Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 29.10.2002, Az.: 5 A 49/02

Streit über den Umfang der Gewährung von elternunanhängigem BAföG; Zulässigkeit einer Grundlagenentscheidung im Fall elternunabhängiger Ausbildungsförderung; Planungssicherheit des Auszubildenden als Zweck einer Grundlagenentscheidung; Berücksichtigungsfähigkeit von Änderungen der Sachlage und Rechtslage; Kriterien für die Annahme des Fehlens eines Rechtsschutzbedürfnisses; Voraussetzungen für die Gewährung elternunabhängiger Ausbildungsförderung; Rechtliche Einordnung der Kindererziehung als Erwerbstätigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
29.10.2002
Aktenzeichen
5 A 49/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 31040
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2002:1029.5A49.02.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 23.10.2003 - AZ: 12 LC 4/03
BVerwG - 21.04.2004 - AZ: BVerwG 5 B 3.04; (5 PKH 4.04)
BVerwG - 21.04.2004 - AZ: BVerwG 5 PKH 4.04; (5 B 3.04)

Fundstelle

  • FamRZ 2003, 1788-1792 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Ausbildungs- und Studienförderungsrecht

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - 5. Kammer -
ohne mündliche Verhandlung am 29. Oktober 2002
durch
die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Schlingmann-Wendenburg,
den Richter am Verwaltungsgericht von Krosigk,
den Richter am Verwaltungsgericht Kurbjuhn, sowie
die ehrenamtlichen Richter A. und V.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die am 1971 geborene Klägerin begehrt eine Entscheidung darüber, ob sie für ihr Studium Leistungen nach dem BAföG gemäß § 11 BAföG nur in Abhängigkeit vom Einkommen der Eltern oder elternunabhängig erhalten kann. Im Wesentlichen geht es dabei um die Frage, ob die Zeiten, in denen die Klägerin neben ihrer Ausbildung ihre beiden Kinder erzogen hat, als Zeiten der unterhaltssichernden Erwerbstätigkeit im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 BAföG mit der Folge ihrer elternunabhängigen Förderung anerkannt werden können.

2

Nachdem die Klägerin im Mai 1990 das Abitur gemacht hatte, gestaltete sich ihr weiterer Berufs- und Lebensweg wie folgt: Vom September 1990 bis Ende Januar 1991 leistete sie ein sogenanntes "freiwilliges soziales Jahr" bei der Arbeiterwohlfahrt in Norderstedt ab. Vom 18. März bis zum 12. April 1991 und vom 6. August bis zum 19. September 1991 arbeitete sie als Aushilfe (38,5 Wochenstunden) im Kaufhaus Hertie in Norderstedt. Am 1992 wurde ihre Tochter geboren. Beginnend ab dem 1. Oktober 1992 bis zum Ende März 1994 war die Klägerin an der Pädagogischen Hochschule Kiel in dem Lehramtsstudiengang für Grund- und Hauptschulen eingeschrieben. Nebenbei arbeitete sie Anfang Januar 1993 für vier Tage als Inventaraushilfe bei der Firma Allkauf in Henstedt-Ulzburg und vom Mitte März bis Jahresende 1993 sowie 1994 bei der Firma Mc Donalds ebenda. Vom 31. August 1994 bis zum 31. Juli 1996 nahm die Klägerin am schulischen Teil der Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin an der Fachschule für Sozialpädagogik in Kiel teil. Anschließend arbeitete sie 19,5 Wochenstunden im Rahmen des für die Ausbildung als Erzieherin erforderlichen Berufspraktikum beim Jugendaufbauwerk in , und zwar vom 1.8.1996 bis zum bis zum 31.7.1997. Am 1998 wurde ihr Sohn geboren. Zum 1. Oktober 1999 nahm die Klägerin an der Universität Lüneburg den Dipl.-Studiengang Sozialpädagogik auf, wechselte jedoch ab Oktober 2000 an die Fachhochschule Nordost-Niedersachsen in Lüneburg, wo sie nach Aktenlage nunmehr im Studiengang "Sozialwesen" eingeschrieben ist.

3

Für den Zeitraum Oktober 1999 bis Januar 2000 bewilligte das Studentenwerk Braunschweig im Auftrag der Beklagten der Klägerin eine pauschalierte Abschlagszahlung nach dem BAföG; wegen der Einzelheiten wird auf diesen Bescheid (Bl. 96 der Beiakte) Bezug genommen. Soweit erkennbar, wurde dieser Bescheid dann mit Bescheid vom 31. Januar 2001 für den Bewilligungszeitraum von Oktober 1999 bis September 2000 ersetzt (vgl. Bl. 151 der Beiakte). Ausgegangen wurde dabei von einem monatlichen Gesamtbedarf der Klägerin in Höhe von 955,-- DM. Angerechnet wurde hierauf ein Einkommen ihrer Eltern in Höhe von 540,33 DM. Da die Eltern der Klägerin ihr nach eigenen Angaben in diesem Zeitraum mietfrei ein Haus zum Wohnen für sich, ihre Kinder und ihren Lebenspartner zur Verfügung stellten und zusätzlich die Steuern und Versicherung für ihr Auto übernahmen, wertete dies die Beklagte als erbrachte Unterhaltsleistung im Wert von 465,99 DM. In Höhe des Unterschiedsbetrages zu der angerechneten Summe von 540,33 DM - also 74,34 DM - wurden der Klägerin Vorausleistungen gemäß § 36 BAföG erbracht.

