Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.03.2003, Az.: 15 K 642/99
Zuschüsse einer Aktiengesellschaft zur Kranken- und Pflegeversicherung eines Vorstandsmitglieds als Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit; Kürzung des Vorwegabzuges; Auf vertraglicher Basis begründete Verpflichtung der Aktiengesellschaft, an das Vorstandsmitglied Beiträge zur Krankenversicherung zu leisten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 25.03.2003
- Aktenzeichen
- 15 K 642/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 17958
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2003:0325.15K642.99.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 Nr. 62 EStG
- § 19 EStG
Fundstelle
- EFG 2004, 184-185
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Zuschüsse einer Aktiengesellschaft zur Kranken- und Pflegeversicherung eines Vorstandsmitglieds sind Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit i.S.d. § 19 EStG. Der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG ist nicht zu kürzen.
- 2.
Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft sind für das Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, regelmäßig keine Beschäftigten i.S.d. § 7 Abs. 1 SGB IV, da das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft den Betriebsablauf des Unternehmens selbst bestimmt und sich grds. nicht anders als ein Unternehmer in seinem Betrieb verhält.
- 3.
Eine auf vertraglicher begründete Verpflichtung der Aktiengesellschaft, an das Vorstandsmitglied Beiträge zur Krankenversicherung zu leisten, fällt nicht unter § 3 Nr. 62 EStG.
Tatbestand
Der Kläger wurde für das Streitjahr 1996 zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Streitig ist die Höhe des Sonderausgabenabzugs.
Der Kläger war im Jahre 1996 Vorstandsmitglied der W. AG & Co. in O. Die AG zahlte dem Kläger im Streitjahr einen Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von ..... DM. Einen Zuschuss zur Rentenversicherung leistete sie nicht. In dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1996 kürzte das Finanzamt den Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG und berücksichtigte Sonderausgaben für Versicherungsbeiträge in Höhe von ..... DM.
Hiergegen wendet sich der Kläger nach erfolglos gebliebenen Vorverfahren mit der Klage. Zur Begründung trägt er vor, dass ein Anspruch auf die Leistung steuerfreier Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung seitens der AG nicht bestehe. Vielmehr bestehe - wie bei der Rentenversicherung auch - keine Versicherungspflicht. Im übrigen seien Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, anders als Renten- und Altersversicherungsbeiträge, keine Leistungen im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG. Sie seien keine Zukunftssicherungsleistungen, denn durch die Zahlung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen erwerbe der Versicherte lediglich einen aktuellen Versicherungsschutz, aber keine Anwartschaften auf künftige Versicherungsleistungen. Der Vorwegabzug solle Personen zugute kommen, die im vollen Umfang für ihre Altersversorgung aufkommen müssten. Denn sie befänden sich gegenüber anderen Steuerpflichtigen im Nachteil, für die der Arbeitgeber Leistungen zur Altersversorgung erbringe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 1996 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom ............... die Einkommensteuer 1996 auf ...... DM herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG zu kürzen sei, da der Kläger von der AG Leistungen im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG erhalten habe. Der Anspruch des Klägers auf die Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung ergebe sich aus § 257 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGB V und § 61 Abs. 1 SGB XI. Hiernach hätten Beschäftigte, die wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltsgrenze versicherungsfrei oder von der Versicherungspflicht befreit seien, Ansprüche auf Zuschüsse zur Krankenversicherung. Bei einem Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft bestehe ein solcher Anspruch auf Zahlung eines Zuschusses zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Denn unabhängig von der rechtlichen Einordnung des Anstellungsvertrages eines Vorstandsmitglieds übe dieses eine nichtselbständige Arbeit im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV aus. Zwar habe der Vorstand einer Aktiengesellschaft die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten und nehme gegenüber der Belegschaft die Arbeitgeberfunktion wahr. Seine Geschäftsführung unterliege aber der Überwachung durch den Aufsichtsrat. Außerdem sei der Vorstand der Hauptversammlung verantwortlich, so dass er ein eigenes unternehmerisches Risiko nicht trage.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Die Zuschüsse der AG zur Kranken- und Pflegeversicherung des Klägers sind als Einnahmen des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 EStG zu erfassen. Der Vorwegabzug nach§ 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG ist nicht zu kürzen.
Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 a EStG ist der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG um 16 v.H. der Summe der Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 EStG zu kürzen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG erbracht werden.
Im Streitfall hat die AG für den Kläger keine Leistungen im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG erbracht. Unter diese Vorschrift fallen Ausgaben des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung des Arbeitnehmers, soweit der Arbeitgeber dazu nach sozialversicherungsrechtlichen oder anderen gesetzlichen Vorschriften oder nach einer auf gesetzlicher Ermächtigung beruhenden Bestimmung verpflichtet ist. Diesen Ausgaben sind nach § 3 Nr. 62 Satz 2 unter weiteren Voraussetzungen Zuschüsse des Arbeitgebers zu den Aufwendungen des Arbeitnehmers für eine Lebensversicherung, für die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung und für eine öffentlich-rechtliche Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung seiner Berufsgruppe gleichgestellt.
