Landgericht Osnabrück
Urt. v. 03.05.2011, Az.: 18 O 61/10

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
03.05.2011
Aktenzeichen
18 O 61/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45290
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Ein allgemeiner Tarif im Sinne der AVBGasV kann auch mehrere nach Verbrauch gestaffelte Preise beinhalten.

Tenor:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 696,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.12.2009 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die Klägerin beansprucht die Zahlung restlicher Rechnungsbeträge für Gaslieferungen an den Beklagten in der Zeit vom 1.1.2005 bis 30.12.2007.

Die Klägerin versorgt den Beklagten mit Gas für die Verbrauchsstelle E. Strasse 10 in W., ohne dass ein besonderer Vertrag darüber zwischen den Parteien geschlossen worden wäre.

Der Gaspreis der Klägerin betrug bis zum 31.12.2004 je Kubikmeter 0.3161 EUR, entsprechend 0,0322 EUR pro Kilowattstunde. Die Klägerin erhöhte ab 1.1.2005 ihre Gaspreise wie folgt:

Datum

Erhöhung

Preis (Cent/m3)

01.10.2004

3,1061

01.01.2005

0,4545

3,5606

01.10.2005

0,404 

3,9646

01.01.2006

0,5556

4,5202

01.10.2006

0,1698

4,6900

Die Preiserhöhungen wurden wie aus der Anlage K8 ersichtlich öffentlich bekannt gemacht.

Nachdem ihm die Rechnung vom 22.1.2005 für 2004 über 295,74 EUR, die einen nicht durch die geleisteten Abschläge gedeckten Betrag von 78,74 EUR auswies und zusätzlich den 1. Abschlag für 2005 in Höhe von 217 EUR enthielt, zugegangen war, wandte sich der Beklagte mit Schreiben vom 14.2.2005 (Anl. K3) gegen eine beabsichtigte Preiserhöhung der Klägerin und erklärte, dass er den Mehrpreis nicht bezahlen werde, solange die Billigkeit der Erhöhung nicht belegt worden sei. Er behielt daher einen Betrag von 9 EUR ein und zahlte auf die Rechnung daher lediglich 285,74 EUR. In der Folgezeit leistete der Beklagte lediglich die aus der Anlage K2 (Anlageband) ersichtlichen Zahlungen, so dass per 31.12.2006 ein Betrag von 311,86 EUR und per 31.12.2007 die Klageforderung von 696,96 EUR offenblieb.

Die Klägerin behauptet, dass sie eine enorme Steigerung ihrer Bezugskosten, die in den Jahren 2005 und 2006 durch die Steigerung des Ölpreises bedingt gewesen sei, nicht einmal im vollen Umfang an den Beklagten weitergegeben habe. Die Entwicklung der übrigen Kosten sei im Verhältnis zur Bezugskostensteigerung unerheblich gewesen.

Die Klägerin sei im fraglichen Zeitraum über 3 Verträge beliefert worden. Einer dieser Verträge sei einem speziellen Industriekunden zugeordnet und wirke sich daher auf die Preise für sonstige Kunden nicht aus. Darüberhinaus bestand ein Grundvertrag (Anlage K10) und ein Teilmengenvertrag (Anlage K11), wobei letzterer mit einem Anteil von 20 % der Lieferungen den Industriekunden zugeordnet wurde, während die Belieferung privater Abnehmer auf der Basis des Grundvertrages erfolgte. Beide Verträge enthalten Preisänderungsklauseln mit denen der Leistungspreis an Indexwerte des Statistischen Bundesamtes für Erzeugerpreise und tarifliche Stundenlöhne gekoppelt wurde. Der Arbeitspreis wurde demgegenüber durch den entsprechenden Index für leichtes Heizöl (Destatis Fachserie 17, Preise, Reihe 2) ermittelt. Danach hätten sich gemäss den aus den Anlagen K19 (Anlagenband) ersichtlichen Rechnungen ihres Lieferanten, der Fa. E GmbH in X, folgende Veränderungen ihrer Einkaufspreise ergeben:

