Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 22.02.2022, Az.: 15 B 615/22

Corona; Genesenennachweis; Genesenenstatus

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
22.02.2022
Aktenzeichen
15 B 615/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59530
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Dauer des Genesenenstatus wird nicht durch die Änderung des § 2 Nr. 5 SchAusnV auf 90 Tage verkürzt, da die Änderung der Verordnung insoweit formell verfassunsgwidrig ist.
Der Genesenennachweis ist kein Verwaltungsakt - in der Hauptsache ist eine Feststellungsklage statthaft.

Tenor:

Im Wege der einstweiligen Anordnung wird vorläufig festgestellt, dass der Antragsteller bis zum 28.05.2022 als genesene Person gilt und die Dauer seines Genesenenstatus nicht durch die Änderung des § 2 Nr. 5 der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung vom 14. Januar 2022 verkürzt worden ist.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 EURO festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers hat Erfolg. Er ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

I.

Das Gericht legt das Hauptbegehren des Antragstellers gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO anhand des in der Antragsschrift vom 16.02.2022 zum Ausdruck kommenden Rechtsschutzziels dahingehend aus, dass dieser die Feststellung der Dauer seines Genesenenstatus entsprechend des am13.12.2021 ausgestellten Genesenennachweises bis zum 31.05.2022 auch in Ansehung zwischenzeitlich anderslautender Bestimmungen der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung (SchAusnahmV) begehrt.

Der wörtlich gestellte Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller einen Nachweis über seine Genesung im Sinne des § 2 Abs. 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 für den Zeitraum vom 26.12.2021 bis zum 31.05.2022 auszustellen, wäre bereits unzulässig und ist daher nach verständiger Würdigung dahingehend auszulegen, dass im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die hier allein mögliche Feststellung über die Dauer des Genesenenstatus des Antragstellers begehrt wird. Eine Verpflichtungsklage des dargestellten Inhaltes kommt in der Hauptsache schon nicht in Betracht, da der Antragsteller bereits im Besitz eben jenes Genesenennachweises der Antragsgegnerin über den genannten Zeitraum ist, mithin kein Rechtschutzbedürfnis für die erneute Ausstellung eines gleichlautenden Nachweises besteht. Zum anderen dürfte in der Hauptsache eine Feststellungsklage einschlägig sein.

Anhaltspunkte dafür, dass der Eilantrag gegen § 2 Nr. 5 SchAusnahmV direkt gerichtet ist, und damit keine Entscheidungskompetenz des hiesigen Verwaltungsgerichts vorläge, sind nicht ersichtlich.

II.

Der so verstandene, auf den Erlass einer Regelungsanordnung zielende Antrag ist gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 VwGO statthaft.

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden (Satz 2). Um einem auf eine inzidente Normenkontrolle gerichteten Feststellungsbegehren auch im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes Rechnung zu tragen, kann das Gericht dabei – entsprechend des ihm bei der Bestimmung des Inhalts einer einstweiligen Anordnung eröffneten freien Ermessens (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 938 Abs. 1 ZPO) – zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG auch vorläufige Feststellungen treffen (vgl. Kopp / Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 123 Rn. 9).

In der Hauptsache kann der Antragsteller sein Begehren mit einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 Var. 1 VwGO verfolgen. Diese Klageart bietet unter anderem die Möglichkeit eines Rechtsschutzes gegen rechtswidrige Normen dergestalt, dass ein Kläger das Fortbestehen des Rechts geltend machen kann, auf dessen Aufhebung oder Einschränkung die nach seiner Auffassung rechtswidrige Norm gerichtet ist (Kopp / Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 43 Rn. 8a und 8c). Eine solche Interessenlage ist hier gegeben. Das feststellungsfähige Rechtsverhältnis i. S. d. § 43 Abs. 1 VwGO besteht im Fall des Antragstellers der Sache nach in der Feststellung des Fortbestehens seiner durch die Genesenenbescheinigung vom 13.12.2021 nachgewiesenen und nunmehr durch § 2 Nr. 5 SchAusnahmV beschnittenen begünstigenden Rechtsposition als genesene Person, auf welche auch die Niedersächsische Corona-Verordnung vom 23.11.2021 (mit Stand vom 01.02.2022) bei zahlreichen Regelungen Bezug nimmt.