Die Zuschüsse der AG zu den Krankenversicherungsbeiträgen des Klägers sind zwar Ausgaben für die Zukunftssicherung. Denn hierunter fallen nicht nur Beiträge zur Rentenversicherung, sondern auch zur Krankenversicherung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 16. Oktober 2002 XI R 61/00 BFH/NV 2003, 384 [BFH 16.10.2002 - XI R 61/00]). Zu diesen Zuschüssen war die Arbeitgeberin aber nicht aufgrund sozialversicherungsrechtlicher oder anderer gesetzlicher Vorschriften verpflichtet. Eine diesbezügliche Verpflichtung kann sich nur aus § 257 Sozialgesetzbuch Teil V (SGB V) oder § 61 Abs. 1 SGB XI ergeben. Danach erhalten freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung oder privat versicherte Beschäftigte, die nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitszeitentgelte versicherungsfrei sind, von ihrem Arbeitgeber in den dort genannten Grenzen einen Beitragszuschuss für die Krankenversicherung. Wer Beschäftigter im Sinne dieser Vorschrift ist, bestimmt sich nach § 7 Abs. 1 SGB IV, der für sämtliche Bereiche der Sozialversicherung gilt (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 14. Dezember 1999 B 2 U 38/98 R, Der Betrieb 2000, 329). Danach ist Arbeitnehmer, wer von dem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Die persönliche Abhängigkeit ist das wesentliche Merkmal des Beschäftigungsverhältnisses. Sie bedeutet, dass der Arbeitnehmer in den Betrieb eingegliedert ist und dem Weisungsrecht des Arbeitgebers insbesondere hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsausführung unterliegt. Dabei kann dieses Weisungsrecht je nach Art der zu erbringenden Dienste stärker oder schwächer ausgeprägt sein und bei Beschäftigten höherer Qualifikation erheblich eingeschränkt sein, ohne dass es vollständig entfallen darf. Kennzeichnend für eine selbständige Tätigkeit sind demgegenüber das eigene Unternehmerrisiko, die völlige Dispositionsmöglichkeit über die Arbeitskraft und Arbeitsort und Arbeitszeit. Dabei kann eine selbständige Tätigkeit auch im Rahmen eines freien Dienstvertrages im Sinne des bürgerlichen Rechts ausgeübt werden (vgl. BSG-SozR 2200 § 165 Nm 45 und 96).
Nach diesen Grundsätzen sind Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft für das Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, regelmäßig keine Beschäftigten im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV. Denn das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft ist nicht wie ein abhängig Beschäftigter in den Betriebsablauf des Unternehmens eingeordnet, sondern bestimmt diesen selbst und verhält sich grundsätzlich nicht anders als ein Unternehmer in seinem Betrieb. Soweit der Vorstand einer Aktiengesellschaft bestimmten Beschränkungen unterliegt, beruhen diese nicht auf einzelnen Anweisungen, sondern letztlich auf generell abstrakten Leitlinien, die sich entweder aus dem Gesetz, der Satzung der Aktiengesellschaft oder den Beschlüssen der Hauptversammlung ergeben. In solchen Fällen liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keine abhängige Beschäftigung vor (BSG-SoZ 2200 § 165 Nm 36, 45 und 61 und BSG-Urteil in Der Betrieb 2000, 329).
Eine auf vertraglicher Grundlage begründete Verpflichtung der AG, an den Kläger Beiträge zur Krankenversicherung zu leisten, fällt nicht unter § 3 Nr. 62 EStG. Derartige Zuschüsse werden den auf gesetzlicher Grundlage erbrachten Zuschüssen nach Satz 1 der Vorschrift nicht gleichgestellt, denn nach § 3 Nr. 62 Satz 2 EStG trifft dies nur auf Zuschüsse des Arbeitgebers für eine Lebensversicherung, für eine freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung oder in eine andere öffentlich-rechtliche Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung einer Berufsgruppe unter weiteren Voraussetzungen zu. Derartige Beiträge werden von der AG an den Kläger aber nicht geleistet.
Eine Kürzung des Vorwegabzugs kommt auch nicht nach § 10 Abs. 3 Satz 2 a zweite Alternative EStG in Betracht, denn der Kläger gehört nicht zu dem Personenkreis des § 10 c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG, denn der Kläger zahlt die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung aus eigenen Mitteln und hat von der AG keine Versorgungszusage nach seinem Ausscheiden als Vorstand erhalten.
Nach alledem ist der Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 EStG nicht zu kürzen. Der Zuschuss der AG zur Krankenversicherung gehört zu den Einnahmen des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.