Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 13.05.1998, Az.: 2 U 46/98
Begrenzung einer Vertragsstrafe bei Erhöhung der Vertragsstrafe auf Grund fortschreitender Dauer; Zulässigkeit der Begrenzung einer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen Vertragsstrafe auf 40 % der Bruttovergütung; Voraussetzungen für eine unselbstständige Anschlussberufung bei Teilanfechtung durch eine Berufung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 13.05.1998
- Aktenzeichen
- 2 U 46/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 28941
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1998:0513.2U46.98.0A
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 AGBG
- § 322 Abs. 2 ZPO
- § 521 ZPO
- § 522a ZPO
Fundstelle
- OLGReport Gerichtsort 1998, 271-272
Amtlicher Leitsatz
AGB-Vertragsstrafe unzulässig bei Begrenzung auf 40 % der Bruttovergütung. - Voraussetzungen unselbstständiger Anschlussberufung bei Teilanfechtung durch Berufung.
Gründe
1.
Die Klägerin schuldet keine Vertragsstrafe. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob sie mit ihrer Leistung in Verzug geraten ist (§ 11 Ziff. 2 VOB/B) und sie dabei insbesondere den vereinbarten Fertigstellungstermin schuldhaft nicht eingehalten hat; denn sie hat mit der Beklagten zu 1) eine Vertragsstrafe nicht wirksam vereinbart.
a)
Knüpft eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Vertragsstrafe nicht an das Gewicht des Verstoßes an, sondern steigert sie sich kontinuierlich mit fortschreitender Dauer des vertragswidrigen Zustandes, ist eine zeitliche oder summenmäßige Beschränkung sogar bei kleineren Bauaufträgen unerlässlich. Sonst wäre der Unternehmer durch die Gefahr unangemessen benachteiligt, dass die ständig wachsende Vertragsstrafe seine eigenen Ansprüche aufzehren, außer Verhältnis zum möglichen Schaden des Auftraggebers geraten und diesem sogar eine von seinem Sachinteresse nicht mehr gedeckte Geldquelle eröffnen kann (BGH NJW 1997, 3233, 3234 [BGH 07.05.1997 - VIII ZR 349/96]; BGH NJW-RR 1989, 527; BGH NJW-RR 1988, 146; BGH NJW 1983, 385, 387).Eine solche Vertragsstrafe ist aber nicht nur gemäß § 9 Abs. 1 AGBG insgesamt für nichtig zu erklären, wenn eine solche Obergrenze fehlt, sondern auch dann, wenn sie nach Abwägung aller relevanten Umstände des Einzelfalls unangemessen hoch ist. Dies gilt auch für Vereinbarungen unter Kaufleuten (OLG Zweibrücken NJW-RR 1994, 1363, 1365 [OLG Zweibrücken 10.03.1994 - 4 U 143/93]; OLG Hamm NJW-RR 1992, 1206, 1207 [OLG Hamm 18.06.1990 - 17 U 254/88]; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 8. Aufl., Rn. 2072; Ingenstau/Korbion, VOB, 13. Aufl., A § 12, AGBG Rn. 22). Der Bundesgerichtshof (NJW 1987, 380) hat eine AGB-Vertragsstrafe von 0,1 % für jeden Werktag, höchstens jedoch 10 % der Angebotssumme gebilligt, sie aber gleichzeitig als ,in einem noch vertretbaren Rahmen" bezeichnet. Ingenstau/ Korbion (a.a.O.) folgern daraus, dass hier die Grenze der angemessenen Höhe liegen dürfte.
b)
Ob dies zutrifft, braucht nicht entschieden zu werden. Eine Begrenzung auf "40 % der nach der Schlussrechnung maßgeblichen Brutto-Vergütungssumme"überschreitet diese Grenze auf jeden Fall erheblich (so ausdrücklich und mit Recht für eine nahezu wörtlich übereinstimmende Klausel OLG Hamm a.a.O.). Bereits Beschränkungen auf 20 % der Vertragssumme sind in der Rechtsprechung für unwirksam erklärt worden (OLG Zweibrücken a.a.O.; LG München ZfBR 1990, 117). Auch unter Berücksichtigung der "Druckfunktion" der Vertragsstrafe und des Umstandes, dass die Beklagte zu 1) aus wirtschaftlichen Gründen auf eine rasche Erledigung der Rohbauarbeiten angewiesen gewesen sein mag, ist eine derart hohe Sanktion nicht hinnehmbar. Sie kann bereits nach einem relativ kurzen Zeitraum eine Höhe erreichen, die dem kalkulierten Gewinn entspricht. Ein Betrag von 40 % der Vergütungssumme bei einer nicht völlig abwegigen Verzugsdauer von 200 Kalendertagen würde nicht nur einen Verlust des Gewinns bedeuten; er hätte darüber hinaus einen ganz erheblichen finanziellen Schaden des Unternehmers zur Folge, der bei großen Bauaufträgen ruinösen Charakter annehmen kann. Das ist nicht mehr vertretbar.