4

Neben diesen "Einzelbewilligungsbescheiden" erging im Auftrag der Beklagten unter dem Datum des 11.4.2001 (vgl. Bl. 161 Beiakte) der hier streitige "Grundlagenbescheid", mit dem eine elternunabhängige Förderung der Klägerin abgelehnt wurde. Die dazu erforderlichen Voraussetzungen der vorliegend allein in Betracht kommenden Nummern 3-5 des § 11 Abs. 3 BAföG seien nicht gegeben: Nr. 5 (a.F.) begünstige nur diejenigen Auszubildenden, deren Ausbildungsabschnitt vor dem 1. Juli 1990 begonnen habe. Die Klägerin habe ihren hier maßgebenden Ausbildungsabschnitt aber erst danach, nämlich am 1. Oktober 1999 begonnen. Eine elternunabhängige Förderung nach Nr. 4 setze eine 3-jährige Erwerbstätigkeit nach einer vorhergehenden 3-jährigen Ausbildung, zusammengenommen also mindestens 6 Jahre voraus, wobei die Erwerbstätigkeit sich an die Berufsausbildung anschließen müsse. Vorliegend habe die Klägerin ihre 3-jährige Ausbildung zur staatlich anerkannten Erziehung mit dem Berufspraktikum erst Ende Juli 1997 abgeschlossen. Selbst bei Anrechnung der sich anschließenden Kindererziehungszeiten vom 1. August 1997 bis 30.9.1999 habe sie somit maximal 2 Jahre und 2 Monate "gearbeitet". Dies sei nicht ausreichend. Schließlich setze die elternunabhängige Förderung nach § 11 Abs. Satz 1 Nr. 3, Satz 2 BAföG eine 5-jährige, den Lebensunterhalt sichernde Erwerbstätigkeit voraus. Selbst unter Einbeziehung der Kindererziehungszeiten gemäß Ziffer 11.3.6. Satz 5 der Verwaltungsvorschriften zum BAföG (nunmehr i.d.F. v. 20.12.2001, GMBl. 2001, S. 1143, 1152; danach gilt: Die Haushaltsführung eines Elternteils, der zumindest ein Kind ... unter zehn Jahren ... im eigenen Haushalt zu versorgen hat, gilt als den Lebensunterhalt sichernde Erwerbstätigkeit) sei die Klägerin maximal vier, nicht aber fünf Jahre erwerbstätig gewesen. Berücksichtigungsfähig seien das freiwillige soziale "Jahr" von 1990 bis 1991, die Aushilfstätigkeiten bei Hertie im Jahre 1991 sowie die Kindererziehungszeiten vom Januar bis September 1992, vom April 1994 bis August 1994 und schließlich vom August 1997 bis zum September 1999. Die Aushilfstätigkeit bei Allkauf für 4 Tage sei wegen der Kurzfristigkeit nicht als Erwerbstätigkeit berücksichtigungsfähig. Gleiches gelte für die Teilzeittätigkeit bei Mc Donalds in den Jahren 1993 und 1994. Der dadurch erzielte durchschnittliche Bruttomonatslohn von 802,-- DM sei nicht lebensunterhaltssichernd gewesen. Das einjährige Berufspraktikum von 1996 bis 1997 sei Bestandteil der Ausbildung und könne deshalb nach Sinn und Zweck des BAföG nicht gleichzeitig als Erwerbstätigkeit anerkannt werden.

5

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 30.4.2001 (Bl. 173, Beiakte) Widerspruch ein. Diesen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3.1.2002, zugestellt am 8.1.2002 (vgl. Bl. 14 der Gerichtsakte), zurück. Zur Begründung wurde über die Ausführungen im angefochtenen Bescheid hinaus dargelegt, dass die Klägerin selbst unter Berücksichtigung ihrer Tätigkeiten bei der Firma Allkauf und der Firma Mc Donalds allenfalls aufgerundet 57 Monate Zeiten der Erwerbstätigkeit vorweisen könne, nicht aber die erforderlichen 60 Monate. Die Erziehungszeiten für die Tochter während des Zeitraums, in der die Klägerin ihr Berufspraktikum absolviert habe, könnten nicht berücksichtigt werden, da das Berufspraktikum Bestandteil der Ausbildung zur Erzieherin gewesen sei und sich die gleichzeitige Anerkennung von Ausbildungs- und Erwerbstätigkeitszeiten ausschlösse.

6

Während des Verwaltungsverfahrens über die Frage, ob die Klägerin elternunabhängig BAföG für ihr Studium an der Universität Lüneburg erhalten kann, gab die Klägerin dieses Studium jedoch auf und immatrikulierte sich stattdessen an der Fachhochschule Nordost-Niedersachsen - gleichfalls in Lüneburg - im Studiengang Sozialwesen. Die Beklagte sieht dies als Fachrichtungswechsel an. Denn somit für die Förderung dieses Studiums an der Fachhochschule notwendigen wichtigen Grund i.S.d. § 7 Abs. 3 BAföG verneinte sie mit Bescheid vom 23. Januar 2002 (vgl. Bl. 248 ff. Beiakte). Dieser Bescheid wurde (vgl. Bl. 75 der Gerichtsakte) an die Klägerin persönlich zugestellt, die dagegen keinen Widerspruch einlegte. Der Bevollmächtigte der Klägerin ist hierüber mit Schreiben der Beklagten vom 30.09.2002 informiert worden; er hat mit Schreiben vom 28.10.2002 Widerspruch eingelegt (vgl. Bl. 116 f der Gerichtsakte).

