Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 26.06.2023, Az.: 3 W 19/23
Rechtsweg; Schadensersatz wegen Geschäftsschließung aufgrund Corona-/COVID 19- Pandemie; enteignungsgleicher Eingriff
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 26.06.2023
- Aktenzeichen
- 3 W 19/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 25546
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2023:0626.3W19.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 10.05.2023 - AZ: 8 O 3/23
Rechtsgrundlagen
- lfSG § 68 Abs. 1
- VwGO § 40
- GVG § 17a Abs. 2
Fundstellen
- NJW 2023, 2586
- NJW-RR 2023, 1039-1040
Amtlicher Leitsatz
Rechtsweg für Schadensersatzansprüche wegen Geschäftsschließung aufgrund von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG), die auf einen enteignungsgleichen Eingriff sowie Polizei- und Ordnungsrecht, hilfsweise einen enteignenden Eingriff gestützt werden
Rechtsweg für Schadensersatzansprüche wegen Geschäftsschließung aufgrund von Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG), die auf einen enteignungsgleichen Eingriff sowie Polizei- und Ordnungsrecht, hilfsweise einen enteignenden Eingriff gestützt werden
In der Beschwerdesache
B. H. ... GmbH, ...,
- Klägerin und Beschwerdeführerin -
Prozessbevollmächtigte:
...,
gegen
L. N. ...,
- Beklagte und Beschwerdegegnerin -
Prozessbevollmächtigte:
...,
hat das Oberlandesgericht Celle - 3. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Amtsgericht ... am 26. Juni 2023 beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 10. Mai 2023 in Form des Nichtabhilfebeschlusses vom 5. Juni 2023 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert der Beschwerde wird auf 10.000.000 € festgesetzt.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin verfolgt Schadensersatzansprüche wegen der monatelangen Geschäftsschließungen und -beschränkungen aufgrund der Corona Pandemie während der "Lockdowns" aus den von der T. GmbH & Co. KG, Dortmund, und der W. GmbH, U., abgetretenen Rechten.
Im Wesentlichen stützt die Klägerin ihre auf Ausgleich des Ertragsverlusts der Zedentinnen gerichteten Forderungen auf einen enteignungsgleichen Eingriff und § 80 Abs. 1 S. 2 NPOG, hilfsweise auf einen enteignenden Eingriff.
Die Klägerin hat gemeint, der Rechtsweg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit sei hierfür eröffnet, wohingegen die Beklagte den Verwaltungsrechtsweg für gegeben hält.
Das Landgericht hat den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich der einschlägige Rechtsweg aus § 68 Abs. 1 S. 2 IfSG ergebe. Damit habe der Gesetzgeber eine gegenüber § 40 Abs. 2 VwGO und § 86 NPOG spezialgesetzliche Regelung geschaffen. Sie eröffne den Verwaltungsrechtsweg für coronabedingte Entschädigungsansprüche, die ihre Grundlage auch außerhalb des IfSG finden. Hierfür spreche sowohl der Wortlaut als auch der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck des Gesetzes.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, mit der sie die Geltendmachung ihrer Forderungen vor den ordentlichen Gerichten weiterverfolgt und ihr bisheriges diesbezügliches Vorbringen wiederholt und vertieft.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der angekündigten Anträge wird auf die angefochtene Entscheidung sowie auf den Nichtabhilfebeschluss und die Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 17a Abs. 4 S. 3 GVG i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 17a Abs. 4 S. 3 ZPO i.V.m. § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO innerhalb der Notfrist von zwei Wochen fristgerecht eingelegt worden.
Sie ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht die Sache an das Verwaltungsgericht verwiesen, weil vorliegend der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 68 Abs. 1 S. 2 IfSG eröffnet ist.
