Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.03.2011, Az.: 16 K 353/10
Die ad hoc Übernahme von Aufträgen in Form eines Pilotenbetriebs spricht für die freie Entfaltung eigener Initiative als Unternehmer gem. § 2 Abs. 1 S. 1 UStG; Unternehmereigenschaften gem. § 2 Abs. 1 S. 1 UStG bei ad hoc Übernahme von Aufträgen in Form eines Pilotenbetriebs
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 31.03.2011
- Aktenzeichen
- 16 K 353/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 19898
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2011:0331.16K353.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 S. 1 UStG
- § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG
Fundstelle
- StX 2012, 42-43
Umsatzsteuer 2006 und 2007
LKW-Fahrer als selbständiger Unternehmer
Tatbestand
Die Klägerin betreibt ein Transportunternehmen. Anlässlich einer bei ihr in der Zeit vom 3. August 2009 bis zum 6. Oktober 2009 durchgeführten Außenprüfung wurde festgestellt, dass die Klägerin Fahrtleistungen des Herrn X als selbständigem Unternehmer bezogen hat. Nach Ansicht des Außenprüfers soll es sich bei Herrn X hingegen um einen Angestellten der Klägerin gehandelt haben, weswegen die geltend gemachten Vorsteuerbeträge nicht zu berücksichtigen seien. Im Einzelnen geht es um 12 Rechnungen in der Zeit vom 22. September 2006 bis zum 20. Dezember 2006 i.H.v. 4.720 EUR und um 15 Rechnungen in der Zeit vom 17. März 2007 bis zum 30. November 2007 i.H.v. 7.570 EUR.
Gegen die vom Beklagten, dem Finanzamt (FA), entsprechend geänderten Umsatzsteuerbescheide 2006 und 2007 vom 27. August 2009 legte die Klägerin Einspruch ein, der mit Bescheid vom 20. Oktober 2010 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Herr X sei in das Unternehmen der Klägerin eingegliedert gewesen. Er sei im Wesentlichen nur für die Klägerin als Fahrer tätig gewesen. Ferner sei er nicht in eigenem Namen und nicht als Selbständiger am Markt erkennbar tätig geworden. So habe er keine eigene Werbung betrieben und die Arbeitsmittel seien ihm durch die Klägerin zur Verfügung gestellt worden. Die benutzten Fahrzeuge hätten sich im Eigentum der Klägerin befunden. Herr X habe auch kein wirtschaftliches Unternehmerrisiko des eigenen Ausfalls getragen. Dieses Kriterium sei für eine Selbständigkeit unabdingbar. Der Ort der Leistungserbringung sei durch die übertragenen Fahrten vorgegeben gewesen. Herr X habe während dieser Fahrten dem unmittelbaren Direktionsrecht der Klägerin unterlegen. Die von ihm erbrachten Dienstleistungen seien mit einem Stundenlohn von 11 EUR abgerechnet worden. Danach habe Herr X seine Arbeitskraft ohne jedwedes Risiko zur Verfügung gestellt.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage macht die Klägerin geltend, dass Herr X sehr wohl Unternehmer gewesen sei. Dieser sei ursprünglich selbständiger Hubschrauberpilot gewesen und sei, als die Einnahmen aus dieser Tätigkeit zurückgegangen seien, an die Klägerin herangetreten und habe gefragt, ob er als selbständiger Unternehmer für sie tätig werden könne. Die Klägerin habe Herrn X sodann bei Bedarf kontaktiert, wobei dieser frei über die Annahme des Auftrages habe entscheiden können. Wenn es sich um Fahrten mit Übernachtung gehandelt habe, habe er die Annahme des Auftrags im Regelfall abgelehnt. Herr X habe einen festen Tagessatz von 170 EUR bekommen. Aus den eingereichten Rechnungen könne abgeleitet werden, dass er nur an 28 Tagen im Jahr 2006 und an 45 Tagen im Jahr 2007 von der Klägerin mit der Durchführung von Fahrten beauftragt worden sei. Von einer Eingliederung in den Betrieb der Klägerin könne somit keine Rede sein. Ferner sei Herr Xauch für weitere Unternehmen als selbständiger Fuhrunternehmer in den fraglichen Zeiträumen tätig gewesen. Selbstverständlich habe die Klägerin ihm vorgeben müssen wohin er zu fahren gehabt habe, es gehe aber an der Sache vorbei, hieraus auf eine fehlende Unternehmereigenschaft des Herrn X schließen zu wollen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Umsatzsteuerbescheide 2006 und 2007 vom 27. August 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 20. Oktober 2010 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2006 auf 77.974,32 EUR und für 2007 auf 80.265,31 EUR festgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es beruft sich auf seine Einspruchsentscheidung. Im Übrigen habe er Herr X auch nicht über die für eine unternehmerische Tätigkeit notwendige Genehmigung nach § 3 Güterkraftverkehrsverkehrsgesetz verfügt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Herrn X als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 31. März 2011 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet, die Klägerin wird durch den angefochtenen Verwaltungsakte in ihren Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO). Das FA hat der Klägerin zu Unrecht den von ihr begehrten Vorsteuerabzug aus den Rechnungen mit dem Zeugen X versagt. Bei diesem handelt es sich entgegen der Ansicht des FA um einen Unternehmer im Sinne des § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG.
