Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 22.10.2002, Az.: 6 B 701/02
Cannabis; Drogen; Drogenscreening; Entziehung der Fahrerlaubnis; Fahreignung; Gutachten; Haaranalyse; verweigerte Mitwirkung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 22.10.2002
- Aktenzeichen
- 6 B 701/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43615
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs 1 FeV
- § 11 Abs 8 FeV
- § 46 Abs 3 FeV
- § 3 Abs 1 StVG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Verweigerung eines Drogenscreenings in Form einer Haaranalyse rechtfertigt die Entziehung der Fahrerlaubnis, wenn außer einem als gelegentlich eingeräumten Cannabiskosum weitere Anhaltspunkte (hier: Dose mit Cannabisanhaftungen im Handschuhfach des Pkw, Hantieren mit Cannabis im Pkw sitzend) die ernste Besorgnis begründen, dass der Cannabiskonsum und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht getrennt werden.
(noch nicht rechtskräftig)
Gründe
I. Der Antragsteller erhielt im Jahr 1987 eine Fahrerlaubnis der Klasse 2, die im Juni 2000 auf die Klasse CE umgestellt wurde. Durch eine Mitteilung der Polizeiinspektion Flughafen München – Ermittlungsgruppe Rauschgift – vom 28. Dezember 2001 erhielt der Antragsgegner davon Kenntnis, dass gegen den Antragsteller ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet worden war. Nach den Aufzeichnungen der Polizei war der Antragsteller am 24. Dezember 2001 vor dem Flughafen München in seinem Fahrzeug sitzend angetroffen worden, als er gerade eine Tüte mit Marihuana in seine Hosentasche gesteckt hatte. Bei einer Durchsuchung des Fahrzeugs wurde außerdem im Handschuhfach eine Dose mit 0,24 g Marihuana aufgefunden. Der Antragsteller hatte hierzu bei seiner Vernehmung angegeben, dass er das Rauschgift von einer ihm nicht bekannten Person geschenkt bekommen und in seinem Fahrzeug von Spanien über die Schweiz nach Deutschland gebracht habe. Er räumte außerdem ein, seit dem Sommer 2001 – vorwiegend in Spanien – gelegentlich Marihuana und Haschisch konsumiert zu haben. Die Drogen habe er immer geschenkt bekommen. Als er seine Freundin vom Flugzeug abgeholt habe und sie schon im Fahrzeug gesessen hätten, habe er das Marihuana, das er in der Hosentasche gehabt habe, in eine leere Taschentuchverpackung umfüllen wollen, weil sich die andere Verpackung bereits aufgelöst habe.
Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wurde am 26. Februar 2002 gemäß § 31 a Abs. 1 BtMG eingestellt.
Mit Verfügung vom 28. Februar 2002 gab der Antragsgegner dem Antragsteller auf, sich zur Klärung der an seiner Fahreignung entstandenen Zweifel innerhalb von 6 Monaten sechsmal einem Drogenscreening zu unterziehen. Nachdem der Antragsteller zunächst sein Einverständnis zu einer solchen Untersuchung erteilt und wegen eines Auslandsaufenthalts um eine Fristverlängerung für die Vorlage des Untersuchungsergebnisses nachgesucht hatte, legte er auch nach einer vorübergehenden Rückkehr aus dem Ausland einen solchen Untersuchungsbericht nicht vor. Über seine Eltern ließ er dem Antragsgegner mitteilen, dass er noch bis Ende Oktober 2002 im Ausland tätig sei. Der Antragsgegner gab dem Antragsteller daraufhin unter dem 03. September 2002 auf, das Drogenscreening nunmehr in Form einer Haaranalyse durchführen zu lassen und den Untersuchungsbefund zur Vermeidung einer Entziehung der Fahrerlaubnis bis zum 30. November 2002 vorzulegen.
Als der Antragsteller unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2002 (1 BvR 2062/96) es ablehnte, sich der geforderten Untersuchung zu unterziehen, entzog der Antragsgegner dem Antragsteller mit Verfügung vom 01. Oktober 2002 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis. Hiergegen erhob der Antragsteller am 07. Oktober 2002 Widerspruch, über den – soweit ersichtlich ist – noch nicht entschieden wurde.