§ 68 Abs. 1 S.2 IfSG in der ab dem 17. September 2022 gültigen Fassung besagt, dass der Verwaltungsrechtsweg auch gegeben ist, soweit andere Ansprüche wegen Entschädigung für Maßnahmen aufgrund dieses Gesetzes geltend gemacht werden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin verdrängt der spezialgesetzliche § 68 Abs. 1 IfSG die Regelung der Rechtswegzuweisungen wie sie in § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO oder in landesrechtlichen Gesetzen des Polizei- und Ordnungsrechts, wie §§ 80, 86 NPOG, enthalten sind (sog. aufdrängende Sonderzuweisung). Voraussetzung ist lediglich, dass die Entschädigung für eine Maßnahme geltend gemacht wird, die ihre Grundlage im IfSG findet (Kruse, in: BeckOK InfSchR, 16. Ed. 8.4.2023, IfSG § 68 Rn. 10h). Letzteres ist hier der Fall, da die Klägerin eine Entschädigung für coronabedingte Geschäftsschließungen und -beschränkungen, die u.a. auf § 28 Abs. 1 IfSG gestützt wurden, geltend macht.
Die Klägerin kann sich für ihre Auffassung nicht mehr auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juni 2022 stützen. Hiernach war für die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche aus enteignendem Eingriff und Aufopferung nach den allgemeinen Regeln ursprünglich der ordentliche Rechtsweg gegeben (BVerwG, Beschluss vom 1. Juni 2022 - 3 B 29/21 -, Rn. 9, juris). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die vorzitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch vor der Änderung des § 68 Abs. 1 IfSG ergangen ist. Denn der Satz 2 wurde erst mit der ab dem 17. September 2022 in Kraft getretenen Fassung eingefügt.
Nach dem Wortlaut der Vorschrift soll der Verwaltungsrechtsweg für Ansprüche wegen Entschädigung für Maßnahmen aufgrund des IfSG geltend gemacht werden können. Nicht vorausgesetzt ist danach, dass es um Ansprüche nach dem IfSG geht. Damit werden auch Anspruchsgrundlagen außerhalb des IfSG erfasst. Die Lesart der Klägerin, die lediglich "Ansprüche" aufgrund "dieses Gesetzes" umfasst wissen will, übersieht wesentliche Bestandteile der Norm. Vielmehr ist der Wortlaut umfassend zu verstehen.
Ausgenommen von der umfassenden Rechtswegzuweisung sind nach Satz 3 ausdrücklich Klagen betreffend Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG und Art. 34 S. 3 GG. Dies spricht jedoch nicht gegen die Absicht des Gesetzgebers, durch die Änderung des Gesetzes eine Rechtswegzersplitterung zu beseitigen. Diese Vorgehensweise kann ersichtlich damit begründet werden, dass andernfalls die Änderung des Grundgesetzes erforderlich gewesen wäre. Auch spricht die Systematik des Regel-Ausnahme-Prinzips für eine Erweiterung der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte.
Die Gesetzesbegründung, ausweislich derer es sich bei § 68 Abs. 1 S. 2 IfSG um eine "Klarstellung" handle (BT-Drs. 20/2573, S. 25), steht der vorstehenden Auslegung ebenfalls nicht entgegen. Hiernach handelte es sich um eine Klarstellung, dass der Verwaltungsrechtsweg auch dann eröffnet sei, soweit andere Ansprüche wegen Entschädigung für Maßnahmen aufgrund dieses Gesetzes geltend gemacht würden.
Der Begriff "klarstellen" meint im allgemeinen Sprachgebrauch die Beseitigung von Missverständnissen oder die Korrektur eines falschen Verständnisses. Näheres dazu, was hier klargestellt werden sollte, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen.
Die Klägerin will dem entnehmen, dass die Änderung rein deklaratorischer Natur sei, sodass sie inhaltlich keinen eigenen - im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage neuen - Regelungscharakter hätte. In der Folge würde die alte Rechtslage gelten und der Weg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet sein. Dem ist nicht zu folgen, zumal die tatsächlichen Umstände zeigen, dass der Gesetzgeber entgegen seiner Absicht gerade keine Klarheit geschaffen hat. Denn wie die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 23. Juni 2023 ausführt, lässt der Wortlaut der Norm verschiedene Auslegungsergebnisse mit unterschiedlichen Rechtsfolgen zu, worüber die Parteien hier gerade streiten.