1.
Unternehmer ist gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Nichtselbständig tätig sind natürliche Personen nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG, soweit sie in einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen eines Unternehmers zu folgen verpflichtet sind. Die Frage, ob jemand eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausübt, ist nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Es müssen die für und gegen die Unternehmereigenschaft sprechenden Merkmale, die im Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden können, gegeneinander abgewogen werden. Maßgebend ist anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien das Gesamtbild der Verhältnisse (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 02.12.1998 X R 83/96, BStBl II 1999, 534 m.w.N. und BFH-Beschlüsse vom 28.02.2002 V B 31/01, BFH/NV 2002, 957 und vom 20.12.2004 VI B 137/03, BFH/NV 2005, 552). Für Selbständigkeit sprechen insbesondere die Selbständigkeit in Organisation und Durchführung der Tätigkeit, das Unternehmerrisiko (Vergütungsrisiko), die Unternehmerinitiative, die Bindung nur für bestimmte Tage an den Betrieb und geschäftliche Beziehungen zu mehreren Vertragspartnern (BFH-Urteil vom 30.05.1996 V R 2/95, BStBl II 1996, 493). Die sozial- und arbeitsrechtliche Einordnung der Tätigkeit als selbständig oder unselbständig ist für die umsatzsteuerliche Beurteilung ohne Bedeutung (vgl. BFH-Beschluss vom 29.07.2003 V B 22/03, BFH/NV 2003, 1615).
Bei der nach diesen Grundsätzen gebotenen Abwägung ist der Senat aufgrund des Vorbringens der Beteiligten und dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass der Zeuge als selbständiger Unternehmer für die Klägerin tätig war.
Der Zeuge entschied frei, in welchem Umfang er für die Klägerin tätig sei wollte und entfaltete hierdurch Unternehmerinitiative. Er hat glaubhaft ausgesagt, dass es zu einer Inanspruchnahme durch die Klägerin stets ad hoc gekommen sei. Stets sei es um Aufträge gegangen, die kurzfristig hätten erledigt werden müssen und er habe Aufträge nur dann angenommen, wenn dies in sein zeitliches Konzept gepasst hätte. Feste Termine, zu denen er für die Klägerin tätig geworden sei, habe es nicht gegeben. Darüber hinaus sei grundsätzlich vereinbart gewesen, dass er nie über Nacht weg sein werde. Zu förderst habe er für seinen Pilotenbetrieb zur Verfügung stehen wollen. Da der Zeuge, soweit er Aufträge seitens der Klägerin ablehnte, keine Einnahmen erzielte, trug er insoweit auch Unternehmerrisiko. Einen auch für sog. Fehlzeiten garantierten Mindestverdienst war mit der Klägerin ebenso wenig vereinbart wie ein Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle und Anspruch auf bezahlten Urlaub. Die Aussagen des Zeugen werden dadurch gestützt, dass er nach den vorgelegten Rechnungen in 2006 nur an 28 Tagen und in 2007 nur an 45 Tagen für die Klägerin tätig war. Von einer Eingliederung in den Betrieb der Klägerin kann danach keine Rede sein. Im Übrigen war der Zeuge jedenfalls im Jahre 2007 auch einmal für die Firma Ahnefeld als Lkw-Fahrer tätig gewesen. Auch dies spricht für seine selbständige Unternehmereigenschaft. Offen bleiben kann, ob der Zeuge für seine Tätigkeit eine Genehmigung nach § 3 Güterkraftverkehrsgesetz benötigte, denn ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot verstößt ist unerheblich (vgl. § 40 AO).
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, der Ausspruch zur Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 3 FGO.