Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.06.2023, Az.: 2 W 67/23

Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss in einem Verfahren wegen Rückzahlungs- und Schadensersatzansprüchen; Zulassung einer Streitgenossenschaft

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.06.2023
Aktenzeichen
2 W 67/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 54414
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 16.08.2022 - AZ: 20 O 2/20

Redaktioneller Leitsatz

§ 100 Abs. 3 ZPO haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten, dass ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht hat. Diese Vorschrift erfasst mithin nur Angriffs- oder Verteidigungsmittel eines Streitgenossen i.S.d. § 146 bzw. 282 ZPO.

In dem Kostenfestsetzungsverfahren
pp.
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Landgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 19. Juni 2023 beschlossen:

Tenor:

Die am 19. August 2022 beim Landgericht Hannover eingegangene sofortige Beschwerde des Beklagten zu 1 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss Nr. 1 vom 16. August 2022 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte zu 1 hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Kläger sind Investoren aus dem Aus- und Inland und haben als geschädigte

Anleger mit ihrer Klage Rückzahlungs- und Schadensersatzansprüche gegen verschiedene Beklagte verfolgt.

Die Kläger zu 4 und 5 haben die Beklagte zu 3 auf Zahlung in Anspruch genommen. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Beklagte zu 3 nicht Vertragspartnerin der Kläger zu 4 und 5 war, haben diese ihre Klage gegen die Beklagte zu 3 zurückgenommen und im Wege der Klagerweiterung die Beklagte zu 5 auf Zahlung in Anspruch genommen.

Das Landgericht hat Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 18. März 2021 anberaumt. Zuvor war über das Vermögen der A. GmbH mit Beschluss des Amtsgerichts B. vom 15. Oktober 2020 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das Landgericht hatte insoweit mit Beschluss vom 17. November 2020 die Unterbrechung des Verfahrens festgestellt.

Mit dem am 4. Mai 2021 verkündeten Teil- und Versäumnisurteil, berichtigt durch Beschluss vom 4. Juni 2021, ist

- der Beklagte zu 2 zur Zahlung an den Kläger zu 3,

- die Beklagte zu 4 zur Zahlung an die Kläger zu 6 und 7 und

- die Beklagte zu 5 zur Zahlung an die Kläger zu 4 und 5

verurteilt worden.

Das Landgericht hat in diesem Urteil die Kosten der Beklagten zu 3 den Klägern zu 4 und 5 auferlegt und die "weitergehende Kostenentscheidung" dem Schlussurteil vorbehalten. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass eine weitergehende Kostenentscheidung derzeit nicht getroffen werden könne, weil lediglich eine Teilentscheidung ergangen sei.

Mit Schriftsatz vom 24. Juni 2021 haben die Kläger die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die Beklagte zu 1 erklärt und die Stellung von Feststellungsanträgen (u.a. Feststellung zur Insolvenztabelle) angekündigt.

Mit Schlussurteil vom 23. November 2021, berichtigt mit Beschluss vom 3. Januar 2022, hat die Einzelrichterin der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover den noch gestellten Feststellungsanträgen entsprochen und ausgesprochen, dass die weiteren Kosten des Rechtsstreits von den Beklagten zu 1, 2, 4 und 5 als Gesamtschuldner zu tragen seien.

Zur Begründung der Kostenentscheidung hat die Einzelrichterin wie folgt ausgeführt:

"Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 101 ZPO, weil die Kläger in dem Teil- und Versäumnisurteil vom 04.05.2021 hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten teilweise unterlegen sind, die sich jedoch als Nebenforderungen gemäß § 4 Abs. 1 ZPO auf den Streitwert und damit auf die Kosten nicht auswirken.

Auch der Parteiwechsel auf Beklagtenseite hat die Höhe der Kosten nicht verändert.

Die Klagrücknahme hinsichtlich der abgesonderten Befriedigung, soweit Grundschulden bestellt worden sind, führt nicht zu einer anteiligen Kostenlast der Kläger. Soweit sich die hierzu schriftsätzlich angekündigten Anträge überhaupt streitwerterhöhend ausgewirkt hätten, wovon das Gericht nicht ausgeht, obläge die Kostenlast der Schuldnerin, weil die vertraglich vereinbarte Besicherung der Anlagen durch Bestellung von Grundschulden wohl nicht erfolgt ist und die seinerzeit Beklagte zu 1 ihre hierauf gerichteten Vertragspflichten entweder nicht erfüllt oder die Anleger nicht entsprechend durch Übersendung der Eintragungsmitteilung der Grundbuchämter informiert hat. Da auch der Insolvenzverwalter keine Auskunft über die Bestellung von Grundschulden erteilen konnte, kommt die Kostentragungspflicht der Kläger insoweit nicht in Betracht, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO."

Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2021 haben die Kläger die Festsetzung von insgesamt 11.589,89 € zuzüglich verauslagter Gerichtskosten beantragt (Blatt 368 der Akte). Hiervon entfällt ein Betrag in Höhe von 2.703,60 € auf eine 1,2-Terminsgebühr gemäß 3104 VV RVG nach einem Wert von 260.000 €.

Die Berufung des Beklagten zu 1 gegen das am 23. November 2021 verkündete Schlussurteil der Einzelrichterin der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 3. Januar 2022 ist durch einstimmigen Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 26. April 2022 zurückgewiesen worden.

Sodann hat die Rechtspflegerin mit Kostenfestsetzungsbeschluss Nr. 1 vom 16. August 2022 die aufgrund des vorläufig vollstreckbaren Urteils des Landgerichts Hannover vom 23. November 2021 in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 3. April 2022 von den Beklagten als Gesamtschuldner an die Kläger zu erstattenden Kosten auf einen Betrag in Höhe von 17.901,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. Dezember 2021 festgesetzt (Blatt 508f. d.A.).

Gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss hat der Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. GmbH sofortige Beschwerde eingelegt, welche er damit begründet hat, dass der in Ansatz gebrachte Streitwert in Höhe von 260.000,- € unzutreffend sei (Blatt 526 der Akte).

Die Einzelrichterin der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover hat daraufhin den Streitwert mit Beschluss vom 21. November 2022 auf 13.000,- € festgesetzt (Blatt 556f. d.A.). Nachdem die Kläger mit Schriftsatz vom 25. November 2022 gegen diesen Beschluss Streitwertbeschwerde eingelegt haben (Bl. 565 d.A.), hat die Einzelrichterin nach Erteilung eines Hinweises (Bl. 578 d.A.) mit Beschluss vom 22. Februar 2023 ihren Beschluss abgeändert und den Streitwert auf 260.000 € bis zum Eingang des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegenüber des Beklagten zu 1 am 24. Juni 2022 und seitdem gemäß § 182 InsO auf 13.000 € festgesetzt (Bl. 587 d.A.).

Sodann hat der Insolvenzverwalter mit Schriftsatz vom 11. April 2023 (Bl. 593 d.A.) geltend gemacht, dass die Terminsgebühr für den Termin am 18. März 2021 nicht zulasten des hiesigen Beklagten entstanden sein könne, weil der Rechtsstreit zu diesem Zeitpunkt gemäß § 240 ZPO unterbrochen gewesen und die Wiederaufnahme des Verfahrens erst am 23. Juli 2021 erfolgt sei (Blatt 593 der Akte).

Mit Schriftsatz vom 13. April 2023 hat der Insolvenzverwalter des Weiteren darauf hingewiesen, dass dem hiesigen Beklagten die Kosten nicht ohne Einschränkungen auferlegt worden seien. Ausweislich des Urteils vom 23. November 2021 seien dem Beklagten lediglich die weiteren Kosten, also die Kosten, die nach dem Teil- und Versäumnisurteil vom 4. Mai 2021 entstanden seien, auferlegt worden. Nach dem 4. Mai 2021 sei am 3. November 2021 eine Terminsgebühr entstanden, für die nach dem Beschluss des Gerichts vom 23. Februar 2023 der Streitwert (nur) 13.000,- € betragen habe (Blatt 596 der Akte).

Die Rechtspflegerin hat sodann mit Schreiben vom 19. April 2023 darauf hingewiesen, dass sich die Formulierung im Urteil "die weiteren Kosten" ihres Erachtens nach auf sämtliche vorher noch nicht aufgelegte Kosten und nicht lediglich alle ab Erlass des Teil- und Versäumnisurteils vom 4. Mai 2021 entstandenen Kosten beziehe. Zuvor sei lediglich über die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3 entschieden worden und über keine weiteren Kosten. Die weiteren Kosten seien daher sämtliche Kosten, die nicht die Kosten der Beklagten zu 3 bis zum Erlass des Teil- Versäumnisurteils seien (Blatt 597 der Akte). Diesem Hinweis ist der Insolvenzverwalter unter Hinweis auf Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und die Vorschrift des § 100 Abs. 3 ZPO entgegengetreten und hat die Auffassung vertreten, dass eine Korrektur der Kostenentscheidung im Wege der Auslegung zu erfolgen habe.

