Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 29.04.2019, Az.: 1 B 329/17

angemessene Abwicklungsfrist; Untersagung; Zwangsgeldandrohung; Nebentätigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
29.04.2019
Aktenzeichen
1 B 329/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 70110
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Einzelfall einer Untersagung einer seit Jahren ausgeübten Nebentätigkeit als Tierärztin, in der eine Abwicklungsfrist von nur einer Woche zu kurz bemessen wurde.
2. Ob gegen einen aktiven Beamten ein Zwangsgeld für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Untersagung seiner Nebentätigkeit angedroht werden kann, erscheint fraglich. Eine dahingehende Zwangsmittelandrohung in dem beamtenrechtlichen Untersagungsbescheid bedarf jedenfalls einer besonderen Begründung des Entschließungsermessens.

Gründe

Nach den übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO über die Verfahrenskosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.

Im vorliegenden Fall entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens entsprechend dem tenorierten Verhältnis zwischen den Beteiligten nach Maßgabe des Erfolgsgrundsatzes aufzuteilen. Für die überwiegende Kostentragung der Antragstellerin (zu drei Vierteln) spricht, dass ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage – 1 A 328/17 – hinsichtlich der Ziffer 1. des angefochtenen Bescheids des Antragsgegners vom 20. September 2017 weitgehend ohne Erfolg geblieben wäre (dazu nachstehend 1.). Lediglich hinsichtlich der vom Antragsgegner dort verfügten Abwicklungsfrist von einer Woche ab Zustellung des angefochtenen Bescheids bestehen im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ernstliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit (dazu nachstehend 2.). Derartigen Bedenken begegnet im Übrigen auch die Androhung der Festsetzung eines Zwangsgelds in Höhe von 1.000 Euro in Ziffer 3. des angefochtenen Bescheids (dazu nachstehend 3.).

1.) Der Antragsgegner hat der Antragstellerin auf der Grundlage des § 73 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 3 NBG aus den Gründen des angefochtenen Bescheids, auf die die Kammer Bezug nimmt, zutreffend die weitere Ausübung ihrer Nebentätigkeit in der elterlichen Tierarztpraxis bezogen auf die Behandlung von Tieren, deren Halter im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners ihre Tierhaltung betreiben (dahingehend ist der Tenor des Bescheids auszulegen), untersagt und zur Begründung u.a. auf die Ausführungen des OVG Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 27. September 2011 – 2 A 10781/11 –, zit. nach juris, verwiesen. Diese vermögen zu überzeugen. Das hiergegen von der Antragstellerin Vorgebrachte ist nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung dem Grunde nach infrage zu stellen. Insbesondere ist durch das bei der Kammer anhängig gewesene Klageverfahren 1 A 256/17 und das dazugehörige einstweilige Rechtschutzverfahren 1 B 257/17 (H.) deutlich zu Tage getreten, dass die Nebentätigkeit der Antragstellerin als praktizierende Tierärztin im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners bereits zu massiven Kompetenzkonflikten innerhalb dessen Fachbereich Veterinärwesen und Verbraucherschutz (I.) geführt hat. Dabei sind die beamtenrechtliche Loyalitätspflicht und die Pflicht zu kollegialer Zusammenarbeit der Antragstellerin mit ihren Pflichten als behandelnde Tierärztin in offenen Widerstreit getreten. Dies ist auch für außerhalb der Kreisverwaltung des Antragsgegners stehende Personen deutlich erkennbar geworden. Auf die Feststellungen der Kammer in dem rechtskräftigen Gerichtsbescheid vom 12. Februar 2019 – 1 A 256/17 – wird insoweit Bezug genommen. Die von der Antragstellerin aufgezeigten Möglichkeiten ihres Dienstherrn, durch geeignete organisatorische Maßnahmen (Herausnahme aus dem Wochenenddienst, punktuelle Übernahme eines Notdienstfalls durch einen anderen Amtstierarzt bei möglichem Interessenskonflikt) Pflichtenkollisionen im Einzelfall weitgehend vermeiden zu können, hätten kein anderes Ergebnis als die vorgenommene Untersagung gerechtfertigt. Derartige organisatorische Vorkehrungen hätten eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebs des Antragsgegners zur Folge gehabt, die ein Dienstherr nicht hinnehmen muss.