Die Regelung in § 6 des Bauvertrages vom 25. Oktober 1995, bei dem es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des AGBG handelt, verstößt daher gegen § 9 AGBG und ist nichtig. Eine Herabsetzung der Vertragsstrafe nach 343 BGB scheidet gemäß § 348 HGB aus (BGH BauR 1981, 374, 376).
2.
Der danach gegebene Anspruch der Klägerin auf Werklohnzahlung in Höhe von weiteren 25.888,41 DM ist nicht durch Aufrechnung gemäß §§ 387, 389 BGB erloschen; über die zur Aufrechnung gestellten Ansprüche wegen weiterer Bürgschaftskosten und Kosten der Wasserhaltung hat das Landgericht rechtskraftfähig entschieden, soweit es der Klage stattgegeben hat, § 322 Abs. 2 ZPO. Der Senat ist insoweit an einer Überprüfung gehindert, weil nur die Klägerin Berufung eingelegt hat.
a)
Wenn die beklagte Partei im Wege der Aufrechnung eine Gegenforderung geltend macht, ist neben dem Klageanspruch wegen der erweiterten Rechtskraftwirkung des § 322 Abs. 2 ZPO auch der zur Aufrechnung gestellte Gegenanspruch anhängig. Entscheidet ein Urteil rechtskraftfähig über beide, so enthält es zwei prozessual selbstständige Elemente des Streitstoffs. Die Anrufung des Rechtsmittelgerichts kann daher auf jedes dieser beiden Elemente - und auch auf Teile davon - beschränkt werden (BGH NJW-RR 1995, 240, 242 [BGH 26.10.1994 - VIII ZR 150/93]; BGHZ 109, 179, 189) [BGH 03.11.1989 - V ZR 143/87]. Dies ist hier geschehen, indem lediglich die Klägerin Berufung eingelegt hat. Der Teil des Streitstoffs, der die Gegenansprüche der Beklagten betrifft, ist in der Vorinstanz verblieben und dort mangels Rechtsmittels der Beklagten rechtskräftig geworden.
b)
Der Inhalt der Berufungserwiderung vom 15. April 1998 kann auch nicht als Anschlussberufung nach §§ 521, 522 a ZPO gewertet werden. Obwohl ein Anschlussrechtsmittel nicht als solches bezeichnet zu sein braucht, muss aber in dem Schriftsatz klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck kommen, eine Änderung des vorinstanzlichen Urteils zu erreichen. Diese Klarheit wird in der Regel durch einen Antrag auf Änderung des angefochtenen Urteils erreicht. Der bloße Antrag auf Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels reicht für die Annahme einer Anschlussberufung nicht aus. Zwar kann in einem Fall wie dem vorliegenden der Sachantrag des Berufungsbeklagten in jedem Fall nur auf Zurückweisung der Berufung gerichtet sein, aus seinem Schriftsatz muss aber zweifelsfrei hervorgehen, dass er sich durch das vorinstanzliche Urteil beschwert fühlt und deshalb einen Angriff vortragen will, der den Streitgegenstand der Rechtsmittelinstanz erweitert (BGHZ 109, 179, 187 f. [BGH 03.11.1989 - V ZR 143/87] m.w.N.).Diese Voraussetzungen erfüllt die Berufungserwiderung vom 15. April 1998 nicht, und die Beklagten sind deshalb im Termin am 29. April 1998 darauf hingewiesen worden, dass der die Aufrechnung betreffende Teil des Streitstoffes nicht in zulässiger Weise in die zweite Instanz gelangt ist, ohne dass sie hieraus Konsequenzen gezogen haben. Aus der Berufungserwiderung geht lediglich hervor, dass - erneut - hilfsweise aufgerechnet wird; eine Erklärung mit dem zweifelsfreien Ziel, den Streitgegenstand für den zweiten Rechtszug zu erweitern, kann ihr nicht entnommen werden. Die Klägerin wird durch die schlichte Wiederholung und Ergänzung des erstinstanzlichen Vorbringens zur Hilfsaufrechnung nicht in die Lage versetzt, abzuwägen, ob sie das Risiko einer Änderung des Urteils zu ihren Ungunsten hinnehmen oder ihr eigenes Rechtsmittel zurücknehmen und damit der Anschlussberufung den Boden entziehen soll, § 522 Abs. 1 ZPO.