Datum

Bezugspreis

Preiserhöhung

Preiserhöhung kumuliert

1.1.2004

1,6373

0,0000

0,0000

1.4.2004

1,6492

0,0119

0,0119

1.7.2004

1,7443

0,0951

0,1070

1.10.2004

1,9685

0,2242

0,3312

1.1.2005

2,3159

0,3474

0,6786

1.4.2005

2,4051

0,0892

0,7678

1.7.2005

2,4348

0,0297

0,7975

1.10.2005

2,9461

0,5113

1,3088

1.1.2006

3,3632

0,4171

1,7259

1.4.2006

3,3487

-0,0145

1,7114

1.7.2006

3,4235

0,0748

1,7862

1.10.2006

3,5070

0,0835

1,8697

Daraus sei ersichtlich, dass die Preisänderungen gegenüber den Endkunden geringer ausgefallen seien als die Erhöhungen der Bezugskosten. Auch die sonstigen Kosten hätten sich ausweislich der Anlagen K20 (Anlagenband) und K20a (Bd. I Bl. 151) nicht so verändert, dass dies Einfluss auf den Abgabepreis hätte haben können. Die Relation zwischen den Bezugkosten und den sonstigen Kosten ergebe, dass eine Kalkulationsabweichung um 0,1 Cent beim Erdgaspreis eine Veränderung der Gesamtkosten um 800.000 EUR bewirke. Dementsprechend wäre eine Reduzierung der sonstigen Kosten um einen solchen Betrag erforderlich, um eine Preissenkung um 0,1 Cent zu ermöglichen. Daraus folgert die Klägerin, dass die von ihr vorgenommenen Preiserhöhungen angemessen und billig iSd. § 315 BGB seien.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zur Zahlung von 696,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.2.2008 an die Klägerin zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erhebt hinsichtlich der Forderungen aus den Rechnungen für 2005 und 2006 die Einrede der Verjährung. Im Übrigen vertritt er die Ansicht, dass er Sonderkunde der Klägerin sei und daher die Preiserhöhungen nicht auf § 4 AVBGasV gestützt werden könnte. Es handele sich bei den Preisen der Klägerin nicht um einen Grundtarif, da mengenabhängig mehrere Preise angeboten und berechnet werden. Ausserdem sei jede einzelne Preiserhöhung für sich zu betrachten. Daraus ergebe sich, dass die Klägerin die Abgabepreise z.T. stärker angehoben oder geringer gesenkt habe als es der Entwicklung der Einstandspreise entsprochen hätte.

Der Beklagte bestreitet, dass die Preisänderungen korrekt berechnet worden seien und die Klägerin sich hinreichend um eine Reduzierung der Preise bei ihrem Vorlieferanten bemüht habe. Ausserdem müssten nach der Rechtsprechung des BGH auch geringe Einsparungen der Klägerin bei den Kosten in anderen Bereichen berücksichtigt werden. Die Richtigkeit der Angaben in den Anlagen K20 und K20a wird bestritten.

Zudem meint er, dass die Ölpreisbindung in den Bezugsverträgen der Klägerin unwirksam sei. Schliesslich seien die Preise, zu denen die Klägerin das Erdgas beziehe missbräuchlich iSd. § 19 GWB überhöht. Die Bezugsverträge seien daher kartellrechtswidrig und somit unwirksam. Zudem verstosse die Ölpreisbindung gegen die Richtlinie 2009/73 EG, da die Preisberechnung in den Bezugsverträgen für den Verbraucher nicht nachvollziehbar sei.

Die zunächst beim Amtsgericht Nordhorn erhobene Klage wurde unter Berufung auf § 102 EnWG an das Landgericht Osnabrück verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben gem. Verfügung vom 18.3.2011 (Bd. I Bl. 200). Wegen des Beweisergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12.4.2011 (Bd. II Bl. 2 ff.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist hinsichtlich der Hauptforderung begründet. Der Beklagten stand ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB zu, von dem sie durch die von ihr einseitig erklärte Tariferhöhungen wirksam Gebrauch gemacht hat.

Ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 Abs. 1 BGB kann einer Vertragspartei nicht nur durch vertragliche Vereinbarung, sondern auch durch Gesetz eingeräumt werden. § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV stellt eine solche gesetzliche Regelung dar. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AVBGasV stellt das Gasversorgungsunternehmen zu den jeweiligen allgemeinen Tarifen und Bedingungen Gas zur Verfügung. Änderungen der allgemeinen Tarife werden gemäß § 4 Abs. 2 AVBGasV nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam (vgl. BGH NJW 2007, 2540 [BGH 13.06.2007 - VIII ZR 36/06]).

Bei dem Beklagten handelt es sich auch um einen Tarifkunden, auf den die Regelungen der AVBGasV direkt anwendbar sind. Ein besonderer Bezugsvertrag ist zwischen den Parteien unstreitig nicht abgeschlossen worden; vielmehr ist das Vertragsverhältnis durch Aufnahme des Bezugs durch den Beklagten zustande gekommen. Ein Status als Sondervertragskunde ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin nicht nur einen, sondern nach Verbrauch gestaffelt 3 Tarife, nämlich „Kleinverbrauch“, „Grundpreis I“ (321 m3 bis 1.200 m3) und „Grundpreis I“ (ab 1.201 m3) zur Verfügung stellt und im Rahmen dieser Tarife eine Bestpreisabrechnung praktiziert. Entgegen der Ansicht des vom Beklagten zitierten Urteils des OLG Düsseldorf vom 24.6.2009 (IR 09, 286) beruht die Differenzierung zwischen Tarif- und Sondervertragskunden nicht allein auf dem Vorhandensein mehrerer Tarife. Das folgt bereits aus der bis 29.4.1998 gültigen Fassung der Bundestarifordnung Gas. Nach deren § 1 waren die Gasversorgungsunternehmen verpflichtet, „als allgemeine Tarife mindestens einen Kleinverbrauchstarif (§ 3) und einen Grundpreistarif (§ 4) zu bilden ...“ Daraus ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber unter den allgemeinen Tarifen der Grundversorgung - seinerzeit im Anschluss- und Benutzungszwang - nicht - wie das OLG Düsseldorf meint - einen einheitlichen Preis verstand, der alle Variationen des Verbrauchs einkalkulierte und abdeckte. Darüberhinaus unterscheiden sich die Vertragsverhältnisse zwischen Versorger gegenüber Tarifkunden einerseits sowie gegenüber Sondervertragskunden andererseits auch dadurch, dass im Rahmen der allgemeinen Tarife keine von den gesetzlichen Vorgaben abweichenden Vertragsregelungen getroffen werden können, während es dem Versorger im Verhältnis zu Sondervertragskunden freisteht, von der AVBGasV abweichende Kündigungsfristen, Bonusregelungen, Vorauszahlungen vorzusehen. Letztlich versteht auch das EnWG in § 40 Abs. 3 unter „Tarif“ einen solchen, der durch lastabhängige Ausgestaltung Anreiz zum Energiesparen gibt. Es lässt also innerhalb eines Tarifs mehrere nach Verbrauch gestaffelte Preise zu.

Die der Klageforderung zugrundeliegenden Preiserhöhungen sind gegenüber dem Beklagten wirksam erfolgt, da die Klägerin die ihr obliegende Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen getroffen hat. Die Klägerin hat nämlich lediglich ihre gestiegenen Bezugskosten an ihre Abnehmer weitergegeben. Die Weitergabe von gestiegenen Bezugskosten an die Tarifkunden entspricht im Grundsatz der Billigkeit. Durch Preiserhöhungen wegen gestiegener Bezugskosten nimmt das Gasversorgungsunternehmen sein berechtigtes Interesse wahr, Kostensteigerungen während der Vertragslaufzeit an die Kunden weiterzugeben (BGH aaO.).