2.) Gemäß § 6 NNVO soll der Beamtin oder dem Beamten eine angemessene Frist zur Abwicklung der Nebentätigkeit eingeräumt werden, soweit dienstliche Interessen nicht entgegenstehen. Welche Frist angemessen ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls und ist einer verallgemeinerungsfähigen Aussage nicht zugänglich. Die in § 6 NNVO vorgesehene „angemessene“ Abwicklungsfrist macht deutlich, dass der Verordnungsgeber im Hinblick darauf, dass sich der Beamte auf die von ihm zuvor rechtzeitig – vorliegend von der Antragstellerin im August 2013 – angezeigte und anschließend aufgenommene Nebentätigkeit persönlich und beruflich eingerichtet hat, er insoweit grundsätzlich ein zeitlich abgefedertes Vorgehen für geboten hält (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. September 1993 – 4 S 1072/93 –, zit. nach juris Rn. 26). Soweit in der veröffentlichten Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ersichtlich, werden in der Regel Monatsfristen zur Abwicklung einer vom Dienstherrn untersagten Nebentätigkeit eingeräumt und als verhältnismäßig angesehen (vgl. etwa VG München, Urteil vom 2. August 2005 – M 5 K 04.6358 –, zit. nach juris Rn. 33, für den Fall eines in der Liegenschaftsverwaltung eingesetzten Landkreisbeamten als Geschäftsführer einer GmbH, die den An- und Verkauf von Immobilien zum Gegenstand hat: zwei Monate Abwicklungsfrist). Der Antragsgegner hat in dem angefochtenen Bescheid vom 20. September 2017 die extrem kurze Bemessung der von ihm nur im Tenor ausgesprochenen Abwicklungsfrist von einer Woche nicht begründet. Seine Erwägungen zur Fristbemessung im vorliegenden Einzelfall bleiben der Kammer daher verborgen. Der Antragsgegner musste jedoch erkennen, dass sich die Antragstellerin als praktizierende Tierärztin in laufenden Behandlungsvertragsverhältnissen mit Tierhaltern befindet, die ab Bekanntgabe der Untersagungsverfügung einer vertragskonformen Abwicklung bedurft hätten. Zudem hätte er bei der Bemessung der Abwicklungsfrist berücksichtigen müssen, dass der elterlichen Tierarztpraxis der Antragstellerin hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, einen Ersatz für die ausgefallene Arbeitskraft der Antragstellerin zu erlangen. Beides erscheint der Kammer bei der hier gebotenen summarischen Prüfung binnen Wochenfrist als undurchführbar.

3.) Bei der hier gebotenen summarischen Prüfung erscheint auch die in Ziffer 3. des angefochtenen Bescheids vorgenommene Androhung der Festsetzung eines Zwangsgelds in Höhe von 1.000 Euro für den Fall, dass die Antragstellerin der Untersagung ihrer Nebentätigkeit nicht nachkommt, als ermessensfehlerhaft. Wie die in der Begründung des angefochtenen Bescheids enthaltene Normenkette „Nach den §§ 70 Abs. 1, 64 Abs. 1, 65 Abs. 1 Nr. 2, 67 des Nds. SOG…“ offenbart, hat der Antragsgegner schon nicht erkannt, dass es sich bei der in Ziffer 1. des Bescheids enthaltenen Untersagung einer Nebentätigkeit gem. § 73 Abs. 1 NBG um einen statusverändernden Verwaltungsakt in einem Beamtenverhältnis und nicht um einen Verwaltungsakt auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr handelt, der von einer Polizeibehörde oder aber von einer Verwaltungsbehörde im Sinne der §§ 2 Nr. 7, 97 Nds. SOG erlassen wurde und dementsprechend nach dem Regime des Gefahrenabwehrrechts (§§ 64 ff. Nds. SOG) vollstreckt werden soll. Ob über § 70 Abs. 1 NVwVG der Anwendungsbereich für Zwangsmittel nach den §§ 64 ff. Nds. SOG in einem Beamtenverhältnis des Landes oder einer kommunalen Gebietskörperschaft desselben überhaupt eröffnet ist, erscheint der Kammer gegenwärtig als offene und wohl differenziert zu beantwortende Rechtsfrage. Sie kann bei der hier gebotenen summarischen Prüfung nicht abschließend beantwortet werden.