Am 08. Oktober 2002 hat der Antragsteller außerdem beim Verwaltungsgericht Braunschweig um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er trägt vor:
Sowohl die Entziehung der Fahrerlaubnis als auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung seien nicht gerechtfertigt. Er habe nur für die Dauer eines halben Jahres und zu dem lediglich gelegentlich Haschisch konsumiert. Außerdem seien nur äußerst geringe Mengen Cannabis bei ihm gefunden worden. Angesichts dieser Sachlage könne von einem Gefährdungspotential, das die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertige, nicht ausgegangen werden. Der Antragsgegner habe offenkundig die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juni 2002 nicht genügend beachtet. In Bezug auf seine Person lägen keine Verdachtsmomente für einen Eignungsmangel vor, die die Aufforderung zu einem Drogenscreening und bei einer Weigerung die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigten.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Fahrerlaubnisentziehungsverfügung des Antragsgegners vom 01. Oktober 2002 wiederherzustellen.Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
Er entgegnet:
Dem Antragsteller sei wegen einer fehlenden Mitwirkung an der Klärung der an seiner Fahreignung entstandenen Zweifel die Fahrerlaubnis entzogen worden. Hierbei sei sowohl die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch der daraufhin ergangene Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Technologie und Verkehr vom 19. August 2002 berücksichtigt worden. Im Hinblick auf das Auffinden von Cannabis in der Hosentasche des Antragstellers sowie außerdem im Handschuhfach des Kraftfahrzeugs sei ein starker Verdacht entstanden, dass ein Zusammenhang von Drogenkonsum und Führen von Kraftfahrzeugen bestehen könne. Der Antragsteller habe außerdem eingeräumt, in dem zurückliegenden halben Jahr gelegentlich Haschisch und Marihuana geraucht zu haben. An der Klärung der hierdurch entstandenen Eignungszweifel habe der Antragsteller nicht mitgewirkt. Es sei deshalb die Fahrerlaubnis entzogen und wegen der möglichen Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme angeordnet worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
II. Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Der Antragsgegner hat die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung in formell ordnungsgemäßer Weise angeordnet (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und in ausreichender Weise schriftlich begründet, warum das besondere Interesse an dem Sofortvollzug als gegeben erachtet wird (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Auch aus materiell-rechtlichen Gründen besteht keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des gegen den Bescheid erhobenen Rechtsbehelfs wiederherzustellen. Nach § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung, sofern nicht die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde besonders angeordnet wird. Eine derartige Vollziehungsanordnung setzt zu ihrer Rechtswirksamkeit voraus, dass ohne sie das öffentliche Interesse in schwerwiegender Weise beeinträchtigt würde, so dass demgegenüber die privaten Interessen des von der Vollziehungsanordnung Betroffenen zurücktreten.
Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung, mit der die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG entzogen worden ist, ist regelmäßig anzunehmen, wenn sich die an der Fahreignung des Betroffenen bestehenden Zweifel so weit verdichtet haben, dass die ernste Besorgnis gerechtfertigt erscheint, er werde andere Verkehrsteilnehmer in ihrer körperlichen Unversehrtheit oder in ihrem Vermögen ernstlich gefährden, wenn er bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Entziehungsverfügung weiterhin am motorisierten Straßenverkehr teilnimmt (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., Rn 1273 m.w.N.). Eine solche Gefahr für die Allgemeinheit ist insbesondere dann anzunehmen, wenn besondere Umstände eine Gefährlichkeit gegenwärtig begründen, die im Wege der Abwägung zu Lasten der Allgemeinheit und damit im öffentlichen Interesse nicht hingenommen werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage überwiegen die Gesichtspunkte, die dafür sprechen, den Antragsteller mit sofortiger Wirkung von der Teilnahme am motorisierten Kraftverkehr auszuschließen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde einem Kraftfahrzeugführer die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn er sich als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Von einer fehlenden Fahreignung ist insbesondere dann auszugehen, wenn ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur Fahrerlaubnisverordnung vorliegt, durch den die Eignung oder die bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird (§ 11 Abs. 1 FeV). Zu einem solchen Mangel kann die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes führen (Nr. 9.2 der Anlage 4 zu den §§ 11 f. FeV), ohne dass bereits eine Abhängigkeit von diesen Stoffen bestehen muss. Im Fall einer nur gelegentlichen Einnahme von Cannabis kann die Fahreignung regelmäßig nur dann als fortbestehend angenommen werden, wenn nicht zusätzlich Alkohol oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe eingenommen werden, sonstige Ausschlussgründe nicht bestehen und der Konsum und die Teilnahme am Straßenverkehr getrennt bleiben (Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu den §§ 11 f. FeV).
Als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen darf von der Fahrerlaubnisbehörde ein Kraftfahrer auch angesehen werden, der eine ihm zu Recht abverlangte Untersuchung, die der Klärung von Eignungszweifeln dienen sollen, nicht durchführen lässt oder das von ihm geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt (§ 11 Abs. 8 FeV). In einem solchen Fall verdichten sich die Zweifel an der Fahreignung zu der Gewissheit, dass der Kraftfahrer nicht geeignet ist, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr sicher zu führen, weil aus dem Verhalten des Kraftfahrers zu schließen ist, er wolle Mängel, die seine Fahreignung ausschließen könnten, verbergen, (BVerwG, Urteil vom 05.07.2001, 3 C 13.01 <juris> m.w.N.). Da der Antragsteller den ihm mehrfach gesetzten Terminen zur Durchführung des Drogenscreenings nicht nachgekommen ist, obgleich er auf die in einem solchen Fall mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis hingewiesen wurde, hat der Antragsgegner zu Recht angenommen, dass der Antragsteller nicht in der Lage ist, den von ihm geforderten Eignungsnachweis zu erbringen.