Die von der Klägerin vorgelegten Rechnungen ihrer Lieferantin (s. Anlagenband) belegen, dass die Bezugskosten der Klägerin überwiegend stärker gestiegen sind als deren Abgabepreise nach dem allgemeinen Tarif. Ausgangsbasis dieses Vergleichs ist der unstreitig bis 31.12.2004 geltende Gaspreis der Klägerin. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (z.B. BGH aaO. = Urteil vom 13.06.2007 - Aktenzeichen VIII ZR 36/06) wird der zum Zeitpunkt einer Jahresabrechnung geltende, zuvor einseitig erhöhte Tarif, zu dem zwischen den Parteien vereinbarten Preis, wenn der Kunde eine die aufgrund der Preiserhöhung vorgenommene Jahresabrechnung des Versorgungsunternehmens akzeptiert hat, indem er weiterhin Gas bezogen hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB zu beanstanden. So liegt der Fall hier. Unstreitig hat der Beklagte erstmals nach Erhalt der Jahresabrechnung für 2004 vom 22.1.2005 mit Schreiben vom 14.2.2005 den Gaspreis der Klägerin beanstandet. Dabei hat er sich jedoch ausschließlich gegen die neuerliche Preiserhöhung für 2005 gewandt, woraus im Gegenschluss folgt, dass die Preise für 2004 akzeptiert wurden.

Aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen der Fa. E GmbH, ihrer Lieferantin ergibt sich, dass sich ihre Bezugspreise (Arbeitspreise), deren Veränderung gemäss § 7 Abs. 3 des Bezugsvertrages (Grundvertrag, Anlage K10) jeweils zum 1.1., 1.4., 1.7. und 1.10. eines Jahres vertraglich möglich war, ausgehend vom Preis per 1.10.2004 wie folgt verändert haben:

Datum 

Erhöhung

Erhöhung kumuliert

01.01.2005

0,3474

0,6786

01.04.2005

0,0892

0,7678

01.07.2005

0,0297

0,7975

01.10.2005

0,5113

1,3088

01.01.2006

0,4171

1,7259

01.04.2006

-0,0145

1,7114

01.07.2006

0,0748

1,7862

01.10.2006

0,0835

1,8697

Diese Werte sind aus der Anlage K17 (Spalte f) zu entnehmen und werden durch die Preisberechnungen für die einzelnen Daten in der Anlage K18 bestätigt. Bei der Feststellung der Preisänderungen können die von der Lieferantin gewährten Preisabschläge ausser Betracht bleiben, da bei diesen durchgehend keine Veränderung eingetreten ist. Die sich durch die Preisberechnungen in der Anlage K18 ergebenden Bezugspreise:

01.10.2004

1,9685 Cent/kwh

01.01.2005

2,3159 Cent/kwh

01.04.2005

2,4051 Cent/kwh

01.07.2005

2,4348 Cent/kwh

01.10.2005

2,9461 Cent/kwh

01.01.2006

3,3632 Cent/kwh

01.04.2006

3,3487 Cent/kwh

01.07.2006

3,4235 Cent/kwh

01.10.2006

3,5070 Cent/kwh

stimmen mit den von der Fa. E GmbH in deren Rechnungen eingesetzten Preisen überein.

Bei der Beurteilung der Entwicklung der Bezugskosten konnte der Leistungspreis ausser Betracht bleiben, da dieser sich mit 12,19 EUR/kwh/h (Bestellleistung) und 10,67 EUR/kwh/h (Spitzenleistung) am 1.1.2004 auf 12,32 EUR/kwh/h (Bestellleistung) und 10,78 EUR/kwh/h (Spitzenleistung) am 1.7.2007 nur minimal verändert hat. Auch die Preisentwicklung im Rahmen des Teilmengenvertrages (Anlage K11) sowie des einem speziellen Industriekunden zugeordneten 3. Vertrages bedurfte keiner Einbeziehung, da die Klägerin diese Teilmenge unbestritten ihren Industriekunden zugeordnet hat. Denn einerseits ist es aus kaufmännischer Sicht üblich und nicht zu beanstanden, dass mit bestimmten Grosskunden besondere Konditionen vereinbart werden, da über solche Kunden ein bestimmter Grundumsatz erzielt werden kann, der u.U. beim eigenen Bezug zu günstigeren Konditionen führt. Zum anderen weisen Preisvereinbarung und Änderungsklausel des Teilmengenvertrages (Anlage K11) in den §§ 6 und 7 keine relevanten Abweichungen zum Grundvertrag aus. So nennt § 6 Abs. 4 des Grundvertrages einen Ausgangspreis von 1,994 Cent/kwh gegenüber 2,0452 Cent/kwh in § 6 Abs. 4 des Teilmengenvertrages. Die Änderungsklauseln in den §§ 7 beider Verträge sind identisch und sehen eine Abhängigkeit von den selben Heizölpreisen des Statistischen Bundesamtes vor.