Unterstellt man zugunsten des Antragsgegners die Anwendbarkeit des § 70 Abs. 1 NVwVG, so hätte er jedenfalls im Rahmen seines Entschließungsermessens zu berücksichtigen gehabt, dass im Beamtenverhältnis auf die Befolgung einer vom Dienstvorgesetzten dem Beamten auferlegten Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht mit den Mitteln des Disziplinarrechts hingewirkt werden kann (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 23. Februar 2010 – 5 LB 20/09 –, zit. nach juris Rn. 50 m. w. N.). Deshalb hätte der angefochtene Bescheid in der Begründung der Zwangsgeldandrohung zumindest aufzeigen müssen, warum im Falle der Antragstellerin bereits zum Zeitpunkt des Erlasses der Untersagungsverfügung davon auszugehen sein wird, dass sie ihrer Folgepflicht gem. § 35 Abs. 1 BeamtStG auch in Ansehung des Risikos der Einleitung eines Disziplinarverfahrens nicht genügen wird und daher zur zeitnahen und effektiven Abwendung weiterer Beeinträchtigungen des Dienstbetriebs durch die Fortsetzung der untersagten Nebentätigkeit das Beugemittel der Zwangsgeldfestsetzung zur effektiven Durchsetzung der Untersagungsverfügung geeigneter erscheint.

4.) Im Hinblick auf das weiterhin anhängige Hauptsacheverfahren sowie zur Vermeidung weiterer gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten weist die Kammer darauf hin, dass sich mit der Versetzung der Antragstellerin in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit die hier streitgegenständliche Untersagungsverfügung erledigt hat. Das Regime des Nebentätigkeitsrechts gemäß § 40 BeamtStG i.V.m. den §§ 70 bis 78 NBG, auf das sich der angefochtene Bescheid des Antragsgegners vom 20. September 2017 stützt, ist nur auf den Beamten im aktiven Dienst anwendbar. Es unterscheidet sich erheblich von der den §§ 41 BeamtStG, 79 NBG zugrundeliegenden nachwirkenden Treuepflicht des Ruhestandsbeamten (grundlegend hierzu: Baßlsperger, Berufsausübung nach Beendigung des Beamtenverhältnisses – Beschränkung von Tätigkeiten nach § 105 BBG und § 41 BeamtStG, in ZBR 2012, S. 1 ff.). Hierunter fällt die Antragstellerin aufgrund ihrer Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mit Ablauf des vergangenen Kalenderjahrs (Baßlsperger, a. a. O., S. 3).