Hierfür ist die Region B-Stadt richtige Antragsgegnerin, weil das streitige Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller als Normadressat und der Region B-Stadt als Normanwenderin besteht, welche den hier vorliegenden Nachweis vom 13.12.2021 ausgestellt hat und letztlich die für den Vollzug und die Überwachung zuständige Behörde darstellt (vgl. Sodan / Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 58 ff.; VG Halle, B. v. 16.02.2022 – 1 B 41/22 HAL – juris Rn. 7).

Der Antragsteller kann sein Feststellungsbegehren nicht mittels einer gegenüber der allgemeinen Feststellungsklage vorrangigen Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Denn bei der begehrten Bescheinigung über den Genesenenstatus handelt es sich nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen summarischer Prüfung nicht um einen Verwaltungsakt (vgl. VG Würzburg, B. v. 21.12.2021 – W 8 E 21.1606 –, juris, Rn. 33; VG Gera, B. v. 12.10.2021 – 3 E 1002/21 Ge –, juris, Rn. 14; VG Berlin, B. v. 20.09.2021 – 14 L 512/21 –, juris, Rn. 4; VG Dresden, B. v. 11.02.2022 – 6 L97/22 –, V.n.b.; a.A. VG Osnabrück, B. v. 04.02.2022 – 3 B 4/22 –, juris, Rn. 8). Nach § 35 Satz 1 VwVfG in Verbindung mit § 1 NdsVwVfG ist ein Verwaltungsakt jede Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Eine Maßnahme hat Regelungscharakter, wenn sie nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt darauf gerichtet ist, eine Rechtsfolge zu setzen. Sie muss für den Betroffenen rechtsverbindlich Rechte oder Pflichten begründen, inhaltlich ausgestalten, ändern, aufheben, feststellen oder einen derartigen Ausspruch rechtsverbindlich ablehnen (BVerwG, Urt. v. 29.04.1988 – 9 C 54.87 –, BVerwGE 79, 291 <293> und vom 05.11.2009 – 4 C 3.09 –, BVerwGE 135, 209, Rn. 15).

Die Bescheinigung über den Genesenenstatus erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Sie hat bereits keinen eigenen Regelungscharakter. Nach § 2 Nr. 5 SchAusnahmV ist ein Genesenennachweis ein Nachweis hinsichtlich des Vorliegens eines durch vorherige Infektion erworbenen Immunschutzes gegen das Coronavirus SARS-CoV-2, sofern der Nachweis den vom Robert Koch-Institut im Internet unter der Adresse www.rki.de/covid-19-genesenennachweis unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft veröffentlichten Vorgaben entspricht. Die zum Nachweis ausgestellte Bescheinigung enthält damit nur Informationen über eine stattgehabte Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und die anschließende Genesung, trifft dabei jedoch keine eigene rechtliche Regelung. Die jeweiligen an das Vorliegen eines Genesenenstatus anknüpfenden Rechtsfolgen ergeben sich vielmehr unmittelbar aus den jeweiligen bundes- und landesrechtlichen Rechtsnormen zum Infektionsschutz. Zutreffend verweist das Verwaltungsgericht Dresden in diesem Zusammenhang darauf, dass mit der Bescheinigung lediglich behördliches Wissen kundgetan wird (B. v. 11.02.2022 – 6 L97/22 – V.n.b., m.w.N.).

Eine andere Rechtsauffassung würde nach Ansicht der Kammer dazu führen, dass der Nachweis über den Genesenenstatus als Verwaltungsakt gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG i.V.m. § 1 NdsVwVfG trotz der Änderung der SchAusnahmV wirksam bliebe, da er – soweit ersichtlich – weder zurückgenommen noch widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf bzw. auf andere Weise erledigt ist. In diesem Fall wäre jedoch auch das Rechtsschutzbedürfnis für den hiesigen Antrag zumindest zweifelhaft.