Der Beklagte hat die Übereinstimmung der von der Klägerin vorgelegten Anlagen mit den von der Fa. E GmbH erstellten Originalen nicht bestritten. Von daher ist das Gericht davon überzeugt, dass die in Rechnung gestellten Beträge der Klägerin auch tatsächlich berechnet und von dieser bezahlt wurden. Da die Klägerin unstreitig ihre Geschäftsbeziehung mit der Fa. E GmbH beendet hat, ist auch keinerlei Motivation von deren Seite erkennbar, falsche Rechnungen oder Berechnungen für diesen Rechtsstreit zu erstellen. Auch während der laufenden Geschäftsbeziehungen kann die Möglichkeit eines kollusiven Zusammenwirkens von Klägerin und Lieferantin zum Zweck der Täuschung von Gerichten für den Fall von Rechtsstreiten über den Gaspreis vernünftigerweise ausser Betracht gelassen werden.

Zur Feststellung der von der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum zu entrichtenden Bezugskosten bedurfte es - entgegen der Ansicht des Beklagten - auch keines Sachverständigen-Gutachtens. Die vertragliche Regelung zur Berechnung des Arbeitspreises ist für einen aufmerksamen und sorgfältigen Verbraucher - und damit für den Beklagten - auch ohne besondere mathematische Kenntnisse nachzuvollziehen. Der Kunde kann daraus unschwer entnehmen, dass der Arbeitspreis und seine künftigen Anpassungen von der Entwicklung der Variable HEL abhängen, die in den textlichen Erläuterungen als ein bestimmter, in den Monatsberichten des Statistischen Bundesamtes mitgeteilter Heizölpreis definiert ist (vgl. für eine ähnliche Formel BGHZ 185,96).Die nach der Preisänderungsklausel für die Ermittlung des Arbeitspreises maßgebliche Entwicklung der Preise für leichtes Heizöl im Bereich „Früheres Bundesgebiet“ bei Lieferung von 40-50 hl ist aus allgemein zugänglicher Quelle den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes zu entnehmen. So hat dieses Amt unter der Adresse

„http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Publikationen/Fachveroeffentlichungen/Preise/Erzeugerpreise/ErzeugerpreisePreisreiheHeizoel5612402111034,property=file.pdf“

eine Übersicht der monatlichen Energiepreise ab Januar 1976 bis dato veröffentlicht, aus der sich die von der Klägerin vorgenommene Berechnung der Preisanpassungen in der Anlage K18 unter Anwendung der Grundrechenarten nachvollziehen lässt.

Entgegen der Ansicht des Beklagten war die Klägerin nicht dazu verpflichtet, darzulegen, warum sie der in ihrem Liefervertrag mit der Fa. E GmbH enthaltenen Preiskoppelungsklausel nicht ausweichen konnte. § 315 BGB sieht eine Überprüfung der Billigkeit des von dem einen Vertragsteil einseitig bestimmten Preises vor. Entspricht dieser - wie hier - für sich genommen der Billigkeit, so kann die nur für das Vertragsverhältnis zwischen der die Leistung bestimmenden und der dieser Bestimmung unterworfenen Partei geltende Regelung des § 315 BGB nicht herangezogen werden, um auch die auf einer vorgelagerten Stufe der Lieferkette vereinbarten Preise einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen. Auch eine etwaige Kartellrechtswidrigkeit der Bindung des Bezugspreises der Beklagten an den Preis für leichtes Heizöl (Anlegbarkeitsprinzip) würde daran nichts ändern (BGH aaO.).

Der Beklagte beruft sich in diesem Zusammenhang zu Unrecht auf die Entscheidung des BGH vom 24.03.2010 BGHZ 185, 96), mit der eine Klausel für unwirksam erklärt wurde, die gegenüber dem Sondervertragskunden eine Preisanpassung in Abhängigkeit von der Preisentwicklung für extra leichtes Heizöl vorsah. Diese Entscheidung beruhte nämlich darauf, dass die beanstandete Klausel dem Energieversorger eine Preiserhöhung auch in den Fällen erlaubte, in denen ein Anstieg bei einem der Kostenfaktoren durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wurde. Diese Möglichkeit besteht jedoch bei den hier gegebenen Preiserhöhungen gem. § 4 AVBGasV nicht, da diese in vollem Umfang der Billigkeitskontrolle gem. § 315 BGB unterliegt.

