Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 26.05.1998, Az.: 5 U 20/98

Auslegung des Wortlauts einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit; Deckung von zur Zeit der Bestellung nicht absehbaren, willkürlichen Benutzungsänderungen durch die Dienstbarkeit; Erfassung des Aufbaus und Betriebs eines Telekommunikationsnetzes durch eine Dienstbarkeit; Vorliegen einer unwesentlichen Beeinträchtigung eines Grundstücks; Überschreitung der Wesentlichkeitsgrenze durch die Verlegung eines Leerrohres; Duldungspflicht des Einziehens neuer Telekommunikationskabel in vorhandene Leerrohre

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
26.05.1998
Aktenzeichen
5 U 20/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 28940
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:0526.5U20.98.0A

Fundstellen

  • CI 1999, 102-103
  • GK 1999, 499-501
  • IBR 1999, 281 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • MMR 1999, 173-174 (Volltext mit red. LS)
  • NJW 1999, 957-958 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-CoR 1999, 173
  • OLGReport Gerichtsort 1999, 29-30
  • RTkom 1999, 91-92
  • RdE 1999, 240-242

Amtlicher Leitsatz

Zum Umfang der Duldungspflicht gem. § 57 Abs. 1 Nr. 1 und 2 TKG

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Entfernung eines zu Telekommunikationszwecken verlegten Leerrohres in Anspruch.

2

Der Kläger ist Eigentümer der im Grundbuch von ...., Band 94, Blatt 3337 eingetragenen Flurstücke 40 und 42 der Flur 3 von ..... Zu Gunsten der Beklagten ist in Abteilung II des Grundbuchs eine Dienstbarkeit mit folgendem Inhalt eingetragen:

"Flurstücke 40, 42 Flur 3 beschränkte persönliche Dienstbarkeit (Recht zum Verlegen, Betreiben und Unterhalten einer Erdgasfernleitung mit Armaturen und Steuerkabel, Wegerechte, Bebauungs- und Verpflanzungsverbot im Schutzstreifen) für .... Aktiengesellschaft, ...... Unter Bezugnahme auf die Bewilligung vom 14.03.1968 eingetragen am 26.04.1968 in Blatt 1500 mit dem verhafteten Grundbesitz hierher übertragen am 30. April 1985."

3

Im Oktober 1996 verlegte die Beklagte auf den Grundstücken des Klägers neben der bereits vorhandenen Erdgasfernleitung ein Leerrohr zur Durchführung eines Lichtwellenkabels. Dieses Kabel soll zum einen - wie die Beklagte behauptet - für Zwecke der Daten- und Sprachübermittlung für den Betrieb der Beklagten und zum anderen für öffentliche Kommunikationszwecke genutzt werden.

4

Aufforderungen des Klägers, die Verlegungsarbeiten zu beenden und das Leerrohr zu entfernen, ist die Beklagte nicht nachgekommen.

5

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe durch ihre Vorgehensweise seine Eigentumsrechte verletzt. Weder die Dienstbarkeit noch Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes (TKG) erlaubten ihr, ein Leerrohr mit dem Ziel, ein Telekommunikationsnetz aufzubauen, zu verlegen.

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Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, das auf seinen Grundstücken Flurstücke 40 und 42 der Flur 3 von ...., verzeichnet im Grundbuch von ...., Band 94, Blatt 3337, verlegte Leerrohr zu entfernen.

7

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

8

Sie hat die Ansicht vertreten, ihr Recht zur Verlegung des Leerrohrs, durch das ein Lichtwellenleiterkabel geführt werden solle, ergebe sich sowohl aus der Dienstbarkeit als auch aus § 57 Abs. 1 TKG. Das vorhandene Steuerkabel, ein Kupferkabel, genüge heutigen technischen Ansprüchen nicht mehr. Es sei daher durch ein Lichtwellenleiterkabel zu ersetzen, das für betriebsinterne Zwecke und zum Aufbau eines Telekommunikationsnetzes genutzt werden solle.

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Die 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg hat die Klage durch Urteil vom 17.12.1997 mit der Begründung abgewiesen, der Kläger sei gem. § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG verpflichtet, die Verlegung des Leerrohres zu dulden, da sein Grundstück durch die Benutzung nur unwesentlich beeinträchtigt werde.

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Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er geltend macht:

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Die Auffassung des Landgerichts, das Leerrohr beeinträchtige sein Grundstück nur unwesentlich (§ 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG), sei unhaltbar, da die Bearbeitung der landwirtschaftlich genutzten Flächen durch das Leerrohr weiter eingeschränkt werde. Die Auslegung des Landgerichts widerspreche zudem dem gesetzlichen Zusammenhang der in § 57 Abs. 1 TKG normierten Duldungstatbestände. Ebenso wenig könne sich die Beklagte mit Erfolg auf den Tatbestand des § 57 Abs. 1 Nr. 1 TKG berufen, da die Beklagte keine auf seinem Grundstück bereits bestehende, durch ein Recht gesicherte Leitung oder Anlage auch für Zwecke einer Telekommunikationsleitung nutze, sondern ein zusätzliches Leerrohr eingebracht habe, das von der Dienstbarkeit nicht gedeckt sei.