Der Antragsteller hat zudem ein berechtigtes Interesse (vgl. § 43 Abs. 1 VwGO) an der Feststellung, dass die sechsmonatige Geltungsdauer seines Genesenenstatus, wie er in seiner Genesenenbescheinigung vom 13.12.2021 ausgewiesen ist, nicht nach Maßgabe von § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.01.2022 verkürzt worden ist. Das berechtigte Interesse – als Ausprägung des allgemeinen Rechtsschutzinteresses – schließt jedes als schutzwürdig anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art ein. Entscheidend ist, dass die (vorläufige) gerichtliche Feststellung geeignet erscheint, die Rechtsposition des Antragstellers in den genannten Bereichen zu verbessern (st. Rspr., vgl. nur: BVerwG, B. v. 20.12.2017 – 6 B 14.17 – juris). Das ist hier der Fall.

Die erst am 15.02.2022 erfolgte Änderung der Vorgaben des Robert Koch-Instituts (RKI) für COVID-19-Genesenennachweise, welcher zufolge die Verkürzung des Genesenenstatus von sechs auf drei Monate "ausschließlich vor und nach der durchgemachten Infektion nicht geimpfte Personen" betrifft und somit im Umkehrschluss der Genesenenstatus für trotz einer Impfung an COVID-19 erkrankte Personen weiterhin sechs Monate beträgt (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Genesenennachweis.hml), lässt das Feststellungsinteresse nicht entfallen. Der Antragsteller gehört nicht zu dem durch die Änderung begünstigten Personenkreis, da er ausweislich der schriftlichen Mitteilung seines Prozessbevollmächtigten vom 18.02.2022 nicht gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 geimpft ist. Der Antragsteller ist auch auf die Feststellung über die Dauer seines Genesenenstatus entsprechend dem ihm ausgestellten Genesenennachweis angewiesen, da er im täglichen Rechtsverkehr nicht effektiv von diesem Gebrauch machen kann, solange eine grundsätzlich auch auf ihn anwendbare Rechtsverordnung des Bundes für ungeimpfte Personen eine kürzere Gültigkeitsdauer des Genesenenstatus regelt. Nach derzeit geltender Rechtslage können nur Personen, die als geimpft oder genesen i. S. v. § 2 Nr. 2 und 5 SchAusnahmV gelten, Ausnahmen von den in zahlreichen Bereichen des sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens geltenden Beschränkungen durch die derzeit gültige Niedersächsische Corona-Verordnung in Anspruch nehmen. Verstöße hiergegen werden gemäß § 22 der Niedersächsischen Corona-Verordnung als Ordnungswidrigkeiten geahndet. Die Antragsgegnerin als Normanwenderin geht ausweislich ihrer Antragserwiderung auch ihrerseits davon aus, dass die Geltungsdauer des Genesenenstatus durch das Robert Koch-Institut auf 90 Tage verkürzt wurde.

III.

Der Antrag ist auch begründet.

Die Begründetheit des Antrags nach § 123 Abs. 1 VwGO setzt voraus, dass ein Antragsteller sowohl das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. seine materielle Anspruchsberechtigung, als auch eines Anordnungsgrundes, d.h. eine besondere Dringlichkeit, glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO. Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht regelmäßig nur vorläufige Entscheidungen treffen und einem Antragsteller noch nicht in vollem Umfang das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erstreiten könnte. Im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG gilt dieses Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache jedoch nicht, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile des Antragstellers unzumutbar und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären sowie ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad für einen Erfolg in der Hauptsache spricht, der Antragsteller dort also schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden, bloß summarischen Prüfung des Sachverhalts erkennbar Erfolg haben würde (vgl. etwa BVerwG, B. v. 26.11.2013 – 6 VR 3.13 – juris Rn. 5, 7).

Gemessen an diesen Voraussetzungen dringt der Antragsteller vorliegend mit seinem Begehren im Wesentlichen durch. Er hat das Bestehen eines Anordnungsgrundes und eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht.

