Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 18.10.2012, Az.: 16 U 68/12

Schadenersatzbegehren der Massegläubigerin gegen den Insolvenzverwalter wegen Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten; Pflicht zur vorrangigen Befriedigung von Masseverbindlichkeiten

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
18.10.2012
Aktenzeichen
16 U 68/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44605
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hildesheim - AZ: 2 O 348/11

In dem Rechtsstreit
Rechtsanwalt H. T. als Insolvenzverwalter über das Vermögen
der W.-F. L. GmbH, ...,
Beklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
gegen
T.-G. GmbH & Co. KG, ...,
Klägerin und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 5. Oktober 2012 durch den Richter am Oberlandesgericht ..., den
Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Landgericht ... für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert: 28.507,49 €.

Gründe

I.

Die Klägerin als Massegläubigerin begehrt Schadensersatz in Höhe von 28.507,49 € und Zahlung von Verzugszinsen von dem Beklagten als Insolvenzverwalter persönlich wegen Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten (§ 60 InsO) bzw. hilfsweise wegen Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten (§ 61 InsO).

Die Rechnungen der Klägerin, auf die sie ihre Forderungen stützt, stammen vom 02.10.2007 und im Übrigen aus dem Zeitraum vom 14.12.2007 bis 29.01.2008. Masseunzulänglichkeit hat der Beklagte mit Schreiben vom 21.01.2008 angezeigt.

Das Landgericht, auf dessen Urteil gem. § 540 ZPO Bezug genommen wird, hat der Klage bis auf einen geringen Teil der Zinsforderung stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob der Beklagte sich durch Vorlage des im Insolvenzverfahren eingeholten Gutachtens des Dipl.-Finanzwirts K. von einer Haftung nach § 61 InsO entlasten könne, denn er hafte jedenfalls nach § 60 InsO für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten. Durch die unstreitig erfolgten Auszahlungen von Beträgen an Insolvenzgläubiger vor Erfüllung von Masseschulden habe er den nach § 53 InsO festgelegten Vorrang der Masseschulden verletzt. Dabei könne er sich nicht auf die Regelungen des Insolvenzplanes berufen, denn dieser erlaube nur Abweichungen hinsichtlich der Befriedigungsreihenfolge im Verhältnis von Absonderungsberechtigten und Insolvenzgläubigern. Zu ersetzen sei der Vertrauensschaden, der vorliegend in den Nettobeträgen der Rechnungen der Klägerin bestünde. Der Beklagte sei nämlich dem Vortrag der Klägerin, sie sei zum Zeitpunkt der Auftragserteilung durch den Beklagten ausgelastet gewesen und hätte ihre Produktionsmöglichkeiten anderweitig einsetzen können, zudem handele es sich bei den der Insolvenzschuldnerin gelieferten Materialien um Spezialanfertigungen nicht entgegen getreten.

Gegen das Urteil wendet der Beklagte sich mit der Berufung, mit der er den Antrag auf Abweisung der Klage weiter verfolgt. Er wiederholt seinen erstinstanzlichen Vortrag, wonach die Auszahlungen an die Insolvenzgläubiger entsprechend dem Insolvenzplan erfolgt seien. Zum Zeitpunkt der Begründung der Masseverbindlichkeiten sei eine ausreichende Liquidität gewährleistet gewesen, um diese zu erfüllen. Er habe nicht wissen können, dass eine Vereinbarung mit den Gesellschaftern der Besitzgesellschaft über die Gewährung von Sicherheiten für ein Darlehen scheitern würde. Weiter weist er darauf hin, dass er bereits mit Schriftsatz vom 11.04.2012 den Behauptungen der Klägerin zur vollständigen Auslastung ihres Betriebes und Lieferung von speziellen Produkten ohne andere Verwendungsmöglichkeit entgegen getreten sei.

Der Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres Sachvortrags als richtig.

II.

Die Berufung ist unbegründet.

1. Die Klage ist gemäß § 253 ZPO ausreichend bestimmt, nachdem die Klägerin die Ansprüche nach § 60 und § 61 InsO in ein Rangverhältnis als Haupt- und Hilfsantrag gebracht hat. Das war erforderlich, weil der Klägerin zwar nach beiden Vorschriften nur das negative Interesse zusteht, dieses aber unterschiedlich hoch sein kann. So wird der Anspruch aus § 61 InsO regelmäßig hinter dem positiven Interesse zurückbleiben, während ein Anspruch nach § 60 InsO wegen schuldhafter Masseverkürzung nicht selten mit dem positiven Interesse übereinstimmen wird (Urteil des BGH vom 06.05.2004, IX ZR 48/03, zitiert nach juris, Rn. 51). Bereits mit Schriftsatz vom 14.03.2012 hat die Klägerin dazu angegeben, auf die Haftung nach § 61 InsO komme es nicht mehr an, weil der Beklagte nach § 60 InsO hafte. Weiter hat sie mit Schriftsatz vom 20.04.2012 erklärt, sie stütze ihren Schadensersatzanspruch auf § 60 Abs. 1 InsO und nur hilfsweise auf § 61 InsO.

