Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 24.10.2012, Az.: 23 SchH 5/12
Anwendbarkeit der §§ 198, 199 GVG auf Altverfahren; Begründung eines Amtshaftungsanspruchs bei schuldhaftem Handeln der Strafverfolgungsbehörden durch überlange Verfahrensdauer eines Strafverfahrens als schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 24.10.2012
- Aktenzeichen
- 23 SchH 5/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 26837
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2012:1024.23SCHH5.12.0A
Rechtsgrundlagen
- § 198 GVG
- § 199 GVG
- § 839 BGB
- Art. 34 GG
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Zur Anwendbarkeit der §§ 198, 199 GVG bei Altverfahren
- 2.
Allein die überlange Verfahrensdauer eines Strafverfahrens stellt noch keine derartig schwerwiegende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, dass bei schuldhaftem Handeln der Strafverfolgungsbehörden ein Anspruch auf Amtshaftung begründet wird.
In dem Verfahren
Rechtsanwalt K. W., ... in H.,
Kläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte W. ...
gegen
Land X., vertreten durch d. Generalstaatsanwaltschaft ... ,
Beklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro Dr. B. ...
hat der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2012 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ... , den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten im Wesentlichen Entschädigung wegen überlanger Dauer eines gegen ihn gerichteten Strafverfahrens. Gegen den Kläger wurden seitens der Staatsanwaltschaft ... seit dem 3. Februar 2000 Ermittlungen durchgeführt, die am 18. Dezember 2001 zu einer Anklage wegen Geldwäsche in Tateinheit mit versuchtem Betrug sowie einer versuchten Strafvereitelung geführt haben. Das Hauptverfahren gegen den Kläger wurde am 2. Dezember 2002 und nach Zurückversetzung des Verfahrens in den Stand vor Eröffnung des Hauptverfahrens wegen erforderlicher Nachholung rechtlichen Gehörs erneut am 27. Januar 2009 eröffnet. Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht ... begann am 16. Februar 2009. Nach 14 Verhandlungstagen wurde der Kläger am 20. Mai 2009 freigesprochen. Das Urteil ist seit dem 28. Mai 2009 rechtskräftig.
Unter dem 15. Mai 2010 hat der Kläger wegen der Dauer des Verfahrens eine Entschädigung von 20.000,00 € geltend gemacht. Dieser Anspruch ist vom Präsidenten des Landgerichts ... am 29. Dezember 2010 abgelehnt worden.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 13. November 2008 die Grundlage für den von ihm geltend gemachten Entschädigungsanspruch darstelle. Er beruft sich zudem auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. März 2011, in der auf Betreiben einer ursprünglich Mitangeklagten die überlange Dauer des Verfahrens festgestellt worden ist. Zudem ist er der Ansicht, der geltend gemachte Entschädigungsbetrag lasse sich auch aus Amtspflichtsverletzung herleiten.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zur Zahlung von 21.000,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 30. Dezember 2010,
sowie zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 795,20 € zu verurteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die ursprünglich beim Landgericht ... erhobene Klage ist von dort durch Beschluss vom 7. März 2012 an das Oberlandesgericht verwiesen worden. Dabei hat die Kammer ausdrücklich den Rechtsstreit, auch soweit der Kläger sich eines Amtshaftungsanspruchs berühmt, verwiesen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1.
Dem Kläger steht zunächst kein Anspruch gemäß § 199 i. V. m. § 198 GVG wegen überlanger Dauer des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens zu. Diese Anspruchsgrundlage kommt gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zwar auch bei schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 3. Dezember 2011 abgeschlossenen Verfahren in Betracht. Voraussetzung ist jedoch, dass die Dauer des Verfahrens beim Inkrafttreten des Gesetzes Gegenstand einer anhängigen Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden konnte. Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat nicht innerhalb von sechs Monaten (vgl.Art. 35 Abs. 1 EMRK) nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung - dies ist der Freispruch durch das Landgericht ... am 20. Mai 2009 - Klage zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhoben. Entgegen seinem Vorbringen wäre ihm dies aber möglich gewesen. Zwar vermochte der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts ... vom 20. Mai 2009 mangels Beschwer keine Beschwerde zu erheben. Gleichwohl hätte er mit der Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK eine Verletzung des Art. 6 EMRK rügen und die Unangemessenheit der Verfahrensdauer feststellen lassen können. Dies hat er unterlassen. Dass ein solches Verfahren von der ehemaligen Mitangeklagten des Klägers angestrengt worden ist, genügt für den vom Kläger selbst geltend gemachten Anspruch nicht. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 3. März 2011 wirkt nur zwischen den an dem dortigen Verfahren beteiligten Parteien. Sie kann auch aufgrund der unterschiedlichen Verfahrensläufe der Strafverfahren keine präjudizielle Wirkung entfalten.
2.
Die Klage hatte auch unter dem Gesichtspunkt eines Anspruchs aus Amtshaftung keinen Erfolg.
Die Verweisung des Landgerichts an das Oberlandesgericht umfasste lediglich die Geltendmachung von Ansprüchen auf Entschädigung wegen immaterieller Schäden. Hierfür stellt § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG im Streitfall keine taugliche Anspruchsgrundlage dar. Zwar ist ein Schadenersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung durch überlange Verfahrensdauer vereinzelt anerkannt und es kann auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein Anspruch, der sich aus § 839 BGB i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG hergeleitet werden, wenn eine schwerwiegende Verletzung dieses Rechts vorliegt.
Ein solcher Anspruch besteht jedoch im Streitfall nicht.
Allein die überlange Verfahrensdauer eines Strafverfahrens stellt noch keine derartig schwerwiegende Verletzung des Klägers dar. Dass gegen den Kläger strafrechtlich ermittelt und Anklage erhoben worden ist, ist Ausfluss eines sozialadäquaten Verhaltens des Staates und der Verpflichtung jeden Bürgers, sich bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einem Justizverfahren stellen zu müssen. Die damit verbundene Beeinträchtigung des Klägers steigt nicht ohne weiteres allein durch die Mehrdauer des Verfahrens an. Insoweit hätte es dem Kläger oblegen, diejenigen weiteren Umstände darzulegen, die eine entschädigungspflichtige weitergehende Beeinträchtigung begründen könnten, die über die entschädigungslos hinzunehmende Belastung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bei normaler Verfahrensdauer hinausgehen.
3.
Der geltend gemachte Anspruch folgt auch nicht daraus, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Grundsatzentscheidung vom 13. November 2008 eine Entschädigung bei überlangen Verfahren festgesetzt hat. An dem der Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren war der Kläger nicht beteiligt. Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wirken nur zwischen den Parteien des Verfahrens. Der nationale Gesetzgeber war demnach zwar gefordert, für überlange Verfahren einen angemessenen Ausgleich zu schaffen. Diesem ist er durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nachgekommen. Unmittelbar sich aus einem überlangen Verfahren ergebende Ansprüche auf Entschädigung außerhalb dieses Gesetzes sieht das nationale Recht nicht vor.
4.
Mit der Verneinung des Hauptanspruchs standen dem Kläger auch die geltend gemachten Nebenansprüche nicht zu.
5.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
6.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
7.
Mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache bzw. Bedürfnisses einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung war die Revision gemäß § 201 Abs. 2 Satz 3 GVG i. V. m. § 543 ZPO nicht zuzulassen.