Nach § 41 Satz 2 BeamtStG ist die Erwerbstätigkeit oder sonstige Beschäftigung eines Ruhestandsbeamten oder -richters nur dann zu untersagen, wenn zu besorgen ist, dass durch sie dienstliche Interessen beeinträchtigt werden. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 4. Mai 2017 – 2 C 45/16 –, zit. nach juris) ausgeführt hat, haben Beamte oder Richter im Ruhestand keine Dienstleistungspflicht mehr. Hierdurch verändern sich Inhalt und Ausmaß ihrer Pflichtenstellung; insbesondere muss der Ruhestandsbeamte sich nicht mehr mit vollem Einsatz seinem Beruf widmen. Da er ein Hauptamt nicht mehr versieht, darf der Ruhestandsbeamte oder -richter seine Schaffenskraft nunmehr vollumfänglich für andere Betätigungen einsetzen und verwenden (a. a. O., Rn. 11). Allerdings muss berücksichtigt werden, dass im Ruhestand das Beamten- oder Richterverhältnis – einschließlich Alimentierung und Beihilfegewährung durch den Dienstherrn – bestehen bleibt. Die fortwirkende Pflichtenbindung überlagert weiterhin die Rechtsstellung des Beamten oder Richters. Soweit dies dienstliche Interessen erfordern, ist auch die Grundrechtsbetätigung weiter durch Art. 33 Abs. 5 GG beschränkt. Auch nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst und seinem Amt darf ein Beamter oder Richter etwa sein dienstlich erlangtes Amtswissen nicht privat verwerten. Hierdurch würde das Vertrauen der Allgemeinheit in die Integrität des Berufsbeamtentums beeinträchtigt (a. a. O., Rn. 12). Nach § 41 Satz 2 BeamtStG reicht bereits die Besorgnis einer Beeinträchtigung dienstlicher Interessen als Anknüpfungspunkt der Untersagung einer Erwerbstätigkeit des Ruhestandsbeamten aus. Voraussetzung einer Untersagung ist damit nicht, dass die Beeinträchtigung bereits eingetreten ist oder im konkreten Falle droht. Ausreichend für den Vorfeldtatbestand der Besorgnis ist vielmehr der "begründete Anschein", dass durch eine entsprechende Tätigkeit bei einem verständig und sachlich denkenden Bürger Zweifel an der Integrität der Verwaltung entstehen könnten (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 15 m. w. N.).

Ob eine solche Besorgnis der Beeinträchtigung dienstlicher Interessen im Falle der Antragstellerin gegeben ist, soweit sie als Ruhestandsbeamtin in der elterlichen Tierarztpraxis stundenweise praktizieren wird und hierbei auch Haltern mit einer Tierhaltung auf dem Gebiet des Antragsgegners bestimmte Dienstleistungen anbietet, die einen konkreten Bezug zur veterinärbehördlichen Aufgabenwahrnehmung durch den Antragsgegner haben (etwa durch Ausnutzung dienstlich erlangten Amtswissens oder der bisherigen dienstlichen Beziehungen, Begründung wirtschaftlicher Abhängigkeiten; zu diesen Fallgruppen näher Baßlsperger, a. a. O., S. 5 ff.), wird der Antragsgegner aufgrund einer gemäß § 41 Satz 1 BeamtStG aller Voraussicht nach erforderlichen Anzeige der Antragstellerin eingehend und tätigkeitsbezogen zu prüfen und ggf. in einem Untersagungsbescheid substantiiert darzulegen haben.

5.) Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit den Ziffern 1.5 Satz 1 und 10.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai / 1. Juni 2012 und 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen (abgedruckt bei Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 21. Auflage, Anh § 164, Rn. 14). Nach Ziffer 10.6 ist der Gesamtbetrag der Einkünfte aus der untersagten Nebentätigkeit, höchstens jedoch der Jahresbetrag der Streitwertberechnung zugrunde zu legen. Die Antragstellerin hat in ihrer Nebentätigkeitsanzeige vom 15. August 2013 erklärt, ihr werde eine Nebentätigkeitsvergütung in Höhe von 400 Euro monatlich gezahlt. Der Jahresbetrag ihrer Vergütung beträgt danach 4.800 Euro. Abweichend von Ziffer 1.7.2 des Streitwertkatalogs misst die Kammer vorliegend der Zwangsgeldandrohung aus den Gründen zu Ziffer 3.) einen eigenständigen und für die Kostenentscheidung entscheidungserheblichen Charakter bei, der in der anhängigen Hauptsache gemäß § 39 Abs. 1 GKG eine Addition des angedrohten Zwangsgelds von 1.000 Euro zu dem wie dargelegt ermittelten Jahresbetrag der Nebentätigkeitsvergütung zu rechtfertigen vermag. Der so für die anhängige Hauptsache – 1 A 328/17 – ermittelte Streitwert war im Hinblick auf Ziffer 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs hier zu halbieren.