Die Gegenüberstellung der Erhöhungen der Bezugspreise und der von der Klägerin gegenüber dem Beklagten vorgenommenen Preiserhöhungen ergibt folgendes Bild:

Datum

Preis Kl.

Preiserh. Kl.

Preiserh. Kl. kumuliert

Bezugspreis

Erh. Bezugpreis

Erh. Bezugpreis kumul.

01.01.2004

3,1061

0,0000

0,0000

1,6373

0,0000

0,0000

01.04.2004

3,1061

0,0000

0,0000

1,6492

0,0119

0,0119

01.07.2004

3,1061

0,0000

0,0000

1,7443

0,0951

0,1070

01.10.2004

3,1061

0,0000

0,0000

1,9685

0,2242

0,3312

01.01.2005

3,5606

0,4545

0,4545

2,3159

0,3474

0,6786

01.04.2005

3,5606

0,0000

0,4545

2,4051

0,0892

0,7678

01.07.2005

3,5606

0,0000

0,4545

2,4348

0,0297

0,7975

01.10.2005

3,9646

0,4040

0,8585

2,9461

0,5113

1,3088

01.01.2006

4,5202

0,5556

1,4141

3,3632

0,4171

1,7259

01.04.2006

4,5202

0,0000

1,4141

3,3487

-0,0145

1,7114

01.07.2006

4,5202

0,0000

1,4141

3,4235

0,0748

1,7862

01.10.2006

4,6900

0,1698

1,5839

3,5070

0,0835

1,8697

Daraus wird deutlich, dass die Klägerin tatsächlich bei ihren Abgabepreisen kumuliert durchgehend geringere Erhöhungen vorgenommen hat, als sie selbst seitens ihrer Lieferantin hinnehmen musste. Demgemäss sind die Preiserhöhungen der Klägerin jedenfalls grundsätzlich nicht im Hinblick auf § 315 BGB zu beanstanden.

Zwar hat der Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass die Preissenkung der Lieferantin vom 1.4.2006 von der Klägerin nicht an ihre Kunden weitergegeben wurde, so dass der Abgabepreis trotz der Senkung der Bezugskosten gleich blieb. Die unterlassene Weitergabe der Preissenkung stellt jedoch kein unbilliges Verhalten der Klägerin iSd. § 315 BGB dar. Denn die Preisgestaltung kann nicht formalistisch auf die einzelnen Quartale beschränkt bewertet werden. Im Rahmen der Billigkeit ist der Klägerin zuzugestehen, auch kaufmännische Erwägungen zur Gewinnsituation und Erwartungen zur künftigen Preisentwicklung bei ihrer Preisgestaltung zu berücksichtigen. Wenn aber die Klägerin in den Quartalen vor dem 1.4.2006 eine Ergebnisminderung durch eine nicht vollständige Weitergabe ihrer erhöhten Bezugskosten in Kauf nahm, so kann ihr billigerweise nicht verwehrt werden, eine einzelne Bezugskostenreduzierung nicht an ihre Kunden weiterzugeben. Das gilt zumindest insoweit, als der kumulierte Gesamtbetrag der Preiserhöhungen der Klägerin für den hier maßgeblichen Zeitraum ab dem 1.1.2005 nicht höher wurde als die kumulierte Erhöhung der Bezugskosten. Bezogen auf die Zeit vom 1.1.2005 bis 1.4.2006 blieben die Erhöhungen der Klägerin mit 1,4141 Cent/kwh aber deutlich unter der kumulierten Erhöhung der Bezugskosten mit 1,7114 Cent/kwh.