Die besondere Eilbedürftigkeit besteht für den Antragsteller darin, dass er ohne einen Nachweis über einen Genesenenstatus aufgrund der 2G-Maßnahmen der derzeit gültigen Niedersächsischen Corona-Verordnung von weitgehenden Teilen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen ist und ihm daher ein Zuwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann. Denn in Folge der Änderung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV vom 14.01.2022 besteht für den Antragsteller die berechtigte Gefahr, dass sein Genesenenstatus nicht anerkannt wird, da das Datum der Abnahme des positiven Tests, der 28.11.2021, wenige Tage nach der gerichtlichen Entscheidung bereits 90 Tage zurückliegen wird. Hinzu kommt, dass eine Entscheidung in einer eventuellen Hauptsache nicht vor dem bisher ausgewiesenen Enddatum des Genesenennachweises vom 13.12.2022 ergehen wird, sodass dem Antragsteller ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung unzumutbare und irreversible Nachteile drohen, da dieser sein Rechtsschutzbegehren ohne die begehrte einstweilige Regelung in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr effektiv durchsetzen könnte (vgl. auch VG Ansbach, B. v. 11.02.2022 – AN 18 S 22.00234 – V.n.b.).

Vorliegend besteht auch ein Anordnungsanspruch.

Die Änderung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in Folge der Verordnung zur Änderung der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung und der Coronavirus-Einreiseverordnung vom 14.01.2022 (BAnz AT 14.01.2022 V1) ist bei summarischer Prüfung verfassungswidrig, so dass der anhand von § 2 Nr. 5 SchAusnahmV, gültig ab 09.05.2021 bis 14.01.2022, bemessene Genesenenstatus des Antragstellers fortgilt. Dieser gilt jedoch nur bis zum 28.05.2022.

§ 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.01.2022 ist bei summarischer Prüfung jedenfalls aus formellen Gründen verfassungswidrig. Denn der Verweis des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.01.2022 auf die Internetseite des Robert Koch-Instituts für die Anforderungen an einen Genesenennachweis, insbesondere zur Festlegung dessen Dauer, erweist sich als formell verfassungswidrig (so auch VG Osnabrück, B. v. 04.02.2022 – 3 B 4/22 – juris; VG Halle, B. v. 16.02.2022 – 1 B 41/22 HAL – juris; VG Hamburg, B. v. 14.02.2022 – 14 E 414/22 – juris; vgl. zu festgestellten Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit in Folge dynamischer Verweisung auf eine Internetseite BVerfG, B. v. 10.02.2022 – 1 BvR 2649/21 – juris Rn. 14).

Der Verweis in § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.01.2022 auf die Homepage des Robert Koch-Instituts verstößt gegen das Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, weil die in der dynamischen Verweisung enthaltene Subdelegation an das Robert Koch-Institut die gesetzgeberische Ermächtigung aus § 28c IfSG überschreitet.

Die Kammer schließt sich insoweit den Ausführungen des VG Hamburg (B. v. 14.02.2022 – 14 E 414/22 – juris Rn. 33 ff.) an, welches darstellt:

„Eine Rechtsverordnung genügt den Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 GG nur, wenn sie sich in den Grenzen der wirksamen (gesetzlichen) Ermächtigung hält; anderenfalls würde Art. 80 Abs. 1 GG unterlaufen (BVerfG, Urt. v. 19.9.2018, 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15, juris Rn. 209 m.w.N.). Nach Art. 80 Abs. 1 GG können durch Gesetz die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, wobei Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden müssen. Mit dieser Vorschrift verwehrt das Grundgesetz dem Parlament sich seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft zu entäußern und setzt voraus, dass das Parlament im Falle einer Ermächtigung zum Verordnungserlass die Grenzen der Kompetenzen bedenkt sowie diese nach Tendenz und Programm so genau umreißt, dass schon aus der Ermächtigung selbst erkennbar und vorhersehbar ist, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll (BVerfG, Urt. v. 19.9.2018, a.a.O. Rn. 199 m.w.N.). Folglich darf sich das Parlament nicht mit einer Blankoermächtigung an die Exekutive seiner Verantwortung für die Gesetzgebung entledigen und damit selbst entmachten, sondern muss stets Herr der Gesetzgebung bleiben (BVerfG, Urt. v. 19.9.2018, a.a.O. Rn. 199 m.w.N.). Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG bedarf es sodann zur weiteren Übertragung der Ermächtigung selbst einer Rechtsverordnung. Eine Subdelegation in diesem Sinne liegt jedoch nur dann vor, wenn auch die Befugnis zum Erlass einer Rechtsverordnung übertragen wird, was nicht der Fall ist, wenn der Verordnungsgeber lediglich ein Tätigwerden Dritter, zum Beispiel auch Privater, ermöglicht oder deren konsultative Einbindung in ein behördliches Verfahren vorsieht (BVerfG, Urt. v. 19.9.2018, a.a.O. Rn. 208).