7

Gegen die Ablehnung der elternunabhängigen Förderung beschritt die Klägerin am 4. Februar 2002 den Verwaltungsrechtsweg. Sie erfülle die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Nr. 3 BAföG für eine elternunabhängige Förderung, insbesondere die dafür erforderliche 5-jährige Erwerbstätigkeit. Dies ergebe sich schon aus den gemäß Ziffer 11.3.6. Satz 5 BAföGVwV anrechenbaren Kindererziehungszeiten. So habe die Klägerin ihr Studium an der Pädagogischen Hochschule in Kiel nur in Teilzeit betrieben. Die daneben erfolgte Erziehung ihrer Tochter sei anzurechnen, so dass die Klägerin schon deshalb mehr als die erforderlichen 5 Jahre aufweise, wenn man insoweit die Erziehungszeiten ohne Abzug in dem Umfang von weiteren 18 Monaten berücksichtige. Berücksichtige man wegen des daneben betriebenen Studiums lediglich "Teilzeiterziehungszeiten" im Umfang der Hälfte, so ergebe sich ein Zuschlag von 9 Monaten. Darauf, ob es sich bei Kindererziehungszeiten um eine lebensunterhaltssichernde Erwerbstätigkeit gehandelt habe, komme es nach den o.a. Verwaltungsvorschriften zum BAföG sowie der Begründung zum Regierungsentwurf nicht an. Weiterhin müssten Kindererziehungszeiten der Klägerin während der Zeit ihres Anerkennungsjahres vom August 1996 bis Ende Juli 1997 berücksichtigt werden, da die Klägerin das Anerkennungsjahr (ebenfalls) lediglich in Teilzeit absolviert habe. Selbst wenn man insoweit für die Teilzeitkindererziehung nur 6 Monate berücksichtige, sei damit der notwendige Zeitraum von 5 Jahren Erwerbstätigkeit erreicht. Wegen der weiteren Einzelheiten der Klagebegründung wird auf den Schriftsatz vom 28.3.2002 (Bl. 27 ff der Gerichtsakte) hingewiesen.

8

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2001 i.d.F. ihres Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2002 aufzuheben und "ihr elternunabhängiges BAföG zu bewilligen."

9

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Zur Begründung wird in der Klageerwiderung vom 23. Mai 2002 (Bl. 74 ff Gerichtsakte), auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, im Kern ausgeführt, dass die Klage nur bei Berücksichtigung weiterer (Teilzeit)Kindererziehungszeiten Erfolg haben könne. Die Berücksichtigungsfähigkeit von Kindererziehungszeiten ergebe sich zwar nicht (unmittelbar) aus dem Gesetz, aber aus der Begründung zu dem Regierungsentwurf des 2. BAföG-Änderungsgesetzes sowie der darauf beruhenden Ziffer 11.3.6 Satz 5 BAföGVwV. Diese Verwaltungsvorschriften mögen im Hinblick auf §§ 31, 37 SGB I auf Bedenken stoßen, seien aber jedenfalls für die Beklagte verbindlich. Die dahinterstehende "Fiktion" beruhe auf der Überlegung, dass bei der als Regelfall anzusehenden Haushaltsführungsehe derjenige Elternteil, der den Haushalt führe, dies gleichsam berufsmäßig und somit als Erwerbstätigkeit tue. Weiterhin könne man davon ausgehen, dass dadurch regelmäßig der Lebensunterhalt gesichert werde, nämlich durch den anderen Elternteil. Berücksichtigt werden könnten jedoch insoweit lediglich Zeiten der alleinigen, nicht auch der sogenannten "Teilzeit"-Kinderbetreuung, hier also während der Immatrikulation der Klägerin an der PH Kiel sowie während ihrer Ausbildung zur Erzieherin. Im Übrigen müsse selbst bei einer grundsätzlichen Anerkennung von Teilzeiterziehungszeiten zumindest substantiiert dargelegt werden, inwieweit eine solche Kinderbetreuung in "Teilzeit" neben der Ausbildung stattgefunden habe. Hieran mangele es vorliegend.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Die Klage ist dahingehend zu verstehen, dass die Klägerin eine Entscheidung (dem Grunde nach) über die Frage begehrt, ob ihr für den im Oktober 1999 begonnenen gesamten Ausbildungsabschnitt elternunabhängiges BAföG zusteht. Dies ergibt sich aus den folgenden Überlegungen:

