Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.03.2003, Az.: 2 V 27/03

Berücksichtigung des Arbeitslohns eines verheirateten Steuerpflichtigen bei der Kürzung des Vorwegabzugs im Falle der Zusammenveranlagung

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
13.03.2003
Aktenzeichen
2 V 27/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 12822
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2003:0313.2V27.03.0A

Fundstellen

  • DStRE 2003, 785-787
  • EFG 2003, 844-845 (Volltext mit red. LS)
  • INF 2003, 402-403
  • NWB 2003, 1058

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Es ist ernstlich zweifelhaft, ob der Arbeitslohn eines verheirateten Stpfl., dessen Tätigkeit sozialversicherungsfrei ist und für den weder Arbeitnehmer- noch Arbeitgeber-Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet wurden, auch im Falle der Zusammenveranlagung bei der Kürzung des Vorwegabzuges auszunehmen ist.

  2. 2.

    Der Gesetzeswortlaut und der Wille des Gesetzgebers sprechen für ein Absehen von der Kürzung.

  3. 3.

    Ist ein Stpfl. als Gesellschafter-Geschäftsführer sozialversicherungsrechtlich kein Arbeitnehmer und muss er seine gesamte Altersvorsorge aus eigenen Mitteln aufbringen, kann der Begünstigungszweck der Regelung nur erreicht werden, wenn der Arbeitslohn des Stpfl. nicht in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einbezogen wird.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob im Streitjahr 2001 der Vorwegabzug von Ehegatten nach Maßgabe des Arbeitslohns beider Ehegatten zu kürzen ist, obwohl nur die Ehefrau hinsichtlich ihres Arbeitsverhältnisses Zukunftssicherungsleistungen erhalten hat.

2

Die Antragsteller sind im Streitjahr 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Antragsteller war Gesellschafter-Geschäftsführer der X-GmbH. Er hatte im Streitjahr aus dieser Tätigkeit einen Arbeitslohn von 75.178 DM. Die Tätigkeit war sozialversicherungsfrei. Der Antragsteller hatte aufgrund seiner Tätigkeit keine Anwartschaft auf Altersversorgung, z.B. aufgrund einer Pensionszusage. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wurden nicht geleistet. Die Antragstellerin war bei der GmbH bis zum 30. Juni des Streitjahrs sozialversicherungspflichtig angestellt. Sie bezog hieraus einen Arbeitslohn von 12.778 DM. Seitdem war sie nicht mehr berufstätig.

3

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Antragsteller Vorsorgeaufwendungen in einer Gesamthöhe von 26.540 DM als Sonderausgaben geltend. Im Einkommensteuerbescheid berechnete der Antragsgegner den Abzug der Vorsorgeaufwendungen wie folgt:

Geleistete Vorsorgeaufwendungen 26.540,00 DM
Vorwegabzug 12.000,00 DM
Kürzung des Vorwegabzug
16 v.H. v. 87.956,00 DM = 14.073,00 DM max. 12.000,00 DM 0,00 DM
Grundhöchstbetrag 5.220,00 DM
hälftiger Höchstbetrag 2.610,00 DM
Abziehbar gesamt 7.830,00 DM
4

Zur Begründung seiner Berechnung beruft sich der Antragsgegner auf die Richtlinie (R) 106 Satz 3 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR 2001), wonach für die Kürzung des Vorwegabzugs bei Ehegatten auch dann der Arbeitslohn beider Ehegatten zugrunde zu legen ist, wenn nur für einen Ehegatten steuerfreie Zukunftsleistungen im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden sind oder nur ein Ehegatte zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört hat.

5

Hiergegen legten die Antragsteller Einspruch ein, über den der Antragsgegner noch nicht entscheiden hat. Die Antragsteller beantragten zunächst beim Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids. Der Antragsgegner lehnte den Antrag ab. Danach beantragten die Antragsteller nach § 69 Abs. 3 FGO die gerichtliche Vollziehungsaussetzung.

6

Die Antragsteller beantragen,

wie erkannt zu entscheiden.

7

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

8

Er hält an seiner Auffassung fest, der Vorwegabzug sei nach dem Arbeitslohn beider Ehegatten zu kürzen.

Gründe

9

Der Antrag ist begründet.

10

1.

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durchüberwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

11

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984, III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996, I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall gegeben.

12

Die Berechnung des Antragsgegners begegnet insoweit rechtlichen Zweifeln, als er als Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs den zusammengerechneten Arbeitslohn beider Ehegatten zugrunde gelegt hat. Nach dem Gesetzeswortlaut, dem Willen des Gesetzgebers und dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung bestehen zumindest rechtliche Zweifel, ob nicht nur der Arbeitslohn der Ehefrau als Bemessungsgrundlage für die Kürzung zugrunde zu legen ist.

