IV R 60/95 - a.a.O. (586)).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.