13

In welcher Form über einen Antrag auf Leistungen von Ausbildungsförderung nach dem BAföG zu entscheiden ist, ist in §§ 46, 50 BAföG geregelt. Grundsätzlich ist danach gemäß § 46 Abs. 1, § 50 BAföG schriftlich über die Höhe der Förderung für ein Jahr zu entscheiden. § 46 Abs. 5 BAföG i.V.m. § 50 BAföG regelt darüber hinaus die Fälle, in denen nicht abschließend über die Förderung in einer bestimmten Höhe für ein Jahr entschieden wird, sondern über bestimmte Voraussetzungen der Gewährung von Ausbildungsförderung dem Grunde nach - wie hier begehrt - für den gesamten Ausbildungsabschnitt zu entscheiden ist. Eine solche "Grundlagenentscheidung" ist allerdings für die hier streitige Frage der elternunabhängigen Förderung gemäß § 11 Abs. 3 BAföG in § 46 Abs. 5 BAföG nicht ausdrücklich vorgesehen. Dementsprechend war in der obergerichtlichen Rechtsprechung zunächst umstritten, ob über diese Frage vorab durch einen Grundlagenbescheid entschieden werden kann (vgl. die Entscheidungen des VGH Kassel vom 22.3.1988 - 9 UE 1658/84 - (bejahend) sowie des OVG Berlin vom 15.2.1982 - 7 S 3.82 - (verneinend); Leitsätze, jeweils zitiert nach [...]). Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch in seinem Urteil vom 23.2.1994 (- 11 C 55.92 - Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 110) eine entsprechende Anwendung von § 46 Abs. 5 Satz 1 (dort Nr. 2) BAföG für Vorabentscheidungen als feststellende Verwaltungsakte, die grundlegende Fragen des Ausbildungsförderungsverhältnisses, die für einen Ausbildungsabschnitt nur einheitlich beantwortet werden können, vorab mit Bindungswirkung für in der Regel den gesamten Ausbildungsabschnitt regeln, für zulässig gehalten. Begründet wurde dies mit dem berechtigten Interesse des Auszubildenden an der Planbarkeit seines Ausbildungsvorhabens sowie dem Interesse der Förderungsverwaltung, grundlegende Fragen des Verhältnisses nicht für jeden Bewilligungszeitraum, der in der Regel nur ein Jahr beträgt (§ 50 Abs. 3 BAföG), erneut entscheiden und vertreten zu müssen.

14

Dies gilt nach Ansicht der Kammer auch für die vorliegende Fallgestaltung, in der beiderseits ein Interesse daran besteht, zu klären, ob "das" Studium der Klägerin nach dem BAföG nun elternunabhängig zu finanzieren ist oder nicht. Da die Klägerin im Oktober 2000 nur die Fachrichtung (vgl. zur Abgrenzung zu der bloßen "Schwerpunktverlagerung" Ziffer 7.3.4 BAföGVwV), nicht aber den Ausbildungsabschnitt (vgl. zu diesem Begriff das Urteil des BVerwG v. 22.2.1995 - 11 C 6/94 - BVerwGE 98, 50 ff) gewechselt hat und die Vorabentscheidung den gesamten Ausbildungsabschnitt umfasst, bezieht sich die demnach zulässige, hier streitige Grundlagenentscheidung auch auf die Förderung ihres an der Fachhochschule Nordost-Niedersachsen fortgesetzten Studiums.

15

Die so verstandene Klage ist zwar zulässig (1.), aber nicht begründet (2.).

16

1.

a)

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 1.10.1998 - 5 C 31.97 - Buchholz 436.36 § 46 BAföG Nr. 19) können bei rechtzeitiger Antragstellung für eine Vorabentscheidung dem Grunde nach (§ 46 Abs. 5 BAföG) Änderungen der Sach- und Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Anspruchsgewährleistung jedenfalls dann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sie nach Beginn des Ausbildungsabschnitts eintreten, für den die Vorabentscheidung begehrt wird.

17

Vorliegend hat die Klägerin nach Aktenlage (vgl. Bl. 61, 83 der Beiakte) bereits vor Beginn ihres Studiums an der Universität Lüneburg um eine Vorabentscheidung auch über die Frage gebeten, ob ihr elternunabhängig BAföG gewährt wird oder nicht. Deshalb bleiben unter dem Gesichtspunkt der Effektivität der Anspruchsgewährleistung danach eintretende Änderungen der Sach- und Rechtslage unberücksichtigt.

18

Dies gilt zunächst für die Tatsache, dass eine solche Vorabentscheidung nach ihrem Sinn und Zweck eigentlich nur während, nicht aber - wie hier bezogen auf das Studium an der Universität Lüneburg - nach Ende des Studiums ergehen kann und gleiches für die gerichtliche Entscheidung gilt.

19

Ebenso wenig steht einer sachlichen Entscheidung danach entgegen, dass das Studium an der Universität Lüneburg, über dessen Förderung dem Grunde nach noch mit zu entscheiden ist, von der Klägerin heute nicht mehr fortgeführt wird. Anders als bei der Überschreitung der Förderungshöchstdauer (vgl. dazu Beschluss der Kammer v. 19.8.2002 - 5 B 206/02 - m.w.N) reicht insoweit die von der Beklagten zu Beginn des Studiums bejahte Eignung der Klägerin im Sinne des § 9 BAföG aus; die weitere tatsächliche Studienentwicklung wird nicht (anspruchsvernichtend) berücksichtigt (vgl. Beschluss des OVG Münster v. 6.9.1995 - 16 A 5895/94 - [...]).

20

b)

Für diese Klage besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Das Rechtsschutzbedürfnis ist grundsätzlich gegeben, es sei denn, der Betroffene kann auch im Falle seines Obsiegens seine Rechtstellung nicht verbessern.