13

Gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung kann für Beiträge nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG zusätzlich ein Vorwegabzug von 6.000 DM, im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten von 12.000 DM vorgenommen werden. Diese Beiträge sind gemäß § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG zu kürzen um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit i.S.d. § 19 EStG ohne Versorgungsbezüge i.S.d.§ 19 Abs. 2 EStG, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden oder der Steuerpflichtige zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört.

14

Der Antragsgegner hat den Arbeitslohn der Antragstellerin zu Recht in die Kürzung des Vorwegabzugs einbezogen. Für sie werden Zukunftsleistungen i.S.d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht, da sie zumindest bis zur Mitte des Streitjahrs sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Der Antragsteller gehörte nicht zum Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG. Für ihn wurden auch keine Zukunftssicherungsleistungen i.S.d.§ 3 Nr. 62 EStG erbracht. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.

15

Die Einbeziehung auch des Arbeitslohns des Ehemanns in die Kürzung des Vorwegabzugs begründet zumindest rechtliche Zweifel.

16

Zwar lehnt der BFH in ständiger Rechtsprechung eine individuelle Kürzung des Vorwegabzugs bei zusammenveranlagten Ehegatten ab (BFH-Urteil vom 12. Oktober 1994, X R 260/93, BStBl. II 1995, 119). So sei der den Ehegatten gemeinsam zustehende Höchstbetrag von - im Streitjahr - 12.000 DM nicht anteilig mit jeweils 6.000 DM jedem der Ehegatten zuzurechnen. Dies ergebe sich, weil die zusammen veranlagten Eheleute kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung beim Sonderausgabenabzug eine Einheit bildeten (BFH-Beschluss vom 21. Dezember 2000, XI B 75/99, BFH/NV 2001, 773). Eine dadurch gegenüber Ledigen entstehende gesetzliche Benachteiligung sei von den zusammen veranlagten Ehegatten hinzunehmen, da die allgemeine Tendenz des Gesetzes auf Gleichbehandlung ausgeht. Durch die Verdoppelung des Vorwegabzugs seien Ehegatten teilweise benachteiligt und teilweise begünstigt, im Ganzen aber eher vorteilhaft oder zumindest eheneutral behandelt. Diese Rechtsprechung des BFH hat das Bundesverfassungsgericht - BVerfG - bestätigt (BVerfG-Beschluss vom 16. Januar 1991, 2 BvR 1400/90, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1991, 672; vom 22. Mai 1998, 2 BvR 712/98 und vom 22. Juni 1998, 2 BvR 64/98 Steuer-Eildienst - StEd - 1998, 546).

17

Danach gibt es eine Vielzahl von Fällen, in denen allein der Arbeitslohn eines Ehegatten als Bemessungsgrundlage für die Kürzung den beiden Ehegatten gemeinsam zustehenden Vorwegabzug entfallen lässt, obwohl der andere Ehegatte keine zur Kürzung des Vorwegabzugs führenden Einnahmen erzielt hat.

18

Der Streitfall liegt aber anders. Insoweit verwechselt der Antragsgegner den gemeinsam zustehenden Vorwegabzug von Ehegatten in Höhe von 12.000 DM mit der Bemessungsgrundlage für die Kürzung. Die Bemessungsgrundlage bei Ehegatten ist nämlich keine gemeinsame. Der Arbeitslohn der Antragstellerin, aufgrund dessen der Vorwegabzug zu kürzen ist, führte allein noch nicht zu einer vollständigen Kürzung des beiden Ehegatten gemeinsam zustehenden Vorwegabzugs. Es verbliebe vielmehr nach der Kürzung um 2.044 DM - nach einem Arbeitslohn von 12.778 DM x 16 v.H. - ein Vorwegabzug von 12.000 DM - 2.044 DM = 9.956 DM. Der Arbeitslohn des Antragstellers führte im Falle eines nicht zusammen veranlagten Steuerpflichtigen nicht zu einer Kürzung des Vorwegabzugs.