Allerdings setzt die auf das Unterlassen der geforderten Mitwirkungshandlung gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis voraus, dass die Untersuchung zu Recht gefordert wurde. Dies ist nach § 2 Abs. 8 StVG i.V.m. § 46 Abs. 3 FeV nur dann der Fall, wenn konkrete Tatsachen bekannt werden, die geeignet sind, Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zu begründen. Wegen der mit einer Untersuchung für den Betroffenen verbundenen gravierenden Folgen, insbesondere im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. hierzu: BVerfG, Beschluss vom 20.06.2002, DAR 2002, 405 [BVerfG 20.06.2002 - 1 BvR 2062/96]; Beschluss vom 08.07.2002, DAR 2002, 410 [BVerfG 08.07.2002 - 1 BvR 2428/95]), genügt für die Anordnung einer solchen Maßnahme nicht lediglich ein bloßer Verdacht.
Konkrete und verwertbare, d.h. auf überprüfbare Tatsachen gestützte Anhaltspunkte dafür, dass vom Antragsteller Betäubungsmittel eingenommen wurden, dieser Drogenkonsum über einen längeren Zeitraum stattgefunden hat und ein Einfluss auf das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr nicht ausgeschlossen werden kann, liegen hier vor. Der Antragsteller hatte bei seiner polizeilichen Vernehmung eingeräumt, seit dem Sommer 2001, d.h. bereits über einen Zeitraum von einem halben Jahr, Cannabis geraucht zu haben. Es kommt hinzu, dass der Antragsteller, nachdem er seine Freundin am Flughafen in München abgeholt hatte, bereits im Pkw sitzend mit Cannabis hantierend angetroffen wurde, was zu einer weiteren Untersuchung des Fahrzeugs geführt hatte. Bei dieser Untersuchung wurde im Handschuhfach des Fahrzeugs eine Dose gefunden, in welcher der Antragsteller ebenfalls – wenngleich mit nur (noch) geringen Mengen – Cannabis mit sich führte. Diese Sachlage und vor allem der Umstand, dass der Antragsteller die Drogen in seiner Hosentasche mit sich geführt und unmittelbar vor dem Antritt einer Fahrt in dem Pkw hervorgeholt hatte, begründet bei lebensnaher Einschätzung dieses Verhaltens die ernsthafte Besorgnis, dass sich der Antragsteller als Führer eines Kraftfahrzeuges nicht verkehrsgerecht umsichtig zu verhalten und den Konsum von Cannabis und das Führen eines Kraftfahrzeugs nicht zu trennen vermag. Bei solchen hinreichend konkreten tatsächlichen Verdachtsmomenten bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, den Fahrerlaubnisinhaber einer Fahreignungsüberprüfung zu unterziehen (BVerfG, Beschluss vom 08.07.2002, aaO). Eine solche Untersuchung kann auch die Durchführung eines Drogenscreenings in Form einer Haaranalyse umfassen. Diese von dem Antragsgegner geforderte Maßnahme war hier vor allem deshalb angezeigt, weil der Antragsteller, nachdem er zunächst sein Einverständnis zu mehreren zeitnah zur Untersuchungsanordnung durchzuführenden Urinuntersuchungen erklärt hatte, die Durchführung dieser Untersuchungen durch einen Wechsel der Untersuchungsstelle, einen danach getätigten längeren Auslandsaufenthalt und schließlich durch ein Untätigbleiben vereitelt hatte. Eine Haaranalyse ist besonders geeignet für die Untersuchung, ob der Betreffende über einen längeren Zeitraum Drogen konsumiert hatte und mit welcher Häufigkeit bzw. mit welchen Mengen Betäubungsmittel eingenommen wurden. Urinuntersuchungen lassen sich dagegen schon durch eine vorübergehende Verhaltensänderung beeinflussen.
Im Hinblick auf die für andere Verkehrsteilnehmer bestehende Gefahrenlage im Falle einer Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr unter dem Einfluss von Drogen ist den öffentlichen Interessen an einer sofortigen Vollziehung der angefochtenen Maßnahme der Vorzug einzuräumen vor den persönlichen und wirtschaftlichen Interessen des Antragstellers, vorerst weiterhin Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr führen zu dürfen.
Der Antrag ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG und beläuft sich auf die Hälfte des Wertes, der in einem Verfahren zur Hauptsache festzusetzen wäre, wenn eine Fahrerlaubnis der Klasse CE im Streit ist.