21

Dies könnte hier allerdings dann der Fall sein, wenn die Klägerin auch im Falle des Obsiegens keine weitergehenden BAföG-Leistungen erhielte, weil dem die Bestandskraft (ablehnender) Bescheide entgegenstünde. Das trifft aber nicht zu:

22

aa)

Nach dem Bewilligungsbescheid vom 31.1.2001 ist ihr für den hier u.a. streitigen Zeitraum vom Oktober 1999 bis September 2000 zwar nur elternabhängig BAföG bewilligt worden ist. Dieser Bescheid enthält (vgl. Bl. 150 Beiakte) einen Vorbehalt. Dieser Vorbehalt bezieht sich allerdings dem Wortlaut nach nicht auf die Grundlagenentscheidung über die Rechtmäßigkeit der elternabhängigen Forderung, sondern auf einen Vorbehalt der Rückforderung, weil die für die erfolgte Einkommensanrechnung maßgebenden Steuergrundlagen der Eltern noch nicht vorlagen. Nach Sinn und Zweck ist dieser Vorbehalt aber dahingehend zu erweitern, dass die Entscheidung über die elternabhängige Förderung im Bescheid vom 31.1.2001 im Erfolgsfalle dieser Klage aufgehoben würde und deshalb ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage besteht. Denn für beide Parteien dieses Rechtsstreits war klar, dass über die Frage der elternunabhängigen Förderung gesondert durch den Grundlagenbescheid entschieden werden sollte. Dies macht aber nur dann Sinn, wenn der Bewilligungsbescheid v. 31.1.2001 auch an das Ergebnis der Prüfung im Grundlagenbescheid angepasst wird.

23

Die Klägerin hat auch weiterhin ein Interesse daran, dass diese Frage geklärt wird. Denn die elternabhängige Förderung ist trotz der dem Grunde nach bewilligten Vorausleistung nach § 36 BAföG nicht nur "auf dem Papier" erfolgt, sondern wegen der Anrechnung der als Naturalunterhalt angesehenen elterlichen Leistungen (Wohnung, Auto) überwiegend (mit Ausnahme des nach § 36 BAföG voraus geleisteten Betrages in Höhe von 74,34 DM) tatsächlich von dem ihr dem Grunde nach zustehenden Bewilligungsbetrag abgezogen worden.

24

bb)

Für den Zeitraum ab Oktober 2000 besteht gleichfalls ein Rechtsschutzbedürfnis. Zwar ist gegenüber der Klägerin insoweit mit (weiteren) Grundlagenbescheid vom 23.1.2002 eine Förderung mit der Begründung abgelehnt worden, sie habe für den erfolgten Fachrichtungswechsel keinen wichtigen Grund i.S.d. § 7 Abs. 3 BAföG gehabt. Dieser Bescheid ist aber noch nicht bestandskräftig; der Bevollmächtigte der Klägerin hat dagegen Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden worden ist.

25

2.

Die demnach zulässige Klage ist jedoch nicht begründet, da der Klägerin für den im Oktober 1999 begonnenen Ausbildungsabschnitt kein Anspruch auf elternunabhängige Förderung nach dem BAföG zusteht.

26

a)

Ein solcher Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus der von der Klägerin angeführten "mündlichen Mitteilung einer Sachbearbeiterin des Studentenwerkes, sie erfülle die Voraussetzungen für eine elternunabhängige Förderung". Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BAföG ist die Entscheidung über eine Förderung nach diesem Gesetz dem Antragsteller nämlich schriftlich mitzuteilen. Eine Zusicherung bedarf gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X gleichfalls zu ihrer Wirksamkeit der schriftlichen Form, an der es hier mangelt.

27

b)

Dass die für eine elternunabhängige Förderung erforderlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 4 und 5 a.F. BAföG nicht gegeben sind, ist in dem angefochtenen Bescheid (Bl. 3) zutreffend dargelegt worden. Bedenken hiergegen sind nicht ersichtlich und werden von der Klägerin offenbar auch selbst nicht geltend gemacht, so dass auf diesen Bescheid insoweit Bezug genommen wird.

28

c)

Die Voraussetzungen der danach allein noch in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 11 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 BAföG sind ebenfalls nicht gegeben. Die Klägerin erreicht nicht die dafür nach Vollendung des 18. Lebensjahres erforderlichen fünf Jahre der Erwerbstätigkeit, aus deren Ertrag sie sich selbst unterhalten konnte.

29

Wie zwischen den Parteien zu Recht unstreitig ist, reichen dafür die Zeiten, in denen die Klägerin abhängig beschäftigt war, bei weitem nicht aus. Selbst bei (zweifelhafter) Einbeziehung der Zeiten, in denen sie sich allein der Kindererziehung gewidmet hat, werden die notwendigen fünf Jahre nicht erreicht. Diese fünf Jahre erreicht sie nur dann, wenn ganz oder anteilig diejenigen Zeiten zusätzlich berücksichtigt werden, in denen sie während ihres Studiums an der Hochschule in Kiel bzw. ihrer Ausbildung zur Erzieherin ergänzend ihre Tochter erzogen hat. Für die Berücksichtigung dieser Zeiten gibt es im BAföG jedoch keine hinreichende Grundlage:

30

aa)

Insoweit kann dahinstehen, ob es sich bei der Kindererziehung überhaupt um eine "Erwerbstätigkeit" i.S.d. § 11 Abs. 3 BAföG handelt. Daran bestehen schon nach dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes erhebliche Zweifel, da im Übrigen im BAföG ausdrücklich Sonderregelungen für die Erziehung von Kindern enthalten sind, etwa in § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BAföG, § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG oder § 18 a Abs. 1 Satz 6 Nr. 2 BAföG, und in § 18 Abs. 5 Satz 1 Nrn. 2 und 3 BAföG die Erwerbstätigkeit (Nr. 3) sogar ausdrücklich neben der Kindererziehung (Nr. 2) aufgeführt wird.

