Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.06.2002, Az.: 6 K 449/00
Erlass von Nachforderungszinsen zur Körperschaftsteuer aus Billigkeitsgründen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 18.06.2002
- Aktenzeichen
- 6 K 449/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 14064
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2002:0618.6K449.00.0A
Fundstellen
- DStRE 2003, 121-123
- EFG 2003, 17-18
- INF 2003, 1
- ZKF 2003, 187
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der zu erlassenden Nachzahlungszinsen zur Körperschaftsteuer für die Jahre 1993, 1995, 1996 und 1997 streitig.
Aufgrund einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung für die Jahre 1992 bis 1996 setzte der Beklagte wegen der Feststellungen der Außenprüfung die Körperschaftsteuer für die Jahre 1993, 1995 bis 1997 in Höhe von insgesamt 16.663.665 DM herauf. Auf diese Körperschaftsteuernachzahlungsbeträge leistete die Klägerin am 29. Oktober 1998, am 24. April 1999 und am 31. Mai 1999 jeweils Teilbeträge an das Finanzamt (FA). Geänderte Steuerfestsetzungen für die betroffenen Jahre wurden im März, Mai und Juni 1999 bekannt gegeben.
Wegen der vorzeitigen Zahlung beantragte die Klägerin den Erlass von Nachzahlungszinsen wegen sachlicher Unbilligkeit. Daraufhin erließ der Beklagte mit Bescheid vom 12.01.2000 insgesamt Nachzahlungszinsen in Höhe von 454.060 DM. Dabei ging er von folgender Berechnung aus:
VZ | abgerundeter Zahlungsbetrag | Zahlungszeitpunkt | Wirksamkeit der Steuerfestsetzung | volle Monate | % | zu erlassende Zinsen in DM |
---|---|---|---|---|---|---|
1993 | .2.760.400 | 29.10.1998 | 31.03.1999 | 5 | 2,5 | 69.010 |
1995 | .2.847.600 | 29.10.1998 | 23.05.1999 | 6 | 3 | 85.428 |
1997 | 14.400.000 | 27.04.1999 | 24.06.1999 | 1 | 0,5 | 72.000 |
1997 | 2.260.000 | 31.05.1999 | 24.06.1999 | 0 | 0 | 0 |
1996 | 7.587.400 | 29.10.1998 | 23.05.1999 | 6 | 3 | 227.622 |
Bei der Berechnung der Nachzahlungszinsen legte der Beklagte gemäß Tz. 70 zu § 233 a des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) den Zeitraum vom Zahlungszeitpunkt bis zur Wirksamkeit der Steuerfestsetzung zugrunde. Fiktive Erstattungszinsen in diesem Zeitraum wurden nur für volle Monate errechnet.
Den von der Klägerin erhobenen Einspruch wies der Beklagte durch Entscheidung vom 14. Juni 2000 zurück.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin den Erlass weiterer Erstattungszinsen. Zur Begründung trägt sie im wesentlichen vor, dass durch die Berechnung des Beklagten der Zahlungsmonat im Ergebnis weiterhin verzinst werde, obwohl nach der Zinsberechnung angefangene Monate unberücksichtigt bleiben müssten. Unstrittig sei, dass der Beklagte die Nachzahlungszinsen in voller Höhe gemäß § 233 a AO festgesetzt habe und ein Teil hiervon aufgrund der freiwilligen Leistung der Klägerin aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sei. Die Berechnung des Beklagten führe jedoch zu fehlerhaften, nicht sachgerechten Ergebnissen. Bei wortgetreuer Anwendung des Erlasses ergebe sich, dass eine nur lediglich vier Tage spätere Zahlung zu einem Verlust eines Erstattungsmonats führen könne, da der Erlasszeitraum durch die beiden variablen Größen "Zeitpunkt der freiwilligen Zahlung"und "Wirksamkeit der Steuerfestsetzung"definiert werde.
In Anlehnung an ihre grundsätzliche Verzinsungsregelung nachzuzahlender wie auch zu erstattender Beträge wäre es auch im Fall des Zinserlasses aufgrund freiwilliger Zahlung daher sachgerecht, zur Ermittlung der verbleibenden festgesetzten Nachzahlungszinsen den Zeitraum zwischen Beginn des Zinslaufs und Eingang der freiwilligen Leistung und zwar auch hier nur volle Kalendermonate zugrunde zu legen. Es würde quasi eine fiktive Steuer- und Zinsfestsetzung im Zeitpunkt der freiwilligen Leistung durchgeführt werden.
Die Klägerin beantragt,
den Erlassbescheid vom 12. Januar 2000 sowie die Einspruchsentscheidung vom 14. Juni 2000 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, Nachzahlungszinsen in Höhe von insgesamt 603.337 DM (= 308.480 Euro) zu erlassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid. Danach sei zwar ein sachlicher Billigkeitsgrund im Zeitpunkt der Zahlung gegeben. Die Berechnung der zu erlassenden Zinsen habe nach Tz. 70 des AEAO zu § 233 a zu erfolgen. Fiktive Erstattungszinsen, also der jeweilige Erlassbetrag, errechne sich aus dem Zeitraum zwischen Zahlung und Wirksamkeit der Steuerfestsetzung. Dabei seien jedoch entsprechend § 238 Abs. 1 Satz 2 AO lediglich volle Zinsmonate zu berücksichtigen. Ein höherer Erlassbetrag könne deshalb nicht in Betracht kommen.
Gründe
Die Klage ist nur zu einem geringen Teil begründet. Der Erlassbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig, soweit der Beklagte abweichend vom Antrag der Klägerin den Erlass von 915 DM (= 467,83 Euro) zusätzlicher Nachzahlungszinsen abgelehnt hat.
I.
Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
1.
Die Möglichkeit eines Erlasses aus Billigkeitsgründen nach § 227 AO besteht grundsätzlich auch, wenn ein Erlass von Nachforderungszinsen begehrt wird, da es sich bei den Zinsansprüchen im Sinne des § 233 a AO um Nebenleistungen aus dem Steuerschuldverhältnis handelt (§ 3 Abs. 4 AO; vgl. auch BFH-Urteil vom 5. Juni 1996 X R 234/93, BFHE 180, 240, Bundessteuerblatt (BStBl) II 1996, 503 m.w.N.).
a)
Unbilligkeit aus sachlichen Gründen kann gegeben sein, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht oder nicht in vollem Umfang zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwider läuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen jedoch keinen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen (BFH-Urteil vom 20. Januar 1997 V R 28/95, BFH/NV 1997, 720). Ein Erlass aus Billigkeitsgründen darf jedenfalls nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung eines den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis begründenden Gesetzes zu unterlaufen (BFH-Urteil vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259).
b)
Die freiwillige Zahlung der Klägerin vor Wirksamwerden der Steuerfestsetzung stellt nach Auffassung des Senats, wovon auch die Beteiligten unstreitig ausgehen, einen sachlichen Billigkeitsgrund dar. Eine vollständige Verzinsung trotz vorzeitiger Zahlung widerspricht den der Verzinsungsregelung des § 233a AO zugrundeliegenden Wertungen.
Zweck der Vorschrift des § 233 a AO ist es, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen, aus welchen Gründen auch immer, zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden (vgl. BFH-Urteil vom 25.11.1997 IX R 28/96, BFHE 185, 94, BStBl II 1998, 550). Wegen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung sollen Liquiditätsvorteile, die aus dem verspäteten Erlass eines Steuerbescheides entstehen, jedenfalls für die Zeit nach Ablauf von fünfzehn Monaten nach Entstehung der Steuer abgeschöpft werden. Durch die sogenannte Vollverzinsung sollen die Zinsvorteile des Steuerpflichtigen und die Zinsnachteile ausgeglichen werden, die auf Seiten des Steuergläubigers objektiv entstehen.
Dementsprechend geht der BMF im AEAO zu § 233 a Tz. 70 im Einklang mit der Auffassung des Senats davon aus, dass Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen sind, soweit der Steuerpflichtige auf die sich aus der Steuerfestsetzung ergebende Steuerzahlungsforderung bereits vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung freiwillige Leistungen erbracht und das FA diese Leistung angenommen und behalten hat. Nachzahlungszinsen sind daher nur für den Zeitraum bis zum Eingang der freiwilligen Leistung zu erheben. Insoweit ist dies auch einhellige Meinung der Beteiligten.
2.
Wird die freiwillige Leistung erst nach Beginn des Zinslaufs oder nicht in voller Höhe erbracht, sind nach dem AEAO - den der Beklagter seiner Berechnung zugrunde gelegt hat - Nachzahlungszinsen aus Vereinfachungsgründen jedoch nur insoweit zu erlassen, wie die auf volle 100 DM (50 Euro) abgerundete freiwillige Leistung für jeweils volle Monate vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung erbracht worden sind.
a)
Für die Berechnung der zu erlassenden Nachzahlungszinsen ist, wie der BMF zu Recht hervorhebt, zwar der Zeitraum zwischen freiwilliger Zahlung und Wirksamkeit der Steuerfestsetzung, also dem Ende des Zinslaufes zugrunde zu legen. Die Auffassung der Klägerin, dass im Zeitpunkt der freiwilligen Zahlung quasi eine Steuerfestsetzung anzunehmen sei und sich demzufolge der Zinszeitraum auf die Zeit zwischen Zinsbeginn und freiwilliger Zahlung erstrecke, folglich der gesamte darüber hinausgehende Zinsbetrag zu erlassen sei, entspricht nicht der gesetzlichen Regelung. Die freiwillige Zahlung stellt lediglich einen Billigkeitsgrund aufgrund des Verlustes des Liquiditätsvorteils dar. Mit ihr ist weder eine Steuerfestsetzung noch eine Beendigung des Zinslaufs gemäß § 233 a AO eingetreten. Vielmehr entfällt mit der freiwilligen Zahlung für den verbleibenden Zeitraum zwischen Zahlung und Ende des Zinslaufs der von der Zinsregelung abzuschöpfende Liquiditätsvorteil, so dass für den verbleibenden Zeitraum ein Erlassgrund begründet wird.
b)
Entgegen der Auffassung des BMF im AEAO zu § 233 a Tz. 70 findet § 238 Abs. 1 Satz 2 AO für die Frage des zu erlassenden Zinsbetrages jedoch keine Anwendung. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO gilt aufgrund seiner systematischen Stellung und seines Wortlautes eindeutig lediglich für die Zinsfestsetzung. Er ist eine Vereinfachungsregelung, die sich zu Gunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, weil jeweils angefangene Zinsmonate nicht in die Zinsberechnung einbezogen werden. Wendet man § 238 Abs. 1 Satz 1 AO hingegen bei der Berechnung der zu erlassenden Nachzahlungszinsen an, verkehrt sich der ursprüngliche Vorteil in sein Gegenteil. Nicht der volle Zeitraum eines etwaigen Liquiditätsvorteils wird erfasst, sondern lediglich ein um die jeweils angefangenen Monate gekürzter Erlasszeitraum, der von 0 bis 29 Tagen variieren kann.
Für eine derartige nachteilige Anwendung der Vereinfachungsregelung im Rahmen des Billigkeitsverfahrens gibt es keine hinreichende Rechtfertigung. Zwar wird durch die taggenaue Berechnung des zu erlassenden Zinsbetrages die für die Zinsfestsetzung vorgesehene vereinfachte Berechnung nach § 238 Abs. 1 AO wieder aufgehoben. Angesichts der nur bei Vorliegen besonderer Umstände eintretenden sachlichen Unbilligkeit, die sich im Vergleich zur Zinsfestsetzung auf wenige Fälle beschränkt, muss im Hinblick auf die Gleichmäßigkeit der gewährten Billigkeitsmaßnahmen auf eine Anwendung des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO indes verzichtet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die taggenaue Berechnung wegen der fortschreitenden Automatisierung der Steuerfestsetzung und Berechnung der Nachzahlungszinsen keinen besonderen zusätzlichen Aufwand bedeutet.
3.
Nach diesen Grundsätzen ist bei der Berechnung des zu erlassenden Zinsbetrages grundsätzlich der gesamte Zeitraum zwischen freiwilliger Zahlung und Wirksamkeit der Steuerfestsetzung zugrunde zu legen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine sachliche Unbilligkeit nur insoweit eintreten kann, als für diesen Zeitraum tatsächlich Zinsen gemäß § 233 a AO festgesetzt wurden. Soweit eine Zinsfestsetzung wegen der Vereinfachungsregelung des § 238 Abs. 1 Satz 2 AO unterblieben ist, erfolgte keine Abschöpfung etwaiger Liquiditätsvorteile. Insofern kann auch ein Erlass mangels Zinsfestsetzung nicht erfolgen. Dies bedeutet, dass der berechnete Zeitraum zwischen freiwilliger Zahlung und Wirksamkeit der Steuerfestsetzung um die Tage zu kürzen ist, die gemäß § 238 Abs. 1 Satz 2 AO bei der Zinsfestsetzung außer Ansatz geblieben sind. Für den Streitfall ergibt sich folgende Berechnung:
VZ | abgerundeter Zahlungsbetrag | Zahlungszeitpunkt | Ende der Zinsberechnung für den zu erlassenden Zinsbetrag | Wirksamkeit der Steuerfestsetzung | Differenz | nicht berücksichtigte Zinstage gemäß § 238 Abs. 1 Satz 2 AO | zusätzlich zu erlassender Betrag DM |
---|---|---|---|---|---|---|---|
1993 | 2.760.400 | 29.10.98 | 29.03.99 | 31.03.99 | 2 | 0 | 920 |
1995 | 2.847.600 | 29.10.98 | 29.04.99 | 23.05.99 | 24 | 23 | 475 |
1997 | 14.400.000 | 27.04.99 | 27.05.99 | 24.06.99 | 28 | 24 | 9600 |
1997 | 2.260.000 | 31.05.99 | 31.05.99 | 24.06.99 | 24 | 24 | 0 |
1996 | 7.587.400 | 29.10.98 | 29.04.99 | 23.05.99 | 24 | 23 | 1.265 |
Die Summe des zusätzlich zu erlassenden Betrages beträgt 12.260,00 DM = 6.268,42 Euro, aufgerundet auf volle Euro mithin 6.269 Euro.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 und 3 FGO.