Darüber hinaus ist es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht erforderlich, dass Ansprüche "neben" den in § 68 Abs. 1 S. 1 IfSG genannten Entschädigungsansprüchen geltend gemacht werden. Mit dem eingefügten § 68 Abs. 1 S. 2 IfSG ist nicht lediglich eine Klarstellung im Hinblick auf § 17 Abs. 2 S. 1 GVG beabsichtigt gewesen. Denn in S. 2 heißt es, dass der Verwaltungsrechtsweg "auch gegeben" ist, d.h. zusätzlich zu den in S. 1 beschriebenen Fällen für weitere Fälle, gelten soll. Dementsprechend ist der § 68 Abs. 1 S. 2 IfSG dahingehend zu verstehen, dass er eine Rechtswegzuweisung enthält, wohingegen § 17 Abs. 2 S. 1 GVG eine solche voraussetzt. Worin dann die klarstellende Funktion liegen soll, ist - wie auch das Landgericht richtigerweise ausgeführt hat - nicht ersichtlich. Tatsächlich ist die Regelung nicht rein deklaratorischer Natur (Kruse, in: BeckOK InfSchR/, 16. Ed. 8.4.2023, IfSG § 68 Rn. 10h).
Hinsichtlich des historischen Hintergrunds und dessen Bedeutung für die Auslegung der Norm wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen.
Schließlich verfängt der Verweis der Klägerin auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17. März 2022 - III ZR 79/21 -, juris -, nicht. Der Sache nach ging es um Entschädigungsansprüche eines Gewerbetreibenden - dort eines Gastronoms und Hoteliers - aufgrund der Betriebsschließungen im Rahmen von Infektionsschutzmaßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19. Geprüft hat der Bundesgerichtshof Ansprüche aus Amtshaftung, nach dem IfSG, nach dem Polizei- und Ordnungsrecht, aber auch aus einem enteignungsgleichen und enteignenden Eingriff. Der Bundesgerichtshof hat keine ausdrückliche Erklärung zur Zuständigkeit abgegeben. Wegen § 17a Abs. 5 GVG war das jedoch auch entbehrlich und lässt keinen Rückschluss auf die Zulässigkeit des Rechtswegs zu. Zu beachten ist im Übrigen, dass die Vorschrift des § 68 Abs. 1 S. 2 IfSG seinerzeit noch nicht existierte.
Der Hinweis der Klägerin auf die Zuständigkeitsregelung im Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Hannover, dass die durch das Präsidium geschaffene Spezialzuständigkeit der 8. Zivilkammer bei einem anderen Verständnis keinen Sinn ergebe, ist rechtlich nicht erheblich. Denn aus dem Verständnis und den Beweggründen des Präsidiums eines Landgerichts lässt sich nicht ableiten, welchen Willen der Gesetzgeber bei der Schaffung einer gesetzlichen Rechtswegzuweisung gehabt hat.
III.
Der Zulassung der Beschwerde gemäß § 17a Abs. 4 S. 4 und S. 5 GVG bedurfte es nicht.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nicht gegeben. Diese kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (Hamdorf, in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 574 Rn. 10). Die Relevanz für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen ist nicht erkennbar. Vergleichbare Fälle sind hier nicht bekannt und auch von den Parteien nicht vorgetragen, obwohl dies unter Berücksichtigung der seit den "Lockdowns" verstrichenen Zeit zu erwarten wäre.
IV.
Der Gegenstandswert der Beschwerde gegen die Vorabentscheidung ist nach freiem Ermessen unter Berücksichtigung des Interesses des Beschwerdeführers festzusetzen (§§ 1, 3 Abs. 1, § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO). Er ist allenfalls nach einem Bruchteil zu bemessen, aber nie in voller Höhe des Hauptsachewerts, da die Klageabweisung als unzulässig nicht mehr drohen kann (Lückemann in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 17a (Rechtswegentscheidung), Rn. 20). Das Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits in einem bestimmten Rechtszug ist vielmehr mit einem Drittel des Hauptsachewerts ausreichend bemessen (OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. April 1994 - 5 W 6/94 -, juris).