31

bb)

Dies kann jedoch letztlich deshalb dahinstehen, weil die hier maßgebenden Kindererziehungszeiten jedenfalls die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 2 BAföG nicht erfüllen. Der Auszubildende muss danach nämlich in der Lage gewesen sein, sich aus dem Ertrag dieser Erwerbstätigkeit selbst zu unterhalten. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann der Fall, wenn nicht nur der laufende Lebensunterhalt gesichert, sondern auch finanzielle Vorsorge gegen die Folgen von Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit getroffen werden konnte; welche Mittel für die Deckung des laufenden Bedarfes erforderlich sind, ist wiederum nach den Maßstäben des Sozialhilferechts zu bestimmen (vgl. Urteile vom 14. Mai 1992 - 5 C 27/89 -, NVwZ 1992, 1204, sowie vom 16.3.1994 - 11 C 19/93 - BVerwGE 95,252 ff.).

32

Hieran gemessen können die streitigen (Teilzeit)Kindererziehungszeiten der Klägerin nicht berücksichtigt werden. Denn selbst wenn man darin eine Erwerbstätigkeit sieht, so hat die Klägerin daraus in den hier zwischen den Beteiligten streitigen Zeiten doch keinen den Lebensunterhalt im Sinne der vorliegenden Ausführungen sichernden Ertrag erzielt. Insoweit kommt allenfalls das Erziehungsgeld in Höhe von (damals) 600 DM für den in den Berechnungen der Beklagten noch nicht berücksichtigten Zeitraum vom Oktober 1992 bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraumes in Betracht, wenn man zu Gunsten der Klägerin - die dies auch auf wiederholte Nachfrage nicht nachgewiesen hat - davon ausgeht, dass sie für ihre im 1992 geborene Tochter in diesem Zeitraum Erziehungsgeld erhalten hat. Mit diesen 600 DM hätte die Klägerin aber bei einem damaligen Regelsatz für einen Haushaltsvorstand von 509 DM in Niedersachsen und Schleswig-Holstein aus den verbleibenden 91 DM ersichtlich nicht ihre Unterkunftskosten und die notwendige finanzielle Vorsorge gegen die Folgen von Krankheit und Arbeitslosigkeit treffen können. Ob die Kosten für diesen Teil ihres Lebensbedarfes damals tatsächlich anderweitig, etwa durch ihre Eltern, gedeckt waren, ist dabei unerheblich, da es für die maßgebende Beurteilung der eigenen finanziellen Selbständigkeit gerade darauf ankommt, dass diese Kosten aus den Erträgen eigener Erwerbstätigkeit sichergestellt waren.

33

cc)

Die in Ziffer 11.3.6 Satz 5 BAföGVwV enthaltene Fiktion, wonach "die Haushaltsführung eines Elternteils, der zumindest ein Kind unter 10 Jahren im eigenen Haushalt zu versorgen hat, als unterhaltssichernde Erwerbstätigkeit gilt", findet somit im Gesetzeswortlaut keine hinreichende Stütze und ist damit für das Gericht unverbindlich (vgl. auch Beschluss des OVG Münster vom 13.11.2000 - 16 E 779/00 - , FamRZ 2001, 1571 f.), und zwar unabhängig davon, ob dies den subjektiven Vorstellungen des Gesetzgebers entsprach. Maßgebend ist der erklärte Wille des Gesetzgebers, hingegen nicht seine subjektiven Vorstellungen, die im Gesetzeswortlaut - wie hier - keinen hinreichenden Ausdruck gefunden haben.

34

Gegen dieses Ergebnis kann nicht eingewandt werden, dass es im Rahmen der Leistungsverwaltung der Verwaltung grundsätzlich erlaubt sei, auch ohne gesetzliche Grundlage weitergehende Leistungen zu erbringen. Dem steht schon der Gesetzesvorbehalt nach §§ 31, 37 SGB I entgegen. Danach dürfen in den Sozialleistungsbereichen des Sozialgesetzbuches, zu denen das BAföG gehört, Rechte nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Hieran mangelt es aber, wie dargelegt.

35

Soweit in der Kommentierung bei Rothe/Blanke, BAföG-Kommentar, § 11 , Ziffer 27.7, die in Ziffer 11.3.6 Satz 5 BAföGVwV enthaltene Fiktion verteidigt wird, handelt es sich um rechtspolitische Überlegungen, nicht aber um eine Begründung für die Annahme, die Kindererziehung sichere den Lebensunterhalt. Dass dadurch gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB die Unterhaltspflicht erfüllt werden kann, ist insoweit unerheblich.