Diesen Maßstäben wird § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.01.2022 nicht gerecht. Der Verordnungsgeber der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung, die Bundesregierung, überschreitet die Grenzen seiner Ermächtigung durch den Bundesgesetzgeber, indem er seine Normsetzungsbefugnis durch eine partielle Blankoermächtigung auf das Robert Koch-Institut überträgt. Nach § 28c IfSG wird die Bundesregierung ermächtigt, durch Rechtsverordnung für Personen, bei denen von einer Immunisierung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 auszugehen ist, Erleichterungen oder Ausnahmen von Geboten und Verboten nach dem fünften Abschnitt dieses Gesetzes oder aufgrund von Vorschriften im fünften Abschnitt dieses Gesetzes erlassenen Geboten und Verboten zu regeln. Wenn die Bundesregierung von dieser Ermächtigung Gebrauch macht, kann sie zugleich die Landesregierungen ermächtigen, ganz oder teilweise in Bezug auf von den Ländern nach dem fünften Abschnitt dieses Gesetzes erlassene Gebote und Verbote für die in Satz 1 genannten Personen Erleichterungen und Ausnahmen zu regeln. Die Landesregierungen wiederum können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung an andere Stellen übertragen.

Die Regelung in § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.01.2022 überschreitet diese Ermächtigungsbefugnis aus § 28c IfSG. Nach § 2 Nr. 5 SchAusnahmV ist ein Genesenennachweis ein Nachweis in verkörperter und digitaler Form, wenn er den vom Robert Koch-Institut im Internet unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft veröffentlichten Vorgaben hinsichtlich der Art der Testung und der Zeit, die nach der Testung zum Nachweis der Infektion vergangen sein muss und der Zeit, die die Testung zum Nachweis der vorherigen Impfung höchstens zurückliegen darf, entspricht.

Die in dieser Regelung enthaltene Subdelegation an das Robert Koch-Institut überschreitet die zitierte Ermächtigungsbefugnis aus § 28c IfSG. Anders als die Landesregierung ist die Bundesregierung, die die Schutzmaßnahmenausnahmeverordnung erlassen hat, schon nach § 28c IfSG nicht ermächtigt, ihrerseits andere Stellen zu ermächtigen. Dem ausdrücklichen Wortlaut von § 28c IfSG zufolge darf die Bundesregierung ausschließlich die Landesregierungen ermächtigen, weitere Ge- und Verbote zu erlassen. Eine Ermächtigung des Robert Koch-Instituts überschreitet bereits aus diesem Grund die Ermächtigung der Bundesregierung zur Subdelegation (vgl. hierzu auch VG Osnabrück, Beschl. v. 4.2.2022, 3 B 4/22, juris Rn. 19). Denn das Robert Koch-Institut kann nach dieser Vorschrift die entscheidenden Kriterien insbesondere in Bezug auf die Geltungsdauer des Genesenennachweises eigenständig und lediglich unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft bestimmen. Zudem dienen die auf dieser Grundlage veröffentlichten Vorgaben des Robert Koch-Instituts auch ausschließlich dazu, den Regelungen des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV nachzukommen. Dafür spricht der Wortlaut der Veröffentlichung auf der Internetseite des Robert Koch-Instituts: „Gemäß Verordnung zur Änderung der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung und der Coronavirus-Einreiseverordnung vom 14.01.2022 weist das RKI aus, welche fachlichen Vorgaben ein Genesenennachweis erfüllen muss“ (vgl. hierzu Wissenschaftliche Dienste/Deutscher Bundestag, S. 10). Dadurch verfügt das Robert Koch-Institut über eine selbständige Entscheidungsmacht über die Anforderungen an einen Genesenennachweis gerade bezüglich der grundrechtsrelevanten Frage der Geltungsdauer. Eine lediglich konsultative Einbindung des Robert Koch-Instituts in ein behördliches Verfahren ist vor diesem Hintergrund nicht anzunehmen, da das Institut nicht beratend in einen Entscheidungsprozess eingebunden ist, sondern eine eigene, verbindliche Entscheidung – veröffentlicht auf seine Homepage – trifft.“