Die Rechtspflegerin hat sodann mit Beschluss vom 16. Mai 2023 der sofortigen Beschwerde des Insolvenzverwalters nicht abgeholfen. Zur Begründung hat die Rechtspflegerin ausgeführt, dass eine Auslegung dahingehend, dass mit den "weiteren Kosten" lediglich die nach Erlass des Teil- und Versäumnisurteils vom 4. Mai 2021 entstandenen Kosten gemeint sein sollen, hier nicht angebracht erscheine. Ohne weitere Einschränkung seien die "weiteren Kosten" alle Kosten, über die bislang noch nicht entschieden worden sei. Zuvor sei lediglich über die außergerichtlichen Kosten der (ehemaligen) Beklagten zu 3 entschieden worden (Blatt 608ff. d.A.).

II.

Die gem. § 11 Abs. 1 RpflG i. V. m. §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Beklagten zu 1 ist nicht begründet.

Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss ist jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden.

1. Eine Anwendung von § 100 Abs. 3 ZPO kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

Gemäß § 100 Abs. 3 ZPO haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten, dass ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht hat. Dieser Vorschrift erfasst mithin nur Angriffs- oder Verteidigungsmittel eines Streitgenossen im Sinne von § 146 bzw. 282 ZPO. Sie erfasst beispielsweise Fälle, in denen einer von mehreren Beklagten durch seine Verteidigungsanzeige ein besonderes Verteidigungsmittel geltend gemacht hat, welches zur Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung und der Entstehung der Erörterungsgebühr geführt hat (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. April 1993 - 9 W 46/93 -, Rn. 10, juris).

Vorliegend geht es aber nicht um ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel eines Streitgenossen. Es geht vielmehr um eine unterschiedliche Beteiligung der Streitgenossen im Sinne von § 100 Abs. 2 ZPO. Diese Vorschrift erfasst Fälle, in denen die Streitgenossen entweder unterschiedlich am Streitgegenstand oder unterschiedlich am Verfahren beteiligt sind. Eine erheblich verschiedene Beteiligung am Verfahren liegt dann vor, wenn nicht wegen aller Streitgenossen eine mündliche Verhandlung oder eine Beweisaufnahme erforderlich ist (siehe Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 100 Rn. 3; aA BeckOK ZPO/Jaspersen ZPO § 100 Rn. 8, wonach § 100 Abs. 3 ZPO einschlägig sein soll). Hierzu bedarf es aber einer ausdrücklichen Anordnung im Tenor der Entscheidung (Flockenhaus, aaO), die indessen fehlt.

2. Selbst wenn aber entgegen der Auffassung des Senates angenommen würde, dass § 100 Abs. 3 ZPO vorliegend anwendbar wäre, wäre eine andere Beurteilung nicht gerechtfertigt.

Der Insolvenzverwalter über das Vermögen der vormaligen Beklagten zu 1 weist zwar zutreffend darauf hin, dass in der Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte in Fällen typischer Fallgestaltungen eine Auslegungskorrektur im Kostenfestsetzungsverfahren erfolgen kann (siehe zum Beispiel Kammergericht Berlin, Beschluss vom 18. Dezember 2001, Az.: 1 W 445/01, zitiert nach juris Rn. 13 sowie Kammergericht Berlin, Beschluss vom 19. Oktober 2011, Az.: 5 W 220/11 und 5 W 221/11, zitiert nach juris Rn. 13) und diese Rechtsprechung auch Fälle erfassen soll, in denen es an einer Entscheidung nach § 100 Abs. 3 ZPO fehlt (vergleiche Göertz, in: Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl., § 100 Rn. 33).

Ungeachtet der Frage, ob im vorliegenden Fall überhaupt von einer typischen Fallgestaltung gesprochen werden kann, teilt der Senat allerdings nicht die Auffassung, dass auch bei einer fehlenden bzw. unterlassenen Entscheidung nach § 100 Abs. 3 ZPO eine Korrektur im Kostenfestsetzungsverfahren statthaft ist.

Er folgt vielmehr derjenigen Auffassung, die eine Korrektur durch den Rechtspfleger bei Unterlassen einer (gebotenen) Entscheidung nach § 100 Abs. 3 ZPO für unzulässig hält (Flockenhaus, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 100 Rn. 4). Denn die gebotene Korrektur hat in diesen Fällen ausschließlich im Verfahren nach § 321 ZPO zu erfolgen, für das ausschließlich der Richter, nicht aber der Rechtspfleger zuständig ist (Flockenhaus, aaO). Der Senat verweist auf die überzeugenden Ausführungen des Oberlandesgerichts Koblenz in seinem Beschluss vom 16. Dezember 1991 (Az.: 14 W 698/91), wonach die Entscheidung des Rechtspflegers nicht zu einer materiell-rechtlichen Korrektur der Kostengrundentscheidung führen darf (aaO, zitiert nach juris Rn. 5).

III.

Die Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde folgt aus § 574 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 574 Abs. 2 ZPO. Die Sache hat nicht nur grundsätzliche Bedeutung, sondern eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.