36

dd)

Die so verstandene Regelung in § 11 Abs. 3 Satz 1, 2 BAföG ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei kann hier dahinstehen, inwieweit der Gesetzgeber verpflichtet ist, überhaupt Zeiten der Kindererziehung den Zeiten einer existenzsichernden eigenen Erwerbstätigkeit gleichzustellen. Darauf kommt es deshalb nicht an, weil die Klage nur dann Erfolg haben kann, wenn darüber hinaus auch Zeiten der Kindererziehung neben einer im Übrigen durchgeführten Ausbildung anerkannt werden können. Zumindest letztgenanntes ist verfassungsrechtlich jedoch nicht zwingend (vgl. zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei berufsständischen Versorgungswerken auch Beschluss des Nds. OVG v. 20.2.2002 - 8 L 4299/00 - NdsRpfl. 2002, 272, sowie Urteil des VGH Mannheim v. 26.2.2001 - 9 S 902/00 - hier zit. nach [...]):

37

Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz der Familie) liegt darin nicht. Im Ausgangspunkt kommt als Grund für eine Ungleichbehandlung - hier der lebensunterhaltssichernden Erwerbstätigkeit einerseits, der Kindererziehungszeit andererseits - jede vernünftige Erwägung in Betracht. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich jedoch höhere Anforderungen an den Differenzierungsgrund bis hin zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Eine solche "strenge" Prüfung ist u.a. bei der Unterscheidung zwischen Personengruppen oder bei einem Eingriff in den Schutzbereich des Art. 6 GG geboten (vgl. BVerfGE 78, 128, 130 [BVerfG 26.04.1988 - 1 BvR 1264/87]; 99, 367, 388 [BVerfG 02.03.1999 - 1 BvL 2/91]; 100, 195, 205) [BVerfG 02.02.1999 - 1 BvL 8/97]. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit in seiner Entscheidung zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der Pflegeversicherung allgemein ausgeführt ( v. 3.4.2001 - 1 BvR 1629/94 - BVerfGE 103, 242 ff [BVerfG 03.04.2001 - 1 BvR 1629/94]; NJW 2001, 1712):

" Als Freiheitsrecht verpflichtet Art. 6 Abs. 1 GG den Staat, Eingriffe in die Familie zu unterlassen. Darüber hinaus enthält die Bestimmung eine wertentscheidende Grundsatznorm, die für den Staat die Pflicht begründet, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern (vgl. BVERFGE 87, 1 <35> m.w.N.). Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu regeln (vgl. BVERFGE 71, 255 <271>; stRspr). Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale beim Vergleich von Lebenssachverhalten er als maßgebend ansieht, um sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln (vgl. BVERFGE 50, 57 <77>; stRspr). Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es ihm aber, dabei Art und Ausmaß der tatsächlichen Unterschiede sachwidrig außer Acht zu lassen. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn der Gesetzgeber es versäumt hat, Ungleichheiten der zu ordnenden Lebenssachverhalte zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsdenken orientierten Betrachtungsweise beachtet werden müssen (vgl. BVERFGE 71, 255 <271>). Innerhalb dieser Grenzen ist der Gesetzgeber in seiner Entscheidung frei (vgl. BVERFGE 94, 241 <260>). Allerdings kann sich eine weiter gehende Einschränkung aus anderen Verfassungsnormen ergeben. Insbesondere ist bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Beitragsregelungen, die Personen mit und ohne Kinder gleich behandeln, der besondere Schutz zu beachten, den der Staat nach Art. 6 Abs. 1 GG der Familie schuldet (vgl. BVERFGE 87, 1 <36>).

II. ...

1.
Familien werden durch finanzielle Belastungen, die der Gesetzgeber Bürgern allgemein auferlegt, regelmäßig stärker finanziell betroffen als Kinderlose. Dies hat seinen Grund in der besonderen wirtschaftlichen Belastung von Familien, die sich aus der in Art. 6 Abs. 2 GG vorgegebenen und im Familienrecht im Einzelnen ausgeformten Verantwortung der Eltern für das körperliche und geistige Wohl ihrer Kinder ergibt. So müssen Eltern einerseits für den Unterhalt ihrer Kinder aufkommen, andererseits können ihnen Einkommensverluste oder Betreuungskosten entstehen. Häufig sieht sich ein Ehepartner durch Betreuung und Erziehung der Kinder gehindert, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder eine bisherige Erwerbstätigkeit während der ersten Jahre nach der Geburt von Kindern uneingeschränkt fortzusetzen. Sind beide Elternteile erwerbstätig, entstehen nicht selten erhebliche Kosten durch die von Dritten wahrgenommene Kinderbetreuung. Finanzielle Lasten, die Familien durch Sozialversicherungsbeiträge treffen, beschränken daher ihren Spielraum stärker als die Beitragsverpflichtung von verheirateten oder unverheirateten Personen ohne Kinder.