Darüber hinaus verstößt die Regelung des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.01.2022 durch den Verweis auf die Internetseite des Robert Koch-Instituts bei summarischer Prüfung gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG. Erforderlich ist, dass der Betroffene die Rechtslage anhand der gesetzlichen Regelung so erkennen kann, dass er sein Verhalten danach auszurichten vermag. Die Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Norm erhöhen sich, wenn die Unsicherheit bei der Beurteilung der Gesetzeslage die Betätigung von Grundrechten erschwert (so BVerfG, B.v. 03.03.2004 – 1 BvF 3/92 – juris Rn.103). Da § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.01.2022 selbst keine eigene Regelung mehr dazu beinhaltet, wann ein Genesenenstatus vorliegt und hierzu rein auf die Internetseite des Robert Koch-Instituts verweist, werden diese Anforderungen nicht erfüllt. Durch die bloße Verweisung auf eine Internetseite kann der von der Regelung Betroffene die Rechtslage anhand dieser gesetzlichen Regelung nicht mehr so erkennen, dass er sein Verhalten danach ausrichten kann. Wie bereits ausgeführt, hat jedoch der Status als Genesener entscheidende Auswirkungen auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (vgl. oben). Zwar kann sich der Betroffene durch Aufruf der Internetseite des Robert Koch-Instituts über die aktuell für einen Genesennachweis geltenden Anforderungen informieren. Hier wirkt sich jedoch durchgreifend aus, dass sich der Inhalt einer Internetseite – im Gegensatz zu Normen – jederzeit ändern kann; dies ohne ein Rechtssetzungsverfahren. Daher lässt sich die hier vorliegende Konstellation der Verweisung auf eine Internetseite nicht einer dynamischen Verweisung auf Normen einer anderen Normsetzungsinstanz (vgl. hierzu Huster/Rux in BeckOK, Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 49. Edition Stand: 15.11.2021, Art. 20 Rn. 183) vergleichen. Darüber hinaus muss der Betroffene ständig überprüfen, ob die Internetseite weiterhin denselben Inhalt hat, um über die Rechtslage informiert zu bleiben und um folglich auch zu wissen, ob er die 2G-Maßnahmen in Anspruch nehmen kann oder nicht.

Nach alledem erweist sich § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14.01.2022 bei summarischer Prüfung auf Grund oben genannter Gründe als verfassungswidrig, so dass vorliegend in Bezug auf den Antragsteller der anhand des § 2 Nr. 5 SchAunsahmV, gültig ab 09.05.2021 bis 14.01.2022, bemessene Genesenenstatus weiterhin für die Dauer von sechs Monaten ab der erfolgten Testung fortgilt.

Die danach weiterhin geltende sechsmonatige Dauer des Genesenenstatus endet für den Antragsteller, der am 28.11.2021 positiv auf COVID-19 getestet wurde, jedoch bereits am 28.05.2022. Soweit der Antragsteller darüber hinaus seinen Genesenenstatus bis zum 31.05.2022 bestätigt bekommen möchte, hat der Antrag keinen Erfolg. Die ausgestellte Genesenenbescheinigung der Antragsgegnerin weist zwar eine Dauer des Genesenenstatus bis zum 31.05.2022 aus, dies liegt jedoch in der verwendeten Berechnungsmethode begründet und entspricht nicht den Vorgaben des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV alter Fassung.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, da das Unterliegen des Antragstellers vorliegend nicht ins Gewicht fällt.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwertes folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Von einer Reduzierung des Betrages im Eilverfahren (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit) ist abzusehen, weil aufgrund der begehrten Vorwegnahme der Hauptsache die Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens dem Hauptsacheverfahren entspricht.