Eine auf eine Bezugskostenerhöhung gestützte Preiserhöhung kann allerdings unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen wird (BGH aaO. mwN.). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht jedoch zur Überzeugung des Gerichts fest, dass ein solcher Fall hier nicht gegeben ist. Die allgemeinen Kosten der Beklagten sind nämlich ausweislich der Anlagen K20 und K20a nicht gesunken, sondern mit - relativ zu den Bezugskosten - geringfügigen Schwankungen auf dem gleichen Niveau verblieben. So beliefen sich die Gesamtkosten der Klägerin ohne Bezugskosten in 2004 auf ca. … Mio. EUR, in 2005 auf ca. … Mio. EUR, in 2006 auf ca. … Mio. EUR und in 2007 auf ca. … Mio. EUR. Das entspricht rechnerisch einem Anteil von 0,79 Cent/kwh in 2004, 0,77 Cent/kwh in 2005, 0,75 Cent/kwh in 2006 und 0,9 Cent/kwh in 2007. Demnach bewegen sich die Veränderungen der allgemeinen Kosten der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum in der Grössenordnung einer Reduzierung um 0,04 Cent/kwh, d.h. in einer Höhe, die zu keinem Zeitpunkt der Differenz zwischen der Bezugskostensteigerung und den geringeren Preiserhöhungen der Klägerin auch nur nahekommt. Daraus ergibt sich offensichtlich, dass keine für die Billigkeitsprüfung im Rahmen des § 315 BGB relevanten Senkungen der allgemeinen Kosten der Klägerin eingetreten sind.

Die Richtigkeit der vorerwähnten Zahlen ist bewiesen. Die Klägerin hat ihre allgemeinen Kosten in den genannten Anlagen K20 und K20a aufgeschlüsselt. Diese Zahlen sind von den Zeugen B und E glaubhaft bestätigt worden. Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit beider Aussagen ist sich das Gericht bewusst, dass die Zeugen als kaufmännischer Leiter der Klägerin (Zeuge B) und für die Klägerin tätiger Wirtschaftsprüfer (Zeuge E) dem Lager der Klägerin zuzuordnen sind. Zwar handelt es sich bei dem Zeugen E nicht um einen Mitarbeiter der Klägerin, ein mittelbare wirtschaftliches Interesse kann jedoch auch - ungeachtet der grundsätzlichen Unabhängigkeit - bei dem für ein Unternehmen tätigen Wirtschaftsprüfer aufgrund des Interesses an künftigen Aufträgen angenommen werden. Desungeachtet haben beide Zeugen überzeugende Aussagen gemacht. Sie haben bei ihren Angaben keine Tendenzen zugunsten der Klägerin erkennen lassen und die Fragen zu einzelnen Kostenstellen und deren Veränderungen sachlich und nachvollziehbar beantwortet.

Die Ansprüche der Klägerin sind nicht verjährt. Die Forderungen der Klägerin wurden gem. § 27 AVBGasV nach Ablauf einer Frist von 2 Wochen nach Zugang der Abrechnung fällig. Demnach trat die Fälligkeit der ältesten Forderung der Klägerin 2 Wochen nach Zugang der vom 3.2.2006 datierenden Abrechnung für 2005 ein, d.h. die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB begann gem. § 199 BGB mit Schluss des Jahres 2006. Sie endete somit am 31.12.2009. Der am 18.12.2009 beantragte Mahnbescheid, der gem. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB die Verjährung hemmte, wurde jedoch dem Beklagten bereits am 24.12.2009 zugestellt.

Anspruch auf Verzugszinsen hat die Klägerin gem. § 286 Abs. 1 Satz 2 BGB erst ab Zustellung des Mahnbescheides am 24.12.2009. Ein Verzug des Beklagten ist vor diesem Zeitpunkt nicht gegeben. Insbesondere war die in den Rechnungen enthalte Angabe einer Zahlungsfrist nicht als Mahnung iSd. § 286 BGB zu werten. Die Bitte der Klägerin, die Rechnung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auszugleichen, enthält keine Kriterien, die sie von der Angabe eines Fälligkeitszeitpunktes abgrenzen ließe, zumal die angegebene Frist sich unter Berücksichtigung der Zeit bis zum Zugang nicht wesentlich vom Fälligkeitszeitpunkt gem. § 27 Abs. 1 AVBGasV unterscheidet.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 91, 709. Da die Teilabweisung nur einen Teil der Nebenforderung betrifft, wirkt sie sich auf die Kostenentscheidung nicht aus.