12

Schließlich lasse sich eine Duldungspflicht auch nicht aus der Dienstbarkeit herleiten, da diese das Einführen von Telekommunikationsleitungen nicht umfasse. Das in der Dienstbarkeit erwähnte Rechte der Beklagten zum Verlegen, Betreiben und Unterhalten eines Steuerkabels erlaube nur die Kommunikation zu betriebsinternen Zwecken. Das Leerrohr sei aber zur Aufnahme eines Lichtwellenleiterkabels bestimmt, das ausschließlich Telekommunikationszwecken dienen solle.

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Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, das auf seinen Grundstücken Flurstücke 40 und 42 der Flur 3 von ...., verzeichnet im Grundbuch von ...., Band 94, Bl. 3337 verlegte Leerrohr zu entfernen.

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Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Sie tritt der Berufung nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung entgegen.

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Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung des Klägers ist sachlich nicht gerechtfertigt, weil er gem. § 57 Abs. 1 Nr. 1 TKG zur Duldung des von der Beklagten verlegten Leerrohres verpflichtet ist und ihm daher kein Beseitigungsanspruch zusteht.

18

1.

Ob sich eine Duldungspflicht des Klägers aus der zu Gunsten der Beklagten eingetragenen beschränkt persönlichen Dienstbarkeit (§§ 1090 ff BGB) ergibt, konnte offen bleiben. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass beschränkt persönliche Dienstbarkeiten kein umfassendes Grundstücksrecht zu beliebigen Zwecken gewähren, sondern gegenständlich auf eine genau bestimmte Nutzung und persönlich auf einen bestimmten Nutzer bezogen sind. Wegen des Gebots der Grundbuchklarheit und aus Gründen der Rechtssicherheit ist der Wortlaut einer solchen Dienstbarkeit daher eng auszulegen (Staudinger-Ring, BGB, 13. Aufl. 1994, § 1090 Rn. 1 m.w.N.). Hier folgt aus dem Wortlaut des Grundbuchvermerks, dass zwischen der Erdgasfernleitung und dem als Steuerungskabel bezeichneten Leitungsrecht ein zweckgebundener, funktionaler Zusammenhang bestehen muss. Das Steuerungskabel muss also dem Betrieb der Erdgasfernleitung dienen, so dass es lediglich für die Übermittlung von Sprache und Daten zwischen den beteiligten Betriebsabteilungen und den sonstigen an der Leitungstrasse befindlichen Anlagen der Gasversorgung eingesetzt werden darf. Für eine Nutzung zu Zwecken der Telekommunikation, die - so der Sachvortrag der Beklagten - mit der Verlegung des Leerrohres auch geplant ist, findet sich hingegen im Grundbuchwortlaut keine Anhaltspunkte.

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Anderes könnte sich allerdings aus dem Gesichtspunkt der Bedarfssteigerung ergeben. Es ist anerkannt, dass der Umfang einer Dienstbarkeit nicht von vornherein für alle Zeiten festliegt, sondern sich entsprechend dem jeweiligen Bedürfnis des Berechtigten unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und technischen Entwicklung ändern und mit dem Bedarf wachsen kann. Dies gilt allerdings nur im Rahmen einer der Art nach gleich bleibenden oder zumindest voraussehbaren Nutzung des Grundstücks. Zur Zeit der Bestellung nicht absehbare, willkürliche Benutzungsänderungen werden von der Dienstbarkeit nicht gedeckt (BGHZ 44, 171, 172 ff [BGH 05.10.1965 - V ZR 73/63]; OLG Karlsruhe, NJW-RR 1990, 663 [OLG Karlsruhe 15.03.1990 - 4 U 226/88]). Ob Aufbau und Betrieb eines Telekommunikationsnetzes unter dem Gesichtspunkt der Bedarfssteigerung noch von der Dienstbarkeit umfasst werden, erscheint nicht sicher, weil eine derartige Nutzung zur Zeit der Bestellung nicht ohne weiteres vorhersehbar gewesen sein dürfte. Hinzu kommt, dass eine Grundstücksnutzung für Telekommunikationszwecke regelmäßig einen höheren Nutzungsbedarf gegenüber der bisherigen ausschließlich betriebsinternen Nutzungsart beinhaltet. Da § 57 Abs. 1 Nr. 1 TKG jedoch zu Gunsten der Beklagten eingreift, bedurfte diese Frage keiner abschließenden Entscheidung.

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2.