2.
Der besondere Schutz der Familie, zu dem Art. 6 Abs. 1 GG den Staat verpflichtet, hält den Gesetzgeber aber nicht verfassungsrechtlich an, jede zusätzliche finanzielle Belastung der Familie zu vermeiden. Diese wird nicht dadurch in verfassungswidriger Weise benachteiligt, dass auch von einem erwerbstätigen Elternteil Beiträge für eine Sozialversicherung erhoben werden, die zu einem erheblichen Teil das finanzielle Risiko der Pflegebedürftigkeit für ihn, seine Kinder sowie seinen nicht erwerbstätigen Ehegatten abdeckt und diese zudem noch weithin beitragsfrei stellt (vgl. § 25 SGB XI). Der Staat ist auch nicht durch die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene Pflicht zur Förderung der Familie gehalten, diese Beitragslast auszugleichen (vgl. BVERFGE 23, 258 <264>; 82, 60 <81>; 87, 1 <35>; 97, 332 <349>). Die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen steht unter dem Vorbehalt des Möglichen und im Kontext anderweitiger Fördernotwendigkeiten. Der Gesetzgeber hat im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten. Nur unter Abwägung aller Belange lässt sich ermitteln, ob die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht mehr genügt. Demgemäß lässt sich aus der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Aus dem Verfassungsauftrag, einen wirksamen Familienlastenausgleich zu schaffen, lassen sich konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, nicht ableiten. Insoweit besteht vielmehr grundsätzlich Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (vgl. BVERFGE 87, 1 <35 f.> m.w.N.)." ...

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Hieran gemessen liegt ein hinreichender Grund für die o.a. Unterscheidung vor, die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers wird dadurch nicht überschritten:

39

Wie auf Seite 4 des Widerspruchsbescheides zutreffend ausgeführt worden ist, besteht nach § 1 BAföG grundsätzlich kein Anspruch auf staatliche Ausbildungsförderung, soweit dem Auszubildenden andere Mittel für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen. Hierzu gehören bürgerlich-rechtliche Unterhaltsansprüche des Auszubildenden gegen seine Eltern. Allerdings gilt dieser Grundsatz nicht uneingeschränkt. Das BAföG knüpft nicht unmittelbar an eine elterliche Unterhaltspflicht an, sondern enthält in den §§ 11, 21, 24, 25 BAföG eigenständige Regelungen zu dem anzurechnenden Einkommen der Eltern, das einem Anspruch des Auszubildenden auf Förderung ganz oder teilweise entgegensteht. Mit der Regelung des § 11 Abs. 3 BAföG werden darüber hinaus typisierend Sachverhalte erfasst, in denen regelmäßig davon ausgegangen werden kann, dass im Hinblick auf den Ausbildungsstand des Kindes und/oder sein Lebensalter ein bürgerlich-rechtlicher Ausbildungsunterhaltsanspruch gegen seine Eltern nicht mehr besteht, und der Auszubildende deshalb nach dem BAföG elternunabhängig gefördert wird (vgl. BVerwGE 95, 252, 255) [BVerwG 16.03.1994 - 11 C 19/93]. Dass hierin Zeiten der (Teilzeit-)Kindererziehung nicht als solche einbezogen worden sind, ist nicht zu beanstanden. Die Erziehung eines eigenen Kindes durch einen Auszubildenden schließt nämlich eigene Unterhaltsansprüche gegenüber seinen Eltern nicht aus. Vielmehr verzögert typischerweise die Erziehung eigener Kinder während der Ausbildung den Aufbau einer eigenen existenzsichernden Grundlage. Der Auszubildende muss sich nämlich zumindest neben der Ausbildung, wenn nicht gar vorrangig um die Kindererziehung kümmern. Umgekehrt kann aus der Geburt und der Erziehung eines Kindes nicht darauf geschlossen werden, dass der Auszubildende, der das Kind erzieht, sich bereits eine - Unterhaltsansprüche gegen seine Eltern ausschließende - eigene Lebensgrundlage geschaffen hat. Bei der notwendig typisierenden Betrachtungsweise ist das ein sachlicher und geeigneter Grund, warum Kindererziehungszeiten den Zeiten längerer eigener existenzsichernder Erwerbstätigkeiten nicht gleichgestellt werden. Der Auszubildende wird dadurch nicht unverhältnismäßig belastet. Wenn sich erziehungsbedingt der Beginn seiner Ausbildung verzögert, ist eine Förderung über das 30. Lebensjahr hinaus möglich ist, vgl. § 10 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BAföG sowie dazu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26.11.1999 (- 1 BvR 653/99 - NVwZ 2000, 312 f.). Wird nicht der Beginn der Ausbildung, sondern ihre Dauer durch Kindererziehung verzögert, so rechtfertigt dies eine Förderung über die Höchstdauer hinaus gemäß § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG. In diesem Sinne ist die Regelung in § 11 BAföG konsequent; die Zeiten der Kindererziehung bleiben unberücksichtigt, so dass vom Fortbestand des Unterhaltsanspruches gegenüber den Eltern ausgegangen wird. Im Übrigen ist bei der typisierenden Betrachtung zu berücksichtigen, dass die Regelung in § 11 BAföG eine elternunabhängige Förderung des Betroffenen nur vorläufig ausschließt. Der Auszubildende kann nach § 36 BAföG Vorausleistungen erhalten, wenn die Eltern den angerechneten Unterhaltsbetrag tatsächlich nicht erbringen oder mangels bürgerlich-rechtlicher Verpflichtung dazu nicht verpflichtet sind.

40

Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 188 VwGO abzuweisen; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Der von der Kammer verneinten, streitentscheidenden Frage, ob und ggf. in welchem Umfang Ziffer 11.3.6 Satz 5 BAföGVwV mit § 11 Abs. 3 Satz 1, 2 BAföG, § 31 SGB I zu vereinbaren ist, kommt grundsätzliche Bedeutung zu.

Schlingmann-Wendenburg
von Krosigk
Kurbjuhn