19

Es ist zumindest rechtlich zweifelhaft, ob der Arbeitslohn des Antragsstellers auch im Falle der Zusammenveranlagung bei der Kürzung des Vorwegabzugs auszunehmen ist. Für ein Absehen von der Kürzung spricht der Gesetzeswortlaut und der Wille des Gesetzgebers. So sind auch im Fall der Zusammenveranlagung von Ehegatten zwei "Steuerpflichtige" i.S.d. § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG vorhanden (vgl. BFH-Urteil vom 12. Oktober 1994, X R 260/93, a.a.O.). "Steuerpflichtiger" im Sinne des EStG ist derjenige, der als natürliche Person nach § 1 EStG einkommensteuerpflichtig ist, und zwar mit den von ihm erzielten Einkünften, im Streitfall mit solchen aus nichtselbstständiger Arbeit. Auch § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 Buchst. a EStG spricht von "Steuerpflichtigen", die jeweils als Einzelpersonen für ihre Zukunftssicherung Leistungen nach§ 3 Nr. 62 EStG erhalten oder zum Personenkreis des§ 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehören.

20

So hat der BFH in seinem Urteil vom 12. Oktober 1994, X R 260/93 (a.a.O.), wenn auch für die im dortigen Streitjahr 1991 geltende Rechtslage, entschieden, dass der Vorwegabzug auch bei zusammen veranlagten Ehegatten nur nach der für den jeweiligen Ehegatten geltenden Bemessungsgrundlage zu kürzen sei. Es sei gerade keine Bemessungsgrundlage für beide Ehegatten gemeinsam zu bilden, wenn auch die Ehegatten nach der Ermittlung der Einkünfte als ein einziger Steuerpflichtiger zu behandeln seien.

21

Auf den Streitfall bezogen ergibt sich danach für die Antragstellerin eine Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs von 2.044 DM (s.o.) und für den Antragsteller eine solche von 0 DM, so dass den Ehegatten gemeinsam noch ein Vorwegabzug von 9.956 DM verbliebe.

22

Eine solche Regelung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Nach der Gesetzesbegründung (BTDrucks 12/5764) zur Regelung der Kürzung des Vorwegabzugs nach dem Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl. I 1994, 50) heißt es: "Auf die komplizierte zeitanteilige Berechnung des Kürzungsbetrags wird verzichtet, zumal bei geringem Arbeitslohn infolge nur kurzzeitiger Beschäftigung die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs ohnehin niedriger ist." Der Gesetzgeber ging danach davon aus, dass sich durch den Verzicht auf eine Differenzierung nach der Dauer der Beschäftigung eines Steuerpflichtigen im Kalenderjahr keine Härten ergeben, weil sich die Bemessungsgrundlage entsprechend reduzierte. Dem Willen zur Vermeidung solcher Härten widerspräche es, wenn sich die reduzierte Bemessungsgrundlage insoweit nachteilig auswirkte, als ein minimaler Arbeitslohn des einen Ehegatten die Einbeziehung des hohen Arbeitslohns des anderen Ehegatten bewirkte.

23

Für diese Auffassung spricht auch der Sinn und Zweck der Regelung des Vorwegabzugs und dessen Kürzung. Der Vorwegabzug soll selbstständig Tätigen einen Ausgleich dafür bieten, dass der gesetzliche Beitragsanteil des Arbeitgebers zur Altersvorsorge als steuerfreier Arbeitslohn behandelt wird, während der selbstständig Tätige seine Beiträge zur Altersvorsorge in voller Höhe selbst aufbringen muss (vgl. hierzu die Ausführungen im BFH-Urteil vom 16. Oktober 2002, XI R 61/00 m.w.N.). Der Antragsteller als Gesellschafter-Geschäftsführer ist sozialversicherungsrechtlich kein Arbeitnehmer und mithin einem Selbstständigen gleichgestellt. So muss auch er seine gesamte Altersvorsorge aus eigenen Mitteln aufbringen. Nur wenn der Arbeitslohn des Antragstellers nicht in die Bemessungsgrundlage für die Kürzung des Vorwegabzugs einbezogen wird, kann der Begünstigungszweck der Regelung erreicht werden. Die Antragsteller sind nur dann genauso gestellt wie Ehegatten, von denen einer sozialversicherungspflichtigen Arbeitslohn bezieht und der andere selbstständig ist.

24

Auch die Finanzverwaltung hat bis zum Erlass der EStR 2001 nur den Arbeitslohn eines Ehegatten in die Bemessungsgrundlage einbezogen, wenn nur dieser Arbeitslohn bezogen hatte, durch den der Vorwegabzug zu kürzen war.

25

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m.§§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung. Insoweit sind die für Urteile geltenden Vorschriften auf Beschlüsse, die streitentscheidende bzw. selbstständige Verfahren abschließen, entsprechend anwendbar (Gräber / von Groll FGO§ 113 Rz. 3).

26

3.

Die Beschwerde wird nach §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, weil es höchstrichterlicher Klärung bedarf, ob die Regelung in R 106 Satz 3 EStR 2001 der Gesetzeslage entspricht.