Wie die Berufung zu Recht rügt, ist der Kläger nicht gem. § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG verpflichtet, die Verlegung des Leerrohres zu dulden, weil seine Grundstücke insoweit mehr als unwesentlich beeinträchtigt werden. Was eine unwesentliche Beeinträchtigung ist, ist in Anlehnung an die Rechtsprechung zu § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB zu beurteilen. Maßstab ist danach das Empfinden eines verständigen Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks in seiner durch Natur, Gestaltung und Zweckbestimmung geprägten konkreten Beschaffenheit (Raimund Schütz, Wegerecht für Telekommunikationsnetze - Chancen für mehr Wettbewerb auf den liberalisierten Telekommunikationsmärkten?, NVwZ 1996, 1053 ff, 1057; Palandt/Bassenge, BGB, 57. Aufl. 1998, § 906 Rn. 22 m.w.N.). Das Verlegen eines Leerrohres überschreitet diese Wesentlichkeitsgrenze, weil die Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen schon im Hinblick auf die Gefahr einer Beschädigung des Rohres nennenswert eingeschränkt wird. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass das Leerrohr neben der vom Kläger zu duldenden, dinglich gesicherten Erdgasleitung verläuft. Die Berufung macht zu Recht geltend, dass insoweit eine isolierte Betrachtungsweise geboten ist und die Frage, ob eine Duldungspflicht aus dem Umstand folgt, dass auf dem Grundstück bereits eine dinglich gesicherte Erdgasleitung verläuft, nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 TKG zu beurteilen ist.

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3.

Die Duldungspflicht des Klägers folgt jedoch aus § 57 Abs. 1 Nr. 1 TKG. Diese Vorschrift bestimmt, dass der Grundstückseigentümer die Errichtung, den Betrieb und die Erneuerung von Telekommunikationslinien auf seinem Grundstück insoweit nicht verbieten kann, als auf seinem Grundstück eine durch ein Recht gesicherte Leitung oder Anlage auch für die Errichtung, den Betrieb oder die Erneuerung einer Telekommunikationslinie genutzt und hierdurch die Nutzbarkeit des Grundstücks nicht dauerhaft zusätzlich eingeschränkt wird.

22

Nach Wortlaut und Regelungszweck gestattet diese Bestimmung auch eine isolierte Neuverlegung eines Telekommunikationskabels, soweit diese eine Nutzung der bereits vorhandenen Leitung oder Anlage darstellt und von der Art der Grundstücksnutzung her nicht über den durch die Dienstbarkeit abstrakt abgesteckten Rahmen hinausgeht (Schütz, a.a.O., S. 1060). Durch die Neuverlegung des Leerrohres neben der bereits vorhandenen Erdgasleitung wird eine bereits vorhandene Anlage genutzt, wobei der Begriff der Anlage über den der Leitung i.S.d. § 57 Abs. 1 Nr. 1 TKG hinausgeht und neben einer Gesamtheit technischer Anlagen auch die in der Dienstbarkeit definierte Kabeltrasse (Schutzstreifen auf beiden Seiten der Erdgasleitung) umfasst. Erstreckte sich § 57 Abs. 1 Nr. 1 TKG nur auf das Einführen neuer Kabel in bereits vorhandene, dinglich gesicherte Schutzrohre, wie die Berufung meint, käme dem Begriff der Anlage keine selbstständige Bedeutung neben dem der Leitung zu. Außerdem dürfte das Einziehen neuer Kabel in vorhandene Leerrohre als unwesentliche Grundstücksbeeinträchtigung bereits gem. § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG zu dulden sein; die Normierung eines weiteren Duldungstatbestandes in § 57 Abs. 1 Nr. 1 TKG erscheint aber nur sinnvoll, wenn diese Vorschrift Tätigkeiten umfasst, die über das Nutzungsmaß des § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG hinausgehen.

23

Für diese Auslegung des Auslegung des § 57 Abs. 1 Nr. 1 TKG spricht zudem die in § 57 Abs. 2 Satz 2 TKG normierte Entschädigungsregelung für Fälle erweiterter Nutzung zu Zwecken der Telekommunikation.

24

Schließlich wird mit § 57 Abs. 1 TKG das gesetzgeberische Ziel verfolgt, gerade Energieversorgungsunternehmen, die ihr vorhandenes Netz zu einem öffentlichen Telekommunikationsnetz ausbauen wollen, das dafür erforderliche Instrumentarium an die Hand zu geben und den Aufbau neuer Netze zu erleichtern. Mit diesem Sinn und Zweck der Vorschrift wäre jedoch eine restriktive Auslegung i.S.d. Berufung nicht in Einklang zu bringen.

25

Da sich die Verlegung des Leerrohres durch die Klägerin auch in dem durch die Dienstbarkeit abstrakt definierten Nutzungsrahmen hält und die Nutzbarkeit des Grundstücks nicht dauerhaft zusätzlich eingeschränkt wird, sind die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Nr. 1 TKG erfüllt. Dem Kläger steht mithin kein Beseitigungsanspruch zu.

26

Die Berufung war nach alldem mit der Kostenfolgen aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 und 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.