2. Zutreffend hat das Landgericht eine Haftung des Beklagten aus § 60 InsO angenommen, weil er entgegen der sich aus § 53 InsO ergebenden Pflicht zur vorrangigen Befriedigung von Masseverbindlichkeiten Insolvenzforderungen beglichen hat. Unstreitig sind in dem Zeitraum, aus dem die Masseforderungen der Klägerin stammen, Zahlungen gemäß dem Insolvenzplan an die Insolvenzgläubiger erfolgt und zwar in Höhe von rund 297.000 €, wie der Beklagte selbst vorgetragen hat.

a) Diese Feststellungen des Landgerichts hat der Beklagte im Rahmen der Berufungsbegründung nicht angegriffen. Er verweist insoweit lediglich darauf, dass die Auszahlungen an die Insolvenzgläubiger entsprechend dem Insolvenzplan erfolgt seien. Dieser Umstand entlastet den Beklagten jedoch nicht. Ob der Insolvenzplan wirksam zustande gekommen ist und die Zahlungen an die Insolvenzgläubiger aufgrund der Vereinbarungen in dem Insolvenzplan erfolgt sind, ist unerheblich. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, kann der Insolvenzplan weder in Rechte der Massegläubiger eingreifen noch für diese begünstigende Regelungen vorsehen. § 217 InsO ermöglicht es, auf der Grundlage eines Insolvenzplanes von den Vorschriften des Regel-Insolvenzverfahrens abzuweichen, insofern als die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, die Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse an die nach § 217 InsO Beteiligten und die Haftung des Schuldners nach Beendigung des Insolvenzverfahrens geregelt werden. § 217 InsO ist jedoch abschließend und nicht dispositiv, so dass Regelungen für andere als die in § 217 InsO genannten Beteiligten unzulässig sind (Lüer in: Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 217, Rn. 7, 8, 14).

Die übrigen Ausführungen der Berufungsbegründung beziehen sich auf eine Haftung des Beklagten nach § 61 InsO, die das Landgericht jedoch richtigerweise offen gelassen hat.

b) Soweit der Beklagte erstinstanzlich vorgetragen hat, dass im "Zeitraum der Bestellungen" Masseverbindlichkeiten von ca. 750.000 € bestanden haben und auf die Forderungen der Klägerin daher lediglich ein Anteil von ca. 3 % entfallen wäre, genügt der Vortrag nicht, um eine Kausalität des der Klägerin aufgrund des Verstoßes gegen die Befriedigungsreihenfolge nach § 53 InsO entstandenen Schadens zu bestreiten. Der Vortrag ist zu pauschal sowie widersprüchlich und deswegen auch unglaubhaft. Der Beklagte stellt nicht dar, zu welchem Zeitpunkt welche weiteren Masseverbindlichkeiten in welcher konkreten Höhe parallel mit den Forderungen der Klägerin bestanden haben. Das ergibt sich bereits aus der Ca.-Angabe und dem längeren Zeitraum von mindestens vier Monaten, auf den sich die Forderungen der Klägerin beziehen. Im Übrigen erklärt der Beklagte, dass zum Zeitpunkt der vorletzten Planzahlungen am 01.11.2007 nicht erkennbar gewesen sei, dass zukünftig entstehende Masseverbindlichkeiten nicht mehr befriedigt werden können. Das widerspricht jedoch dem Vortrag, bereits zu diesem Zeitpunkt seien Masseverbindlichkeiten von ca. 750.000 € offen gewesen, die nicht mehr befriedigt worden seien. Des Weiteren trägt der Beklagte vor, aus der Minderung der Masse in Höhe von 85.234,12 € infolge der Gutachterkosten hätte die Masseforderung der Klägerin ohne weiteres befriedigt werden können. Wenn das zutrifft, dürften jedoch auch bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit keine offenen Masseverbindlichkeiten in Höhe von noch ca. 750.000 € bestanden haben.

3. Die Klägerin kann nach § 60 InsO zwar nur den Vertrauensschaden verlangen. Vorliegend stellt dieser jedoch den Nettorechnungsbetrag ihrer nicht mehr beglichenen Forderungen dar. Die Klägerin ist bei Erhalt des Vertrauensschadens so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn die zum Schadensersatz verpflichtende Handlung nicht vorgelegen hätte. Im vorliegenden Fall hätten dann Zahlung des Beklagten von gut 297.000 €, die an die Insolvenzgläubiger geflossen sind, zur Bedienung der Masseverbindlichkeiten der Klägerin zur Verfügung gestanden. Hätte der Beklagte also pflichtgemäß gehandelt und die Zahlungen statt an die Insolvenzgläubiger an die Klägerin als Massegläubigerin ausgekehrt, wäre die Forderung der Klägerin vollständig befriedigt worden.

Dass zwischenzeitlich die Kosten des Insolvenzverfahrens nicht mehr gedeckt werden können und mit voraussichtlich 25.000 € ausfallen werden, wie der Beklagte erstinstanzlich vorgetragen hat, ist bei der Berechnung des Schadens nicht zu berücksichtigen. Dieser Umstand beruht auf den Kosten des nachfolgend eingeholten Gutachtens K. und konnte daher von dem Beklagten zu dem Zeitpunkt, als die Forderungen der Klägerin fällig wurden und statt der Insolvenzforderungen hätten beglichen werden müssen, bei pflichtgemäßem Verhalten nicht berücksichtigt werden.

4. Auf die Frage einer Haftung des Beklagten aufgrund des Hilfsantrages nach § 61 InsO wegen der pflichtwidrigen Begründung von Masseverbindlichkeiten kommt es danach nicht mehr an. Ebenso stellte sich die Frage, ob der Beklagte sich auf Grund des vorgelegten Gutachtens des Sachverständigen K. entlasten konnte nicht mehr.

5. Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich unter dem Gesichtspunkt des Verzuges aus §§ 280 Abs. 2, 286, 288 Abs. 1 BGB.

6. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO.