Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.06.2002, Az.: 5 K 376/98

Umsatzschlüssel als eine vom Wortlaut des Gesetzes gedeckte Schätzungsmethode; Ausschluss des Umsatzschlüssels bei der Vermietung gemischt genutzter Gebäudeteile; Aufteilungsmaßstab für die Vorsteuern bei einem gemischt genutzten Gebäude

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
27.06.2002
Aktenzeichen
5 K 376/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 21494
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2002:0627.5K376.98.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Der Umsatzschlüssel (hier: Vermietungsumsätze) ist eine vom Wortlaut des Gesetzes gedeckte Schätzungsmethode.

  2. 2.

    Der Ausschluss dieser Schätzungsmethode bei der Vermietung gemischt genutzter Gebäudeteile ist in § 15 Abs. 4 UStG nicht zwingend angelegt.

Tatbestand

1

Streitig ist der Aufteilungsmaßstab für die Vorsteuern bei einem gemischt genutzten Gebäude.

2

Die Klägerin errichtete in den Jahren 1992 bis 1994 ein Büro- und Geschäftshaus mit 3 Penthousewohnungen. Die Errichtung erfolgte durch den Generalunternehmer, die Fa. K-KG.

3

Für das Objekt sind Herstellungskosten in Höhe von insgesamt 10.596.112,82 DM aufgewandt worden. Die Aufteilung der hierauf entfallenden Vorsteuern für 1994 in Höhe von 663.436,73 DM ist im Streit; wegen der (unstreitigen) Berechnung des Gesamtbetrages der Vorsteuern wird auf Anlage 2 zum BP-Bericht von 4. November 1996 Bezug genommen.

4

Der Beklagte hat im Anschluss an eine Außenprüfung die Vorsteuern nach dem Verhältnis der zum Vorsteuerabzug berechtigenden bzw. diesen ausschließenden Verwendung der Flächen und Raumvolumina bestimmt. Dabei berechnete er einen Anteil der nicht abzugsfähigen Vorsteuer in Höhe von 8,79 v.H. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Seiten 12 bis 14 des BP-Berichts vom 4. November 1996 Bezug genommen.

5

Die Klägerin begehrt, den nicht abziehbaren Vorsteueranteil aus den Herstellungskosten nicht nach dem Verhältnis der Nutzflächen, sondern nach den Mieteinnahmen und dem daraus folgenden Aufteilungsschlüssel als sachgerechte Schätzung anzuerkennen. Aus dem Verhältnis der steuerpflichtigen zu den steuerfreien Mietumsätze folgt ein Anteil der nicht abzugsfähigen Vorsteuer in Höhe von 5,8 v.H. Wegen der Berechnung wird auf die Aufstellung der Mieten für August 1995 Bezug genommen, die dem Schreiben der Klägerin vom 5. Oktober 1998 als Anlage beigefügt war. Die Klägerin beruft sich dabei auf ein Urteil des BFH vom 17. August 2001 (V R 1/01, DStR 2001, 1977 = UR 2001, 552), in welchem der BFH ausdrücklich den Mietschlüssel als sachgerechten Aufteilungsmaßstab anerkannt habe.

6

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides vom 13. März 1995 in der zuletzt geänderten Fassung vom 5. April 2001 weitere Vorsteuern in Höhe von 19.837 DM zum Vorsteuerabzug zuzulassen.

7

Der Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen.

8

Er trägt vor, nach Auskunft der Oberfinanzdirektion Hannover hätten die Referatsleiter Umsatzsteuer der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder im Rahmen ihrer Besprechung II/02 beschlossen, das von der Klägerin genannte Urteil im Hinblick auf bestehende EG-rechtliche Bedenken nicht über den Einzelfall hinaus anzuwenden.

9

Bei der Herstellung von Gebäuden stelle das Aufteilungsverfahren nach Ertragswerten grundsätzlich keine geeignete, an die Eingangsstufe eines Unternehmens ansetzende Aufteilungsmethode dar; der auf die einzelnen Räume entfallende Bauaufwand hänge hier nicht von deren Rentabilität ab, sondern verteile sich regelmäßig auf das gesamte Gebäude.

10

Im Klageverfahren war zunächst noch streitig, ob der Klägerin der Vorsteuerabzug auch hinsichtlich eines Teilbetrages von 737.350,00 DM zusteht. Dieser Teilbetrag war betragsmäßig in der Schlussrechnung vom 17. November 1994 in Höhe von insges. 1.512.561,65 DM enthalten. Der Beklagte verweigerte den Vorsteuerabzug zunächst mit der Begründung, dass mangels Zahlung durch die Klägerin wegen Baumängel die Voraussetzungen des § 17 UStG vorlägen und die Vorsteuer entsprechend zu berichtigen sei. Nachdem die Klägerin das Urteil des Landgerichts Hannover vom 21. August 1998 betreffend den Zivilrechtsstreit der Klägerin gegen die Fa. K-KG vorgelegt hatte, stellte der Beklagte die Klägerin mit Schriftsatz vom 19. März 2001 insoweit klaglos als er die diesbezüglichen Vorsteuern in Höhe von 92.574,53 DM mit Änderungsbescheid vom 5.April 2001 zum Abzug zuließ.

Gründe

11

Die Klage ist begründet.

12

Bezieht ein Unternehmer Leistungen für ein Gebäude mit Wohn- und Gewerbeflächen, ist die Aufteilung der Vorsteuerbeträge durch den Unternehmer nach dem Verhältnis der Ausgangsumsätze als sachgerechte Schätzung i.S. von § 15 Abs. 4 UStG anzuerkennen.

13

1.

Da der Kläger das erworbene Gebäude teilweise zur Ausführung steuerpflichtiger Vermietungsumsätze (gewerbliche Mieter z.B. Fa. C+L, Restaurant B., Verlag H.) und teilweise zur Ausführung steuerfreier Vermietungsumsätze (Wohnung) verwendet, ist gemäß § 15 Abs. 4 UStG der Teil der Vorsteuerbeträge auf die Gebäudeherstellung nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Wohnungsvermietungsumsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist. Nach Satz 2 der Vorschrift kann der Unternehmer die nicht abziehbaren Teilbeträge im Wege einer sachgerechten Schätzung ermitteln.

14

Aus § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG 1993 folgt somit, dass "der Unternehmer" eine sachgerechte Schätzung der nicht abziehbaren Vorsteuer-Teilbeträge vorzunehmen hat. Es ist also Sache des Unternehmers, welche Schätzungsmethode er wählt. Das FA kann nachprüfen, ob die Schätzung sachgerecht ist (BFH-Urteile vom 12. März 1998 V R 50/97, BStBl II 1998, 525; vom 17. August 2001 V R 1/01, DStR 2001, 1977 = UR 2001, 552).

15

Kriterien für eine "sachgerechte Schätzung" im Sinne der Vorschrift umschreibt das Umsatzsteuergesetz nicht ausdrücklich. § 15 Abs. 4 Satz 1 UStG 1993 stellt lediglich das Erfordernis einer "wirtschaftlichen Zurechnung" von Vorsteuerbeträgen zu den mit der bezogenen Leistung ausgeführten Umsätzen auf.

16

Diese Methode "wirtschaftlicher Zurechnung" ist seit 1990 die im Umsatzsteuergesetz allein vorgesehene Zurechnungsmethode. Aufteilungsmethoden nach einem Umsatzschlüssel (allgemeine Aufteilungsmethode nach § 15 Abs. 3 UStG 1967/1973, eingeschränkt gemäß § 15 Abs. 5 und 6 UStG 1980) wurden aufgehoben (letztere mit der Begründung, eine sachgerechte Zuordnung der - nicht schon ausschließlich zurechenbaren Umsätze - lasse sich zutreffender und einfacher im Weg der nach Absatz 4 allgemein zugelassenen Schätzung erzielen, vgl. BTDrucks 11/2157, 191, Zu Nr. 6, § 15 UStG). Aus der Entwicklung der Regelungen zur Vorsteueraufteilung in § 15 UStG lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber die Aufteilung nach dem Umsatzschlüssel nicht allgemein als sachgerechte Methode der "wirtschaftlichen Zurechnung" ansah.

17

2.

Demgegenüber schreibt Art. 17 Abs. 5 i.V.m. Art. 19 der 6. EG-Richtlinie für die Aufteilung von Vorsteuerbeträgen in Fällen gemischter (d.h. zum Vorsteuerabzug berechtigender und nicht berechtigender) Umsätze ausdrücklich als Regel-Aufteilungsmaßstab den Umsatzschlüssel (Pro-rata-Regel) vor. Bei richtlinienkonformer Auslegung ist als "sachgerecht" i.S. des § 15 Abs. 4 UStG deshalb ein den Vorgaben des Art. 17 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie entsprechendes Aufteilungsverfahren anzuerkennen, das - objektiv nachprüfbar - nach einheitlicher Methode die beiden "Nutzungsteile" eines gemischt verwendeten Gegenstandes bzw. einer sonstigen Leistung den damit ausgeführten steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen zurechnet (BFH-Urteil vom 17. August 2001 V R 1/01, DStR 2001, 1977 = UR 2001, 552). Der vom Kläger angewandte Umsatzschlüssel ist EG-rechtlich präferiert und sachgerecht i.S.d. § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG.

18

Dass die allgemeine Pro-rata-Regel Ungleichmäßigkeiten hervorbringt und Abzüge ermöglicht, die niedriger oder höher liegen als sie aufgrund der tatsächlichen Zuordnung zulässig wären, war bekannt, als Art. 17 Abs. 5 der 6. EG-Richtlinie geschaffen wurde (vgl. Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Beilage 11/1973, S. 20 - zu Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie). Vor diesem Hintergrund vermag der Einwand des Beklagten, dass der Umsatzschlüssel zum Teil erheblich von dem Flächenschlüssel abweiche, nicht zu überzeugen. Tatsächlich kann die im Streitfall festzustellende Abweichung von 3 v.H. (8,79 ./. 5,8) auch nicht als signifikant bezeichnet werden.

19

3.

Die Regelung des Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 Buchst. c der 6. EG-Richtlinie berechtigt die Mitgliedstaaten zwar zum Ausschluss des EG-rechtlich vorgesehenen Regel-Aufteilungsmaßstabs. Ein solch ausdrücklicher Ausschluss des Umsatzschlüssels ist der gesetzlichen Regelung in § 15 Abs. 4 UStG jedoch nicht zu entnehmen.

20

Der Wortlaut des § 15 Abs. 4 UStG schließt die Anwendung des Umsatzschlüssels nicht eindeutig aus. Das in Satz 1 genannte Kriterium der "wirtschaftliche Zurechnung" stellt darauf ab, inwieweit die betreffenden Vorbezüge in die steuerpflichtige Ausgangsumsätze gegenständlich oder wertmäßig eingeflossen sind. Die Ermittlung der nichtabziehbaren Teilbeträge kann dabei nach § 15 Abs. 4 Satz 2 UStG im Wege einer sachgerechten Schätzung erfolgen. Damit eröffnet Satz 2 dem Unternehmer einen gewissen Spielraum; Satz 2 relativiert den Grundsatz der in Satz 1 vorgesehenen "wirtschaftlichen Zurechnung" insofern als der Aufteilungsmaßstab nicht ausschließlich anhand geeigneter Abrechnungsunterlagen wie z.B. Betriebsauswertungsbögen oder Kostenträgerrechnungen zu führen ist, sondern auch mittels einer "vergröbernder" bzw. pauschalierender Schätzung geführt werden darf (vgl. Heidner, UR 2002, 193, 195).

21

Der Umsatzschlüssel ist demnach eine - vom Wortlaut des Gesetzes gedeckte - Schätzungsmethode. Die Finanzverwaltung erkennt den Umsatzschlüssel bei der Aufteilung sonstiger gemischter Ausgangsumsätze auch an (z.B. Zahnarzt mit eigenem Labor). Der Ausschluss dieser Schätzungsmethode bei der Vermietung gemischt genutzter Gebäudeteile (Abschn. 208 Abs. 2 Satz 8 und 11 UStR) ist in § 15 Abs. 4 UStG nicht zwingend angelegt.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.